Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Walstatt

Die beiden Schwertfische haben noch tagelang an den Rändern des Heringszuges gehaust.

Dann ist die silberne Wolke, geheimnisvoll wie sie aufstieg, wieder hinabgesunken in die kalte, dunkle und totenstille Tiefe. Dünner ist sie geworden, und das Gewimmel ist müde und geht träger vor sich hin. Unzählbare hat der Mensch aus den Netzen geholt, unzählbare mit Schaufeln und Schäffern in die Boote geschöpft. Unzählbar noch, sinken die übrigen hinab, und in wenigen Wochen werden Myriaden durchsichtiger Heringskinder die Küstengewässer bevölkern; in langen Fristen dann hinausrudern in die offene See und endlich hinabtauchen in das große und totenstille Dunkel, aus dem die Ahnen heraufsteigen zu ihren todbedrohten Hochzeiten.

Laikan fährt dem verdämmernden Silberstreifen lange nach und gewahrt so nicht, was auf hoher See draußen bald sich begibt und schrecklicher ist als der Kampf der Lachsmänner, der ihn das schrecklichste Ereignis in seinem Leben dünkt.

Die beiden Schwertleute treiben sich noch im Oberwasser herum, weil stete Witterung und blauer Himmel sind über der See. Sie haben Kurs genommen nach ihren heimatlichen Regionen und ziehen sehr gemächlich 247 nordostwärts. Zuzeiten tauchen sie hinab, und die ruhige Meeresfläche verrät in nichts, welche Unholde sie verbirgt. In den Mittagsstunden treiben die zwei ihre Spiele und Sprünge, und dabei gewahren sie eines Tages den aufsteigenden Atem des schwarzen Riesen, den sie – warum wissen sie eigentlich nicht – nicht leiden können. Wahrscheinlich nimmt er zuviel Platz ein; er ist ihnen irgendwie im Weg; er reizt sie in seiner ungeheuren und schwerfälligen Behaglichkeit. Wahrscheinlich reizt diese Schwertseelen alles, was ihnen quer vors Leben kommt, weil sie im Grund furchtsam sind. Vorweltliche Erinnerung auch bricht in ihre Seelen ein, wann sie die schwarzen Riesen gewahren.

Ruhig liegt der Wal unter dünnem Wasser und atmet tief die leichte und schöne Luft des sanft dünenden Meeres. In hoher Säule geht in langen Abständen der tiefe Atem seines starken und heißen Herzens von ihm, und das riesige Ruder schaukelt ihn sanft. Fremder scheint ihm das Meer hier, und fast wird ihm zu warm. In seiner riesigen Flanke steckt eine abgebrochene Harpune. Die hat ihn weit aus seiner Welt vertrieben. Noch glaubt er zuzeiten den Stoß und spitzigen Schmerz zu spüren und meint, ihrer Nachstellung entfliehen zu müssen. Dann taucht er tief, wo er im hohen Druck darauf vergißt. An fünfzigmal ist die lange Polarnacht über sein Dasein gegangen, und viel hat er erlebt. Den Eisbären kennt er und die sanften Robben, die ihm freundlich Platz machen, wann er einherfährt, obwohl sie keine Furcht vor ihm haben. Auch er wußte nicht, was das ist: Furcht haben. Das Leben ist groß und weit, und wenn er mit 248 dem gewaltigen Ruder schlägt, wird es unendlich. Er fährt in ihm herum, sanftmütig und friedfertig, hat keine Feinde, und seine kleinen gutmütigen Augen gewahren nichts Böses. Daß in der Welt einer vom Tod des anderen lebt ist selbstverständlich und nicht besonders schrecklich. Der Wal freilich tut auch das nicht. Denn das kleine Krebs- und Muschelgetier, das er in sein riesiges Maul einschlürft, ist ihm fast nur ein dichteres Atmen, von dem er satt wird. Wenn er zufällig einmal einen unvorsichtigen Fischkerl in den Rachen bekommt, macht der ihm keine Freude, und er hat Mühe, ihn zu schlucken, auch wenn der nur so groß ist wie ein kleiner Hering.

In großer und freundlicher Geselligkeit hat der Wal sein Leben hoch oben im Eismeer gelebt und weite Wanderungen im köstlich-stillen Element gemacht. Das große Eis wandert mit Sonne und Gestirn, und die Wale wandern mit ihm. Nur wann ihre Frauen Mütter werden, suchen diese die Einsamkeit auf und sind dann zärtliche Mütter ihres Kindes.

In solcher Einsamkeit überfiel diese Walfrau der Mensch. Sie kennt den Menschen nicht. Wenn alljährlich die großen Schiffe in die Eisregion kommen, staunen die einfältigen Seelen dieser Tiere, und sie gehen ihnen gerne aus dem Weg. Den und jenen, besonders jüngere Wale reizt dann die Neugier, zu erfahren, was da in ihrer Welt, größer als sie selber noch, einherfährt. Selten aber gelangen diese Neugierigen wieder zurück. Man merkt, daß sie fehlen, aber man vergißt sie bald. Man hat den dumpfen Donner der Harpunengeschütze gehört. Aber, o wieviel lauter donnert das Eis in den langen 249 Nächten! Man achtet nicht darauf. Und wenn einer aus dem Rudel am Haken tobt, daß weithin die See dunkel und blutig gischtend wird, dann staunt man und verbirgt sich in große Tiefe. Weit entfernt taucht man wieder auf, atmet und findet das Meer still und gewohnt, und vergißt das Erlebnis.

Diese Walfrau ist in einer stillen Bucht vom Menschen überrascht worden. Weil sie nicht so behend tauchte – denn sie ist kurz vor dem Gebären –, erreichte sie eine Harpune. In ihrer einfältigen Seele stieg rasender Zorn auf, denn sie glaubte, daß der Angriff ihrem Jungen gelte, das sie noch im Leib trug; und sie ist unter den Meermüttern eine der zärtlichsten und schrecklichsten. Sie warf sich herum. Der Eisbär? Nein! Die See ist leer. Sie kann nicht sehen, was da in ihre Flanke sprang und schrecklich reißt. Sie stürzt in die Tiefe und wirft sich auf den Rücken. Der Schmerz tobt in der Seite. Dann splittert der Schaft der Harpune, und sie schnellt vorwärts. Eine gute Stunde später erst, in der sie mit gewaltigen Schlägen ihres riesigen Steuers das Meer durchstürmt hat, taucht sie auf, und da ist keine Bucht mehr. Das Treibeis ist weit hinter ihr, und sie atmet fremde Luft. Tagelang noch flüchtet sie vor dem Schmerz in ihrer Flanke und rastet erst, als er sanfter wird, und wartet dann durch viele Tage, ob der Überfall und die stürmende Flucht ihren aufgeregten Leib zum Gebären zwingen werden. Weil es aber nicht dahin kommt, dreht sie bei und sucht mit ihren geheimen Sinnen den Weg zurück in die Heimat.

Dabei finden sie die zwei Schwertkerle. Sie gewahrt 250 sie erst, als es zu spät ist zur Flucht. Denn obwohl sie gewiß viermal größer ist als diese Leute, so weiß sie sich nicht anders zu helfen als durch die Flucht. Oh, sie könnte den Eisbären mit einem Schlag ihres Ruders töten. Aber der Eisbär will nichts von ihr, und ihr Junges schwimmt noch nicht neben ihr. Ein Menschenboot hat sie einmal zerschmettert, aber das war gar nicht ihre Absicht gewesen. Sie drehte nur plötzlich bei, aus Neugier. Vor den im Wasser rudernden fremdfremden Wesen nahm sie dann Reißaus.

Die Mordkerle gehen sofort zum Angriff über. Die Überfallene taucht; sie tauchen mit und sind voll Hohn über die Schwerfällige. Das Schwert des Größeren zischt an ihrem Hals vorbei, und der Kleinere prescht es ihr über das Auge, das gleich voll Blut rinnt. Einäugig sieht sie die Welt schief, und weiß nicht, wohin sich wenden. Ihr ist, als ginge es nicht um sie selber, sondern um das Junge, das in ihrem Leib ist. Einen gewaltigen Stoß tut sie nach vorwärts, wo einer der Angreifer sich aufgestellt hat. Hochauf rauscht das Wasser von der riesigen Furche. Mit ihrem ganzen Gewicht schleudert sie sich auf den Schwertfisch und will ihn erdrücken. Leicht prescht der zur Seite, und sein blauschimmernder Rücken taucht aus dem gewaltigen Schwall. Da fährt der Angegriffenen das Hornschwert des zweiten hinter die Brustflosse. Aufschnellend wirft sie sich herum, und wäre der Blaue nicht ein so gewandter Bursch, dann zöge er mit zerbrochenen Gewaffen ab. Aber er hat blitzschnell die Wendung mitgemacht und zieht, mit dem Steuer aufstrudelnd, die Hornklinge aus dem sich abwärts schleudernden Leib des 251 Wals. Blut geht stromweis aus der Wunde und färbt das Wasser. Sehr tief taucht der Wal. Die Mordkerle stürzen ihm nach. Sie folgen leicht. Weithin ist die See aufgeregt von dem Toben unter der Dünung, und Blutlachen wallen da und dort violett. Als der Wal wieder auftauchen muß, kommt mit der Atemsäule ein Blutstrahl, und die riesigen Kiefer stehen halb offen. Schreckliche Schläge tut sein schwarzgraues Ruder, daß es weithin schallt und Kaskaden schäumenden Wassers umhergischten. Zu immer größerer Wut bringt der Geruch des warmen Blutes die Schwertfische, und daß der Wal sich wehrt, reizt sie aufs äußerste.

Von allenthalb kommen jetzt Fischleute heran, fahren und warten auf ihre Stunde. Die Sturmvögel und Albatrosse kreisen, gell und hungrig schreiend, über dem Kampfplatz. Da und dort stoßen sie abwärts und gieren nach Hautfetzen und Blut. Zwei besonders Kühne haben sich einen Augenblick auf den Rücken des Wals gesetzt und hacken ihre Schnäbel in die schwarze Haut. Das spürt der Riese nicht. Aber langsam wird er müde, und weil er aus tiefen Wunden blutet, muß er öfter atmen und taucht nur mehr auf wenige Minuten. Dann schwillt das Geschrei an, wenn die Vogelleute glauben, daß er ihnen entkommt. Aber er entkommt ihnen nicht mehr.

Wann er wieder auftaucht, geht der Zorn der Schwertfische, die lange wissen, daß sie Sieger bleiben, in ein frevelndes und höhnisches Spiel über. Jetzt nehmen sie den auf den Tod Verwundeten nicht mehr ernst. Hochauf schnellen sie sich und bohren beim Niederstürzen die 252 Schwerter in den aufzuckenden Leib. Manchmal gleiten die Klingen an der glatten Haut ab, dann klatschen sie lärmend ins sprühende Wasser; manchmal reißen sie nur tiefe Schrammen, wenn der Wal seitlings auszuweichen versucht. Als aber der Größere sich fast um die doppelte Höhe seines Leibes aus dem Wasser schnellt und mit ausgerecktem Schwert auf den Wal niedersaust, da bohrt er durch bis an die eigene Säge und hat das Herz des Riesen angeschnitten. Dann zieht er ihn durch seinen herabstürzenden Leib nieder, daß der Wal auf der Seite liegt. Wie der Mordkerl in den gischtenden und blutigen Strudeln des verzuckenden Wals die Hornklinge aus der klaffenden Wunde reißt, bleibt der Riese seitlings liegen. Die Schwertfische wissen, was das bedeutet, und weil sich jetzt ihr Zorn alsogleich sänftigt und sie sonst von dem Wal nichts wollen, als daß er nicht quer in ihrer Welt herumsteht, so ziehen sie gemächlich in halber Tiefe davon. Weit draußen tun sie vergnügt ihre Luftsprünge. –

Der Wal gewahrt das nicht mehr. Der Atem geht ihm noch aus der Nase; aber er ist keine mutige Säule mehr, und Blut geht mehr fort als Luft. Die Augen sind noch nicht tot. Verschwollen und blutunterlaufen, blicken sie schwermütig und stumpf; aber sie sehen fast nichts mehr und so wie in eine große Fremde. Hier und da zuckt das schwarze Ruder; dann sind große Strudel hinter ihm, und der riesige Leib fährt in einem langsamen Kreise, der sich nicht mehr schließen wird.

Unzählige Fischleute pirschen um den Sterbenden, und die Meervögel sind toll vor Gier. Es ist ein wüstes Geschrei um den langsam treibenden Leib. 253

Dann kommt unter dem schief Liegenden der schlankere und zarter gehäutete Körper eines jungen Wals zum Vorschein. In Todesnöten hat die Mutter ihn geboren. Er ist so groß wie die weit draußen spielenden Mörder seiner Mutter. Weil die auf der Seite liegt, kann er die Milcheuter nicht finden. Fern von der Heimat wird er langsam verhungern und lebenden Leibes noch an Fischleuten und Meervögeln martervoll sterben. Denn es wird ihm nicht einfallen, von der toten Mutter zu gehen; nicht einmal untertauchen wird er in seiner einfältigen Hilflosigkeit, trotzdem jetzt weit draußen die dreieckigen Wahrzeichen der schrecklichsten Meeresmörder erscheinen, die langsam, von ihren scharfsinnigen Trabanten, den Lotsenfischen geführt, die Witterung dieser Walstatt aufnehmen.

 


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