Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Frei!

Kurz nach Sonnenaufgang hört Laikan die Schritte des Menschen und zieht ihnen vorsichtig nach. Hungrig ist er kaum. Der Grüne war fett von wochenlanger Würmermast auf der saueren Wiese. Aber neugierig ist der 92 Lachs. Der Mensch ist ihm vertraut geworden, und wenn auch immer bereit zu flüchten, zieht es das scheue Tier stets in den Bann des großen, schattenwerfenden Menschen.

Am oberen Rand des Teiches hören die Schritte auf, und dann ragt die Gestalt des Menschen in den Spiegel herein.

Laikan verhält in Entfernung, und seine scharfen Augen beobachten alles, was geschieht. Jetzt sieht er die Hände des Menschen herabtauchen, und die eigentümliche Witterung kommt zu ihm her; die macht ihn immer unruhig, und er dreht halb bei. Daß keine Würmer an den Händen des Menschen hängen, hat er gleich eräugt. Es hätte ihn auch verwundert, und vielleicht hätte er sie nicht genommen; denn die Sonne war nicht untergegangen, und es konnte eine böse List sein, morgens Würmer zu spenden. Vielleicht blieb man daran hängen?

Aber plötzlich – – was ist das? – – Ganz sanft und kaum merkbar hebt es an, und die vorbeifahrenden Elritzen gewahren es sicher gar nicht. Aber Laikan fühlt den sanften Zug, der plötzlich im Element anhebt. Nicht daß er ein Ruder rühren müßte, beileibe nicht! Nur ein leises Streicheln geht an seinen Flanken hin, und die Rückenflosse, deren kleiner Ring in der Sonne manchmal auffunkelt, freut sich, daß sie gefächert, alle Knorpelstrahlen deutlich fühlt. Das war im stehenden Wasser selten gewesen. Gleich atmet man freier; es will etwas werden; lebendiger fühlt man sich. Der Zug wird stärker; man gibt sich ihm hin; die Augen blitzen dem ziehenden Element nach. 93

Dann gerät Laikan vor eine offene Stelle im Teichrand, durch die das Wasser sacht, aber stark hinausströmt. Tausendmal ist er in den letzten Wochen hier vorübergekommen. Jeden Stein, jedes Grasbüschel kennt er. Wie oft hat er diesen Tangwald abgefischt! Dort, die Miesmuschel, von deren schwarzer Schale er manchen Wasserfloh abgelesen hat, liegt an derselben Stelle; aber jetzt ist ein ziehendes Element um sie. Wahrscheinlich wird ihr das nicht passen, und sie wird ein wenig wandern, wie neulich, als die Kinder sie nicht in Ruhe ließen.

Wandern! Oh! Seine Augen fahren dem eiliger werdenden Wasser nach, und schon will er mit. Aber da steht der Mensch am Uferrand, und Laikan verhält. Ja, er verhält. Lange hat er das stolze Gefühl nicht mehr gehabt: anders zu wollen als seine Welt. Keinen Widerstand gab es im Teich; das Wasser war ihm stets zu Willen. Jetzt stemmt er sich, er legt die schönen Ruder breit aus; mit dem Schwanz fächert er, steht und verhofft zum Menschen hinauf. Er fühlt, daß der ihn anschaut, und ist ihm ganz plötzlich, jetzt, im widerspenstigen Element, in seiner lebendig werdenden Welt fremd, fast feindselig gesinnt. Denn nun ist er wieder er selber, und er würde keine Würmer mehr aus der Hand des Menschen nehmen.

Er dreht bei und überquert den ziehenden Schwall einmal, zweimal, verhält wieder; und weil der Mensch ruhig steht und wahrscheinlich nichts tun wird, was den Lachs schrecken könnte, faßt er sich ein Herz und schießt, schlank wie ein Pfeil, der Strömung nach und hat das Gefühl, daß er dem Menschen entkommen ist. Der Zug 94 des Wassers wird stark, und fernher kommt ein Getöse. Nach seiner Art verhält Laikan zwischen jeder Flucht, mißt den Sprung, stößt vor, verhält wieder und gelangt, ein grüner pfeilgeschwinder Schatten, in den kalten Strudel, in dem der Bach in den jungen ungestümen Vorderrhein mündet.

Eine Weile ist der Lachs geblendet von Gischt und weißgrünem Überschwall. Das Gebraus betäubt ihn fast, und die Gewalt der niederstürzenden Flut überwältigt den sanft und lasch gewordenen Gast aus Menschenland. Hart stößt er sich an Gestein und wird abwärts gewirbelt; fernher kommt Erinnerung an den ersten Eisbruch; wie damals fängt er sich in einem gurgelnden Tümpel und findet langsam zu seinem Stolz, zu seiner Wildheit, zu seiner Fremdheit, zu sich selber.

Laut und alles überwältigend schwillt der Ruf des Meeres in der Seele Laikans.

 


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