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24.

Meine Mutter fand es richtig, mir nicht mehr viel zu schreiben. Da ich jedoch durch meine brave Schwester alles Wissenswerte erfuhr, wappnete ich mich mit Geduld und ließ alles, wie es war. Hier bei uns, das heißt bei Alexandra, gab es auch Schwierigkeiten genug. Der alte Graf war wechselnder Laune, an einem Abend kam er verzweifelt heim und warf sich seiner alten, vor Sorgen früh ergrauten Frau an die Brust. Sie wußte nicht, wie ihr geschah. Alexandra zwinkerte mir ironisch zu. Wir wußten, solche Gefühlsausbrüche des alten Erfinders bedeuteten einen Mißerfolg bei seinem Girakter. Aber sei es, daß ein Fehlschlag seine Art Genie anfeuerte, sei es, daß seine Sache besser stand als er wußte, am nächsten Abend kam er sehr ruhig, gefaßt und schweigsam zurück, – das bedeutete, daß seine Arbeit gut vonstatten ging. Von der meinen konnte ich dies nicht sagen. Alexandra war zwar sehr damit einverstanden gewesen, daß ich mich den braven Lehramtsprüfungen endlich unterzog. Sie dachte dabei nicht an den Lehrerberuf, der mir nun einmal nicht lag, wie sie wußte, sie dachte vielmehr an eine höhere Beamtenlaufbahn im Ministerium für Kultus und Unterricht. Ich meldete mich also zu dem nächsten Prüfungstermin.

Ich hatte die Prüfung für ein Kinderspiel gehalten. Leider war es ernst. Ich versagte so vollkommen, daß es mir mehr komisch als traurig vorkam. Ich dachte beim Heimweg an meine Mutter. Da unser Briefwechsel unterbrochen war, brauchte ich weder zu lügen, noch ihr ein beschämendes Geständnis zu machen. Alexandra hätte ich den Mißerfolg gern verschwiegen. Aber konnte ich es denn? Ich hätte nicht gedacht, daß sie so sehr erschrecken würde, denn sie hatte ja immer behauptet, die ›Universität‹ bestehe aus ›Faxen‹.

In dieser Zeit sah ich sie selten fröhlich. Wenn ich als Dritter dabei war, hatte ich den Eindruck, daß Maxi Alexandra aus ganzer Seele liebte und daß sie sich seine Liebe gefallen ließ. Sie konnte keinen schwachen Punkt mehr an ihm finden, (er hatte ja uns beiden geschworen, das Hasardspiel aufzugeben), höchstens war es das demokratische Regiment der Pioniertruppe, das eine Alexandra störte, deren Kousins in den hocharistokratischen Dragoner- und Husarenregimentern dienten, ebenso wie es ihr Vater in seiner Jugend getan hatte. Sie sprach davon, daß Max die Truppe wechseln könnte. Der Gedanke, mit den anderen Offiziersdamen des ›Genies‹ in einer kleinen Garnison zusammenzusein, widerte sie an. Wien wollte sie sogleich nach der Hochzeit verlassen, sie wollte nicht als kleine Oberleutnantsfrau an seinem Arm gehen, während er jedem vulgären Infanteriehauptmann der Landwehr die Ehrenbezeugung zu erweisen hatte, wenn er auf dem Graben oder der Mariahilferstraße spazieren ging.

Ich machte mich bei solchen Diskussionen schnell aus dem Staub. Gewiß war mirs unerträglich, ihr Glück anzusehen, aber noch unerträglicher war es mir, sie in einer Art Zwist zu sehen, und am allerscheußlichsten wäre es mir gewesen, wenn sie mich zum Schiedsrichter gemacht hätten. Meine Ansicht stand übrigens fest. Maxi war ein herrlicher Pionieroffizier, untadelig, intelligent, ein Mann mit Zukunft – ein Mensch für den Ernstfall. Seine Mannschaft liebte ihn ebenso wie seine Vorgesetzten, und wenn er wirklich nicht mehr spielte, war er vielleicht doch und trotz allem der rechte Mann für Alexandra. Ich sagte es mir tausendmal vor, bei Tag und bei Nacht. Ich redete mir ein, nach der Hochzeit würde ich ruhiger werden. Ich dachte sogar daran, ihm das Geheimnis meines Reichtums zu verraten, ihm etwas Geld vorzustrecken, damit er nicht seine Beförderung zum Hauptmann abzuwarten brauche. Aber als ich, mein liebes Scheckbuch in der Brusttasche, bei ihm in der Kaserne erschien, konnte ich nichts ausführen von dem, was ich mir in solcher Güte und Selbstlosigkeit und Brüderlichkeit ausgedacht hatte. Es war gegen die Natur!

Auch war er nicht mehr ganz der alte. An diesem Abend zum Beispiel war er eine ganz kleine Spur ungeduldig, er wandte oft sein sonst so offenes, braunes Auge ab von mir und ich merkte, er atmete erleichtert auf, als ich mich verabschiedete. Noch in meiner Gegenwart nahm er seine Bücher zur Hand, die er zur Vorbereitung für die Prüfung in der Militärakademie studierte. Aber mich täuschte er nicht. Ich wartete nicht länger als zehn Minuten vor dem Tore, als ich ihn, in Zivilkleidung, scheu heraustreten sah. Er rief einen Wagen an. Zu Alexandra konnte er nicht fahren. Sie hatten einander am Nachmittag gesehen, heute abend wollte Alexandra ins Burgtheater zu einem der faden Gesellschaftsstücke, die man in Wien Komtessenstücke nannte. Am nächsten Tage war er etwas blaß. Er kam nur auf kurze Zeit zu Alexandra. Er betrachtete den Ring, den ich von jeher häßlich und plump gefunden hatte. Jetzt fand auch er ihn plötzlich nicht schön genug für Alexandras Marmorhand, er meinte, er wolle ihn anders fassen lassen. Der Juwelier würde dies kostenlos übernehmen, – und es würde nicht lange dauern. Alexandra gab den Ring nicht gern aus der Hand. Was sie hatte, wollte sie stets behalten. Da ich aber meinem Freunde sekundierte, fügte sie sich. Am nächsten Abend ließ er sich entschuldigen, er habe Jour-Dienst, könne die Kaserne nicht verlassen. Möglich war es. Ich hatte freilich einen anderen Verdacht, denn ich wußte, was Leidenschaften sind, und was sie aus einem Menschen machen können. Wenn sonst nirgends, an meinen zahlreichen früheren Geliebten hatte ich es studieren können, – und schlimmstenfalls jetzt – an mir.

Alexandra aber, in deren Familie (mütterlicherseits) mehrere Spieler dem Familienvermögen so gewaltig zugesetzt hatten, daß für Alexandras Mutter keine rechte Mitgift geblieben war, wollte von mir wissen, ob Maxi seinem Versprechen treu geblieben sei. Sie meinte, er habe vor mir keine Geheimnisse. Sollte das heißen, daß er also vor ihr Geheimnisse habe? Ich war sein Freund: sein ganzes Vertrauen hatte ich jedoch nicht mehr, das wußte ich seit kurzem. Aber ich wollte ihm die Treue halten. Mußte ich es denn nicht? War es denn nicht klug? Und es konnte mir nicht schaden. Gut, ich wollte es; ich schwur, er spiele nicht mehr. Alexandra glaubte, wir ›packelten‹, das heißt, wir hätten diese Lüge vereinbart. Ich ging also noch weiter, bis über das Gute hinaus, ich schwor bei dem Leben meiner Mutter, daß Maxi nicht mehr spiele. Sie atmete auf, sie war beruhigt. Aber ich sage es offen, auch ich war beruhigt und die fatalistische Verzweiflung wich allmählich, nachdem ich diesen Meineid aus Freundestreue geleistet hatte.

Am nächsten Tag kam er zu ihr. Ich nicht. Am dritten Tag sah ich an ihrem Finger den neugefaßten Stein. Bei dem ersten Ring hatte mir die Fassung mißfallen, bei dem neuen mißfiel mir der Stein aufs höchste. Es gibt da einen ziemlich schlechten Edelstein, den man Cirkon oder Ceylondiamanten nennt, und der nicht den zwanzigsten Teil eines Brillanten gleicher Größe kostet. Er hat ein, wenn man sagen kann, hohles Feuer, hinter den bunten Blitzen der Facetten verbirgt sich eine Art schwärzlicher Rauch. Dabei ist aber der Stein klar. Ich wußte nur zufällig von der Existenz dieses Steines, da mir mein Juwelier den Unterschied gegen einen echten Stein gezeigt hatte, als ich einmal für eine meiner Schönen ein kleines Bijou gekauft hatte. Übrigens besaß auch ich aus alten Zeiten einen netten Brillant-Ring, hatte ihn aber irgendwo verkramt, da ich niemals Schmuck an einem Mann geliebt habe.

Ich betrachtete Alexandras Ring übrigens gar nicht weiter, ich wußte alles. Alexandra sah mich etwas ängstlich an. In mir wühlte es, es runzelte sich mir die Stirn, meine Lippen verzerrten sich gegen meinen Willen. Aber ich wollte nichts dem Augenblick überlassen. Ich formte bedächtig einen neuen Entschluß. Einen Maxi durfte Alexandra nicht heiraten. Jeden anderen eher als ihn. Nicht seines kleinen dummen Betruges wegen. Darüber war unsereins längst erhaben.

Am Abend sah ich Maxi bei mir. Er war schweigsam. Plötzlich, als er fortgehen wollte, fragte er, meine beiden Hände mit großer Gewalt fassend, und seine tiefliegenden Augen mit einem verlorenen Ausdruck in die meinen versenkend, ob er mir noch trauen könne. »Kann ich dir trauen?« wiederholte er. »Wie dir selbst!« antwortete ich, der Wahrheit gemäß. Er ließ daraufhin meine Hände frei. Er sagte, er spiele nicht mehr, aber es interessiere ihn, dem Spiele der anderen zuzusehen. Ob ich ihn in den Cercle begleiten wolle? Der Cercle interessierte mich nicht, aber ich begleitete ihn folgsam. Er hatte Uniform an, und es war gefährlich, sich in solcher Gewandung dort zu zeigen, aber es zog ihn eben unwiderstehlich hin. Ich sah, wie an den mit grünem Tuch bespannten Tischen Unmassen Gold und Banknoten von einer Sekunde zur andern den Besitzer wechselten. Das gefährlichste lag aber darin, daß die Spieler, die alle einander kannten und von denen der eine für den anderen bürgte, mit Zettelchen spielten, die sie auf Tausende und Abertausende ausstellten, oder mit Schecks, die sie seelenruhig mit Riesenzahlen bekritzelten, mit einem so langweiligen Gesicht wie die Menschen, die einen neuen Füllfederhalter in einem Papiergeschäft ausprobieren. Ich setzte eine kleine Summe ohne genaue Kenntnis des Spiels und ziemlich gleichgültig gegen Gewinn und Verlust. Ich hatte vom Cercle manche Vorteile gehabt, die Reitstunden zum Beispiel, ich konnte ruhig einige hundert Kronen verlieren. Aber ich gewann. Das Gold und die blauen großen Scheine und die weißen Zettelchen und Schecks häuften sich an meinen Feldern. Maxi stand hinter mir, ich hörte ihn aufgeregt atmen, ja ich fühlte ihn sogar zittern, aber er redete mir nicht zu, nicht ab. Als ich gegen zwei Uhr morgens aufstand, hatte ich an 560 000 Kronen gewonnen, allerdings nur einen Teil in Gold und bar, den größeren Teil in Zettelchen und Schecks. Etwas unsicher ging ich denn doch neben Maxi die Treppe hinab. Ich wagte nicht, ihm etwas von meinen ziemlich unnützen Schätzen anzubieten. Ich sagte ihm nur zum Abschied – und ich glaubte, daß ich es aufrichtig sagte – er solle sich immer und ewig verlassen auf mich. Und doch habe ich am nächsten Tag Alexandra den Ring vom Finger gezogen und habe mit ihm in ihren kleinen silbergefaßten ovalen Handspiegel etwas einzuritzen versucht. Ich tat es, um meiner Geliebten zu zeigen, daß Maxi sie betrogen, sein Wort gebrochen, den guten echten Stein gegen ein miserables Juwel Cirkon vertauscht hatte. Aber es mißlang. Der Stein ritzte sehr gut auf das Glas und schrieb herrlich. Sie sah mir lächelnd zu. Vielleicht verstand sie mich schon damals besser, als ich wußte.

Zum Glück erschien der alte Graf. Sein Girakter war fertig, morgen nachmittag sollte ein Probeflug stattfinden auf dem Flugplatz in Aspern, wobei er mit einem Fahrgast, seinem Mechaniker, sich in die Höhe von mindestens 150 Meter erheben und einen bestimmten Schuppen, bei dem sich ein Fahnenmast befand, zweimal umkreisen mußte. Am nächsten Tage waren wir alle da, Maxi ausgenommen. Wharf war mit seinem Photoapparate erschienen im Kreise von zahlreichen Pressevertretern. Leider gabs im letzten Augenblick eine gewaltige Störung, denn der Mechaniker, der mit dem Grafen seit Jahren zusammenarbeitete, weigerte sich, sein Leben (als Ernährer einer ziemlich großen Familie) der vertrackten Maschine anzuvertrauen. Ratlos wanderte der Blick des Grafen im Kreise und blieb zuletzt an mir haften. Der Mechaniker hatte Frau und Kind. Ich stand, soviel er wußte, allein. Ich hatte manche gefahrvolle sportliche Sache mitgemacht, und vielleicht reizte mich der Aufstieg. Gewiß! Ich trat bereits vor, als mich Alexandras kleine heiße Hand zurückhielt. Ich sah sie an, sie war blutrot unter ihrem breiten Florentinerhut, sie blitzte mich voll düsterer Glut aus ihren smaragdfarbenen Augen an. Auch ihr Stein blitzte, aber ziemlich hohl. Sie trug nie gern Handschuhe, sie war stolz auf ihre ›klassischen Hände‹ und zeigte sie gern. Die Berührung mit ihrer Hand erregte mich sehr tief. Und doch hatte ich diese Hand tausendmal in der meinen gehalten. Hatte sich etwas geändert?

Für mich?

Gegen mich?

Wharf hatte sich den Augenblick zunutze gemacht. Schon hatte er sich in die bedenklich krachende Gondel geschwungen, mit seligem Lächeln seinen Apparat in Bereitschaft setzend.

Der Girakter begann stark zu zittern, als der Graf den Motor anließ. (Eigentlich waren zwei Motore daran.) Er rollte etwa 250 Meter auf dem kurz gehaltenen Rasen auf den Gummirädern vor, erhob sich, träge mit den horizontalen Flügeln schwankend, über den Erdboden, stieg schräg hoch, machte eine Wendung nach dem Flaggenmaste zu, beschrieb eine etwas unregelmäßige Kurve, setzte zur Wiederholung an. Jetzt wurde das Knattern der Motore schwächer, plötzlich verstummte es völlig. Es knallte, und jetzt schwieg alles.

Ich fühlte Alexandra nahe bei mir, sie lehnte sich an mich und lachte – aus Nervosität. Ich rührte mich nicht. Nicht hin zu ihr. Nicht fort von ihr.

Das Flugzeug begann zu schwanken und legte sich auf die Seite, aber jetzt schien es in einem ziemlich starken Gegenwind eine Art Stütze gefunden zu haben, die Flügelteile richteten sich ganz allmählich wieder gerade, langsam senkte es sich zu einem sanften Gleitfluge und endlich berührten die Räder des Fluggestelles den Boden, sehr zu unserer Freude. Der unverwüstliche Photograph sprang als erster aus der Gondel. Alle beglückwünschten den alten Grafen, der Freudentränen vergoß und mit seiner Hand den Apparat liebkoste, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Auf einmal besannen sich die Motoren und knatterten los, als man sie nicht mehr brauchte, und alles brach in ein lautes Gelächter aus. Wir waren alle froh. Der Flug war nicht ganz geglückt; doch war etwas Großes gelungen. Der alte Herr gab Wharf ein kurzes Interview und ließ mit Hilfe des braven Mechanikers und Familienvaters, dem er nicht mehr zürnte, den Girakter wieder in die Halle bringen, um sich noch am gleichen Tag daran zu machen, die Mängel des Motors zu beheben. Sie sollten darin bestanden haben, daß die Zufuhr des Benzins bei einer gewissen Schräglage stockte. Wenigstens verstand ich ihn so. Er sprach mit mir, als wäre nichts geschehen, er nahm auch mir meine Weigerung, das Leben für seine Idee zu wagen, nicht übel. Ich kehrte mit Alexandra und der Gräfin viel ruhiger heim. Wir hatten noch auf dem Flugplatz ein schönes Auto gemietet. Das Wetter war prachtvoll. Ich und sie waren jung, und zum erstenmal hatte ich das Gefühl, daß wir einander verständen und nie mehr ganz ohne den anderen leben wollten.


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