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24.

Ich hätte nicht gewußt, was ich Anninka noch hätte schreiben sollen. Ich wollte aber ihre Bitte nicht unerfüllt lassen. Ich wollte alles Menschenmögliche getan haben, – (alles bisherige war offenbar doch noch zu schwach gewesen!), um sie wieder in den Kreis der Familie zurückzuführen, und vielleicht, das sagte ich mir ohne Selbstbetrug, vielleicht tust du damit sogar ein gutes Werk an ihr. Zu dieser Zeit erhielt ich von meiner Mutter mein Geburtstagsgeschenk, wohl gemeint, wenn auch etwas verspätet. Sie hatte sich und meinen Bruder photographieren lassen. Sollte es eine ironische Antwort auf die Photographie sein, die mich auf dem Felsenband beim Simonygletscher in allen möglichen Posen im Kampf mit dem Bergtod zeigte? Ich glaube nicht. Denn in den letzten Jahren hatte meine Mutter ihre ironische Haltung (oder das, was ich früher dafür gehalten hatte), fast gänzlich fallen lassen. Sie hatte sich auf dem Bild mit einem folgsamen Photographenlächeln hingesetzt, das den Verfall ihrer noch vor einem Jahr so festen und geschlossenen Zügen mitleidslos enthüllte, um so mehr, als alles auf schön zurechtretuschiert war.

Kinder sind immer schwer zu photographieren, heißt es, hier war es dem Stümper von Vorstadtphotographen herrlich gelungen, es war ein bezauberndes Kind, das meine Mutter auf den mageren, bis auf eine Armbanduhr schmucklosen, bloßen Armen trug. Nur hätte man gemeint, es wäre die Großmutter. Im Hintergrunde die gemalte Kulisse, eine Mühle im Weidengebüsch und ein weißlicher, sich wellenförmig durchs bebuschte Gelände schlängelnder Bach. Da man aber vergessen hatte, eine Plüschportiere fortzunehmen, und keine andere Sitzgelegenheit da war für Mutter und Kind als ein samtgepolsterter Armsessel im Rokokostil, so war das ganze eher lächerlich als ergreifend. Ich legte es schnell beiseite, ich wollte mir die Erinnerung an die herbe Schönheit meiner Mutter nicht zerstören lassen. Ich hätte es, aufrichtig gesagt, richtiger gefunden, wenn meine Mutter das Kind in ihren Armen angeblickt hätte, statt den Blick kühl auf den Beschauer zu richten. Das Bild gab Marthy nicht ganz unrecht.

Kurz vor dem Einschlafen kam mir aber ein guter Gedanke. War dieses Bild nicht besser als alle Bruderherzbriefe, die ich dem Schwesterlein senden konnte? Es sprach. Wenn man nur Ohren hatte zu hören. Eine Anninka hatte sie. Ich packte also das ziemlich große Bild säuberlich zwischen zwei Pappdeckelscheiben und legte einen kurzen Brief bei, das Bild nicht weiter erwähnend.

Die Antwort ließ nicht auf sich warten. Meine Schwester dankte nicht, weder für den Besuch, den ich ihr gemacht, noch für das Geschenk, das ich ihr gesandt hatte. Sie schrieb kurz, geschlossen, sachlich, was vonnöten war, mit einer ungezwungenen, viel eher männlichen als weiblichen Handschrift, die weder der meinen, noch der meines armen Vaters oder der meiner Mutter ähnelte. Die Hauptsache war nicht wie, sondern was sie schrieb. Ihr Brief übertraf alle meine Hoffnungen, ich konnte beruhigt aufatmen.

Sie kehrte zurück. Unter drei Bedingungen: Die erste war, daß niemand, weder ich noch die Mutter jemals eine Anspielung auf den Lebensplan machen dürften, den sie jetzt gründlich änderte. Zweitens müsse sie daheim alle Freiheit haben, sowohl ihre geistlichen Pflichten zu erfüllen als auch sich im übrigen ihr Leben, ihren Verkehr, ihre Tageseinteilung nach ihrem Willen einzurichten. Die dritte Bedingung war am leichtesten zu erfüllen, und sie war die einzige, bei der etwas wie menschliches Fühlen, wie verhüllte Zärtlichkeit oder eine Art herber Weiblichkeit durchschimmerte. Sie verlangte, meine Mutter müsse sie in eigener Person aus dem Kloster abholen, und sie solle ihr bei dieser Gelegenheit alles, was ein junges Mädchen an Kleidern, Wäsche usw. brauche, mitbringen, bis zu Schuhen und Strümpfen, Seife, Kamm und Haarbürste. Sie sehnte sich also doch im Herzensgrunde nach der Familie, und sie wollte so von Grund aus mit dem Klosterleben brechen, daß sie auch nicht einen Faden am Leibe von dort in unser Haus zurückbringen wollte.

Voll Freude teilte ich dies alles meiner Mutter und Marthy mit. Sie schienen aber bei weitem nicht eben so entzückt von dieser Wendung der Dinge wie ich. Schade, daß man Postillion noch nicht fragen konnte. Als meine Mutter, zum erstenmal, seit ich mich entsinnen kann, der Geldfrage in diesem Zusammenhang Erwähnung tat, als wäre sie eine große, ja unüberwindliche Schwierigkeit, sandte ich einiges Geld. Ich schrieb, ich hätte mich von ein paar Andenken getrennt, ich hoffe, daß mich meine Mutter und Schwester in Wien bei der Heimreise aufsuchen würden. Zu spät bereute ich diese Aufforderung. Was dann, wenn dieser Familienbesuch mit der Wiederkehr meiner, diesmal auf immer und ewig meiner Karla zusammentraf? Unnütze Angst. Weder meine Familie besuchte mich noch Karla. Aber ich wartete. Das Gelingen meines Anninka-Planes gab mir neue Hoffnung bei Karla immer dann, wenn ich verzagen wollte. Ich blieb mir treu.

Hätte ich nur in meiner Arbeit mehr Befriedigung gefunden! War ich auf falschem Wege? Einerlei, niemand außer mir konnte mir raten und helfen. Ich fiel mir nicht in den Rücken, ich pflügte mein Feld mit Geduld und Bescheidenheit in die Breite, wenn auch leider nicht in die Tiefe. Ansätze waren genug da, aber viele tausend Grashalme geben immer noch nicht das kleinste Bäumchen; sie welken im Tage.

Kurz darauf erhielt ich die Nachricht von Marthy, Anninka sei eben daheim eingetroffen und zwar in einem abgeschabten, viel zu weiten Klostergewande, sehr zum Erstaunen des ganzen Hauses, von den Portiersleuten angefangen. Die Portiersleute hätten ihr sogar, (aber wie sie, Marthy, mir im Vertrauen unter uns, mitteilte, nur zum Spott und Hohn) die Hand geküßt und hätten auch den Saum ihres häßlichen, schleppenden, zerdrückten, groben Rockes an die Lippen führen wollen, wie man es auf dem Dorf mit den alten ehrwürdigen Äbtissinnen macht, wenn diese eine kleine Gemeinde, etwa ihren Geburtsort, vor ihrem Tode mit einem letzten Besuche beehren. Ich kränkte mich über diese Demütigung, ich trug Anninka, die vielleicht Blut von meinem Blute war, nicht den unweiblich harten Blick nach, mit dem sie mich damals, aufrecht stehend, die Hände in den Ärmeln der häßlichen Klostertracht verborgen, im Sprechzimmer empfangen hatte. Ich sandte Marthy Geld. Ich sandte ihr heimlich zum letztenmale Geld, viel Geld. Ich schrieb ihr, für diesen Betrag solle Anninka von Kopf bis zu Fuß eingekleidet werden, ganz so, wie sie es wünsche und wie es zu ihr passe. Sie solle alles haben, was man für Geld erhalten konnte. Ich würde bald heimkommen, mich von allem überzeugen. Inzwischen sei es unnötig, daß mir Marthy heimlich schriebe, und auch ich würde an sie keine postlagernden Briefe mehr richten, und nichts mehr heimlicherweise an sie schicken.

Ich konnte jetzt hoffen, daß in unserem Haus Friede und Ordnung einzogen.


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