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23.

Während ich dem Wege folgte, der, dem Meeresstrande in allen Windungen oder Buchten angeschmiegt, sich langsam senkt, sagte ich mir laut vor, – (niemand konnte mich hören, nur ich mich selbst): Es ist gut, auch einmal zur Partie der Gewinnenden zu gehören. Wer wollte es nicht auch einmal kennen gelernt haben? Es ist überaus gut und schön, logisch und recht, zu den Gewinnenden zu gehören. Du hast heute nacht richtig und genal gehandelt. Du hast nämlich die richtigen Karten genommen und die falschen abgelehnt.

Du bist deinem Trieb gefolgt, du bist innerlich deiner Natur treu geblieben. Dies alles hat dir Glück gebracht, es mußte dir natürlich Glück bringen. Es ist in Ordnung.

Du bist ein neuer Mann seit heute nacht vier oder halb fünf Uhr, du bist reich. Nicht sehr reich. Mit ein wenig mehr Wagemut hättest du vielleicht, nein sicher! noch einmal oder zweimal setzen können. Du hättest nur noch ein paar Minuten zugeben müssen, vielleicht bis fünf, halb sechs, dann wärest du zu dieser Minute, – (es war halb sechs, und die Straße belebte sich mit Gemüsekarren, Milchwägelchen, alles von Eseln und Maultieren unter hellem Klingelschall gezogen), zu dieser Minute wärest du wahrscheinlich Millionär!

Du warst natürlich auf dem besten Wege, Millionär zu werden und zwar wie?

Durch ein bißchen mehr leichtes Blut und flotten Sinn! Vielleicht empfindest du also doch Reue, denn wozu folgst du jetzt mit aller Gewalt einem hübschen Spazierwege, aber nicht der – trüglichen Stimme deiner Natur!

Es treibt dich, das fühlst du und es ist so, zurückzukehren und noch einmal, natürlich nur vorerst ganz im Kleinen zu beginnen, vielleicht mit dem Restgeld in Silber allein: Aber bist du nicht zu müde, erschöpft, geistig abgespannt? Mein Sohn, kannst du noch?

Ich stellte mir Aufgaben, Gedächtnisprüfungen, – der binomische Lehrsatz seligen Angedenkens durfte nicht fehlen, und natürlich bestand ich diese Prüfung, bei der ich Schüler und Prüfer zugleich war, mit Glanz.

Ich war jetzt schon in die Vororte vorgedrungen, in die Nähe der Gasanstalt. Der große stahlgraue Gasometer bildete einen häßlichen nüchternen Fleck inmitten der Palmen und der mit blaßblauen Schlingpflanzen bewachsenen Gartenmauern. Ich ging immer noch weiter. Ich stieß mit der Fußspitze wütend an die Meilensteine. Es hatte doch offenbar keinen Sinn weiterzugehen. Die Schuhe waren bereits voll Staub. Meine Unruhe wurde immer stärker.

Ich lief über eine kleine kahle Böschung bis zum Meer hinab, hatte aber eine höchst ungünstige Stelle gewählt, denn gerade hier ergoß sich das Hauptabflußrohr der Kanalisierung in einem ziemlich übelriechenden und das Meer bis weit hinaus lehmig färbenden Strom.

Ich lief also zurück nach Montecarlo und war, nachdem ich ungefähr zwanzig Minuten bis zur Gasanstalt gebraucht hatte, in sieben Minuten bereits zu Füßen des Kasinos, das wie ein Kastell mit einer breiten halbmondförmigen Brüstung aus Quadersteinen über das Meer hinaus gebaut ist.

Ich hatte nur die wenigen Stufen hinaufzusteigen und konnte wieder in den Spielsaal eintreten. Ich mußte diesmal, weil ich völlig mit den Gebräuchen bekannt war und über Geld verfügte, noch viel leichter als das erstemal Einlaß in den Spielsaal finden. Und wenn es daran scheitern sollte, dann wollten es eben ›die Natur‹ und das Schicksal nicht. Schon war ich auf halbem Wege, als ich mich besann. Ich kehrte, so schwer es mir fiel, zum Wasser zurück. Die Schönheit des erwachenden Morgens mochte ich nicht sehen. Die von den Blumenbeeten hier, und von der glatten, matt smaragdfarbenen Meeresfläche dort auf dem sich allmählich erwärmenden, silbrigen, etwas feuchten Strande zusammenströmende balsamische Luft war mir abstoßender als zu Beginn der Nacht das Parfüm der Dame, die sich meiner Unschuld anvertraut hatte.

Ich setzte mich auf den von der zurückweichenden Flut noch feuchten Steinen nieder, zog ein Goldstück aus der Tasche und begann, das Schicksal, die Natur zu befragen. Kopf sollte Weiterspielen, Wappen Aufhören bedeuten. Um mich vor einem Selbstbetrug, (diese Art Betrug ist und bleibt die schlimmste, ich wußte es von den Illusionen meines Vaters her) zu bewahren, notierte ich meine eigene Spielordnung auf ein kleines Blatt Papier. Nun war ich Croupier und Spieler in einer Person. Wieviel Würfe im Ganzen? Fünf.

Ich wirbelte das Goldstück zwischen meinem Daumen und Zeigefinger sehr hoch, aber genau senkrecht über mich in die Luft. Es kam zurück, hell in der aufgehenden Sonne flirrend, fiel mit klingendem hellem Schall auf den Steinen nieder, drehte sich etwas um sich selbst und zeigte: gewonnen. Ich wiederholte das Spiel, (es war eine italienische Zwanzig-Lire-Münze), diesmal aber das Geldstück nicht übertrieben hoch werfend, da es mir sonst leicht in das Meer fallen konnte. Der zweite Wurf: natürlich, gewonnen.

Auf den dritten Wurf kam es aber an. Wenn er ebenso günstig war wie die zwei ersten, brauchte ich die letzten zwei Würfe nicht mehr abzuwarten und konnte bereits einige Minuten früher im Spielsaal sitzen, statt hier meine Zeit mit so kleiner Münze unnütz zu vergeuden. Ich nahm also die Münze zwischen die Finger, warf sie, zwar nicht sehr hoch, aber so schräg, daß sie unweigerlich in das Meer fallen mußte. Und das tat sie.

Es konnte keine Täuschung sein. Irgend etwas in mir hatte sich gegen das Weiterspielen empört. Meine Natur versagte es mir. Ich mußte im Einklang mit dieser Natur handeln. Und so bitter es mir ankam, verließ ich den Meeresstrand, voll Unmut und Groll den ertrunkenen zwanzig Lire nachtrauernd. Hätte ich nicht ebensogut mit einer Silberlira oder mit einem guten, ehrlichen, österreichisch-ungarischen Kupferheller spielen können? Murrend trollte ich mich zu meinem Hotel.

Der Schuhputzer vor dem Café de Paris, im Augenblick damit beschäftigt, sich seine eigenen Schuhe zu putzen, strahlte mich mit einem prachtvollen Grinsen seiner herrlichen Zähne an. Auch ich zeigte ihm meine Zähne, (ob sie herrlich waren, weiß ich nicht), aber aus lauter Wut, denn es tat mir jetzt natürlich bitter leid und weh um die siebzehn Francs, die ich ihm vor einer Stunde für ein völlig unnützes Werk gegeben hatte. Denn die Schuhe waren auf der Landstraße staubig, am Meeresstrande feucht geworden, ich mußte sie dem Zimmerkellner zum Putzen geben, und auf der Rechnung stand ein unverschämter Betrag, zweieinhalb Francs, dafür angezeichnet. Ich konnte mangels französischer oder englischer Sprachkenntnisse mich nicht einmal beschweren. Voller Mißmut ging ich vormittags zur Bahn. Aber schon auf dem Wege dorthin beruhigte ich mich und versöhnte mich mit meinem Schicksal. Im Zuge schlief ich ein. Ich hatte bald umzusteigen und erwachte, von einem unsichtbaren Kontrolleur in mir selbst in der letzten Minute geweckt, stieg um, schlief von neuem ein und erreichte Wien im Schlaf. Man hätte mich inzwischen zehnmal ausrauben können. Aber das Schicksal wollte das nicht, und zum Glück ahnte ja niemand, was ich besaß.


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