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Vierter Teil

1.

Als ich in Wien ankam, tauchte die Erinnerung an Karla mit großer Gewalt auf in mir. Ich war gewiß voller Mut und Freude bei dem Gedanken, daß das Leben solche Wonnen zu vergeben hat. Aber zwei neue Jahre Warten und Werben wollte und durfte ich schon um meiner Arbeit willen nicht mehr einer neuen Leidenschaft opfern. Ich hatte Genuß, Ruhe und Lust gesucht, aber der Abgrund des Lebens hatte sich aufgetan vor mir. Wozu Reue? Wer war schuld? Wir waren beide unschuldig gewesen, ich und sie. Karla hatte mich eine Nacht lang himmlisch glücklich gemacht. Einmal und nicht wieder. Wer hatte gesiegt, wer war unterlegen? Jeder von uns hatte seine Freiheit gerettet.

Nur einem Menschen hätte ich meine Freiheit hingegeben, A. v. W. Aber selbst hier scheute ich zurück, der Gedanke an den Seligen, der mir alles und dem ich fast nichts gewesen war, machte mich zaudern. Auf das Glück mit einer Frau und durch sie wollte ich in meinen jungen Jahren nicht verzichten. So herrlich war es und so natürlich zugleich! Konnte ich nicht ein zweites Mal und noch viele Male dieses Glücks teilhaftig werden, ohne das Ende fürchten zu müssen? Vielleicht war es das beste, mit dem Ende beim Anfang oder sogar noch vor dem Anfang zu rechnen. Einmal und nicht wieder! Wenn dies der keuschen Blüte Karla billig war, warum dann nicht mir? Ein einziges Mal eine Frau besitzen, eine unberührte, eine Blüte oder eine, die das Leben schon kannte, eine Schöne, – dann genug! Möglichst ohne Vorwürfe verschwinden, wie die Sonne hinter der Wolke verschwindet, ohne Bitterkeit, ohne Opfer, vielleicht sogar ohne Erinnerung! Meinen Namen nicht nennen, den ihren nicht erfahren wollen! Nicht mehr fordern, als eine hat und gerne gibt. Dann hatte ich weder Eltern noch Brüder oder Gatten zu fürchten, denn dann waren die Frauen auf meiner Seite und verteidigten mich. Wer wollte mich dann verwunden, wer mich um meine Freiheit bringen, wer mich meinem Lebensziel abwendig machen? Immer wieder Karlas Glück, aber keine zweite Karla mehr.

In diesem zufällig sehr schneereichen Winter nahm ich die Gelegenheit wahr, Ski fahren zu lernen. Wie ich im Sommer oft ins Semmeringgebiet zu Klettertouren fuhr, fuhr ich jetzt in das hügelige, stille, keusche, von hohem unberührtem Schnee bedeckte Gelände bei Mariazell im südöstlichen Vorgebirge der Alpen. An einem Abend, schon gegen Vorfrühling, traf ich in einem verräucherten Dorfwirtshaus inmitten einer ziemlich zahlreichen lärmenden und ausgelassenen Gesellschaft eine sehr schöne, etwas üppige Dame, die sehr umschwärmt war. Ich drängte mich der Gesellschaft nicht auf, ich sandte der Dame keine feurigen Blicke zu, vielleicht empfand ich sogar etwas wie – Mitleid. Trotz ihrem faltenlosen Gesicht, ihrem marmorartigen stolzen Hals, ihrer prachtvollen Büste lag etwas von Bitterkeit in ihr, Angst vor dem Unbekannten; mitten im Lachen etwas zu viel Wissen um die Vergänglichkeit des Irdischen. Man konnte weder ihr Alter noch ihre gesellschaftliche Stellung erraten, sie trug keinen Schmuck, keinen Ehering, das Sportkostüm war sehr einfach und gut.

Nach dem Abendbrot wollte die Gesellschaft, die wie ich am Nachmittag angekommen war, mit Lampions einen Mondscheinspaziergang machen. Ich blieb zurück. Die Dame schien zu schwanken. Man rief nach ihr, aber unter verschiedenen Namen, offenbar kannte man den richtigen nicht. Der Wirt näherte sich mit dem Fremdenbuch erst ihr, dann mir. Sie schrieb sich ein. Ich wartete, eine frische Zigarette zwischen den Lippen. Sie setzte sich jetzt, mit dem Blick nach der Landschaft, etwas blaß und erschöpft, ans Fenster. Ich nahm das Fremdenbuch, schlug aber absichtlich die Seite mit ihrer Eintragung um und kritzelte auf dem nächsten Blatt etwas Unleserliches hin, das meinen Namen usw. bedeuten sollte. Die Rufe der Gesellschaft begannen im Schneegelände zwischen den entlaubten Bäumen in der Dämmerung zu verklingen, wir traten auf den Hof hinaus, wo ein altmodischer, breiter Schlitten mit großen geschnitzten Kufen, die Sitze mit einer groben Plache überdeckt, dastand. Ich rief den Wirt heraus und fragte ihn, ob er den Schlitten gegen zehn Uhr abends anspannen lassen könne, wenn es einem auf den Preis nicht ankomme. Dem Wirt war alles recht, er versicherte mir, sein Kutscher sei nicht so wie andere, die mit Vorliebe die Schlitten umwürfen oder in ihrem ›Räuscherl‹ die Rösser durchgehen ließen, und die Herrschaften würden nicht zu klagen haben. Die Dame drehte sich lächelnd um, einige Mitglieder der Gesellschaft waren atemlos, erstickt lachend, mit ihren geröteten lustigen Gesichtern über ihren gestrickten warmen Jacken zurückgekommen, sie zu holen. Sie ging mit ihnen einen Hohlweg bei der kleinen Kirche hinauf, während ich zu dem Bett eines vereisten Baches hinabstieg, unter dessen Oberfläche aber das Wasser bereits leise rieselte. Kurz vor zehn war ich zurück. Die Gesellschaft mit ihren Lampions wandelte oben auf dem breiten Grate des Hügels, vergebens wartete ich auf die Schöne. Der Schlitten stand noch im Hofe, im Schatten eines Wirtschaftsgebäudes, er war angespannt. Es schneite nicht, nur trieb der Wind etwas Schneestaub von den Dächern herab. Die Laternen waren angezündet und rauchten rötlich golden, der Kutscher, ein älterer runzliger Mann, saß bereits breit in seiner Lodenpelerine auf dem Bock und hielt die lebhaften kräftigen Pferde zurück. Als die Dorfuhr zehn schlug, wollte ich einsteigen. Ich blickte noch nach dem Hügel mit den vielen Lichtlein, als ich ein leises Lachen hörte, die Dame, bis an die Augen in ihren braunen Pelz gehüllt, schon seit langem im Wagen versteckt, schlug die Wagendecke zurück, ich sprang zu ihr, klingelnd glitt der Schlitten zwischen den Dorfhäusern dahin. Meine Skier hatte der Kutscher auf dem Bock neben sich, sie stachen scharf ab gegen die weißen Bäume, die Dame hatte die ihren im Gasthof gelassen. Der Mond und die Sterne strahlten sanft über den Schnee, es ging lange durch den Wald, von den Zweigen der Tannen rieselte es friedlich zu unseren ersten Küssen. Nach einer Stunde waren wir in Mariazell. Wir sprachen wenig, wir schliefen nicht. Als ich sie früh am Morgen verließ, sah ich Tränen auf ihren Wangen, die jetzt Falten zeigten, die sie vorher nicht gehabt hatten. Ich will hoffen, es waren Tränen der Müdigkeit. Denn Tränen des Glückes hatte ich nicht verdient und am wenigsten solche des Schmerzes.

Ich kehrte nach Mariazell nicht mehr zurück. Das Wetter wurde wärmer, und meine Arbeit nahm mich stärker in Anspruch als früher. Was hätte auf eine solche Nacht folgen können? Ich war ihr dankbar. Mußte nicht auch sie es mir sein? Hatte sie etwas anderes begehrt, als ich ihr gegeben hatte? Dank. Keine Liebe.


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