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9.

Meine Mutter schickte mir die Großjährigkeitserklärung. Nun war ich mündig. Sie sandte das Dokument wohl verpackt und eingeschrieben, aber sie hatte nicht viel Worte hinzugefügt. Im Grunde war es das, was ich gewollt hatte seit langem. Ich hätte jetzt das kostspielige Hotel verlassen können, da mir jede Bank die Verwahrung verbürgte. Ich blieb aber, denn das doppelte Quartier machte mir Spaß.

Ich legte mein Geld vorsichtig an. Ich hatte die Wahl zwischen hoch verzinslichen, aber unsicheren Wertpapieren und solchen, die sich nur mit drei Prozent und dreieinhalb Prozent verzinsten, die man aber ›mündelsicher‹ nannte, weil das Vermögen der Waisen vom Mündelgerichte in diesen Papieren angelegt werden mußte, und ebenso das Reservegut, das jeder Offizier in der österreichisch-ungarischen Armee bis zum Range eines Majors nachweisen mußte, wenn er ein weibliches Wesen ohne große Mitgift heiraten wollte, – eine kluge Maßnahme, auf daß kein k. u. k. österreichisch-ungarischer Offizier mit Weib und Kind im Elend lebe. Das wäre höchst standeswidrig gewesen. Denn es bezahlte der brave Staat seine treuen Offiziere (und Beamten) nur zum Teil mit barem Geld. Den Rest gab er ihnen in Gestalt von Ehre. Ich hütete mich wohl, solche Beobachtungen und Tatsachen, (mit denen sich übrigens jeder abgefunden hatte und die man patriarchalisch nannte), einem Wharf oder einem Karl mitzuteilen.

Ich kaufte also Julirente, deshalb so genannt, weil die Coupons halbjährlich im Juli und zu Jahresende fällig wurden.

Ich gedachte an meiner Lebensweise noch nichts zu ändern. Ich konnte den Zinsengenuß nicht verbrauchen, ich sparte und legte den Zins auf Zinseszins an. Ich saugte mich mit aller Kraft an der Arbeit fest. Ich war nicht unzufrieden, denn ich hatte fast keine Zeit, an O. zu denken. Ich betrieb auf Wharfs Rat etwas Sport. Das Fechten fiel mir leicht, das Schießen weniger. Aber nach einiger Zeit war ich unter den jungen Schülern des Sportinstituts, (das ich den sportlichen Einrichtungen einer Studentenverbindung deshalb vorgezogen hatte, weil mir frei blieb zu kommen und zu gehen), im Fechten zwar nur Durchschnitt, im Pistolenschießen aber wurde ich der drittbeste. Dies genügte mir nicht. Was sollten meiner Hand und meinen Augen die dummen künstlichen Ziele! Ich wäre, meines Großvaters eingedenk, gern auf die Jagd gegangen. Aber dies war vorerst noch nicht gut möglich. Zeit, Geld, Gelegenheiten fehlten – und unter anderem auch ein guter Hund. Ich übte also bieder und wacker meine Hand weiterhin beim Armeegewehr, bei der Pistole und beim Kavalleriestutzen und wurde bei diesen Schießübungen der beste.

An Sonn- und Feiertagen, oder vielmehr an den Vorabenden machte ich mich mit einer soliden Bergausrüstung, im wetterfesten Touristengewand auf in die nahen Alpenberge, meist in die Rax, ein felsiges, sportlich anziehendes, nicht ganz ungefährliches Gelände. Das war der schönste, freieste Sport.

Ich verstieg mich gleich bei der ersten Partie. Aber es war ohne Gefahr. Nur daß ich eine Nacht im Felsgestein zubringen mußte und einen Arbeitstag an der Universität verlor. Am nächsten Samstag nahm ich mir unten in der Prein einen Führer und lernte bald ebenso systematisch wie seinerzeit das Fechten und Schießen das Klimmen und Klettern und, was schwerer war, (schon deshalb schwieriger, weil man es meist in ermüdetem Zustand unternimmt), die Abstiege. Die Führer waren meist ältere, etwas unfreundliche, wortkarge, keineswegs von der Natur oder von dem Sport bezauberte Leute, sondern sie waren nichts als eine Art Taglöhner der Touristik mit viel Erfahrung und mit besonderer Verantwortung. Sie hatten an mir bald nicht viel auszusetzen. Ich sah ihnen ihre Kniffe nach Möglichkeit ab. Ich brachte sie nicht in unnötige Gefahr, und verlangte nur, was mir zukam, und bezahlte ihnen den Tarif sowie das Trinkgeld. Sie hielten mich offenbar für sehr todesmutig. Ich war, dank meiner Anlage, völlig schwindelfrei. Im übrigen hatte diese Schwindelfreiheit nichts zu tun mit Mut oder Feigheit. Auch mein armer Vater war schwindelfrei gewesen, er hatte die Berge geliebt, hatte mich aber nie dorthin mitgenommen.

Die ersten Partien waren gefährlicher als die späteren. Es war die Zeit der Schneeschmelze, mehr als eine Lawine hörten wir hart neben uns, in eine Felsennische geduckt, mit ungeheurem Getöse in einem Mantel von kalter, schütternder, reißender Luft hinuntersausen, von einem toten Schweigen gefolgt. (Auch das Gestein rührte sich nicht, es stand ehern da, und wir atmeten ruhig vor uns hin, der Führer und ich, in seinem Schutze.)

Ich hatte während des Krawalls die Zigarette nicht aus dem Munde genommen. Der Bergführer hatte seine schwarzen, aber festen Zähne, (die etwas an das massige Gebiß einer Marthy gemahnten) nicht von dem Mundstück seiner ziemlich übelriechenden, ungepflegten, aber dafür aus Schönheitssinn mit einer grünen Troddel geschmückten Holzpfeife gelassen, nachher spie er das bräunliche ›Saftel‹ in den frischen Schnee, und ich zertrat, den Rucksack auf die Schultern lüpfend, meinen Zigarettenstummel unter den genagelten Sohlen meiner derben Schuhe. Wir sahen uns um, fanden alles wieder schön und gut und setzten unsere Partie ohne philosophische Gespräche fort.

Wenn wirklich Gefahr bestanden hatte, – jetzt wäre es jedenfalls zu spät gewesen. Und was sollten Worte und Gedanken? Nicht einmal eine O. konnte meine Gedanken heranzaubern, wie hätte sie eine Lawine mit hundert Tonnen Schnee wegzaubern sollen? Wir hatten eben Glück. Das freut einen Menschen immer. Ich kam immer glücklich mit ungebrochenen Knochen, zwar hageren, vom Schneelicht tief gebräunten Gesichts und mit schwieligen Händen von diesen Partien zurück, erregte gegen meinen Willen den Neid meiner zwei Freunde, die darauf bestanden, daß ich sie das nächstemal mitnähme.

Mit Wharf ließ sich besser lachen und schneller wandern, mit Karl ließ sich besser schweigen. Die Bewunderung der Natur trieb uns alle drei nicht an, ich nahm die schweigende Erhabenheit des Gebirges als selbstverständlich hin. Oder doch nicht ganz? Einmal ließ ich Wharf vorangehen und blieb bei einem Bergbache zurück. Ich kniete mich nieder, den Kopf gesenkt, der Blick verlor sich mir in das hell smaragdgrüne, glatt und schnell dahinfließende Wasser. Meine Lippen dürsteten danach, es war Anfang Juni, ein wolkenloser, schon etwas schwüler Tag. Aber ich berührte die Wasserfläche nicht. Meine Hände hielt ich unten von rechts und links um einen halbkugeligen, mit goldbraunen Algen wie mit einer Haut dicht bewachsenen, völlig geglätteten Stein im Bachbette gebreitet, meine Finger streichelten die feinkörnigen Algen, meine Handfläche schmiegte sich aber fest und fester um das kalte, wollüstig glatte Gebilde, ein Schauer der Erinnerung an die kalte, feste, hohe Brust der Spielerin in Montecarlo durchrann mich so tief, daß ich Wharfs Kommen nicht merkte.

Bei aller seiner Neugierde fragte er diesmal nicht. Zum Dank versprach ich ihm, ihn im Sommer zu den großen Bergtouren mitzunehmen, die ich vorhatte. Er war ganz froh darüber, aber nicht so sehr, wie ich erwartet hatte. Er überlegte lange, ob eine solche Bergtour ihm Stoff für eine Reportage bieten würde. Es schien übrigens auch, als ob meine Gegenwart ohne einen dritten ihn etwas bedrückte, denn er hatte nichts dagegen, wenn auch Karl mitkam.

Karl, der, wie er behauptete, ebenso schwindelfrei war wie Wharf und ich, machte mit uns die nötigen Einkäufe für eine längere und schwierigere Tour. Wir wollten nämlich einen sogenannten Höhenweg gehen, der von einer Bergspitze oder einem Hochplateau zu einer anderen führt auf paßartigen, oft etwas delikaten Übergängen, ohne daß der Höhenwanderer während dieser Zeit in ein Tal hinabsteigt. Man mußte dann damit rechnen, ein paarmal im Freien zu nächtigen und mußte so ausgestattet sein, daß man weder Frost noch Feuchtigkeit zu fürchten hatte.


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