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14.

Der Kaiserliche Rat hatte mir zwar versprochen, ›freiwillig und vorzeitig‹ das Honorar zu zahlen, er hatte bei einem unverhofften Besuch bei uns an einem dieser Abende sogar seine Saffianbrieftasche gezogen, aber ein unglücklicher Zufall waltete über unseren geschäftlichen Beziehungen. Nicht daß seine Brieftasche leer gewesen oder mit Pfandscheinen angefüllt gewesen wäre, im Gegenteil, sie strotzte genau wie die Wangen ihres Herrn von rosiger Gesundheit, von vielen großen Banknoten, offenbar Tausendkronenscheinen, die ich zum erstenmal in meinem Leben in solcher Fülle sah.

Ich sage es offen, mir graute auch vor dem ›großen Geld‹. Es war mit der Fluch meines Vaters gewesen. Ich verstand es damals noch nicht, da ich es nicht besaß. Aber ich hatte mich (nicht ohne ein leichtes ironisches Lächeln, auch dies eine Errungenschaft der letzten Zeit) so in der Gewalt, daß ich ihm anbieten konnte, einen dieser Scheine morgen früh zu wechseln und ihm die restlichen 750 Kronen in das Geschäft oder in die Wohnung zu bringen. »Aber Sie werden doch Ihre kostbare Zeit nicht unnütz verschwenden?« hatte er eingewendet. Und als ich ihm sagte, ich würde es durch Marthy bei der Post für ihn einzahlen lassen, schien er gar zu erschrecken. »Sie werden doch einer bettelarmen, dummen Magd nicht tausend Kronen anvertrauen?« Als ich mich für Marthys Ehrenhaftigkeit einsetzte, (und dann wären es ja nur 750 gewesen!), schien er sich endlich etwas zu schämen. »Ich dachte nicht an Unterschlagung«, sagte er, »eher daran, daß ein solcher ungebildeter Küchendragoner das Geld aus dem Portemonnaie verliert oder es sich von einem Halunken oder Heiratsschwindler abschwatzen läßt.« Hier war also nichts zu machen. Meine Zeit war ihm zu kostbar, Marthys naive Unerfahrenheit war ihm zu groß, mit einem Wort, der Kaiserliche Rat steckte das Geld wieder in sein Portefeuille zurück. Aber er hatte Vertrauen zu mir, mehr denn je zuvor.

Ich glaubte, er persönlich hätte darauf verzichtet, mich weiter als Lehrer seines sonderbaren Sohnes zu sehen. Wir waren ja gescheitert. Dazu kam, daß Karl zu dieser Zeit leichte Lungenbeschwerden bekam, aber nicht dazu zu bewegen war, zum Arzt zu gehen. Aber nun bat mich der Kaiserliche Rat, den sein Sohn von weitem wie mit Schnüren lenkte, als Freund unter Freunden um die Adresse eines guten Arztes, (ich nannte den Amtsarzt, der meinem Vater zur Seite gestanden hatte), und dann, fast in gleichem Atem, aber nun aus eigenem Antrieb, um Feuer für seine erloschene Zigarre in dem Posthörnchen aus Meerschaum.

Ich hatte bloß Angst, meine Mutter könne davon erfahren, daß es mit meinem selbsterworbenen Reisegeld so schlecht stand. Etwas Geld mußte ich natürlich auf jeden Fall haben. Und da es mir klar war, der Kaiserliche Rat würde mir, trotz aller meiner Mühe, mich der realen Welt anzupassen, immer überlegen sein, weil er jetzt (wie nach dem Tode meines Vaters) als geborener schäbiger Schuft es verstand, dem Buchstaben nach im Recht zu sein, mußte ich mir das Geld auf andere Weise verschaffen.

Vielleicht hatte das Gespräch mit dem Rat wenigstens das Gute gehabt, mich doch auf eine neue Idee zu bringen. Ich hatte mit Wärme von Marthys Ehrenhaftigkeit in Geldsachen gesprochen, die über jeden Zweifel erhaben war, ganz im Gegensatz zu dem süßlichen Schurken, über den die sonderbarsten Gerüchte im Umlauf waren, die mir sowohl Lilyfine als auch sein unparteiischer phlegmatischer Sohn fast völlig übereinstimmend wiedergegeben hatten. Wenn also von ihm in Gutem wie im Bösen, per fas et nefas, nichts zu erwarten war, dann vielleicht gerade von Marthy, die selbst honett war und daher auch meiner Ehrenhaftigkeit Vertrauen schenken würde, wenn es darauf ankäme. Nur hieß es jetzt schnell handeln, denn es mußte sein.

Lily hatte soviel Stärke und Treue, die Verbindung zu mir nicht nur nicht abzubrechen, sondern sie womöglich noch fester, gefühlsinniger (!) zu gestalten, sie begann mir Tag für Tag Briefe zu schreiben, die mich immer noch viel zu tief berührten. Ich fühlte mich ihr unterlegen. Sie hatte alles gegeben, und ich hatte nicht einmal etwas von ihr genommen. Ich war jung, gesund, ich hatte Blut in den Adern. Wozu sich dessen schämen? Es war nötig, der Versuchung auszuweichen. Ich fürchtete, ich würde einer so schlichten Liebe auf die Dauer nicht widerstehen. Ich mußte also fort. Dazu brauchte ich Geld. Ich hatte keines, meine Mutter hatte keines, Marthy hatte etwas.

Nun hatte ich immer geglaubt, Marthys Geld müsse schmutzig, unrein, klebrig, schmierig sein. Denn wenn sie vom Markte zurückkam und auf dem blanken, wie frisch gehobelten, schneeweißen Küchentisch die Banknoten und das Kleingeld ausschüttete, alles das, was sie auf dem Markte auf eine größere Banknote zurückerhalten hatte, wunderte ich mich oft, wie sie es zustande gebracht hatte, nur fettige, zerdrückte, am Rande eingerissene oder sonstwie beschädigte Scheine in die Hand zu bekommen. Dies hatte aber seinen Grund. Denn das Geld, das sie als ihr Privatvermögen betrachtete, und das sie abseits hielt, bestand, wie ich mich bald überzeugen sollte, aus lauter fast neuen, glatten und schönen Scheinen. Diesen Schatz hatte sie im Lauf von bald 20 Jahren zusammengespart, und es war die Grundlage, auf welcher sie ihr ganzes Leben aufbaute. Sie war sparsam, sie liebte das Geld und verstand es. Und so wie sie ihr Kind, (von dem sie stets träumte) sich nur in schönen, neuen, falten- und fleckenlosen Wäschestücken und Kleidern vorstellte, so wollte sie ihren Schatz – (ihren Verlobten nannte sie in gleicher Weise ›meinen Schatz‹) – nur in schönen und scheinbar noch unberührten Banknoten bei sich haben. Bei sich, will heißen zwischen den Deckeln eines alten Gebetbuches, dessen Druckseiten sie herausgeschnitten hatte und getrennt aufbewahrte. Daß es ein Sakrileg war, zwischen den Ledereinbänden, die mit einem verblaßten Kreuz in Gold und einer silbernen Dornenkrone darüber geschmückt waren, das schnöde große Geld aufzubewahren, schien ihr nicht zu Bewußtsein zu kommen. Sie verehrte das Geld, war ihm aber damals noch nicht sklavisch ergeben. Sie wollte es ja dem leibhaftigen Schatz, einem Ofensetzergehilfen, zur Verfügung stellen, um für sich den häuslichen Herd aufzubauen.

Auf dieses Geld rechnete ich und zwar nicht bloß auf 250 oder 300 Kronen als Ersatz für die mir vom Kaiserlichen Rat vorenthaltenen Kronen, sondern aus zwei Gründen auf den ganzen Betrag, der etwas über 1900 Kronen ausmachte, wie mir Marthy gesagt hatte. Ich dachte dabei erstens an meine Mutter, welche Marthy dringender brauchte als diese uns, und an meinen kleinen Bruder. Nun war Marthy ja vor einem halben Jahr freiwillig zu uns zurückgekehrt. Aber der junge Mann – (zwei Jahre jünger als sie, der mit seinem schönen blonden Schnurrbart besonders die verblühenden Frauen und Mädchen betörte), drängte mit Liebkosungen, die ihr zwar noch nicht die Tugend, aber den Schlaf raubten, in sie.

Meine Mutter war zwar viel geduldiger als früher. Aber manchmal kam ihr Gerechtigkeitssinn so ins Kochen, daß sie sich nicht beherrschte. Marthy war an kleinen Fehlern nicht arm, sie war sogar stolz auf sie. Was aber dann, wenn Marthy unser Haus verließ? Konnte ich denn angesichts einer solchen Gefahr die Meinen im Stich lassen? Meine Mutter hatte kaum ein paar gute Bekannte in der Stadt, von einer wahren Freundin ganz zu schweigen. Die Freunde meines Vaters hatten sich verloren. Ich wollte frei sein. Ich mußte frei bleiben, nachdem ich frei geworden war, um jeden Preis. Aber ich wollte frei sein in Ruhe, mit möglichst gutem Gewissen. Zwischen Freiheit und Liebe schwankend, hatte ich mich für Freiheit entschieden. Aber eben deshalb hieß es klug sein und richtig alles vorbereiten und mich in meinem neuen Leben besser bewähren.


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