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25.

Meine Mutter fand ich verjüngt. Sie war wieder in ihrer Art schön geworden. Es war freilich die Schönheit einer Witwe. Aber der bittere und selbstgerechte Zug, der sich gerade im unverdienten Leiden zu einer Art großartiger Selbstbestätigung entwickelt hatte, war geschwunden.

Marthy dagegen war abgemagert, und ihr Gesicht war blaß unter den blauschwarzen Haaren. Sie verschlang mein neues und kostbares Gepäck so auffällig mit ihren Blicken, daß meine Mutter darauf aufmerksam wurde. Aber im Augenblick kam es glücklicherweise zu keiner Auseinandersetzung. Wir tranken Kaffee, und meine Mutter berichtete mir, kaum daß Marthy das Zimmer verlassen hatte, worin die Überraschung bestand, von der sie in ihrem Briefe nach Wien geschrieben hatte. Ich war jetzt nicht mehr so furchtbar begierig, sie zu erfahren. Ich fürchtete, meine Mutter könne einen Weg gefunden haben, mich von meinem abzubringen. Das machte mir Angst und zwar keine unbegründete. Sie hatte mir nämlich tatsächlich ein großes Opfer gebracht, aber eines, das ich in einer längst überholten Zeit von ihr verlangt hatte. Sie hatte das kostbare Friedhofgelände in die ›Masse geworfen‹, zum Staunen aller.

Das Terrain war in der letzten Zeit gestiegen, und man konnte annehmen, daß die Gläubiger jetzt zu hundert Prozent befriedigt waren. Nun war mit dieser schönen Handlung meine Mutter nicht zu meinem, sondern einzig und allein zu ihrem eigenen Wesen zurückgekehrt. Sie hätte zu Lebzeiten meines Vaters nicht anders gehandelt. Aber statt sich in ihrer Gerechtigkeit zu sonnen, schrieb sie diesen Verzicht meinem Einfluß zu, sie lobte mich, während ich alles mehr verdiente als das. Nun hatte sie Ausschau nach einem Beruf für mich gehalten, denn sie glaubte, daß ich schwankte.

Sie konnte, wenn ich sie recht verstand, (sie hatte eine mädchenhafte Scheu in ihrem zögernden, zarten Wesen) eine Stelle erhalten in einem Kindergarten für Proletarierkinder, deren Mütter in den nahegelegenen Spinnereien usw. arbeiteten, einem Hort. Die Einkünfte waren sehr mäßig, aber die Ansprüche meiner Mutter an Lebensgenuß noch mäßiger. Nur auf mich kam es an, denn ich hatte dabei eine Rolle zu spielen, und ich ahnte noch nicht, wie ich mich ihr entziehen sollte. Meine Mutter machte mir mit ihrer leisen, jetzt aus Zärtlichkeit etwas lispelnden Stimme, ganz nahe an meinem Ohr, allmählich völlig klar, sie müsse einen von uns beiden, entweder Marthy oder mich, hier behalten. Nur so konnte sie den Haushalt weiterführen, Anninka eine Zufluchtsstätte gewähren, wenn es im Konvikt nicht weiterging, und das kleine Kind großziehen. Ich sollte nicht für immer gebunden sein, ich war mein eigener Herr und blieb es. Ich brauchte nicht einmal endgültig auf das Universitätsstudium zu verzichten, es handelte sich nur um ein bis zwei Jahre, und ein Mensch wie ich, (dessen Begabung sie überschätzte), würde dann in ein paar Monaten alles nachgeholt haben, wozu andere Jahre und Jahre brauchten. Sie sah mich dabei groß an und wartete natürlich auf Widerspruch, aber ich setzte ein offenes treuherziges Lächeln auf und sagte nichts. Sie kam nun auf die Familie im allgemeinen zu sprechen und meinte, wer die Familie zerbreche, zerbreche die Gesellschaft. Ich konnte dazu nur nicken. Es war dies ja längst meine Überzeugung geworden, und eben deshalb wollte ich, da mir jede Gesellschaft außer der Gemeinschaft mit mir zur Last geworden war, vor allem aus dem Kreise unserer Familie heraus. Wir hatten also die gleichen Ansichten, aber ganz entgegengesetzte Ziele. Sie sagte weiter, ebenfalls ganz entsprechend meinen nebelhaften Ideen, der Mensch habe seine letzte Stärke und eigentliche Bestimmung nicht in Macht und Glanz, sondern seine Größe liege in seiner Fähigkeit zur Erkenntnis, hier allein sei er Gott fast gleich: aller Macht- und Genußtrieb hingegen mache ihn nur zur teuflischen Karikatur Gottes, mit dem sich der Mensch weder in bezug auf Macht noch auf Glück messen könne. Ich fragte nicht, was sie an Stelle des Genusses setzen wolle. Ich wußte es ja: die Pflicht.

Ich hatte meinen Kaffee ausgetrunken, (in Wien war er besser, in Manaco schlechter gewesen) und machte mich scheinbar an dem Koffer zu schaffen, dessen flaches Schlüsselchen ich an meiner Uhrkette trug. Ich dachte natürlich nicht daran, den Koffer zu öffnen. Denn er enthielt in seinem Innern den alten von Papa, und in diesem befand sich, teils in Gold, teils in Scheinen, mein schönes Vermögen. Mit diesem Vermögen, ja auch schon mit einem Teil desselben hätte ich die Probleme meiner Familie leicht schlichten können. Ja, es bot sich auch die Gelegenheit, meine Schwester, die offenbar kürzlich noch einige neue Enttäuschungen im Konvikt den andern bereitet oder an sich erlebt hatte, für den Kreis der Familie auf dem Umwege über ein gutes Schweizer Pensionat zurückzugewinnen. Ich deutete mit keiner Silbe an, daß ich ein reicher Mann war. Die Art, wie ich zu dem Gelde gekommen war, war ganz gegen den Sinn meiner Mutter. Sie hätte mein ›Notrecht‹ niemals begreifen können, weil sie es nicht begreifen wollte! Das Grundkapital hatte ich mir durch Betrug verschafft, (das versiegelte wertlose Paket). Ich hätte meine Mutter um jede Illusion gebracht, (denn so, wie sie an mich glaubte, war es eine Illusion), ich hätte ihr wahrhaftig ins Herz geschnitten, was sie nie um uns alle verdient hat, ich hätte sie noch tiefer getroffen als mein leichtsinniger Papa mit den Höschen seiner vielen Lieben, – denn ihn kannte sie ja, mich aber nicht. Ich hätte ihr in unbarmherziger Klarheit mein völlig geändertes Wesen und damit auch meinen Abstand von ihrer Welt und – von ihrer Liebe klar machen müssen. War es kunstvoll verschleierter Eigennutz, war es feinfühlige Menschenbehandlung, – ich sagte auf keinen Fall nur ein Wort von dem allem. Meine Mutter konnte den Blick von dem schönen, mit breiten gesteppten Nähten versehenen Köfferlein nicht abwenden. »Schön«, sagte sie, »sehr niedlich und solid. Woher haben wir es?« Ich sah ihr in die Augen, näherte mich ihr, schlang sogar den Arm um ihre etwas dünn gewordenen Schultern und flüsterte: »Rate!« Und als sie keine Antwort fand, sagte ich, es sei mir der alte Koffer auf dem Bahnhof im Gepäckaufbewahrungsraum gestohlen worden, und die Eisenbahngesellschaft hätte mir Ersatz geleistet. »Ersatz? Sonderbarer Ersatz«, sagte sie, sich sacht losmachend. »Nun, dann bleibt nichts übrig, als daß ich ihn gestohlen oder beim Spiel gewonnen habe«, sagte ich unverschämt. Jetzt lachte sie, schmiegte sich wieder fest und schwesterlich in meinen Arm. Sie hatte übrigens noch eine zweite Überraschung für mich, der Kaiserliche Rat hatte sein Versprechen erfüllt und mir durch die Post seine Schuld abgezahlt. Mir glückte alles. Meine Mutter war sehr froh.


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