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Vor den jungen, prächtig leuchtenden Tieren lag nun das alte, grau verkümmert, mit schwarz gezeichneter Wunde, flach, ein ausgeweidetes Fell. Doch noch schlug sein Herz, unzerstörbar, nur vom Zweikampf ermattet. Nahar trank den Schatten, richtete sich auf, mit lange hinschweifender Zunge leckte sie ihren abgemagerten Leib, die schwarz verkohlte Wunde. Sie labte sich an Ruhe. Groß, ruhig ging sie ihren wiegenden Gang in der kleinen, umgitterten Zelle. Draußen lauschte still die unbewegte Menge der Menschen. Eine donnernde Trommel, raste im Kreise der Büffel.

Wieder nahten die nackten Diener und rissen das Tor auf.

Zweibeinig reckte sich Nahar, in der offenen Tür stand sie und blickte mit menschlichen Blicken.

Sie schürzte die schmalen weißen Lippen, als hätte sie Menschenzähne zu zeigen, nicht scharf genug, wilde Tiere damit zu fassen.

Sie wies ihre verwundete, verwandelte Pranke, eine Menschenhand, darauf zu lagern, ein kleines Kissen unter dem schlafenden Haupt, still hier zu ruhen.

Sie faßte einen Fischleib, sie hielt das zuckende Fleisch an die Krallen gespießt, sie wollte vom kalten Blute sich nähren, sie würde sich sättigen am eisigen Brot.

Aber mit ungeheurem Getöse wirbelte der Menschenkreis auf, ein Sandhügel, vom starken Hitzesturm aufgestäubt, drohend dunkelte der Schatten des Büffels vorbei, die schwarz wehende Wolke. Rücklings stürzte Nahar hin über den Körper der beiden Jungen. Die Kinder waren schon lange getränkt, von der mitleidigen Wärterin gefüttert. Umwallt vom Duft ihrer kindlichen Körper, umwölkt von ihrem knisternd warmen Fell, gesättigt und sicher des Schlafes, so spielten sie ruhig an ihrer Mutter empor. Sie wollten sie einhüllen in das dunkle Paradies der Tiere. Die Mutter schwebte auf dem lebenden Lager, der Teppich ihrer Kinder war unter ihr hingebreitet. Gegen das Dach über sich, gegen die Decke des niedrigen Kerkers atmete sie empor. Jetzt hob sie sich sanft, unter ihren Achseln ließ sie die Kinder hervorkommen, sie nahm sie auf, sie, die auf dem Rücken liegende Mutter, bettete sie wie ein Mensch auf ihre atmende Brust, hielt sie sich entgegen, Angesicht zu Angesicht.

Sie hauchte Seufzer auf Seufzer.

Zwei nackte Männer traten ein, glühende Eisen in den mit Lederriemen breit umschnürten Händen. Die Füße leckte ihnen Nahar, den gewölbten Kopf beugte sie herab zu ihren verkrüppelten stumpfnagligen Zehen. Zwischen den Zehen leckte sie den gelben Sand, schluckte die Körner die rauhe Kehle hinab bis zum schrecklich erschütterten Herz.

Tiefstes Röcheln brach aus ihr, ein unbeschreiblicher Laut.

Es erschreckte die Jungen, ihr eigenes Blut. Es ließ die Männer erstarren, denen die glühenden Stäbe entfielen. Die Erzstäbe lagen am Boden, versengten den feuchten Unrat, hauchten weiße Wölkchen aus. Von Nahars Tränen wurde der Brand gelöscht.

An den offenen Käfig klammerte sie sich ohne Unterlaß. Mit aufgerissenem Munde, um den Menschen mit sanfter Zunge zu berühren, kam sie heran. Aber glühendheißen Wein, mit scharfem Pfeffer gewürzt, goß man ihr in die Kehle, im Regen des siedenden Weines, von Schmerzen gemartert, heulten die Jungen auf, und sie, die Mutter, stand da, ohne tierische Wut. Sie fühlte nur lauen Gewitterregen, die Jungen aber waren im schmerzlichsten Krampf zusammengeballt, blind vom giftigen Gewitter rannten sie im Käfig umher, drängten sich zur Tür, vor der die andere Welt starrte, der rasende Büffel, die donnernden Trommeln und die letzte, die fürchterliche Gestalt. Jetzt kam, schwankte er schwer heran, auf einem Tragstuhl getragen, von Kupfermusik umbraust, der bleiche Fürst, das weiße grauenhafte Gesicht unbeweglich, blind sein aufgerissener starrer Menschenblick. Nahars Blick, geklammert an die im Schmerz wie gejagte Ratten huschenden Kinder, strömte in sein Auge.

Dem Tiger entgegen schwebte er, immer höher schwoll seine Elefantengestalt, immer strotzender sein weißes Fett. Jetzt schob der Fürst, das alles erwürgende Gespenst, zum Zeichen der neuen Schlacht sein Bein vor, den baumstark geschwollenen Schenkel. Der Eisige, mitten im jauchzenden Getöse, begegnete dem verzauberten Tier. Von seiner Sänfte kam er herab.

Wie mit eisernen Türmen schreitend erschütterte er den Boden. Nahar verließ den Käfig, die Kinder, die vergangene Welt.

Aus breitem, niedrigem Gesicht schielte tückisch der Fürst. Auf den Büffel schwang er sich nackt. Die zerstampfende, erzschwere Gestalt, mit den Hufen den Sand in tiefen Rinnen durchfurchend, raste in donnerndem Galopp. Ein unmeßbares, schwarzwallendes Tier, geritten vom weißen Riesengespenst.

Über Nahar setzten sie hinweg. Lang hallte der Sprung nach, ein Sturm im Gebirge.

Sie stand still. Das Herz pochte in zuckendem Schlag. Gerettet das Leben hinter ihr. Vom roten Seidenmantel der Wärterin gnädig überbreitet.

Unentrinnbar der Tod. Unentrinnbar das freudig wiedergeborene Leben.

Neuem Leben entgegenzusterben war ihr gegeben. Mit sichernden Augen, mit ruhig kreisender Stirn trat sie vor.

Nahar löste sich von der Welt.

Stirn an Stirn stand sie mit dem Menschentier, dem stampfenden, dröhnenden Tierkoloß, der wutglotzend sie anhauchte, stieren Blicks das fette Menschenkinn tief in des schwarzen Tieres wallende Mähne gesenkt.

Schon stand Nahar unter dem Feinde, zwischen den bebenden niedrigen Säulen seiner Glieder eingebaut, aber nicht im Kerker. In der letzten Befreiung: vor sich sein maßlos strotzendes Geschlecht, eine heiße, rotglühende Schlange an der schwarz wogenden Flut seines riesigen Bauches.

Nahar: Tod ohne Schmerz. In purpurnem Schaume verblühte Nahars Blut hoch in der flimmernden Luft.

Ihres Körpers Widerschein, die graue durchlittene Gestalt, schwarz verkohlt und von einer einzigen Wunde zerrissen, die Hände geklammert an ihrer Brüste verdorrenden Quell, nach rückwärts aufgebäumt den runden Kopf, in den Augen noch einmal den Abglanz des weißkochenden Himmels der früheren Tage, durchschwirrte wie ein Vogel die weite Arena, feuerfarben, atemlos, jauchzend in der totenstillen Welt.

Im lichten Azur schimmerte fern das Meer, die faltenlos spiegelnde Fläche, im hingehauchten Nebel schwebten breite Dschunken. In rotem Blühen nur ein zarter Rand, wiegte sich der Sommerwald auf tiefgrüner Welle weit an den schweifenden Ufern.

Über die Brücke der Sphären wurde Nahar getragen.

Von allen Seiten umfing es sie sanft. Neue Gestaltung hob sie heraus über die entblutete Erscheinung zu neuer Beseelung.

Nahar, kreisend in der höheren Bahn des verwandelten Lebens, unzerstörbar.

Nahar sammelte sich in der letzten Kraft.

Nahar wurde geboren in der ersten Kraft, ein neues Wesen an einem neuen Tag.

Ihr Leben als Tier hatte drei Jahre gedauert.


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