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V

Vom Hafen her hauchte abends die schwere Luft. Zucker und Teer, Moschus und Kokosöl, Wolle und der zitternde Resedenduft der blühenden Inseln.

Eine Glocke tönte im Abendgesang.

In heiliger Prozession schritten weiß wehende Gestalten unter breiten Baldachinen. Lauter klirrte der Freudenklang im Freudenviertel, in unzähligen Lampions spiegelten nachts die Fenster.

Ein junges Paar wurde für Nahar zur Wartung bestimmt. Am nächsten Morgen standen die Menschen bei Nahar neben dem Käfig, mit buschigem Besen den Sand zu fegen, mit Schöpfkannen aus Messing den Staub zu begießen. Das Mädchen legte grüne, fein gefiederte Blätter über die Stäbe, nun war grüner Schatten über Nahars Haupt.

Die Freudengasse flimmerte klar, der Kalk an den Häusern gleißte: in der Tenne war Stille. Bloß die raschelnden Schritte neugieriger Kinder erlauschte Nahar, es klingelte das helle Metall der Schmuckplättchen an ihren mageren Füßen. Vor den Pfählen der offenen Tenne winkten dem großen Raubtier schüchtern die schlanken Arme der Kleinen, wie dunkle Schlangen um die Hölzer geringelt. Offen waren die Türen des golden durchleuchteten Hauses. Die Menschen gingen leise. Sie taten Nahar nichts Böses.

Nachts kamen zerlumpte Männer aus dem summenden Freudenviertel. Mit hagerem braunschwarzem Schenkel spreizten sie sich über das Dach des Käfigs, feige schielten sie herab über Nahars Kopf. Aus kleinen kupfernen Pfeifen rauchten sie schwelendes Feuer, aus ihren weiten Nüstern stießen sie giftige Wolken hinab, Nahar in die großen, dunkel glühenden Augen. Stinkenden Speichel spritzten sie ihr auf den Mund, die schmalen Lippen beschmutzten sie ihr mit ihrem Abfall.

Sie wurden nicht müde, sie ließen sie nicht. Die glimmende Asche klopften sie aus über ihren ergrauten Nacken, brannten schwarze Kreise ein. Rauchschwaden sengenden Geruches stiegen auf von ihr.

Das Tier regte sich nicht.

Sie holten Decken herbei, umhüllten den Käfig. In einen hölzernen Mantel war Nahar schon lange gekleidet, nun mußte ihr der feuchte heiße Dunst den letzten Atem versperren. Aber das böse Flüstern erreichte sie nicht, die Hände der bösen Menschen, die sie ohne Gefahr durch die Tuchfalten ins Innere des Käfigs, an das Herz des tragenden Tieres drängten, kamen nicht zu ihr. Sie wollten sie quälen, reizen und martern. Sie lebte nicht unter ihnen. Mitten im Dunkel, tief in der Nacht kam ihr die Stunde der Geburt.

Nahar bäumte sich auf im ersten Krampf, aber in der furchtbaren Enge hatte sie nicht Raum, sich zu ergießen.

Sie erhob ihre Stimme. Des Tieres gewaltig dröhnender Schrei Ha-ub erschütterte die Tenne.

Mit den Pranken, den stumpfen Nägeln, der fünfzackigen Tatze machte sie zittern den Käfig, es bebte das Haus, die schwach gegründete Hütte.

Die Männer schlugen nach ihr, die schon im Kreißen sich wand, eine ungeheuer verschlungene Schlange.

Die Wärter aber schleppten ein größeres Gelaß herbei, eine hölzerne Kiste mit einem Boden aus Eisen. Sie hoben das Gitter des Käfigs.

Schnell ging Nahar hindurch, schon breitete sie sich erlöst auf dem hölzernen Estrich aus, atmete, von den erstickenden Tüchern befreit, mit tiefer Brust ein, da wurde die Kiste über die Kante gerollt. Auf die eisige Glätte des Bleches wurde Nahar geschleudert. Von den Wärtern wurden die fremden Gäste vertrieben.

Stille und Dunkel um die gebärende Mutter, die graue Greisin, das verzauberte Bild.

Das letzte Blut des Tiers gab sie von sich, den letzten Hauch des Tiers atmete sie aus, noch einmal berührte sie das Einst. Wiedergeburt der Wiedergebärenden. Ihr Haupt hatte Nahar auf den hohen Leib gelehnt, so milderte die eigene Wärme die Schmerzen, ihr eigener Hauch besänftigte die Glut.

An der zarten Haut ihrer Lider fühlte sie das Scharren der Früchte, die im Finsteren schon lebten.

Nahar, graue Mutter in der letzten Geburt: mit den Vorderpranken hielt sie, unbewegt wie ein Stein, die rissigen Wände des Käfigs umklammert. In den freien Raum öffnete sich ihr gebärender Schoß.

Ohne Angst nahte ihr die Wärterin, legte ihr weiche Kissen unter und frisch gepflücktes, noch blumenduftendes Laub.

Mit Kerzen standen die Wärter neben dem Käfig. Zart schimmerten die goldenen Ringe an ihren dunklen Händen, die sie ineinandergeschlungen hatten.

Im Kerzenglanz sah Nahar Blut aus sich sprudeln. Inmitten der Flut brach aus ihr ein kleines Haupt.

Wiederbegegnen und Vereinigung.

Gute, glückselige Nacht der zweiten Geburt.

Nahar dehnte sich, schmiegte sich an sich selbst. Neu erstand der selige Tag: um einen hageren, zarten Hals saugten sich ihre sehnenden Lippen, immer tiefer, immer näher sog sie es heran, in schwellender Wollust bis zum bewußtlosen Schrei. Nun lag es ganz vor ihr, im gesegneten Augenblick: ein gewichtloses Kind, ein schwächlicher Knabe, mit ausgebreiteten Pfötchen ohne Odem niedergesunken auf dem guten Teppich, dem blumenduftenden, blutfeuchten Laube.

Schon atmete es auf, zerrte mit den Füßen an ihrem Schoß. Sprach ohne Wort das Wort ihrer Seele. An einer Ader hing es, so klammerte es sich an das Herz ihres Herzens, den Brüsten strebte es zu, da es im Hunger den Mund öffnete und schloß.

Ohne Mühe, ohne Schmerz entglitt der Mutter noch ein zweiter winziger Körper, des ersten Kindes Spiegelbild.

Es war Tag. Vor den Pfählen gingen die Wärter in der milchigen Woge des dunstigen Morgens, miteinander vermählt die dunkel glänzenden Häupter, in eins flössen ihre blauschwarz leuchtenden Locken.

Im lichten Azur schimmerte fern das Meer durch die Fugen des Käfigs, im hingehauchten Nebel schwebten breite Dschunken jenseits der Tenne. In rotem Blühen, nur ein zarter Rand, wiegte sich der Sommerwald auf tiefgrüner Welle fern an dem schweifenden Ufer.

Vor den Mutteraugen lagen Nahars Kinder Flanke an Flanke, im Spiel verschränkte Glieder, in Eintracht, im Gleichklang summende Kehlen.

Nahar schwieg das Schweigen der Menschen.

Sie ruhte aus und schlief, die Tiere an ihren Brüsten.

Schmerzen fühlte sie nicht. Sie schwebte über den Tieren, wanderte über den Kreisen.


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