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VII

Am Morgen weckte sie im regentriefenden Tropenwald das Wimmern eines Kindes. Das kupferfarbene Holz der Sandelbäume, die breitfaserigen Späne leuchteten zwischen wucherndem Grün. Eine schwerbusige Frau kauerte auf den Knien und sammelte die Splitter. In ein indigoblaues Hüfttuch gehüllt, damit es reitend ruhe auf dem breiten Kamm der mütterlichen Hüfte, trug sie ein schweres Kind. Beglänzt von Regen, Tränen und Schweiß, funkelte der kleine, runde, glattrasierte Kopf, im eingeschluchzten Schlaf nickte er herab, eng schmiegte er sich an den fetten Rücken der Mutter, er scharrte wie ein Stein nahe am Boden hin, wenn die Frau sich bückte, um die Trümmer des Sandelholzes zu sammeln.

Den Menschen zu erjagen, zuckte der Tiger aus seiner Verträumung, er erwachte aus der Verknechtung, er spannte sich, noch naß vom Regenguß, hoch im Durst, mächtig im ersten Schwellen neuer Kraft.

Das blühende Weib hauchte scharfen Dunst aus. Es wölkte in Schwaden aus den finsteren Schluchten unter ihren strotzenden Brüsten, es atmete aus dem blauen Gewühl des Tuches, das zum Bersten belastet war mit dem schweren Kinde und der Last des eingesammelten Holzes. Alles wogte, dem Tier zur Wut, zum Rausch, zur stachelnden Wollust.

In aufschnellendem Sprung überholte es die Frau, schon kauerte es vor ihr, die in lähmendem Grauen starrte, an den Boden schmiegte Nahar die zitternden Flanken, vor dem Sprung hielt sie den sausenden Atem gesammelt, aus runden Sternen blendete sie das Weib mit goldenem Blitz. Aus den vom Schaudern geweiteten Augen des Menschen strömte nur neue Wut in das bebende Tier.

Schreiend entwich die Mutter, aber das Kind war erwacht, mit beiden Ärmchen griff es aus dem Tuche vor, es hielt sich fest an den Zweigen. Wie klammerte es sich an die Winden, die im Regen blühten, so hemmte es die Mutter im furchtbaren Augenblick. Schon raffte das Gezweig die fliehende schwere Gestalt, schon schleppte die Mutter das zähe beklemmende Gehölz nur noch mit der letzten Kraft, vergebens löste sie den Knoten vorn an der Scham, vergebens warf sie das Tuch von sich. Das Kind, nackt, mit dicken Schenkeln an den Einschnitt der Hüfte geklammert, hielt mit den kleinen Fäusten die Zweige gesammelt. Um sich zu retten, griff die Mutter nach dem Kind hinter sich, löste es mit Gewalt von ihren Hüften, sie warf die schwere Last von sich. Weich wehte sie hin, schon weit hinter ihr. Es verklang die hoch wimmernde Stimme. Auf schief gleitenden Lianen schaukelte das Kind im blassen Glänze des Regens, das runde Köpfchen drehte sich angsterfüllt im Kreise, das blinkende, bernsteinfarbene Gesäß des Kindes hing quer über den blütenbesternten Zweigen.

Die Mutter, einen einzigen Schrei in der Kehle, jagte allein, den Waldpfad entlang.

In Nahars Gliedern war jetzt wieder die alte Tigerkraft. Die Frau hörte den Tiger nicht im Prasseln des Regens, sie sah ihn nicht im dichten, dampfenden Unterholz, jetzt im letzten Atem der atemlosen Flucht glaubte sie sich gerettet, aber lange vor ihr war die Tigerin gekommen, knapp vor ihr lag Nahar, ruhig, unbewegt. Weit alles überholend in schief schnellendem Sprung, hatte sie sich breit vor ihr auf den Weg gelagert.

Auge in Auge mit ihr ruhte Nahar mit zitternden Flanken vor dem Sprung. Das unaufhaltsam stürmende Weib stieß die Gurgel vor, eine dunkel zuckende Frucht, sie raffte das Haupt zurück mit dem ölglänzenden schwarzen Gelock, sie blinkte mit rotem Betelgebiß, hoch schreiend wollte sie neben der Tigerin vorbei. Krachende Umarmung, Gewühl der Glieder, in Angst verkrampft, in Wollust aufgewühlt, beide triefend im Regen, schwimmend im schwellenden, saftstrotzenden Gebüsch.

Gelöst war der Krampf von Nahars verkrüppelter Pranke, beglückt, beseligt, seelenlos atmete die Tigerin aus.

Der fette Hals des Weibes, mit schwarzen Adern wie mit dicken Zweigen breit umwunden, reizte das Tier. Der Geruch, Blume und Blut, berauschte Nahar, bis alles versank. Erst starrte sie hin, sicherte das Ziel, bis die Krallen herausschössen aus der schweren Pranke. Mit einem heiseren Schrei der Beglückung warf Nahar sich mit allen Gliedern über die niedergesunkene Gestalt, die in müden Wellen sich bäumte. Mit den spitzen Hauern durchhackte sie den Hals. Ausweitend die Lippenwinkel in Wollust, blickte sie fernhin ins grüne Gewoge. Luft und Blut sprühten um sie, ein seliger Wind hauchte sie an. Sie sah in der Höhe den grau strömenden Himmel, das in die Bäume verrinnende schwere Gewölk, langsam sog sie den ersten Tropfen Menschenblut in ihren zauberhaft umatmeten Mund.

Rosige Blüten vom Hibiskus, die gelben vom Oleanderstrauch glitten nieder zur Erde. Zart zeichnete sich der Umriß eines Waringinbaumes gegen den düsteren Himmel ab. Wasser auf Wasser rauschte herab, Gras und Erde durchtränkend. Die Knospen der Pflanzen strotzten in der warmen Feuchtigkeit. Eintönig brauste der Orkan in den Wäldern.

Sie leckte mit ihrer beingeschärften Zunge die breiten zinnoberroten Lippen der Sterbenden, die sich öffneten vor ihr.

Aber jetzt schlang sie ihr aufgerissenes Maul ganz um die große, honigfarben quellende Menschenbrust. Sie schlürfte, süßer als Blut, die warme Milch aus der Mutter, sie labte sich an der strömenden Quelle.

Der braune, brechende Blick der Mutter überspiegelte von oben, aus den schnell verzitternden Lidern hinab, das säugende Raubtier.

Die Greisin, die Tigerin trank Menschenmilch.

Die Augen geschlossen, blaue Kinderdämmerung um sich, legte sie ihr gebogenes Kinn auf die weichen Rippen der Frau, mit ihren schütteren Barthaaren berührte sie die hohen Kissen der Brüste und blickte verloren umher.

Naher Tigerruf erscholl aus dem felsigen Dunkel, sie achtete ihn nicht.

Waagrecht gleitende Blitze zuckten blendend herab in rauschendem Feuer an den hingestürmten Blätterkronen, Nahar sah sie nicht.

Nahar schlug sich über die Menschengestalt, die sich im Sterben jetzt zusammenkrümmte.

Nahars Stirn, goldig gewölbt, schwarz quergeströmt, beugte sich über die niedrige, zart gerunzelte Stirne der sterbenden Mutter. Nahars Augen, flügelschlagende Lider, ruhig kreisende Blicke, in ferne Erscheinung verreisend, blinkten über den matten, einsinkenden Augen des Menschen.

Nahars Mund, weiß und schlaff, von Süßigkeit innen gestreichelt, an den dünnen, fahlen Lefzen noch triefend von Menschenmilch, öffnete sich über dem eng gerunzelten, wulstig erhobenen Lippenrund der Toten.

Nahars Tierbrüste, vom segensreichen Regen gebadet, schwebten über dem entleerten Busen der gestorbenen Mutter, ihr Tierschoß schauerte über dem Schoße der Frau.

Im Regenrascheln ruhten beide stumm, das Tier über dem Menschen.

Den Leichnam, in unzerreißbare Umarmung gekettet, schleppte Nahar zum Flusse. Auf die Füße der Toten traten ihre Pranken. Schritt für Schritt.

Mit ihren Zähnen hielt sie den Nacken der Frau, die vor ihr auf den breiten Knien sich beugte, wie ein Teppich rauschte die tote Frau vor ihr her.

Schreiend entwichen die indischen Beter vom heiligen Flusse, denn sie sahen die Tigerin bekleidet mit dem nackten Körper einer toten Frau, umgeschlagen waren um die mageren, eckigen Schultern des Tieres die braun leuchtenden Glieder des Menschen. So beugte sich Nahar zum Strom, gespiegelt im Wasser als Mensch.


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