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VIII

Die Wärterin kniete vor dem Käfig. Auf ihrem kleinen Haupte brach sich das Licht, das aus der Öffnung im Dache goldig herabströmte. Ihr schwarzes Haar flocht sie zu festlichem Knoten, band gelben, glitzernden Stein und blasse rote Korallen hinein, hielt die Enden der Flechten im wollüstig bebenden Mund befestigt.

»Jetzt!« rief das Mädchen.

Im Morgennebel kam durch das Tor der Umzäunung der Kämpfer, der schwarzzottige Stier mit dem ragend bewaldeten Buckel. Schwarzhufig stampfte er dröhnend den Boden, mit trillerndem Geheul raste er die eingerammten Pfähle entlang.

»Nahar!« rief die Wärterin.

Durch den Klang der Stimme verlockt, kamen die Jungen hervor, zu beiden Seiten, an den mageren Flanken der Mutter rieben sie ihr aufschwellendes Fleisch, mit ihren unbeholfenen Pranken griffen sie nach fallenden Perlen, glitzernden Korallen, miauten mit leise klagendem Laut nach Nahrung und retteten sich unter den Bauch der Mutter, die ihnen mit ihrer rauhen Zunge die spitzen, pelzumbuschten Öhrchen leckte.

Der Stier hielt still, starrte mit blanken Augen umher, während man ihn tränkte. Aus kleinen grünen Blüten wurde ein Kranz geflochten um seine Hörner. Er plätscherte voll Wollust mit dem Wasser, hob es gurgelnd in die Kehle. Nahar, um zu größerer Wut gestachelt zu werden, sollte aber ungetränkt bleiben am Tage des Zweikampfes. Ihre Jungen fanden bei ihr keine Milch. Einen Messingbecher brachte die Wärterin aus Mitleid, in den rotseidenen Falten ihres umgeschlungenen Kleides hielt sie ihn verborgen, doch das Wasser rann nicht in den Mund des Tieres. Denn schon standen zwei Männer, nackt, ohne Hüfttuch, mit geflammten Messern umgürtet, vor dem Käfig. Sie zerrten den Käfig an den Rand des Kampfplatzes, der, von Pfählen umpanzert, sich ausbreitete im flimmernden Morgentag. Sie hoben die Vorderwand aus, an ihren Knien spürten sie die feuchten Nüstern, die zitternden Barthaare Nahars, ihren durstig aushauchenden Atem.

Sie rührte sich nicht. Die Jungen, jedes in eine Ecke geschmiegt, hatten keinen Laut.

Nahar hatte sich ergeben, sie kämpfte nicht mehr.

Vor sich sah das Tier den großen, menschenstrotzenden Halbkreis, die Menschenwelt, mit warmem Freudenöl gesalbt, mit Blumen geschmückt. Die Männer, nackt und in Rüstung, schwertergewaffnet.

Meer, Bäume, Segel über dem Wasser, Dschunken, ruhend im sanften Morgenwind.

Der freie Raum, der freie Lauf dehnte sich vor ihr, aber im engen Kreis, aneinandergereiht, wie spitze Zähne dicht ineinandergezähnt, starrten die Pfähle. Ein Gefängnis um sie und den feindlichen Büffel. In jagendem Galopp stürmend erschütterte er den hitzegetränkten Sand des Bodens.

Gleißend wogte die Sonne um seine schwarzeherne Gestalt.

Nahar verweigerte zuerst den Kampf.

An der Schwelle des Käfigs stand sie, sie schloß die Augen vor dem flimmernden Licht. Ihre Pranken ruhten im freien Gelände, ihr Schoß blieb noch im Dunkel des Käfigs. Hinter ihr, mit zischend brennenden Fackeln, die im Tageslicht flammten, stieß man zwischen die Stäbe des Käfigs.

In ihr Fell, das ergraute, in ihre Haut, die vom Elend gegerbte, in ihr mageres Fleisch brannte man Löcher. Sie wandte den Kopf zurück und sah die schwarz verkohlende Wunde. Aber sie fühlte noch keinen Schmerz. Aufheulend schnellten plötzlich die Jungen vor, mit ihren kleinen Zungen leckten sie sich ihr versengtes Fleisch. Dies fühlte die Mutter.

Jetzt erhob sich die Tigerin, brach vor in einem Satz bis in die Mitte der Arena.

Über ihr spannte sich der tiefblaue Himmel, ein gleitendes Gezelt, blendend übergossen von der hohen Sonne, die dem an Dunkelheit gewöhnten Tier die ganze Sphäre brausend erfüllte. Fern von ihr ruhte im Schatten, ganz klein, der Käfig mit den Jungen.

Die Kinder waren geborgen, ihr jammernder Laut war schon lange verstummt.

Unter Nahar die breite Erde, über ihr der weißkochende Himmel, sie war allein mitten in der unzähligen Zahl.


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