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II

Von einem Tiger geworfen, atmete Nahar Tigerdunst ein. Selig in ihrer müden Wonne saugte sie in sich den ersten Schlaf der Tiere. Über sich fühlte sie die Mutter, einen guten, großen Gott.

Guter, großer Gott der wiedergeborenen Kreatur. Ziehen, Rauschen, Hauchen ganz weich: so blies das Muttertier den jungen Tiger an, um ihn zu trocknen von der triefenden Feuchte der glücklichen Geburt. Die Mutter war glücklich: Nahe zum Greifen, nahe zum Kosen hatte sie vor sich die bis jetzt unsichtbare Last. In ihr aufgerichtetes, hell umbuschtes Ohr schmeichelte sich die Stimme der Jungen, die bis jetzt stumm in der Brunnentiefe ihres Leibes gelebt hatten.

Auf ihren gewaltigen, breit gehämmerten Pranken ruhten jetzt, gewichtlos wie abgefallene Knospen, die Köpfe der Geschwister. In den Winkel des gebeugten Schenkels faßte die Mutter das Kind. In ihrem Knie kniete es, das hilflose. An ihre Augen wurde es gehoben, das blinde. Mit rauher Zunge, scharrend wie Stroh, berührte die Mutter die Tochter, um sie ganz zu fassen, zu fühlen im Kern ihres Herzens. Wieder betastete sie das Kind mit der Spitze der Zunge, dann mit der ganzen Fläche, die mit Stacheln aus starrem Horn, mit beißenden Kämmen besetzt war. So schlichtete sie das zerwühlte Fell, ordnete mit langem Ziehen des Kammes die kurzen Härchen der Jungen das Rückgrat entlang, vom mageren Hals bis zum dürren, unruhigen Schweif. Der noch geschlossenen Höhle der Augen, dem Spalt des zahnlosen Mundes spürte die Tigermutter nach, stark und sanft: tief atmend kostete sie den letzten Duft des eigenen Leibes, des eigenen Blutes. Noch einmal durchrann die Mutter die Wonne des Tragens. Es verzitterte das Beben der ersten Geburt.

Die Kinder, ganz erschöpft, lagen vor ihr wie tot.


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