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V

Noch sah es nicht deutlich, das kindheitsblinde Tier. Noch war es getaucht in blauen Morgentraum. Dem feuchten Hauch der mütterlich entgegengebrachten Brüste entglitt es, über die lau gewärmten Blätter des Lagers lief es dahin, geleitet vom Schimmer, herangelockt von einem fernen Strahl. Die Sonne stieg. Aber unsichtbar, unerreichbar, nicht zu fassen verrann vor ihren Augen das Licht. Scharfe Halme rissen mit Stacheln an Nahars Hals. Die Glieder hielt sie geklammert um hin- und widerschwingende Äste.

Kalter Sturm brach plötzlich von oben, brausender Morgenwind schaukelte die Zweige und das gewichtlose Tier. Donner dröhnte dumpf. Es gurgelte der nahe, gewaltige Strom. Vögel kreischten wild. Des Spiegeltieres silbern klingender Laut hauchte kaum noch zu ihr aus der Ferne. In kalte Flut versank Nahar, tauchte in eisiges Wasser, mit Not rettete sie sich, sie zitterte in Angst. Hilflos klebte sie in einer Höhlung der Erde, um sich selbst geringelt, damit sie sich labe an der kärglichen Wärme des eigenen Körpers, an den Blättern züngelte sie, um sich wäßrige Nahrung zu saugen. Nun schrie sie kläglich zurück nach der Mutter.

Vögel flatterten auf in rieselndem Rauschen, schwerer Regen prasselte nieder, über den mageren Hals goß es, schnell erkaltete alles auf der Haut. Je weiter sie wanderte, desto fremder die Welt. Schnellende Zweige, Schläge und Peitschen, Niederkrachen durch tückisch schwankendes Unterholz. Luftwurzeln über sumpfigem Gelände, Lianen und stachliges Gezweig. Rettungslos die Welt, von allen Seiten versperrt.

Das Tier allein. Langhin wimmerte die Stimme in Verzweiflung. Aber jetzt sauste ein Ungeheures durch die Luft, schon warf es sich nieder, krachte im splitternden, regensprühenden Gezweig. Und jetzt, im gesegneten Augenblick, erglühte es vor Nahar im blitzenden Licht, hoch rauschte auf der Vorhang der matt gespannten Lider, zum erstenmal sah Nahar: über sich den großen, rettenden Gott, den ungeheuren Pfeil des Leibes noch federnd vom Sprung.

Es kreiste der Mutter ruhiges Haupt mächtig über ihr, ein Himmel, schwarz und fahl gestreift, ein Funkeln, goldiggrün aus Urgrundtiefe: die Tieraugen, runde Sterne, wandelten über ihr.

Wie ein weithin gelagerter Berg kniete die Mutter vor dem Kind. Schon raffte sie es auf, bettete es in ihrem Munde. Zwischen die weißen Lefzen mit den starren Schnurrhaaren war es gepreßt, die breite Zunge der Mutter rollte sich als ein wärmendes Lager unter ihr, ihr Atem strich Zug um Zug über sie hin. Jetzt wurde sie durch Nässe und Fremde zurückgetragen. In sausendem Fluge schwebte sie in der Luft, in gleitender Senkung landete sie unter dem regentriefenden Baum in einem trockenen Winkel. In herrlichster Wiederbegegnung sah sie das Spiegeltier, in ruhender Besänftigung hörte sie es sich entgegensingen.

Morgen war es, in der Ferne noch stürmender Regen in donnerndem Guß, am Ende des Himmels das fliehende Gewitter. Das violette Gewölk zog dahin, die Sonne kam wieder, das wärmende Licht.

Nahar aber, die von der Mutter gerettet, von der Mutter doppelt besonnt dalag, sie, die dem Bruder zugesellt, mit den anderen sich vereinte, sie war zur Freude als Tier unter Tiere gebreitet, versöhnt war sie im Zuhause des fest gegründeten Lagers.

Die Sonne brach jetzt strahlend mitten durch weißkochende Luft.

Wipfelbäume ragten in fast schwarzem Grün, zart geteilte Blätter, tausendfach verzweigt, breite Flächen, geglättet im Glänze. Licht spannte sich aus, überschwenglich hingeschüttet, kaum zu fassen, blendende Glut, gierig getrunken, grün siedendes Metall um Himmel, Pflanzen, Tiere, Stein.

Die Mutter, der schützende, rettende Gott, sonnte sich, die sanfte, riesenhafte Gestalt.

Goldleuchtendes Braun, durch schwarze Streifen gegittert, schwarze Ketten, in vielen Reihen gewunden um das herrlich funkelnde Fell, das feuerfarbene: so wand sie sich träg in der brütenden Hitze. Unter dem weißlichen Flaus des noch schleppenden Bauches strotzten ihr sechs Euter. Freudige Rosenfarbe, am Gipfel mit Milch durchträufelt, am Grunde von fahlem Teppich dicht umstanden.

Ewig funkelten der Mutter braungoldene Augen über den Kindern. Weißes Haar an den Wangen, lichtes Gewölk um die Kiefer, ein Nebelhof um den Mond des großen Gesichtes. Langschwankende Haare umzitterten der Mutter blaß gedehnte Lippen, es glimmerte hart das wollüstig in Ruhe knirschende Gebiß.

Tiefer beugte sich dem geretteten Kind das Haupt der Alten, ein sinkendes Gewölbe. Niedergebreiteter Gott.


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