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III

Nahar trat in den sumpfigen Boden. Zuerst war dem schwerverwundeten Tier die Kühlung angenehm, dann aber brannte der Lehm in den Fugen. Großer Schmerz zuckte durch das verstümmelte Glied.

Sie sank nieder, wälzte sich ohne Halt, ohne Macht, ohne Rettung, wie ein Hund auf dem Rücken.

Sie schloß die Augen, sie wollte fort, sich selbst entrinnen.

In ihrer zerfleischten Tatze fühlte sie das zerfleischte Kind.

Schwankend auf entnervtem Gebein kehrte sie zu ihresgleichen zurück. Über den Vater und das Kind legte sie sich hin.

Über den lebenden Teppich breitete sie sich aus. Sie wiegte den schwarzen Schmerz auf dem Rücken ihrer Vertrauten.

Sie mußte leiden wie ein Mensch.

Der Tiger, der mächtige Vater, und das blühende Kind, ihres Leibes schon unähnliche Frucht, erbarmten sich ihrer. Sie wärmten sie mit ihrem guten tierischen Hauch. Ihre Zungen leckten, indem sie breit die Ruhende umfaßten und mitleidig ihren entleerten, hungrigen Bauch, die schlaffen, kinderlosen Zitzen berührten, sie rührten an ihr in Menschenschmerz verzerrtes Tierantlitz. Sie stützten ihr die blutige Pranke, sie hoben ihr die in fünf Glieder zerfallende Hand.

Sie scheuten sich nicht vor ihr, sie trösteten das verwundete Herz. Alle schwiegen, alle schliefen.

In Fieberwellen schwankte Nahar am Tage. Zwar raffte sie sich auf, aber sie kam nicht bis zur Jagd, sie erreichte nicht den Fluß, wo das Wild zur Tränke wechselte. Ihr Herz erschrak an der Stelle, wo das Kind oft mit ihr gegangen war, zögernd in ihrem Schatten. Ihre Krallen spreizten sich. Wie eine Kette rasselte ihre Vordertatze durch das sumpfige Gelände. Ihre Hand sperrte sich im wirren Gebüsch.

Ihr Herz wollte nicht von der Stelle. Widerwillig lebte es weiter in ihr.

Hinkend schlich sie zurück zum Lager. Ohne Trank, ohne Speise brachte sie drei Tage hin. Braune Dämmerung. Lebloses Leben.

Am Morgen des vierten Tages brachte das Junge ein kleines Lamm. Grauwollig hing es ihm aus dem Maule. Es war warm, noch voll von Blut, fast ohne Wunde, da es durch Zerbrechen der Halswirbel getötet war. Das Kind breitete das Fleisch vor der Mutter auf den Steinen aus. Schwarz strotzte die Leber. Nahar sah die Speise, aber essen durfte sie nicht. Denn angelockt von dem süßen Gerüche der Leber kamen Schwärme von Fliegen ihr auch an die zerfetzte Pranke, mitten hinein in ihr Innerstes schmiegten sie sich, ein ewig nickendes, ewig pickendes Gewimmel. Mit den spitzen Rüsseln nagten sie an ihr.

Schlug das kranke Tier mit dem gesunden Gliede nach ihnen, scheuchte sie sie mit dem Schweife fort, blies sie aus ihren heißen Nüstern wütenden Sturm über sie hin, dann hoben sie sich flink, ein grün wallender Teppich, sofort aber senkten sie sich. In dunklen Reihen übereinandergewälzt, ruhten sie an ihrem Leib, in ihrem Blut badeten sie. Sie machten den Tiger atemlos, ließen ihn nicht essen, nicht schlummern, entnervten ihn bis in den letzten Winkel seines Lebens. Mit emsigem Biß peinigten sie Nahar. Das einst furchtlose Tier zitterte vor ihrem summenden Geräusch, wenn sie morgens nahten, grün schillernd im milchigen Nebel der Frühe.

Das Auge Nahars blickte so ferne. Weit fortgereckt war ihr Haupt von dem schwärend zerfallenden Fleisch.

Sie wollte nicht die Grube sehen in ihr selbst.

Die unförmig geschwollene Tatze war von weiß geschlängelten Würmern dicht durchwimmelt. Tagsüber wurde sie von Fliegen zerrissen, nachts leuchtete sie im Dunkeln.

Böser atemerstickender Geruch strömte in Wolken von ihr. Tod stieg aus der Lebenden.

Nahar entwich. Sie verbarg sich vor dem Vater, vor dem Kinde, sie scheute sich vor sich selbst.

Jetzt war sie in der letzten Verzweiflung. Um sich selbst zu entweichen, um ihre Wunde zu verwunden, um ihr Leben zu töten, riß sie an ihrem Geschwür. Mitten zwischen die Knochen züngelte sie, in ihr Fleisch und Blut hackte sie ohne Selbsterbarmen. Das Fleisch zerfiel ohne Schmerzen, in hohem Strome quoll das Blut. Maden und Würmer und Fliegen schwemmte es fort. Wolken breiteten sich gnädig über das Fieber und über die düstere Glut.

Regen rauschte, grau und lau, mild vom matten Himmel, eine Tröstung. Schwerer weichwehender Monsun, guter, regengesegneter Sommer.

Ausgebreitet lag Nahar da. In ihre Wunde konnte der Regen strömen. Der Sommer mußte sich ergießen in ihre tief zerklüfteten Augenhöhlen, aus denen die Augen klein und glühend die Schwärze der Nacht durchkreisten, das Verlorene zu finden, wieder zu begegnen dem Geliebten.

Ihre Pranke blieb gelähmt. Sie war geheilt. Sie war verkrüppelt. Einer Zikade gleich hüpfte sie. Die dünne Narbe, das kraftlose Fleisch, die verdorrte Hand, dies klammerte sie an ihr ängstlich pochendes Herz, an die vernarbten, verdorrten Brüste.

Sie zog aus, wollte Büffel reißen, Hirsche jagen. Vor Büffeln zog sie sich aber zurück, als sie sie sah, denn ihre Kraft trug sie nicht mehr so hoch, um sich an der Wampe einzubeißen und sich mit ungeheurem Schwung emporzuschaukeln, bis ihnen das Rückgrat krachend zerbarst. Gewaltig aber drohten ihr die spitzigen Hörner des Stieres, seine ehern trampelnden Hufe, seine dröhnend unheimliche brütende Gewalt.

Hirsche konnte die dreibeinig Hinkende nicht mehr erjagen. Ruhig trabten sie vor ihr hin, sie hetzte sich ab, keuchte atemlos und erreichte sie dennoch nie.

Nahar griff kleine Tiere an, die sie nicht sättigten.

Aber viel Fleisch hoffte sie von der Schildkröte, dem langsam wandelnden Berge, der in goldfarbenem Schildpatt von weitem schimmerte. Die beiden eisenharten Panzer der Riesenkröte zerbiß sie nicht. Vergebens rollte sie das unzerstörbare Gehäuse auf dem weichen Sumpfboden hin und her, hackte mit ihren Zähnen hinein, verwundete es nicht. Sie lag schweißgebadet, die Kröte steckte ihren Kopf vor, blinkte umher mit ihren kleinen Augen, schlich weiter. Wohl erraffte Nahar noch eine kleine Tatze und zerfleischte sie. Die Schildkröte ließ keinen Laut. Das Blut war kalt, es labte Nahar nicht. Das hart gepanzerte Fleisch war erfüllt von zähem Leben, im Maule des Tigers regte es sich, kratzte in seinem Schlund, bis er es wieder herauswürgte. Die Schildkröte zog trotz der Verstümmelung weiter ihren schleichenden Gang im Sumpfgras. Der Tiger brüllte vor Hunger. In der Ferne schimmerte in goldbraunem Hornpanzer, hoch und weich gewölbt wie ein Berg, die Schildkröte, unbezwungen.

Pfauen schillerten in der Nähe, Herden blökten in Hürden. Die Sonne brach nieder durch spiegelndes Grün, der Himmel war wie einst. In dem Bambusgesträuch schwankte schwarz der breite Schatten des Büffels, in der Ferne glitzerte unter den Brotbäumen waagrecht eines Tigers flirrender Widerschein, Gold und Schwarz quer durchs Gebüsch.

Jubelnd jagten die Tiger in den blühenden Matten im Sommer.


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