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XI

Nahar, das nachtgekühlte Haupt von sprießendem Tau getränkt, überrieselt vom Duft des Heimatbaumes, der im Regendunkel erblühte, liebkost von den Kindern, nun träumte sie ohne Gedanken, in schwebendem Gefühl. Im Traume ahnte sie ihre Zitzen gefüllt, ohne Grenze reichten sie in die tiefste Erdentiefe: ein ewiges Labsal den Ihren.

Hinter ihr war die Erde, schlafend gebundener Raum, die zweite warme Mutter. Zwischen beiden Müttern zu leben, geschützt, mit allem Guten genährt, war den Kindern gegeben.

Noch während der Nacht erhob sich der Vater, er jagte für alle. In schütterndem Stoß warf er Fleisch am nächsten Morgen zwischen die träumenden Tiere.

Nahar, die Mutter, in Übergröße gelagert, mit breit ausladenden Hüften, blieb auf den Boden gelagert. So schützte sie ihre Jungen vor Regen und Wind. Durch viele Tage verließ sie die Heimathöhle nicht. Bald wuchsen die Kinder. Noch waren sie blind. Ihre kurzen Glieder mit den plumpen Füßen griffen nach Steinen und Käfern, nach klirrenden Knochen. Auf der Schädelstätte stiegen sie umher, in die Augenhöhlen der zerfleischten Beute tappten sie blind. Die Mutter immer mit ihnen. Der Mutter Stimme war ein leise summender Hauch, wie Käferschwirren hinblühend über die Wiese. Die Jungen jubelten in gurrendem oder silbernem Laut, sie kollerten im Spiel den Abhang ihres großen Mutterleibes herab, kletterten die Treppe ihres mächtigen Halses empor, sie blieben gelehnt an den Bug ihrer Stirn. Da wurden sie beide müde. Schon schliefen sie, die Köpfchen atmeten mild, eingefaltet in die Höhlung der Ohren der Mutter. Der Mutter sangen sie Schlafgesang. Ruhig kreiste die Stirn Nahars, golden gewölbt. Die jungen Tiger schlummerten am Kopfe der Mutter bis zum Abend, dann glitten sie an ihre Brüste herab, um sich in lang hingezogenem Mahl zu laben und von neuem zu versinken in Stille.

Regen raschelte fein, leise knisterte des Vaters Schritt, des immer jagenden Tieres, das zur Nacht um das Lager wandelte.

Am Mittag nahte er endlich: fast verschwand sein Leib unter der ungeheuren Last der gemordeten, mächtigen Beute: einen weißen Gaur schleppte der Tiger nach, silbern überschimmerte der gewaltige Stier den goldbraun leuchtenden Körper, der, von schwarzen Ketten geströmt, sich wiegte in flimmernder Tagesglut. Schon ging er wieder dahin, nachdem er für sich eine ungeheure Keule aus dem Tiere gerissen. Die anderen Glieder starrten wie abgebrochene Riesenzweige durch die ganze Höhle, bis sie Nahar herauszerrte, sie stemmte sich aufrecht auf ihren Hinterkeulen, an ihrer warmen Brust das riesige todeskalte Rind, ihre Milch und sein Todesblut ein träufelnder Regen, eine einzige Spur.

Aber in der Nachmittagsstille sonnten sich vor den Augen der heimkehrenden Mutter die spielenden Kinder. Abends belustigte sie der schnatternde Ruf der Affen, ihr Winken mit Zweigen, ihr Lachen, ihr Fauchen im Streit, ihr Pfeifen vom hohen Felsen her, ihr tanzendes Springen über die Zweige, ihr braunes Verhuschen im Zwielicht. Pfauen kreischten, blaue und grüne Spiegel wippten unter blühenden Bäumen, ihre weit gefächerten Fittiche rauschten bis spät in die klare Dämmerung, in die einsame Kühle der Nacht. Aus seligem Schlaf schreckte die Mutter auf. Fackelglanz ferne, Zimbelklirren, Kupferwolken im verbrannten Holz, milchige Woge, Nebel des Urwalds, von prasselnden Lichtern durchbrochen. Schon bliesen Trompeten, ein gellender, fürchterlicher Laut, fürchterlicher aber war ihr das Aufschreien der Jungen, ihr ratloses Flüchten nach verschiedenen Seiten, schnell schössen sie in die Winkel, ließen sich forthetzen, weg von der Mutter.

Trommeln dröhnten dumpf vom Boden her, und noch waren die Jungen vermißt, war ihre Brut verronnen in das Dunkel, vielleicht ihr entgegen, der furchtbaren Gestalt. Sie schwankte auf dem goldenen Tragstuhl näher. Es nahte der bleiche Fürst der Aussätzigen, das weiße grauenhafte Gesicht: über die goldenen Stangen hingen seine ins ungeheure geschwollenen Schenkel, es rann nieder das giftige Weiß, das eisige Glimmern der grell geschminkten Geschwüre. Kupferglanz, Kupfermusik, alles Nahar entgegen, um sich auf die Kinder zu wälzen, um die Kinder ihres glücklichen Herzens zu zerstampfen. Immer höher schien er zu schweben, immer größer seine Elefantengestalt. Die Kinder begraben, verschollen. Er aber, lebend und strotzend in weißem Fett, unbeweglich war sein aufgerissener starrer Blick. Der Stumme schwoll näher heran inmitten der klirrenden Zimbeln, hoch auf dem wimmelnden Haufen, im Prasseln des jauchzenden Kupfergetöses, ein Gespenst des früheren Lebens. Aufgang des Grauens.

Sie bäumte sich ihm entgegen, gepanzert mit wütendem Groll, die Mutter. Sie riß ihr rasendes Herz zusammen zu rasendem Tierschrei: dem Tiere entrann das Gespenst, das Grauenhafte wehte davon, umschattet mit grünem Laub, kupferfunkenbeglänzt, so flüchtete es zwischen den Bäumen. Aber ihr, der einmal noch Beglückten, strömten die Kinder zu, die einzige Welt. An ihren immer noch wutzitternden Pranken spielten sie wieder empor, an ihren noch zum Schrei aufgerafften Brüsten hingen sie nieder, die Wiedergekehrten. Im Spiel stieß das Köpfchen des Knaben an ihr unbeugsames Knie. Und nun, zur herrlichsten Freude, im begnadeten Aufatmen, zum Trost für alles, was war: seine Augen sah die Mutter geöffnet, zurückgezogen waren die dünnen, blütenfarbigen Lider von seinem nächtlich glitzernden Augenrund: so, zum erstenmal, sah sie es, und sie wurde gesehen.

Im Festen war sie noch gegründet, von ihrem Fleisch und Blut umgeben. Sie liebte die Kinder, von den Kindern war sie geliebt. Ihr eigener Odem hauchte sie an, süß und bitter kam er aus dem Munde des Knaben, der sich im Hunger öffnete.

Nach schwarzer Minute noch einmal: brechende Lust. Noch ein Tag in des Glückes reicher Überfülle. Die letzten Funken der furchtbaren Fackeln irrten zerstreut gespiegelt auf den Augen ihrer Kinder.

Die Ruhe des Glücks. Der Himmel der Vereinigung. Frieden um die Tiere, die sich aneinanderlehnten im schwarz rauschenden Urwald.


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