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IV

Noch sah es nicht, das kindheitsblinde Tier: wie mit der blauen Flügeldecke eines in der Sonne ruhenden Insektes war das matte Rund seines Auges verdeckt, mit Dämmerung war es sanft ummantelt. Mit unsicherem Schritt tappte Nahar weiter den Weg der ersten Wanderung: auf dem Körper der Mutter schweifte sie wie in die Ferne. Unter ihren tastenden Füßen spannten sich zu ragenden Blöcken die Glieder der Mutter. Mit tiefem Seufzer des Erschreckens versank Nahar im Tal, zwischen den heißen Bergen der starrenden Brüste wand sie sich mühsam hindurch, in den auseinandergewälzten Falten des Halses verstrickte sie sich spielend. Die Sonne stieg.

Süßer, brennender Duft. Sommerwind.

Blau alle Welt, für das halbblinde Tier verzaubert in die Dämmerung eines halb erwachten Tages. Als wäre Nahar verfolgt, so flüchtete sie in das meerrauschende Ohr der Mutter. Als wäre sie gejagt, gehetzt, so schmiegte sie sich auf den gewölbten Bug der mütterlichen Stirn.

In blauer Dämmerung schimmerte ein kleines Tier ihr gegenüber, so wie sie war es geschmiegt an ein Ohr der schlafenden Mutter, mit seinen Krallen umschlang es die ihren, seine Brust pochte nahe an der ihren; es spielte mit dem Schweif in Ringeln wie sie selbst: das vertraute Wesen, ihresgleichen, ein Spiegelbild, der zweite Tiger, der Bruder.

Der silbern klingende Ruf, der rauh summende Ton, war er ihrer eigenen Kehle entsponnen oder der anderen?

Am Grunde der hohen Mutterbrüste lagen die jungen Tiere, Kopf an Kopf, Zunge in Zunge verspielt, so hauchten sie einander an im ersten Erkennen. Geschwistertiere. Milch quoll ihnen beiden.

Landschaft um sie: der blau umschattete Berg. Schwarz war versunken das Tal, von breiten Streifen wallend getigert.

Tiermutter, schweigend ruhende, die mit großen Augen niederfunkelt auf ihre Kinder. Golden gesänftigt. Summen raunte aus allen, schwebender Dreiklang.

Von den ungeheuren Pranken der Mutter waren die Kinder wie mit Mauern umschlossen. In guter Heimat, am atmenden Herd, wie ein einziger Hauch wiegten sich beide auf der weiten Ebene, sie rührten sich nicht.

Ruhe und Nacht, Blut und Luft, Nahrung und Schlaf, Summen und Schweigen.

Der neue Morgen entbrannte. Viele Stimmen tönten im Chor. Draußen, jenseits des rauschenden Heimatbaumes. Die große Sonne. In weißen Säulen strömender Glanz dröhnte durch den erwachenden Tag.

Das Vatertier, in friedlichem Kehllaut, lagerte sich wieder zu den anderen.

Im aufdampfenden Hitzewind lehnte sich das Gebüsch zurück, die Zweige rollten auf. Matt rinnendes Licht. Ferner, weiß glückseliger Schimmer über die blaue Dämmerung der kindheitsblinden Tiere.

Regengrüne Mangobäume, schillernd in der blassen Glut des hochragenden Gestirnes in der Stunde der glückseligen Jugend. Alle Tiere atmeten in Ruhe. Keine Wanderung. Kein Leiden. Sättigung. Sein. Hoher Berg mit Nahrung. Paradies der Speisung, Garten der unerschöpflichen Sättigung. Ruhe im Flimmern der Sonne. Schlaf im Abendrauschen des Regens. Paradies der Tiere.


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