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IV

Nahar schauerte vor dem weißen gespenstigen Bild des Menschen. Jetzt ging sie zurück den Weg zur blau umschatteten Höhle der Heimat. Wie sehnte sie sich, statt auf der toten Erde auf dem lebenden Mutterleibe zu wandern: wie einst zu versinken im Tal zwischen den blauen, heißen Bergen der starrenden Mutterbrüste. In den auseinandergewälzten Falten des Mutterhalses wollte sie sich wieder verstecken, ein spielendes Kind, in den rollenden Teppich gewickelt, der ohne Ende, ohne Rand über Hügel und Schluchten sich spannte: blaue Welt der noch nicht sehenden Kindheit.

Wann das Erwachen, wann der freudige Morgen?

Wo das ruhige Lagern, hin sich zu schmiegen auf den gewölbten Bug der mütterlichen Stirn? Wo das meerrauschende Ohr, um ihr kleines Gesicht dort zu verstecken?

Ihr gegenüber ein Tier, in das andere Ohr der schlafenden Mutter gefaltet, der Bruder, wann pochte er mit seiner flachen Knabenbrust zart an die ihre?

Das Heimatlager war leer. Bloß trockener Unrat dörrte rings um das Gebüsch. Kaum zu sehen waren die Heimatsteine, mit neuem Gras und hohen Farnen längst wieder schwellend überwachsen; versunken der Heimatteppich, verschollen der Heimatruf, des Vaters dröhnende Stimme, der Mutter tief surrendes Knurren, der silbern klagende Laut des schwächeren Bruders.

Allein, von allen verlassen, eingebettet auf hohen, taufeuchten Pflanzen, ruhte Nahar.

Von ferne flimmerte ein rostroter Schein, schwarz geströmt, durch den Bambus, der im Winde sich wiegte. Ferne Erscheinung der lautlos vergleitenden Mutter. Wie Nahar auch eilte, über die Büsche dahinschoß, um die Mutter zu finden, immer weiter entschwand sie, gelb war der Sand am Ufergelände und schillerte durch das schwarzgrüne Dickicht wie Tigerfell, fahl.

Der Bruder, der schlanke, weißstirnige Gefährte, wurde ihr abends erst sichtbar: unverkennbar, unverlierbar die geliebte Erscheinung, aber so flüchtig, verwebt, verweht in die Gräser, so fern. Wie ein Fisch, flach aus dem Wasser geschnellt, so hob er sich nur auf eines kurzen Herzschlags Dauer im Bogensprung über die Prärie, und schon versank er für immer in den Wellen der hohen Wiese. Nicht zu finden, nicht zu erreichen, nicht zu umarmen.

Rattenpfiff, Pfauenruf, Brüllen der frei weidenden Büffel, gute, schwarz deckende Nacht. Nahar flüchtete in hohen Sätzen zurück zu der Höhle. Noch war Nahar satt vom gestrigen Mahl, noch rauschte ihr die ganze Fülle der Jugendkraft durch die Adern. Sie schwieg, war still, jagte nicht.

Ein Orkan wetterte nieder. Der Himmel, die fahle, niedrige Schale, war gepeitscht von Blitzen. Donner dröhnte, als wäre es das ungeheure Vatertier, das zur Nacht den Urwald im rauschenden Regen durchstreift. War es nicht der Vater, der aus grün blitzenden Augen sie anleuchtete, sie suchte und weckte mit zündendem Licht? Ihm entgegen sprang sie auf, ihm nach jagte sie in wildestem Hetzen, sie trabte leise am Saume des schwarztriefenden Waldes, lauschte auf seinen krachenden, tastenden Schritt, ob er zu ihr taste, sie hörte auf seinen unvergeßbaren Ruf, ob er nach ihr rufe und sie verlange. Die Zunge spannte sie aus, sie sehnte sich, vom Menschen erschreckt, vom Schatten der Vorzeit umgeistert, nach seiner Liebkosung, nach der Berührung des großen Tieres, des Vaters, des unbesieglichen, unermeßlichen Mannes.

Aber bloß kaltes Wasser rieselte ihr in den Mund aus gewitternder Nacht. Deshalb zog es sie, der Spur des Menschendunstes zu folgen in die Nähe der Menschen.


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