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Vierter Teil

I

Vor Menschen und Tieren verborgen, lebte Nahar die Tage der tragenden Mutter.

Sonne und Hitze, Kälte und Mond, Regen und die dürre Glut wehten hoch über sie hin. Nichts berührte sie. Wie ein Dach hielt sie sich gebreitet über ihr Herz. Ihr Mund, der blutdürstige, mit scharfen Zähnen reißend bewehrte, war geschlossen, ein Siegel, gesiegelt über der Schrift.

Sie wuchs in der Höhlung ihrer eng aneinandergeschmeichelten Pranken. Der Frieden der ersten Tage ruhte über dem ruhenden Tier.

Wenn der Hunger sie zu sehr plagte, erhob sie sich langsam, wiegte sich, schwer schreitend, in den Hüften, suchte sich Beute und schlug sie.

Kümmerlich war sie genährt. Vom Manne verlassen, von der fünfzackigen Pranke nur mit der letzten Mühe herabgetragen den langen einsamen Weg zum Jagdplatz am Wasser, aber von sich selbst getröstet und beruhigt, so lebte sie. Sie war glücklich, sich zu decken im eigenen Schatten. Süß schlief sie ihren tierseligen Schlaf, denn ihr Kopf war gelagert auf ihre immer höher quellende Hüfte. Der Duft ihrer Milch machte sie schlummern, das Rauschen ihres Herzens gab ihr den Frieden.

Immer mühseliger wurde ihr der Jagdgang. Hunger nagte an ihr. Sie fand keine Nahrung durch drei Tage und Nächte.

Am Morgen des vierten wurde ein leise blökendes Kalb vorbeigezerrt an ihrem heimlichen Lager. Leise erhob sie sich und folgte ihm. Es sperrte sich zwischen zwei Menschen mit seinen mageren, trotzig auseinandergespreizten Beinen, streckte den dreieckigen Kopf ängstlich empor, riß an dem Seil. Nahar folgte Schritt für Schritt, aber der Weg war ohne Ende. Weit in eine fremde Gegend, in dichtbevölkerte Triften zog sie die Hoffnung auf Beute. Sie wanderte den ganzen Tag, die Straße stets scheu umschleichend, bis zur Nacht. Dann fand sie das Tier, mit seinem Strick an einen Pfahl gebunden, einsam kreiste es auf der kahlen Heide, jammernd klang sein Laut in der Dunkelheit. Sehr lange lauerte Nahar, wartete auf völlige Stille, aber immer noch flüsterte es tückisch aus den Gebüschen, es blinkte metallisch aus den stachligen Gräsern. In ihr wühlte der Hunger. Von Gefahr war sie umgeben. Viele Menschen mußten in der Nähe sein, da sie deren Atem trotz der Windstille witterte. Aber es hielt sie nicht mehr. Mit einem Satz sprang sie dem Kalb auf den schwachen knochigen Rücken, sie, die hochtragende Tigerin, zerknickte mit ihrer Last den Kiel des kindlichen Rückgrates. Aber noch hatte sie keinen Tropfen Blut in ihren ausgedürsteten Lippen, als sich ringsum ungeheures Getöse erhob. Ihr Herz stand still. Die Jagd begann.

Tageshelle. Fackeln. Hohe Türme, auf den breiten Nacken von Elefanten gebaut, schwankten heran. Die Elefanten donnerten näher um sie, im grauen Kreise geschlossen, blendend im hinabgegossenen Licht der Fackeln.

Hinter den Riesentieren Musik. Trommler, dumpf dröhnend am Boden hin, Hörner im Trompetenton, ungeheure Glocken erbebten unter der Erde. Längst war Nahar auf der Flucht. Aber wie sie auch raste, in schiefen Sätzen dahinflog durch das Kleinholz, das Lianengewühl, den Jungwald und die Steppe, die Hügel empor, hinab wieder von neuem über die Ebene, einmal mußte sie stillhalten, zuletzt war ihre Kehle atemlos. Von den schweren Brüsten, von dem fruchtbaren Mutterleib war Nahar an den Boden gekettet. Sie wandte sich um, machte halt, als stände sie schon geschützt, gerettet da. Aber als hätte sie still geruht, statt dahinzurasen, als hätte sie sich nur auf der Erde gewälzt, statt zu fliehen, so furchtbar nahe wogten immer noch hinter ihr die donnernden Türme der Elefanten, es schlugen ihre Rüssel sausenden Wind. In krachendem Sturmlauf hetzten sie hinter ihr her, damit sie weiterrenne, die Todermüdete, den letzten Atem, die letzte Kraft auf der feigen Flucht zu verspritzen. Ohne Unterlaß schlug die Musik. Nahar schwieg. Es knallten die Peitschen. Sie keuchte. Im Kupferklang dröhnten die Pauken.

Ohne Rast, ohne Richtung, ohne Atem irrte sie nachts im taghellen Licht durch die weglosen Triften. In Gebüsche zwängte sie ihr großes Haupt. Unter die stachligen Zweige preßte sie flach ihren ungeheuren Mutterleib.

Aber sie starrte in namenlosem Entsetzen, sie hob sich schaudernd auf durch das dichteste Stachelgebüsch, denn die rettende Finsternis rettete sie nirgends mehr. Niedrig über den Rohrwald sausten große Feuerraketen, krachend im Fluge, über ihren goldig aufgleißenden Kopf. Feuerstrahlen in Gezisch und Gebrause brachen wie Blitz aus grünem Düstergewölk, in Millionen Funken zerstäubend, immer von neuem geboren, feurige Drachen entflohen einem finsteren Kerker, um auf breiten Flügeln grauenhaft die pulvergeschwängerte, beizende Luft zu durchfurchen, Nahar zu suchen. Nahar konnte nicht ruhen, sie konnte nicht bleiben, sie faßte sich zur neuen Flucht. Von der Marschmusik wurden ihre Glieder aufgeschnellt, im Takt mit dem furchtbaren Takt setzte sie auf und dahin, sie, ein fliehendes, ruhelos gejagtes Wild. Ruhegierig schwoll ihr Herz, der schwere lastende Leib. Außen von Dornen zerstochen, ohne Erbarmen über Bäume und Steine mußte sie sich schleudern, und innen war ihr Leib durchblutet von den Kindern, ihre Seele gesegnet in Hoffnung.

Feuer und Flammen, vor ihr und hinter ihr raste die Jagd.

Elefanten donnerten, unentrinnbar, graue Berge. Schüsse knallten in die sternbesäte Nachtluft. Es regnete Donnergetöse auf die bebende Erde.

Es funkelte Angstglanz in den Augen der Tiere, die neben Nahar dahineilten in stummem Schrecken. In stummer Betäubung schössen sie bergaufwärts, keuchten, um in die letzte Rettung sich zu retten. Mitten unter ihnen Nahar, sie hob den Kopf, atmete tief in schief springendem Flug, fliehend in die letzte Zuflucht. Aber wohin sie auch schlich, wie nahe dem feuchten Boden sie sich schmiegte, durch bebende Schmerzen gehemmt, sie konnte nicht entrinnen. Neben ihr schlüpften die Tiere vorbei, sie blieb zurück.

Hyänen setzten mit ihrem buschigen Leib hoch über sie hinweg. Mit wischenden Schwänzen schoben die Füchse vorbei. Der Wildbüffel, schwarz in der schwarzen Dunkelheit, breit, goldüberströmt im prasselnden Raketenlicht, jagte in dröhnendem Galopp, unwiderstehlich stampfte er weit vorne am Anfang des Zuges. Die Pfauenhähne flatterten in der Luft, und ihre ausgebreiteten Fächer streiften eiligst vorbei an Nahars Rachen, an dem müde auskeuchenden Schlund. Selbst die kleinen Ratten, graue fette Rücken, winzig am Boden, trippelten schneller als sie, im Eidechsenglanz zuckten sie durch das Gewirr, Nahar blieb allein zurück. Ihr Herz wurde übergroß vor Angst. Jetzt ging sie nur in hinkendem Schritt, als letzte der Herde.

Von den Menschen gejagt, von den Tieren verlassen, starr erhoben das riesige Tierhaupt, so stand sie still.

In der Ferne sprühten die feurigen Gewitter.

Hier spiegelte sich der Himmel unendlicher Sterne glitzernd in den breiten Flächen des Flusses, der in Windungen um ihre Heimat floß. Von Nacht war das Geriesel der Quellen getränkt.

Schon streckte sich ihr Leib, ausgegossen in Müdigkeit. Schon schloß sich das Gezweig um ihr angsttriefendes Haupt, nur noch einen Schritt wollte sie weiter in den Wald, um weicher ihren armen Leib zu lagern und ihre ungeborene Brut. Aber die Welt war zu Ende. Der Wald war versperrt, die vertrauten Bäume nicht mit dünnen Lianen, sondern mit Stricken und Netzen sehr hoch hinauf umsponnen. Immer näher blitzte das Gewitter heran, lichter erhoben sich die eisiggrauen Riesenrücken der Elefanten. Im Wirbelwind rasten die Rüssel, heller paukte die Musik, Nahar aber war in Dunkel verfangen, die Stricke streichelten tückisch ihre schlagenden Lider. Sie sprang, hob sich immer wieder ab von der Erde, aber die Netze bogen sich kaum unter ihren letzten wütenden Sprüngen. Es stockte ihr Herz, ihr Atem verrann. Langhin verseufzte die Stimme des Tieres in Verzweiflung.

Sie gab sich hin, sie wehrte sich nicht mehr. Sie breitete den Mund noch einmal über ihren Schoß, ein letztes Dach über die ungeborene Brut.

Mit großen runden Augen empfing sie das wie Sonnen aufrauschende Licht der ungeheuren Jagd.

Ihr Rücken lehnte an das zähe Netz. Ihr weitschlotterndes Fell, grau von Krankheit und Kummer, war von den schlotternden Stricken wie von einem Kleide bedeckt.

Andere Tiere waren zwischen den Bäumen verschwunden. Sie lag allein.

Die Raketen krachten ohne Unterlaß. Jetzt waren sie über ihr. Niedrig flatterten sie über den Wald, langsam sausende Drachen, Feuer und Flammen in den breiten Flügeln.


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