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Erster Teil

I

Im Norden Europas starb ein Mensch. Im südlichen Wendekreis, mitten auf einer tropischen Insel, wurde ein Tiger geboren. Ein Herz hörte auf, ein Herz begann zu schlagen.

Ein düsterer Himmel über dem Lager der gebärenden Tigerin. Schweres Grau. Feuchter Nebel, in warmen Schwaden zwischen den gewaltigen Bäumen. Es brauste in den Kronen der Mangobäume.

Im Urwald floß ein Strom im Bogen rings um den Schlupfwinkel des Tigers. Jetzt stürzte das Wasser vom Himmel herab, ein weißer schäumender Regenwasserfall. Windgepeitscht warfen sich die dichtbelaubten Sträucher, zwischen denen die tragende Tigerin sich gelagert hatte, zu Boden. Rosige Blüten des Hibiskus, die gelben vom Oleanderstrauch glitten nieder zur Erde.

Rasch wurde es dunkel mitten am Tage. Zart zeichnete sich der Umriß eines Waringinbaumes gegen den fliederfarbenen Himmel ab. Wasser auf Wasser rauschte herab, Gras und Erde durchtränkend. Bald aber wurde es wieder hell, schon verstummte das Regenrauschen, die Sonne brach machtvoll durch, der Wind säuselte durch die grüngoldenen, zitternden feingefiederten Wedel der graustämmigen Palmen, langsam bewegte er die breiten, atlasglänzenden, dicken Blätter der Bananen. Die Bambusgesträuche schwankten, dunkler, inniger färbte sich das Laub des gewaltigen Brotbaumes. Die Knospen der Pflanzen strotzten in der warmen Feuchtigkeit.

Die gewaltige Tigerin leckte mit der hornbesetzten, rauhen Zunge sich ihren Leib, wand sich auf ihrem Lager, schlug mit dem Schweife um sich; sie öffnete den Rachen zu einem Brüllen, aber statt des tiefen dröhnenden Tigerrufes kam nur dumpfes Stöhnen. Die Sonne brach sinkend durch die Zweige. Wie hergezaubert schwankten winzige schillernde Vögelchen, blau, rot, smaragdfarben, durch die Luft des Abends, und zackig geflügelte Schmetterlinge, viel größer als die edelsteinfarbenen Vögelchen, segelten in Schwärmen durch die Luft, die von feurigen Farbenpunkten sprühte.

Dumpf dröhnte der Boden. Eine Herde schwarzer, schwerer Wasserbüffel zog vorbei. Der Leitstier hielt die mächtigen Krummhörner tief zur Erde gesenkt, streifte die Gesträuche, schnaubte, schlug mit dem langen Schweif um sich. Die alte Tigerin horchte auf, ihre gelblichbraunen Augen inmitten des goldfarbenen, schwarzgeströmten Antlitzes funkelten, die weißen Schnurrhaare zitterten. Sie reckte den gewaltigen geschmeidigen Körper, krallte sich mit den Vorderpranken an einem Baumstamme fest, dehnte sich, gähnte laut, entblößte ihr in der Dämmerung noch hell blitzendes Gebiß.

Wolkenloser Abendhimmel nach den Regengüssen. Die Sonne erglänzte in kupfernem Schimmer, während sie sich zum Spiegel des hoch angeschwollenen Stromes niedersenkte. Die Brise wehte vom Lande her. Zages Pendeln lackgrüner Blätter. Weiße Kakadus kreischten, von einem Iltis verfolgt, verstummten. Stare plapperten noch in den Zweigen. Hyänenhafte dürre Hunde schlichen sich vom Dorfe her durch das Gebüsch, suchten mit den spitzen Schnauzen abgefallene Kokosnüsse, vom Hunger gepeinigt. Dann zogen auch sie zum Flusse, zur Tränke.

Die Tigerin, zum erstenmal gebärend, spürte nicht Hunger, nicht Durst. Sie hatte sich breit auf den Boden gelagert, die Augen geschlossen. Schwer atmend ruhte sie. Stille und Schweigen. Ruhige Nacht. Dunkel und die ersten Sterne. Der Fluß schwarz. Tiefes Rauschen. Es krampfte sich mit einem zuckenden Herzschlag das Innere des Tieres zusammen. Die Glieder hatte das Tigerweib an sich gerissen, heiße Feuchtigkeit strömte von ihr. Es löste sich der Krampf des Innern. Es stieg der Mond, die hellen Sterne flimmerten. In ihrem Glanz sah jetzt die Tigerin aus ihrem Leibe Blut strömen, ein winziges, ganz rundes Haupt mit spitzen Öhrchen drängte sich ihr zwischen den Hinterbacken hervor, ein dünner Hals folgte nach, eine magere Brust, fleischlose Pranken mit plumpen Tatzen, zum Schluß ein dünner geringelter Schweif. Durch eine dünne Ader war das junge Tier verbunden mit der Mutter. Sie leckte ihr erstes Junge mit ihrer starren hornigen Zunge. Sie berührte die noch geschlossene Höhle der zwei Augen, die Stelle an der Brust des Kindes, wo ein Herz pochte in schnellem Schlage. Ein Leben ward begonnen. Nahar lebt, ein ruhendes, kleines, eben erst atmendes Tier. Die Mutter faßt das miauende Wesen ins Maul, trägt es sacht nach vorn, unter ihre Brust, nahe den strotzenden Zitzen. Da wird es ruhig, regt sich nicht. Noch einmal drängt es die Mutter, sich zusammenzukrampfen, sich aufzulösen. Es öffnet sich in strömendem Blut noch einmal der Leib des riesigen Tieres. Tiefe Nacht. Frösche quaken, laut tönt das Trillern der Zikaden, das schrille Reiben der Zikadenflügel. Die hohen Halme des Alang-Alanggrases zittern, das gebärende Tier verbergend. Durch die Nacht jagt Kalong, der Vogel mit Fledermausflügeln; die Nachtvögel tönen dumpf auf den Wipfeln der wehenden Brotbäume, Affen schnattern, nimmermüde in weiten Sprüngen von den knackenden Ästen absetzend, von starken Männchen geführt, die pfeifen und kreischen. Kokosnüsse fallen krachend herab. Jetzt heben sich allmählich grauweiße Nachtwolken aus dem nahen Strom, umwittern aufsteigend den schwebenden Mond, verfangen sich zwischen den Zweigen am Ufer. Das Mondlicht verdämmert, erlischt. Hirsche, Antilopen, massige Bisons ziehen in Rudeln zur Tränke. Prasselnd bricht ein Nashorn durch. Ein Büffel stampft auf den Boden. Schwer weht warme Luft, von Feuchtigkeit gesättigt. Regen strömt von neuem. Die Mutter deckt die zwei neugeborenen Jungen mit ihrem ausgebreiteten Körper zu.

Die Zeit verging ohne Anfang und Ende.

Auf der Halbinsel nahe dem Dorfe lauschte versteckt unter den Bäumen, inmitten des hohen Alang-Alanggrases, das Tierlager mit den ruhenden Tieren. Dumpfes Gleiten des Wassers zur Nacht, ewiges Atmen, ewig ziehender Zug. Schwerer strömte der warme Regen der Tropen, wusch sie alle, beruhigte sie, schläferte sie ein mitten in der herrlich quellenden Wildnis.

So lebte Nahar auf, zur Glückseligkeit Tier, gekleidet in den bunt gespannten Mantel einer herrlichen Kreatur, in flammend gestreiftes Fell. Der Regen verstummte. Gewaltig in Glanz brach durch die ziehenden Wolken der Mond von neuem.


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