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V

Bis zur Nacht lag Nahar in einer flachen Grube in den Teeplantagen verborgen. In sich geschlungen, eine kaum atmende, müde Gestalt. Sie leckte sich, kämmte ihr Haar aus, in ihrer stachelbesetzten Zunge blieb ein Steinchen, sie wollte es herauswürgen, es lag noch auf der Spitze der Zunge, es rollte noch zwischen den klirrenden Zähnen, aber sie erfaßte es nicht, sie mußte es bis ans Ende tragen, denn der Stein, der spitze Splitter aus der Hirtenpeitsche glitt tiefer in die Kehle. Sie schluchzte, aber enger wurde die Erstickung, furchtbar drückte sie die Angst, bis sie den Stein verschlang.

Im Ufergelände, an der Wechselfährte der Hirsche, wandelte jetzt eine Herde von Menschen.

Die letzte Speise, die herrlich lockende Spur: der süßbittere Duft der Menschen weckte sie zu bebender Freude.

Die Prozession der Inder zog vor ihr singend nieder zum Fluß. In weißen Mänteln flatterten die Männer schwebend hinab zum blau gleitenden Fluß.

Gesang war um sie. Von allen Seiten schlich Nahar an, von überall schlug sie die tief brausende Gewalt zurück, vor den Stimmen der Menschen mußte sie fliehen.

Es lockte sie aber zu tief, den Duft zu riechen, in das Vergangene riß es sie mit Macht.

Sie keuchte schnell, es knisterte um ihre Nüstern, die sie glühendheiß baden wollte im glühenden, aufsprudelnden Blut ihres Einst. Sie dehnte sich, spannte ihren gewaltigen Körper zwischen den bebenden, blätterraschelnden Bäumen, gähnend sperrte sie sich auf, um sich ganz um die Beute zu schlingen, als Tier den Fraß glückselig zu genießen. Aber immer noch rauschte der Gesang, es rieselte nieder die Litanei.

Die Ahnung des Menschen, der sie gewesen, schwebte über dem Tier, im Gesänge schauerte sie, die Kraft wich von ihr. In langen schiefen Sprüngen umkreiste sie scheu die rauschenden Gesänge.

Der Bauch war ihr mit Stein gefüllt, aber so mußte sie gesättigt sein.

Die Zunge verdorrte ihr, aber am Flusse versprühten die Menschen im flirrenden Mittag den blauen Fluß in lichteres Geriesel, und es trug sie nicht dorthin.

An ihrem Fell haftete noch zäh der grauenhafte Kot, der schreckliche Geruch der Hyänen. Aber am Flusse tauchten die Menschen ganz unter im klaren, abendlich besänftigten Strom.

Hungernd, dürstend, üblen Geruches, eine Hyäne sich selbst, umwandelte in Zikadensprüngen das Tier den heiligen Kreis.


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