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IV

Im blau gleißenden Mondlicht wandte sich Nahar nach sich selbst um, sie sah sich.

Das Fell ohne Glanz. Weit schlotterte der staubige Mantel um ihre abgemagerten Glieder. Verschmutzt blieb ihre welke Haut, fahl das einst goldene Gelb, grau das einst leuchtende Schwarz. Eine graue Greisin war jetzt das einst blühende Tier. Kinderlos die Mutter, verkrampft das Herz, im Elend aus des Glückes Überfülle.

Nahar schämte sich vor den Ihren, sie schweifte umher fern von ihnen.

Sie gesellte sich Hyänen zu, die üblen Geruch ausdünsteten. Ihrem Rudel ging sie nach. Die Hyänen trugen ein scheckiges Fell wie einen Kragen aus faulendem Stroh um ihre knochigen Schultern, sie bellten wie Hunde, lachten wie Menschen. Sie scharrten sich vorsichtig mit ihren hohen, mageren Pfoten weiches Aas aus dem Boden, sie nährten sich kichernd von Hufen und Klauen, von der verachteten Speise, wurden satt von zerfallendem Eingeweide, verwesendem Aas; mit ihnen wollte Nahar essen, mit ihnen spielen, aber vergebens schmeichelte sie ihnen zu, versuchte ihre Sprache, ihren hündischen Laut und ihr menschliches Lachen.

Die Aastiere, Hyänen und Hunde, Schakale und Füchse verbrüdert, von langsam fliegenden Geiern überschattet, stritten leidenschaftlich kläffend um ein halb zerfallenes mißfarbenes Häufchen Fleisch. Bei Nahars Anblick wichen sie in Entsetzen auseinander, aber bald verging ihnen die Furcht vor dem grauen Tiger, sie liefen ihm entgegen, besahen aus der Nähe das Tier, das sie immer aus weiter Ferne umschlichen hatten. Die verkommene Kreatur, die ausgehungerte, rippenstarrende Gestalt zitterte am lichten Tage. Sie sahen ihre schlecht vernarbte Pranke und hackten frech nach ihr.

Vor ihren Augen sah Nahar die ersehnte Speise. Aber während sie sich mit ihrem immer noch ungeheuer drohenden Gebiß gegen die Hyänen wandte und ihre buschigen, abfallenden Rücken bedrohte, wurde ihr von kleinen Hyänenjungen das Stück Fleisch schnell fortgezogen.

Ferne schon balgten sich die Aastiere darum, sie aber, menschlichen Schmerz in der unselig verzauberten Seele, stand lange noch ungesättigt da im tropisch flimmernden Mittag.

Leichtes Schweben der schweren Glieder war ihr nicht mehr gegeben.

Einer Zikade gleich, die Schulter hochgereckt im wellig schlotternden Fell, grau und fahl, so suchte sie das Weite und fand es nicht. Sie wanderte in die Ferne und begegnete ihr nicht.

Sie traf die Wiederkehr des Einst nicht mehr. Aus Ermüdung ging sie krumm, schweifte im Kreise, sank schwer ein in den Boden. In flachen Flußläufen, von Lehmufern zu beiden Seiten beengt, schritt sie aufwärts. Das abrauschende Wasser tat ihrer Narbe wohl.

Wenn sie in der kühlen Bucht nachts einsam ruhte, bloß von sich umgeben, sich selbst anatmete mit der Liebe zu sich, dann seufzte über die rauhe Zunge des Tigers menschlicher Atem. Ihr schwarzglühendes Herz beruhigte sie in der heiligen Stille hoch in den unfruchtbaren Bergen, ihren brennenden Durst löschte sie durch eisiges Wasser, ihren wütenden Hunger versuchte sie zu stillen durch abgerissene Früchte vom silbern zitternden Baum. Sie warf sich mit dem Rücken schwer gegen den mächtigen Baum, samtige, weiche Früchte glitten herab, zwischen ihren Ohren, entlang dem langen Hals in kühler Berührung. Sie aß, aber es konnte sie nicht sättigen. Über Stein und Geröll wanderte sie, suchte Nahrung vergebens und schlief. Es weckte sie ein Schmerz, der in der Mitte ihres Lebens zog, süß wie das neugeborene Kind, bitter wie das immer verlorene. Hunger, Leere.

Felsen im weißen Glanz starrten um sie, ihren Zähnen zu hart, ihrer Zunge zu rauh. Nachtschwalben und Eulen flatterten plump in der Luft, Nachtfalter flirrten mit phosphoreszierenden Flügeln, im Tale bellten Hunde, und die Hyänen lachten ihr hohles Gelächter. Nahar stieg noch in der Nacht ins Tal zurück. Sie wagte, lahm und müde vom Bergweg, jetzt nur eine alte Kuh zu jagen, die, von den Menschen im Buddhaglauben geschont, in einer Lache von Kot einsam lagerte, weit vor dem weiß blinkenden Dorf. Ihr Leib war hoch aufgetrieben, die Haut von hellen Pusteln übersät, das kranke Tier atmete kaum. Der graue Tiger stieg wie auf einer Treppe der Kuh auf den schwammigen Hals, er wollte sich tief in die müde zuckenden Adern verbeißen. Da sich die Beute nicht wehrte, war Nahar endlich der Sättigung gewiß. Aber kaum quollen ihr die ersten Tropfen, kaum bot sich ihren kranken Lippen die gute, ersehnte Labung, als laut schreiend ein Hirtenknabe zu ihr rannte, eine Rinderpeitsche in der Hand, deren Stränge, mit kleinen Steinen durchflochten, hinter ihm herglitten im weißen Sand. Wütend fauchte die graue Tigerin den Knaben an, sie blitzte grünfunkelnd gegen das braun glänzende Kind, das aber unerschrocken in gewaltigem Sausen die Peitsche wirbeln ließ rings um sein glattgeschorenes, metallisches Haupt. Fast schwarz dunkelte in der Abenddämmerung der wolkenlose Himmel.

An ihrem Halse verfingen sich die Stränge, in ihre Augen schlugen die Steine, eingefangen ins Gewirr und gewürgt von einer Schlinge wurde ihre wunde Pranke, die sie nicht an sich reißen konnte. Noch rauschte vor ihr das Blut aus der offenen Wunde, und kraftlos stampfend verendete die Kuh am Boden, als Nahar, froh sich zu retten, eiligst hüpfend, wie eine Zikade im Gras, entweichen mußte; hungrig mußte sie fort von ihrem Mahl. Matt schlich Nahar in das dichteste Gebüsch, die Narbe noch voll von Schmerzen, einen Peitschenstrang trug Nahar um den edlen Hals, Striemen hatte es an der grau entblätterten Brust, das königliche Tier, von einem Kinde verjagt.


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