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41.

Noch hatte Nechljudow den Perron nicht verlassen, als er auf dem Hofe der Station ein paar vornehme Equipagen bemerkte, die teils mit vier, teils mit drei wohlgenährten, schellenklirrenden Pferden bespannt waren. Als er auf den vom Regen dunkel gewordenen nassen Perron hinaustrat, erblickte er vor dem Waggon erster Klasse eine Gruppe von Leuten, unter denen eine hochgewachsene, korpulente Dame in einem teuren Federhute und einem wasserdichten Mantel sowie ein lang aufgeschossener junger Mann mit dünnen Beinen, im Radfahrerkostüm, mit einem mächtigen, wohlgenährten, ein teures Halsband tragenden Hunde zur Seite, besonders auffielen. Hinter ihnen standen Lakaien mit Mänteln und Schirmen sowie ein Kutscher, die alle erwartungsvoll auf den Zug blickten. Über der ganzen Gruppe, von der korpulenten Dame bis zu dem Kutscher, der mit der Hand die Schöße seines langen Rockes festhielt, lag der Stempel des Überflusses und ruhiger Selbstgewißheit. Sie alle waren so satt und so glatt, und hatten alle neue, saubere Kleider. Ein Kreis von neugierigen, vor dem Reichtum in Demut ersterbenden Menschen hatte sich um diese Gruppe gebildet: da standen der Stationsvorsteher mit der roten Mütze, ein Gendarm, ein mageres Mädchen im russischen Kostüm, mit Glasperlen um den Hals, das im Sommer bei der Ankunft der Züge zu assistieren pflegte, ein Telegraphist und verschiedene männliche und weibliche Passagiere.

In dem jungen Manne mit dem Hunde erkannte Nechlujdow den Bruder Missis, der das Gymnasium besuchte. Die korpulente Dame war die Schwester der Fürstin, auf deren Gut die Kortschagins eben übersiedelten. Der Zugführer mit den glänzenden Tressen und den blanken hohen Stiefeln öffnete die Tür des Waggons und hielt sie zum Zeichen seiner Ehrerbietung fest, während Filipp und ein Gepäckträger in weißer Schürze behutsam die Fürstin mit dem langen Gesichte auf ihrem zusammenlegbaren Tragstuhl herausbrachten. Die Schwestern begrüßten einander, man hörte eine französische Unterhaltung darüber, ob die Fürstin in der Kutsche oder in der Kalesche fahren solle, und dann bewegte sich der Zug, an dessen Ende, mit Schirmen und Futteralen beladen, das Zimmermädchen mit den Löckchen daherschritt, nach der Tür des Stationsgebäudes zu.

Nechljudow wollte ihnen nicht begegnen, um nicht noch einmal Abschied nehmen zu müssen, er blieb daher, bevor er noch die Tür des Stationsgebäudes erreicht hatte, stehen, bis der ganze Zug vorüber wäre. Die Fürstin mit ihrem Sohne, Missi, der Arzt und das Zimmermädchen gingen voran, während der alte Fürst mit der Schwägerin ein Weilchen hinten stehen blieb. Von seinem Platze aus hörte Nechljudow, daß sie sich französisch unterhielten, und eine Phrase, die der Fürst mit ganz besonderer Betonung aussprach, blieb ihm im Ohre haften.

»O, er ist durchaus ein Mann von Welt, durchaus Elite,« sagte der Fürst mit seiner lauten, selbstbewußten Stimme von irgend jemandem und schritt, von den in Ehrfurcht ersterbenden Schaffnern und Gepäckträgern gefolgt, mit seiner Schwägerin nach dem Ausgang des Stationsgebäudes zu.

In diesem Augenblick betrat, um die Ecke des Stationsgebäudes biegend, eine Gruppe von Arbeitern in Bastschuhen und kurzen Pelzen, mit Säcken auf dem Rücken, den Perron. Die Arbeiter gingen mit sicheren, weichen Schritten auf den ersten Waggon zu und wollten dort einsteigen, wurden jedoch durch den Schaffner sogleich fortgejagt. Ohne lange stehen zu bleiben, gingen sie hastig, einander gegenseitig auf die Füße tretend, zum nächsten Waggon weiter und wollten schon, mit den Säcken an den Ecken und der Tür des Waggons anstoßend, in den Waggon einsteigen, als ein anderer Schaffner von der Tür des Stationsgebäudes her ihre Absicht bemerkte und sie heftig anschrie. Die Arbeiter, die bereits in dem Waggon waren, kamen rasch wieder heraus und eilten mit denselben weichen, sicheren Schritten weiter, zum folgenden Waggon – demselben, in dem Nechljudow saß. Der Schaffner rief sie auch hier zurück, und sie blieben stehen und wollten noch weiter gehen, doch Nechljudow sagte ihnen, daß im Waggon noch Platz sei und sie nur hineingehen sollten. Sie gehorchten ihm, und Nechljudow folgte ihnen. Die Arbeiter waren schon dabei, die leeren Plätze einzunehmen, aber der Herr mit der Kokarde und die beiden Damen sahen in ihrem Versuche, sich in dem Waggon häuslich einzurichten, eine persönliche Beleidigung, widersetzten sich ihrer Absicht ganz entschieden und begannen sie hinauszujagen. Die Arbeiter, wohl an die zwanzig Mann, darunter Greise und ganz junge Burschen, alle mit sonnengebräunten, müden, mageren Gesichtern, fühlten sich offenbar den gegen ihr Eindringen protestierenden Herrschaften gegenüber schuldig. Sie wollten eben wieder ihren Marsch durch den Waggon fortsetzen und wären so bis ans Ende der Welt gepilgert, um sich schließlich auf den ersten besten Platz, den man ihnen anwies, zu setzen, und wenn es auf spitze Nägel gewesen wäre.

»Wohin drängt ihr euch denn, ihr Teufelskerls? So bleibt doch hier und setzt euch!« rief ihnen plötzlich ein anderer Schaffner, der ihnen im Waggon entgegenkam, zu.

»Wieder was Neues – voilà encore des nouvelles,« sagte die jüngere der beiden Damen, fest überzeugt davon, daß sie durch ihr treffliches Französisch Nechljudows Aufmerksamkeit auf sich lenken würde. Die Dame mit den Armbändern schnubberte nur immer mit der Nase in der Luft, zog die Augenbrauen finster zusammen und machte irgendeine Bemerkung über die Annehmlichkeit, mit stinkendem Bauernvolk zusammen reisen zu müssen.

Die Arbeiter aber blieben in der freudigen, beruhigten Stimmung von Menschen, die einer großen Gefahr entronnen sind, endlich stehen, warfen mit einer Bewegung der Schulter die schweren Säcke vom Rücken, schoben sie unter die Bänke und suchten sich Plätze.

Der Gärtner, der sich mit Taras unterhalten hatte, saß nicht auf seinem Platze und begab sich nun dahin, so daß jetzt neben Taras und ihm gegenüber zusammen drei Plätze frei waren. Drei Arbeiter ließen sich darauf nieder. Als nun aber Nechljudow an sie herankam, brachte der Anblick seiner eleganten Kleidung sie so arg in Verwirrung, daß sie sich erhoben, um wegzugehen. Aber Nechljudow bat sie zu bleiben und setzte sich selbst auf die Seitenlehne der Bank am Durchgang.


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