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7.

Lautes Stimmengewirr ertönte über der Versammlung im Hofe des Dorfältesten, als jedoch Nechljudow näher kam, verstummten die Gespräche, und die Bauern nahmen, ebenso wie in Kusminskoje, einer nach dem andern die Mützen ab. Die Bauern dieser Gegend waren weit ärmer als die von Kusminskoje; wie die Mädchen und Frauen Daunen statt der Ohrringe trugen, so waren die Männer fast alle in Bastschuhen und selbstgefertigten Hemden und Röcken. Einige waren barfuß, im bloßen Hemd über den Hosen, so wie sie von der Arbeit gekommen waren.

Nechljudow begann nicht ohne Mühe seine Rede und erklärte den Bauern zunächst seine Absicht, ihnen das Land ganz zu überlassen. Die Bauern schwiegen, im Ausdruck ihrer Gesichter ging keine Veränderung vor sich.

»Ich bin nämlich der Meinung,« sprach Nechljudow errötend, »daß jeder das Recht haben solle, den Boden zu benutzen.«

»Ganz natürlich, so muß es sein und nicht anders,« ließen sich die Stimmen der Bauern vernehmen.

Nechljudow fuhr fort, darüber zu sprechen, wie die Einnahmen vom Grund und Boden unter alle verteilt werden müßten. Er schlage ihnen vor, sie sollten das Land nehmen und dafür einen Preis zahlen, den sie selbst bestimmten, und zwar sollte der Betrag, den sie zahlten, in ihre eigene, gemeinsame Kasse fließen, die sie für sich verwenden würden. Immer noch hörte man Worte der Billigung und Zustimmung, aber die ernsten Gesichter wurden immer ernster und ernster, und die Augen, die vorher auf den Herrn gerichtet gewesen waren, senkten sich nun zur Erde, als wollten sie ihn nicht beschämen, nachdem sein pfiffiger Plan von allen durchschaut war, so daß niemand sich von ihm täuschen lassen würde.

Nechljudow sprach ziemlich klar, und die Bauern waren durchaus verständige Leute; aber sie vermochten ihn aus demselben Grunde nicht zu verstehen, aus dem auch der Verwalter ihn nicht hatte verstehen können. Sie waren unerschütterlich fest davon überzeugt, daß es einmal im Wesen jedes Menschen liege, nur seinen eigenen Vorteil im Auge zu haben. Was die Gutsbesitzer anbetrifft, so hatte die Erfahrung sie längst, seit vielen Generationen, gelehrt, daß sie stets dem Bauern gegenüber nur auf ihren Vorteil bedacht waren. Wenn daher der Gutsbesitzer sie zusammenrief, um ihnen etwas Neues vorzuschlagen, so geschah es ganz gewiß nur, um sie noch pfiffiger zu betrügen.

»Nun, wie steht es also, wie hoch soll der Betrag sein, mit dem ihr den Boden besteuert?« fragte Nechljudow.

»Was brauchen wir ihn denn zu besteuern? Das können wir nicht. Das Land gehört Ihnen, und Ihnen gehört die Macht,« antwortete man ihm aus der Versammlung.

»Aber ihr sollt doch Geld für eure Gemeindebedürfnisse verwenden!«

»Das können wir nicht. Die Gemeinde ist eine Sache für sich, und das hier ist wieder eine Sache für sich.«

»So begreift doch,« sagte lächelnd der Verwalter, der nach Nechljudow zur Versammlung gekommen war, indem er den Bauern die Sache klarzumachen suchte – »der Fürst gibt euch das Land, und ihr bezahlt dafür Geld, dieses Geld aber fließt wieder eurem Kapital zu, für die Gemeinde.«

»Wir verstehen sehr gut,« sagte ein zahnloser, finster blickender Greis, ohne die Augen zu erheben. »Die Sache ist wie bei der Bank, nur daß wir eben pünktlich zum Termin zahlen müssen. Wir wünschen das nicht, weil es uns so schon schwer genug ist, und weil wir dann ganz zugrunde gehen würden.«

»Die Sache hat keinen Zweck. Wir bleiben schon lieber beim alten,« ließen sich unzufriedene und sogar grob klingende Stimmen vernehmen. Ganz besonders lebhaft äußerte sich ihr Widerspruch, als Nechljudow sagte, er würde einen Vertrag aufsetzen, den er und auch sie unterschreiben müßten.

»Wozu unterschreiben? Wie wir bis jetzt gearbeitet haben, so werden wir weiter arbeiten. Was soll uns das noch? Wir sind unwissende Leute.«

»Wir sind nicht einverstanden, weil die Sache uns ungewohnt ist ... Laß es nur so weiterbleiben, wie es bisher gewesen ist ... Wenn nur das Saatkorn abgeschafft würde,« ließen sich einzelne Stimmen vernehmen.

Die Bitte betreffs des Saatkorns bezog sich auf die in Halbpacht gegebenen Felder, für deren Bestellung bisher die Bauern das Saatgut geliefert hatten, während sie wünschten, daß es von der Herrschaft geliefert würde.

»Ihr wollt also nichts von der Sache wissen, wollt das Land nicht haben?« fragte Nechljudow. Er richtete die Frage an einen jüngeren Bauern mit strahlendem Gesichte, der barfuß, im zerrissenen Rock, dastand und seine zerfetzte Mütze auffallend gerade, wie die Soldaten, wenn sie auf Kommando ihre Mützen abnehmen, auf dem gebogenen linken Arm hielt.

»Nein,« versetzte der Bauer.

»Ihr habt also Land genug?« fragte Nechljudow.

»Durchaus nicht,« antwortete der gediente Soldat mit erzwungener Munterkeit, während er immer noch die zerfetzte Mütze vor sich hielt, als biete er sie jemandem an, der sich ihrer zu bedienen wünschte.

»Nun, überlegt jedenfalls, was ich euch gesagt habe,« sagte Nechljudow, der ganz verwundert war, und wiederholte seinen Vorschlag.

»Da gibt es nichts zu überlegen: was wir gesagt haben, dabei bleibt es,« sprach der zahnlose, finstere Alte in grimmigem Tone.

»Ich bleibe morgen noch hier – wenn ihr euch eines andern besinnt, dann schickt zu mir und laßt es mich wissen.«

Die Bauern antworteten nicht.

Ohne etwas erreicht zu haben, begab sich Nechljudow ins Kontor zurück.

»Ich möchte Ihnen vermelden, Fürst,« sagte der Verwalter, als sie nach Hause zurückgekehrt waren, »daß Sie mit ihnen nicht ins reine kommen werden; es ist ein starrsinniges Volk. Sobald sie erst auf der Versammlung sind, werden sie ganz trotzig und sind nicht zur Vernunft zu bringen, weil sie nämlich überall etwas Schlimmes wittern und sich fürchten. Sonst sind sie ganz vernünftige Leute, dieser Graukopf zum Beispiel, oder der Schwarze, der nicht einverstanden war. Sobald er ins Kontor kommt und man ihm ein Glas Tee vorsetzt,« sprach der Verwalter lächelnd – »wundert man sich, wie viel Verstand er im Gespräch zeigt. Wie ein Minister – über alles hat er sein Urteil, wie es sich gehört. Und kommt er in die Versammlung, dann ist er ein ganz anderer Mensch, verrennt sich in eine Sache und läßt sich nichts sagen ...«

»Könnte man dann nicht ein paar von den Vernünftigsten hier zusammenrufen, nur einige?« meinte Nechljudow. »Ich würde ihnen alles ausführlich auseinandersetzen.«

»Gewiß, das läßt sich machen,« sagte der Verwalter lächelnd.

»Tun Sie es, bitte, zu morgen vielleicht!«

»Läßt sich alles machen, zu morgen ruf ich sie zusammen,« sagte der Verwalter und lächelte ganz besonders vergnügt.

*

»Seh' doch einer, wie pfiffig der ist!« sprach ein dunkelhaariger Bauer mit einem struppigen, nie gekämmten Vollbart, der auf einer wohlgenährten Stute ritt, zu einem alten, hageren Bauern im zerrissenen Rocke, der neben ihm herritt und die klirrenden eisernen Spannketten nachschleifte.

Die Bauern wollten ihre Pferde in die Nachthürden bringen und sie nebenbei heimlich im herrschaftlichen Walde weiden lassen.

»Ich geb' euch das Land umsonst, nur unterschreiben müßt ihr. Als ob sie unsereinen nicht schon genug betrogen hätten! Nein, Bruder, da hast du falsch gerechnet, jetzt sind wir auch schon hell geworden,« sagte er und rief sein Hengstfüllen, das irgendwohin zur Seite gelaufen war.

»Pferdchen, Pferdchen!« rief er, während er Halt machte und zurückschaute. Doch das Füllen war nicht zurückgeblieben, sondern seitwärts auf die Wiesen gelaufen.

»Nun seh' einer, die herrschaftlichen Wiesen locken ihn!« sagte der schwarze Bauer mit dem struppigen Barte, als er das Rauschen des Ampfers hörte, durch den das zurückgebliebene Füllen soeben wiehernd von den duftigen, einen frischen Moorgeruch aushauchenden Wiesen dahergesprengt kam.

»Die Wiesen werden schon zu dicht, hörst du? Wir müssen am Feiertag die Weiber hinausschicken, damit sie die Pachtwiesen durchlichten,« sagte der hagere Bauer in dem zerrissenen Rocke – »sonst brechen uns beim Mähen die Sensen entzwei.«

»Unterschreib, sagt er,« fuhr der struppige Bauer fort, dem die Rede des Herrn noch immer nicht aus dem Kopfe ging. »Hast du erst unterschrieben, dann verschluckt er dich bei lebendigem Leibe.«

»Ja, so ist's,« versetzte der Alte.

Dann sprachen sie nicht mehr. Nur der Hufschlag der Pferde ließ sich auf dem harten Wege vernehmen.


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