Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

40.

»Ich erzähle eben von meinem Unglück,« sagte Taras in freundschaftlich-herzlichem Tone zu Nechljudow. »Ich hab' da einen so lieben Menschen getroffen, wir sind ins Gespräch gekommen, und ich erzähl's ihm eben.«

»Ja, ja,« sagte Nechljudow.

»Na also – siehst du, lieber Bruder, auf diese Weise wurde die Sache bekannt. Mein Mütterchen nahm den Kuchen und meinte: ›Jetzt geh' ich damit zum Wachtmeister,‹ meinte sie. Mein Alterchen aber, der ein rechtschaffener Mann ist, sagte: ›Warte noch, Alte, das junge Weibchen ist noch das reine Kind, die weiß nicht, was sie getan hat, da heißt es doch Mitleid haben. Vielleicht kommt sie von selbst zur Besinnung.‹ Aber mein Mütterchen wollte nichts davon wissen: ›Die vergiftet uns ja alle miteinander wie die Schwaben,‹ sagt sie, ›wenn wir sie länger behalten.‹ So machte sie sich denn auf den Weg zum Wachtmeister, lieber Bruder. Der schlug sofort Lärm, kam zu uns und brachte auch gleich seine Helfer mit.«

»Na, und was hast du gemacht?« fragte der Gärtner.

»Ich, lieber Bruder, wälzte mich mit schrecklichen Leibschmerzen herum und erbrach mich. Das ganze Innere kehrte sich mir um, und nicht ein Wort konnte ich sagen. Mein Väterchen spannte gleich den Wagen an und setzte die Fedoßja darauf – vorwärts, zum Bezirksamt, und von da zum Untersuchungsrichter! Sie aber, liebes Brüderchen, hat gleich von Anfang an alles zugegeben und dem Untersuchungsrichter alles so, wie es war, der Reihe nach erzählt – auch, woher sie das Arsenik hatte, und wie sie den Kuchen gebacken. ›Warum hast du es denn getan?‹ fragte er sie. – ›Weil er mir zuwider war,‹ antwortete sie. ›Lieber geh' ich nach Sibirien,‹ sagte sie, ›als daß ich mit ihm leben soll‹ – mit mir nämlich, heißt das,« – erklärte Taras dem Gärtner. »In allem bekannte sie sich schuldig, und natürlich kam sie gleich ins Loch. Mein Väterchen kehrte allein nach Hause zurück. Jetzt nahte aber die Erntezeit heran, Arbeit gab's in Hülle und Fülle, und die einzige Frau im Hause war mein Mütterchen, und die war auch nicht mehr besonders bei Kräften. Wir denken nach, wie wir es machen sollen, ob wir sie nicht gegen Sicherheit freibekommen können. Mein Väterchen fährt zum ersten Vorgesetzten: ›Nein,‹ sagt der, und da fährt er zum zweiten. Auch der will von nichts wissen, und so hat er wohl fünf solche Vorgesetzte aufgesucht. Wir hatten es schon ganz aufgegeben, uns weiter drum zu bemühen, da kam uns aber von ungefähr ein Mensch in den Weg, ein Schreiber oder so was. Ein ganz geschickter Kerl, suchen kann man sich solch einen! ›Laßt fünf Rubel springen, dann mach' ich sie euch frei,‹ sagte er. Wir einigten uns auf drei – und ich hab' nun, Brüderchen, ihre eigene Leinwand versetzen müssen, um ihm das Geld zu zahlen. Kaum hatte er das Papier abgefertigt,« erzählte Taras mit ganz besonderer Betonung, als wenn er von einem abgefeuerten Schusse spräche – »als auch alles gleich klappte. Ich war damals schon wieder auf den Beinen und fuhr selbst nach der Stadt, um sie abzuholen. Ich komm' dir, lieber Bruder, in die Stadt, stelle meine Stute in den Ausspann, nehme das Papier und gehe nach dem Gefängnis. ›Was willst du?‹ – ›So und so,‹ sag' ich, ›meine Hausfrau ist hier bei euch eingesperrt.‹ – ›Hast du auch das Schriftstück?‹ fragen sie mich. Ich reiche das Schriftstück hin, und einer von ihnen sieht nach. ›Warte hier,‹ sagt er. Ich setz' mich auf das Bänkchen. Die Sonne war schon über Mittag hinweg. Mit einem Mal kommt ein Vorgesetzter: ›Bist du der Warguschow?‹ fragt er. – ›Ja, der bin ich.‹ – ›Na, dann nimm sie dir,‹ sagt er. Sofort ging das Tor auf, und sie führten sie zu mir, in ihren eigenen Kleidern, wie sich's gehört. – ›Na, gehen wir,‹ sag' ich. – ›Bist du denn zu Fuß gekommen?‹ – ›Nein, ich hab' den Wagen da.‹ Wir kamen nach dem Ausspann, ich bezahlte, was ich schuldig war, spannte die Stute an und legte den Rest vom Heu, der noch übrig war, unter den Sitz. Sie setzte sich und wickelte sich in ihr Tuch ein. Wir fuhren los. Sie schweigt, und auch ich schweige. Wie wir nicht mehr weit vom Hause sind, sagt sie: ›Lebt denn dein Mütterchen noch?‹ ›Ja, sag' ich, sie lebt noch.‹ – ›Und dein Väterchen?‹ – ›Auch Väterchen lebt noch.‹ – ›Verzeih mir meine Dummheit, Taras,‹ sagt sie, ›ich wußte selber nicht, was ich tat.‹ Da sag' ich zu ihr: ›Rede nicht erst viel, ich habe dir längst verziehen.‹ Weiter sagte ich nichts. Wie wir nach Hause kommen, fällt sie meinem Mütterchen gleich zu Füßen. Mein Mütterchen sagt: ›Gott wird dir verzeihen.‹ Und Väterchen begrüßt sie und meint: ›Lassen wir das Alte ruhen. Leb' nur jetzt hübsch ordentlich. Jetzt haben wir andere Sorgen,‹ sagt er, ›jetzt heißt es die Ernte einholen. Hinter den Wiesen, auf dem neugedüngten Ackerstreifen, ist der Roggen, Gott sei Dank, so gut geraten, daß die Sichel nicht durchkann, er liegt ganz zu Boden, so schwer ist er, es ist höchste Zeit, daß er zum Schnitt kommt. Geh also morgen mit Taras hin und schneid ihn.‹ Und was soll ich dir sagen, lieber Bruder: wie sie jetzt an die Arbeit 'ranging – zum Verwundern war's! Wir hatten damals drei Desjatinen gepachtet, und Gott fügte es so, daß Roggen und Hafer ganz ausgezeichnet standen. Ich mähe, und sie bindet, oder wir schneiden beide mit der Sichel. Ich bin schon flink mit der Arbeit, nichts fällt mir aus den Händen, sie aber war noch viel flinker, was sie auch anfaßte. Ein zu geschicktes junges Weibchen, so richtig im Saft! So scharf war sie auf die Arbeit, lieber Bruder, daß ich sie mit Gewalt zurückhalten mußte. Wir kommen nach Hause, die Finger dick angelaufen, die Arme rühren sich kaum, man möchte sich hinlegen und ausruhen – aber sie läuft schon wieder, ohne das Abendbrot abzuwarten, in die Scheune, um Strohseile zu morgen zurechtzumachen. Was war nur mit ihr geschehen?«

»Und wie war sie denn sonst gegen dich? Ist sie denn freundlicher geworden?« fragte der Gärtner.

»Na, und ob – als wenn sie mit Pech an mir festklebte! Ein Herz und eine Seele! Was mir auch in den Sinn kommt, gleich hat sie's verstanden. Auch mein Mütterchen, die doch sonst keine von den Sanften ist – auch die sagt: ›Unsere Fedoßja ist wie ausgewechselt, ein ganz anderes Weib ist sie geworden.‹ Einmal fahren wir beide mit zwei Wagen nach den Garben aufs Feld, und auf dem vorderen Wagen sitzen wir beide, ich und sie. Da sag' ich zu ihr: ›Wie bist du eigentlich damals auf die Sache gekommen, Fedoßja?‹ – ›Wie soll ich drauf gekommen sein? Ich wollte eben nicht mit dir zusammen leben,‹ sagte sie. ›Lieber will ich sterben, dacht' ich mir, nur nicht mit ihm leben!‹ – ›Na, und jetzt?‹ frage ich. – ›Jetzt,‹ sagt sie, ›bist du allein in meinem Herzen.‹« Taras hielt einen Augenblick inne und schüttelte in freudiger Verwunderung den Kopf. – »Wie wir die Ernte vom Felde hatten, brachte ich den Hanf zum Rösten; ich komme nach Hause« – fuhr er nach kurzem Schweigen fort – »sieh da: die Vorladung! Vor Gericht! Und wir hatten schon ganz und gar vergessen, daß es überhaupt noch irgend was zu richten gab.«

»Da hat ganz gewiß der unreine Geist seine Hand im Spiele gehabt,« sagte der Gärtner – »wie soll denn ein Mensch von selber darauf kommen, einen andern ins Grab zu bringen? So lebte auch bei uns mal ein Mann ...« wollte der Gärtner nun seinerseits beginnen, als der Zug zum Halten kam.

»Das scheint hier 'ne Station zu sein,« sagte er – »ich denke, wir nehmen einen!«

Das Gespräch wurde abgebrochen, und Nechljudow ging hinter dem Gärtner aus dem Waggon, auf die nassen Bretter des Perrons.


 << zurück weiter >>