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Achtzehntes Kapitel.

Um acht Uhr morgens sollte sie beerdigt werden. Zwei Stunden später hatte sich Justus vor seinen Richtern gegen die Anklage zu verantworten, die verschiedenen Klassen der Bevölkerung zu Gewaltthätigkeiten gegeneinander in seinem Romane angereizt und Staatseinrichtungen und Anordnungen der Obrigkeit verächtlich gemacht zu haben.

Die Nacht neigte sich dem Morgen zu. Wieder saß Justus an ihrem Bett, zu dessen Häupten auf dem Tische die Lampe brannte. Das Licht fiel hell auf die bleiche Gestalt. Sie lag, wie sie entschlummert war: das Gesicht nach oben, die beiden Arme über die leichte Decke ausgestreckt. Keine Hand als die seine hatte sie berühren dürfen. Er hatte ihr die schweren Zöpfe aufgeflochten und das Haar floß an der bleichen Gestalt hin in zwei breiten goldenen Strömen über die Decke.

Auf seinen Knien lag ein Brief von ihrer Hand. Eberhard hatte ihm gestern den Brief gegeben und ihm gesagt, wo und wann er zu ihm gekommen: – in Karlsbad eine Stunde, bevor sie sich in seiner Gegenwart verlobten, – und wie das Versprechen gelautet, das Isabel ihm abgenommen, als sie ihm den Brief anvertraute. Es konnte kein anderer sein, als der, von dem Fräulein Therese ihm gesagt, daß die Frau Baronin ihn, als sie am Morgen zum Brunnen ging, ihr ausgehändigt und eine Stunde später wieder abgefordert habe. Er hatte Isabel ein paarmal scherzend gefragt, was denn das für ein mysteriöser Brief gewesen sei, den er habe lesen und auch nicht lesen sollen, und sie ihm stets geantwortet: er werde das Geheimnis zur rechten Zeit erfahren.

Und ihre Todesstunde war die rechte Zeit gewesen, und das Geheimnis war nun offenbar: daß sie gestorben für ihre Liebe zu ihm, daß sie in den Tod gegangen, um ihm der Liebe volles Glück gewähren zu können.

Er hatte den Brief schon so oft gelesen, daß er ihn längst hätte auswendig wissen müssen, und nahm ihn jetzt doch wieder zur Hand und las ihn abermals andächtig, als läse er ihn zum erstenmale. Es konnte nicht anders sein. Es war nicht auszudenken, nicht zu fassen, was er an ihr besessen, was er mit ihr verloren.

 

»Du liebst mich und ich liebe Dich. Wir haben jetzt einander gesagt, was wir längst gewußt. Und da sitzt nun mein armes geliebtes Sonntagskind und weint, weil die kleine Isabel trotzdem nicht seine Frau werden will. Und der kleinen Isabel ist das Weinen auch näher als das Lachen, aber sie darf nicht weinen, weil man dabei nicht denken kann, und sie jetzt nicht bloß für sich denken muß, sondern noch viel, viel mehr für ihr Sonntagskind. Ach, Justus, wie gern würde ich Deine Frau! aber ich will Dich doch glücklich und nicht unglücklich machen, und würdest Du mit mir glücklich sein? Würden wir miteinander glücklich sein? Du sagst: namenlos! Und wie ich Dir in die treuen blauen Augen sehe, deren Licht mich umflutet wie eine sonnige Wolke und über mich selbst himmelweit hinaushebt, sage auch ich: namenlos!

Ja, mein Sonntagskind ist ein Sonnenkind. Ich, ich bin es nicht. Ich bin ein Erdenkind, und würde aus dem Himmel, den Du mir öffnest, wieder zurück wollen auf die Erde, die ich nicht missen kann; und, weil Du mich so sehr liebst, würdest Du wieder mich nicht missen wollen, und mir nachfolgen und herabsinken zu der Erde, auf die Du nicht gehörst und – wer wäre dann unglücklicher als Du?

Sieh, Herz, ich habe in den Gesprächen, die wir gestern und heute gehabt, mich zu schildern gesucht und dabei hier und da wohl die Farben ein wenig stark aufgetragen, um Dich zu warnen. Im großen und ganzen ist das Bild richtig. Wenn Du an meiner Seite bist, fühle ich den Abstand zwischen Dir und mir kaum; aber ich habe ihn immer tief gefühlt, wenn ich Deine Bücher las. Was Du schreibst, das ist ja für Dich keine Phrase; das ist Dir innigste, tiefste Überzeugung, und ich weiß oft so wenig, so gar nichts damit anzufangen. Du liebst die Menschen; für ihr Glück zu ringen und zu schaffen, ist Dir heute heilige Pflicht, wie es Dir stets gewesen ist. Du könntest und würdest Dich, wenn es sein muß, für sie opfern. Ich verstehe das alles nicht, denn – ich sagte es Dir heute abend – ich liebe nur mich, und wenn ich Dich liebe, so ist es, weil Du mich liebst, mehr liebst, als mich noch irgend ein Mann geliebt hat und jemals lieben wird, und das für meine Selbstliebe eine so köstliche Nahrung ist. Das verstehst wieder Du nicht, der Du in Deiner Liebe gar nicht an Dich denkst, und mit königlicher Großmut giebst und immer giebst, ohne je Deine Linke wissen zu lassen, was Deine Rechte thut.

Werde ich je Deine großmütige Liebe von Dir lernen? Ach, Herz, ich weiß es, ich werde es nie. Ich werde immer das eitle Erdenkind bleiben, das nach allem hascht, was glänzt und blinkt: nach Rang und Reichtum und Prunk und schönen Kleidern, und nach Anbetern, über die ich im Herzen spotte und lache, und deren Bewunderung ich doch nicht entbehren kann. Sieh, Herz, solcher Scenen, wie heute auf dem Markte am Brunnen, wie oft, wie oft würden sie noch vorkommen! Und Du würdest nie lernen, darüber zu lachen, sondern ernst und traurig dreinblicken; und ich würde die Wahl haben, ob ich mich dadurch auch ernst und traurig stimmen lassen, oder gar noch über Dich lachen soll; und Herz, ich fürchte, ich würde stets das letztere vorziehen.

Nein, Sonntagskind, wenn Du glücklich sein willst, so mußt Du eine Frau haben, deren ganzes Sein in der Liebe zu Dir aufgeht; die mit Dir dafür hält, daß die Schönheit, die untergehen kann, nicht die wahre ist; die wahre Schönheit nur in der idealen Kunst und Poesie ihr ewiges Leben hat. Und darfst keine Frau haben, die neben ihrer Liebe zu Dir auch noch für ihre Eitelkeit leben will und das bißchen Schönheit, das existiert, nur auf der Erde sucht und gelegentlich findet.

Das ist es, Herz, warum Sibylle Deine Frau sein könnte, ja, und vielleicht auch Marthe, – auf die beide ich nebenbei schrecklich eifersüchtig bin, – und ich es nicht sein kann.

Und nun ein letztes, Justus, was ich nur zögernd niederschreibe und Dir doch nicht verschweigen darf, weil ich weiß, daß alles, was ich bis jetzt gesagt habe, Dich nicht abhalten wird, nach meinem Besitz, als nach Deinem höchsten Glück, zu streben.

Justus, würde es wirklich Dein höchstes Glück sein, wenn jede Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß Du nie ein Kind, das ich Dir geboren, auf den Knien schaukeln könntest? oder wenn das kaum Mögliche doch geschähe, dies Kind Deiner Isabel unbedingt das liebe Leben gekostet hätte?

Ich habe für das, was ich hier mit brennenden Wangen niederschreibe, die Autorität des ersten Pariser Arztes, der auf diesem Gebiete als die erste Autorität der Welt gilt.

So liegt die traurige Sache, Justus, die mir nie traurig war – bis heute.

Und ich weiß, es würde geschehen! ich würde Dir ein Kind schenken wollen und schenken; ich würde Dich mehr als mein Leben lieben.

Willst Du mich noch zu Deiner Frau, Justus?

Du wirst es jetzt nicht mehr wollen.

Ich gebe diesen Brief morgen früh in Deiner Wohnung ab. Werden wir am Abend wieder in unserer Plauderecke sitzen? Haben wir uns vorhin zum letztenmal gesehen?

Ach, Sonntagskind, mir ist das Herz so schwer – so schwer –

Ich möchte weinen können.

Aber Feen, weißt Du, haben keine Thränen.

Die sich so gern, so gern Deine Isabel nennen möchte, und sich doch nur nennen darf

Isabel.«

 

Justus blickte von dem Brief auf in das stille weiße Gesicht.

Du Großmütige! Du Hochherzige! Du, die Du niemand liebtest als Dich selbst und Dein süßes Leben dahingeben konntest, damit ich ein paar kurze Erdentage glücklich sei!

Er beugte sich über sie und drückte einen langen Kuß auf die bleichen kalten Lippen.

Dann erhob er sich und ging aus dem Zimmer. Neben der Thür nach außen an der Wand war eine Gaslampe, die er hoch schraubte, daß die Wendeltreppe bis unten hinab hell erleuchtet war. Er stieg die Treppe hinab, durchschritt das Speisezimmer und trat in den Salon, wo der offene Sarg auf einer Erhöhung stand. Aber der Sarg war kaum zu sehen vor all den Palmen, Kränzen und Blumen, mit denen die Hände der Freunde ihn umgeben hatten.

Er entzündete zu den beiden Kerzen, die auf einem Tische brannten, auch die auf den Wandleuchtern neben dem Trumeau; trug die beiden Kerzen in das Speisezimmer, kam wieder zurück, blickte in sein Zimmer, das die Lampe auf dem Arbeitstisch matt erhellte; dann in den dunklen Korridor. Alles lautlos still; nur die Wanduhr tickte. Er trat an sie hin und hielt den Pendel an. Dann ging er den Korridor hinab zur Küche. Es regte sich nichts. Als er gestern abend die Leute zu Bett schickte – auch Friedrich, der ihn weinend gebeten hatte, mit ihm wachen zu dürfen, – hatte er ihnen gesagt, daß sie sich nicht regen dürften, auch wenn sie ihn während der Nacht kommen und gehen hörten.

Er wollte bei dem, was er zu thun hatte, keinen Zeugen haben.

Nun stand er wieder vor ihrem Bett.

Komm, Herz! es muß ja sein.

Er legte die zwei goldenen Haarströme auf dem zarten Busen zusammen, schlug die leichte Decke fester um den schlanken Leib, hob sie aus dem Bett und trug die süße federleichte Last hinaus, hinab.

Und legte sie unten in den Sarg, wie sie eben noch in ihrem Bette gelegen; strich die beiden goldnen Haarströme wieder an den Seite hin, schob von den Kränzen so viele auf die Seiten, daß für einen Stuhl Platz wurde; und saß dann wieder neben ihr, seine rechte Hand auf ihrer rechten Hand, in das stille geliebte Antlitz blickend mit heißen Augen, die keine Thränen mehr hatten.

Von einem Nachbarhause schlug die Uhr, die dort am Giebel angebracht war, die vierte Stunde. Nur noch vier Stunden sollte er bei ihr sein dürfen – vier kurze Stunden! Dann würden sie kommen und den Deckel da über den Sarg decken; und dann ade! ade! auf Nimmerwiedersehen!

Was war das? Es hatte jemand unten an der Hausthür die Schelle gezogen! Und jetzt nach einer kurzen Weile, während er mit klopfendem Herzen gelauscht hatte, noch einmal – zaghaft, wie das erste Mal, aber doch laut genug, daß es keine Täuschung seiner Sinne sein konnte.

Wer mochte es sein?

Und zum drittenmale schellte es – etwas lauter, wie die verzweifelte Bitte eines Armen, der verschmachtet. Er nahm ein Licht, ging hinab und öffnete. Es war Sandor.

Er sprach kein Wort. Wozu auch? Seine Augen sagten alles. Ihr hohler, flehender Blick schnitt Justus durch die Seele. Schweigend ergriff er des Freundes Hand und führte ihn hinauf an ihren Sarg.

Eine Minute standen sie so, stumm, während jeder nur des andern schwere Atemzüge hörte. Dann murmelte Sandor ein paar unverständliche Laute, die wohl eine Danksagung sein sollten und wandte sich.

Noch einen Augenblick! sagte Justus.

Er ging in sein Zimmer und kam alsbald wieder mit einem kleinen zusammengefalteten Papier.

Es ist eine Locke von ihrem Haar. Ich habe sie für Sie abgeschnitten. Ich hätte es für niemand sonst auf der Welt gethan. Und eine Stunde vor ihrem Tode hat sie Sie gesegnet für Ihre treue Liebe, und daß ich es Ihnen sagen solle, sobald ich Sie wieder sähe.

Aus Sandors Brust brach ein Laut, halb Stöhnen, halb Jubel. Dann hatte er sich in Justus' Arme geworfen.

Justus, das vergelte Ihnen Gott! Ich kann es nicht!

Doch, Sandor! Wenn Sie weiter so treu zu mir stehen, wie Sie in ein paar Stunden zu mir stehen werden.

Sie wollten wirklich kommen?

Ich will kommen und reden, und kein Wort soll mir fehlen.

Sie sind ein Held.

Wollte Gott, ich wär's! und wenn ich's bin, bin ich's durch sie, die eine Heldin war, wie keine zweite auf Erden.

Noch eins! In den Zeitungen steht: Der Herzog von * habe Sie zu seinem Oberbibliothekar ernannt.

Er hat mir wenigstens die Stelle angeboten.

Sie werden sie nicht annehmen?

Lieber hinter der Hecke sterben. Ich sage Ihnen ein andermal, warum.

Sodann auf Wiedersehen!

Auf Wiedersehen!

Sie hatten sich noch einmal umarmt; dann hatte Justus den Freund hinausbegleitet und saß nun wieder neben ihr, seine Hand auf ihrer Hand, seine Blicke geheftet auf das geliebte bleiche Angesicht.

Aber die heißen Augen, in die seit zwei Tagen und Nächten kein Schlummer gekommen war, mochten ihm zugefallen sein; oder er träumte mit offnen Augen.

Er träumte: er war in dem Walde seiner Jugend. Schlank und hoch ragten die Tannen, und um ihre grünen Wipfel floß rosiger Morgenschein. Da kamen die Ogreknechte und hieben die Tannen nieder. Die krachten nicht zu Boden, sondern sanken leise, wie ein Blatt, das fällt. Und wurden, sowie die Wipfel den Boden berührten, auch zu weißen Blättern. Die flatterten zu ihm und er schrieb sie voll mit wundersamer Eile, Blatt um Blatt, daß ihrer kaum genug waren für all das, was ihm durch Kopf und Herz wogte.

Da deckten sich zwei kleine kühle Händchen auf seine Augen und eine süße Stimme fragte: wer bin ich?

Du bist die Fee Maiennacht, sagte er, die die Menschen Isabel nennen.

Und was machst Du da? fragte sie, ihre Hände von seinen Augen nehmend und verwundert auf all die vielen beschriebenen Blätter blickend.

Ich mache Dich unsterblich, sagte er.

Da lachte sie auf und sagte: Du thörichtes Sonntagskind, weißt Du denn nicht, daß die schönen Feen unsterblich sind?

Wenn das wäre! sagte er, aber das ist leider nicht. Die Schönheit ist nur allzusterblich. Dafür sorgen ja die Ogreknechte. Sie haben nichts anders zu thun. Und so würdest auch Du sterben, holde Maiennacht, früher, ach! viel früher als Du denkst. Deshalb muß ich Dich retten in mein Reich, das noch viel größer und mächtiger und herrlicher ist als das der Ogres, damit Du da in Deiner holden Schönheit weiter leben kannst in alle Ewigkeit.

Da lachte sie und sagte: Und das willst Du durch die vielen beschriebenen Blätter da fertig bringen?

Ich hoffe es, erwiderte er.

Meinetwegen! sagte sie. Aber nun lasse die Schreiberei wenigstens so lange, daß ich Dir zum Dank für Deine Mühe noch einen Kuß geben kann. Küsse mich, Sonntagskind!

Da küßte er sie lange und innig auf den süßen roten Mund.

Und die Ogreknechte erhuben einen wilden Lärm.

Es waren aber nicht die Ogreknechte, sondern die Männer, die Einlaß in das Haus begehrten, um, was von Isabel sterblich war, zu Grabe zu tragen.

 

Ende.


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