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Vierzehntes Kapitel.

Wenige Minuten nachdem Justus das Krankenhaus verlassen, war Eberhard zurückgekehrt. Edith hatte mit dem Mittagsessen, dessen Stunde bereits vorüber war, auf ihn gewartet. Sie sagte ihm, daß Justus da gewesen sei und in welcher Absicht, und daß es diesmal Isabel selbst sei, die sein Kommen wünsche.

Du siehst, schloß sie, ich kann auch großmütig sein, wenn Du auch daran zweifelst.

Eberhard sagte, er habe nie daran gezweifelt; aber in seinem Innern fand er die Großmut nicht so absonderlich: er hatte auf einen ausführlichen Bericht, den ihm der Geheimrat schon vor mehreren Tagen von Isabels Zustand gemacht, Edith gesagt, daß Isabel sterben werde. Er würde es für großmütiger gehalten haben, wenn sie ihm das Mittagsessen erspart hätte, von dem er nur mit Mühe einen Bissen hinunterwürgen konnte. Dennoch brachte er es fertig, nach der Mahlzeit zum Kaffee noch die gewohnte Cigarre zu rauchen und die Kinder kommen zu lassen, die er fast nur zu dieser Stunde sah. Aber er sah sie und alles heute nur wie durch einen Nebel; und was er sagte, war ihm, als spräche ein anderer von Dingen, an denen er nicht das mindeste Interesse hatte. Die Zeit, bis der Diener kam, zu melden, daß der Wagen vorgefahren sei, dünkte ihm eine Ewigkeit.

Endlich kam der Mann.

Eberhard reckte die Arme.

Ich bin verteufelt müde, sagte er, aber ich spreche den Geheimrat heute abend in der medizinischen Gesellschaft, und er wird zu wissen wünschen, was ich gefunden habe. Ich muß leider auf das Schlimmste gefaßt fein.

Er küßte Edith auf die Stirn; sie blickte ihm, als er aus dem Zimmer ging, mit düsteren Augen nach.

Er liebt sie rasend, sprach sie bei sich; aber kann man sie anders lieben? Ich – mein Gott, wie hätte ich denken können, es würde je eine Stunde kommen, wo ich ihren Tod wünschte. Der Tod wird nichts besser machen. Wer sie einmal geliebt hat, liebt sie über das Grab hinaus. Ich glaubte, daß ich Gewalt habe über die Männer! Ich kannte meine Meisterin nicht.

Und die schöne Frau warf sich auf das Sofa und weinte, das Gesicht in die Kissen gedrückt, brennende, verzweifelte Thränen um ihr Glück, das sie so fest zu halten geglaubt hatte, und das sie nun auf immer verloren sah.

Eberhard fand, als er in Justus' Wohnung ankam, Marthe.

Die Angstscene heute vormittag, als sie die geliebte Kranke unter ihren Händen sterben zu sehen glaubte, hatte die schwächliche Margarete so angegriffen, daß sie sich für den Augenblick zu unwohl fühlte, ihres Amtes weiter walten zu können und Isabel gefragt hatte, ob sie zu Marthe schicken dürfe, von der sie wisse, daß sie heute zu haben sei? Isabel hatte nach einigem Sträuben eingewilligt und ihre ›Perle‹ entlassen mit einem Kusse, nachdem sie ihr das Versprechen abgenommen, wieder zu kommen, sobald sie sich hinreichend gekräftigt glaube.

In dem Augenblicke trat Marthe ein; Isabel empfing sie freundlich.

Ich muß Dir schon wieder lästig fallen, sagte sie. Aber warum hast Du auch kein Wunder an mir gethan, wie an Komtesse Sibylle? Ist es denn wahr, daß sie wieder ordentlich gehen kann?

Sie kann gehen, wenn auch mühsam, erwiderte Marthe, an Isabels Lager beschäftigt.

Glaubst Du, daß ihre Kräfte sie bis zu mir tragen? fragte Isabel weiter.

Warum? möchtest Du sie sehen?

Ach ja, sagte Isabel; es ist mein inniger Wunsch. Wirst Du sie in diesen Tagen sprechen?

Ja.

O, bitte, bitte, sag' es ihr dann! Es würde mir eine so große Freude sein. Willst Du?

Gewiß. Aber bitte, sprich jetzt nicht mehr! Friedrich sagte mir, daß Justus zu Dr. Eberhard gefahren sei. Wenn er kommt, mußt Du doch wieder sprechen.

Ich weiß nicht, wo Justus nur so lange bleibt. Er könnte längst wieder hier sein.

Er bleibt gewiß nicht länger aus, als nötig ist.

Wie geschickt Du bist! Es ist, als ob unter Deinen Händen sich alles von selber machte. Wie bist Du eigentlich auf die Idee gekommen, Krankenpflegerin zu werden?

Ich spürte das Talent dazu in mir.

Mir deucht, es ist ein so schwerer Beruf.

Es giebt leichtere; aber auch er hat sein Gutes: eine Krankenpflegerin darf nicht an sich selber denken.

Das Mädchen erschien an der Thür, zu melden, daß Doktor Eberhard da sei.

Bitte, führe ihn herauf, Marthe, sagte Isabel. Er ist ja noch nie hier gewesen.

Marthe war gegangen. Isabel griff nach einem Handspiegel, der auf dem Nachttische neben ihr lag. In dem Gemache herrschte bereits halbes Dunkel; sie konnte ihre Züge nicht mehr genau unterscheiden. Was sie sah, war kaum mehr als ein weißes Oval mit zwei großen, dunklen, matt schimmernden Stellen.

Wenn mich Edith so sähe, murmelte sie, ich glaube, sie würde beruhigt sein.

Marthe traf Eberhard unten im Salon, wo er an den Flügel gelehnt stand, schwer atmend, wie jemand, der einen eiligen Lauf gemacht hat. Er erkannte sie erst, als sie an ihn herangetreten war, ihm die Hand zu reichen, und richtete sich jäh auf.

Sie hier, Marthe?

Nur zur Aushilfe; Margarete war mit ihren Kräften zu Ende. Ich denke, sie wird morgen wieder kommen.

Sie darf nicht wieder kommen; Sie müssen bleiben; ich werde darauf bestehen.

Thun Sie es nicht! es würde Ihnen nichts helfen: sie mag mich nicht um sich haben. Warum sie in ihren letzten Stunden quälen?

Sie darf nicht sterben!

Um Marthes Mund zuckte es. War das derselbe Mann, dessen souveräne Ruhe in den fürchterlichsten Stunden sie so oft bewundert hatte? Sie darf nicht sterben! Spricht so der Arzt, der an keine Wunder glaubt und von der Nichtigkeit frommer Wünsche so viel Erfahrung hat?

Eberhard erschrak über die Blöße, die er sich der Klugen gegenüber gegeben.

Ich habe heute einen so schweren Tag gehabt, sagte er in einem Ton, der sich bemühte, ruhig zu klingen. Möchten Sie mir wohl ein Glas Wasser verschaffen?

Marthe ging, das Geforderte zu holen. Eberhard schritt auf und ab, die Hände ringend und durch die Zähne murmelnd: Ruhe! um Gottes willen: Ruhe!

Marthe kam mit einer Karaffe Wasser zurück, stellte sie vor Eberhard hin und zündete ein paar Lichter an. Eberhard schenkte sich ein Glas ein; die Karaffe schlug dabei hart gegen das Glas. Wieder zuckte es um Marthes Mund.

Ich bin bereit; sagte Eberhard.

Marthe nahm eines der Lichter und ging voran durch den kleinen Flur, von welchem die eiserne Wendeltreppe zu dem Krankenzimmer hinaufführte.

Ist dies der einzige Aufgang? flüsterte Eberhard an dem Fuß der Treppe.

Es ist noch ein anderer da, erwiderte Marthe, durch ein kleines Nebengemach, das als Toilettenzimmer dient, direkt in die Küche. Sie haben die zweite Treppe erst nachträglich machen lassen; sie ist noch steiler als diese. Es ist ein großer Übelstand.

Sie schritt die Treppe hinauf, die so schmal war, daß nur einer hinter dem anderen gehen konnte. Auch die Plattform oben, auf welche sich die Thür des Gemaches unmittelbar öffnete, war winzig klein.

Sie traten ein. Das Bett, in welchem Isabel lag, stand hinter einem großen Schirm. Während Marthe das Licht so stellte, daß der Schein Isabel nicht treffen sollte, ging Eberhard mit lautlosen Schritten um den Schirm herum und sah in dem Dämmerschein das bleiche Gesicht, aus dem ihm die großen dunklen Augen entgegen leuchteten.

Ich bin es, gnädige Frau, sagte er leise.

Und Sie sind mir herzlich willkommen, erwiderte Isabel, die rechte Hand ein wenig von der Bettdecke hebend. Bitte, setzen Sie sich.

Eberhard hatte sich in den Fauteuil gesetzt, der neben dem Bette stand und hielt, den Puls fühlend, ihre kleine Hand umspannt.

Ein wenig langsam für mein rasches Blut? sagte Isabel.

Der Puls war sehr langsam – kaum vierzig Schläge,– und erschreckend klein und matt. Eberhard zog seine Hand zurück.

Bitte, gnädige Frau, sagte er: sprechen Sie möglichst wenig! Beantworten Sie mir nur kurz meine Fragen!

Fragen Sie! sagte Isabel. Einen Augenblick! Marthe, Justus kommt sicher, während der Herr Doktor hier ist, und findet dann niemand unten. Möchtest Du nicht so lange bei ihm bleiben?

Wie Du wünschst, sagte Marthe.

Sie hatte inzwischen eine Lampe angezündet und entfernte sich jetzt mit dem Licht durch die Tapetenthür nach der anderen Seite. Die Thür knarrte ein wenig. Isabel hatte sich vorhin darüber beklagt. Marthe ließ die Thür angelehnt.

Sie Guter! sagte Isabel, Eberhard abermals ihre Hand hinhaltend, auf die er, sich herabbeugend, seine Lippen drückte. Sie Guter! Lieber! ich danke Ihnen so, daß Sie gekommen sind! Ich habe wieder einmal eine große Bitte an Sie. Nein, lassen Sie mich reden! Es greift mich nicht an. Und wenn auch – ich muß es sagen – jetzt gleich, bevor Justus kommt. Es handelt sich um ihn. Er ängstigt sich so furchtbar. Er glaubt, daß ich sterben werde. Ich werde sterben – bitte, bitte, sagen Sie nicht nein! Es ist so sicher, wie daß Sie hier sitzen und Ihnen die Thränen in den Augen stehen, was sich gar nicht für einen so großen Arzt schickt. Sie lieben mich – warum, mag Gott wissen – es ist nun einmal so. Und nun sollen Sie mir einen Beweis Ihrer Liebe geben – einen, der euch Männern so schwer fällt: Sie sollen für mich lügen. Sie sollen Justus für die paar Tage, die ich noch zu leben habe, einreden, daß ich leben bleiben werde, wieder gesund werde – um seinethalben, um meinethalben. Ich will ihn bis zu Ende lieben. Ich kann nur Männer lieben. Er ist in seinem Jammer kein Mann mehr. Gelt! das ist ein Liebesdienst? wollen Sie?

Alles, alles, murmelte Eberhard.

Ihnen wird er glauben, fuhr Isabel fort, keinem sonst. Darum habe ich Sie zu mir bitten müssen. Und noch um eines: daß Sie mir versprechen, wenn ich tot bin, Edith wieder zu lieben, wie vorher. Ich habe in meinem Leben viel Unheil angerichtet – es drückt mich nicht sehr – die meisten Menschen sind so dumm – sie verdienen es nicht besser. Ihr habt es nicht verdient, daß Ihr um mich elend seid. Ich könnte nicht ruhig sterben, wenn Ihr es bliebt. Versprechen Sie mir, daß Ihr es nicht bleibt!

Ich will es versuchen, sagte Eberhard tonlos.

So wird es auch gelingen. Glauben Sie mir, lieber Eberhard – ich spreche aus Erfahrung: man kann mit seinem Herzen so ziemlich machen, was man will. Noch ein letztes! Als ich sah, daß Sie mich liebten – ich durfte und wollte Sie nicht wieder lieben. Aber ich bin Ihnen dankbar für Ihre Liebe gewesen – sehr dankbar, und habe Sie sehr lieb gehabt. Verstehen Sie das? Jetzt, bitte, gehen Sie! Wenn Sie morgen wieder kommen, werden Sie sicher Justus treffen. Die dummen Untersuchungen, die zu nichts gut sind und mich nur elend machen, überlassen wir dem Geheimrat. Gute Nacht für heute! Sie dürfen mir auch noch einmal die Hand küssen. –

Marthe hatte von der Küche den Schritt Eberhards auf der Wendeltreppe gehört. Sie ging nach dem Salon. Er stand, wie vorhin, an den Flügel gelehnt; aber mit einem Ausdruck des Gesichtes, der von dem vorhin nicht verschiedener sein konnte. Seine hohe Stirn war tief gefaltet: die Augen blickten starr mit einem seltsamen Feuer; der Mund war zusammengepreßt; die Arme hatte er fest über der Brust verschränkt.

Nun? sagte Marthe.

Er hob den gesenkten Kopf und schleuderte die Arme auseinander.

Sie darf nicht sterben! rief er heftig.

So sagten Sie vorhin, erwiderte Marthe ruhig.

Und ich sage es noch einmal: sie darf nicht sterben! Noch giebt es Mittel! noch!

Er ging mit großen Schritten in dem Gemache hin und her; Marthes Augen verfolgten ihn.

Er ist toll, sprach sie bei sich. Sie macht alle toll.

Dort finde ich wohl zum schreiben, sagte er, plötzlich stehenbleibend und auf Justus' Zimmer deutend.

Hier ist ein Licht, sagte Marthe.

Er nahm es ihr aus der Hand.

Bitte, kommen Sie mit hinein! Ich schreibe ein Rezept, das Sie gleich machen lassen: zweimal einen halben Eßlöffel binnen einer halben Stunde. Es wird etwas Fieber eintreten, das Sie nicht zu beunruhigen braucht. Nach einer Stunde ein starker Schweiß, den Sie abwarten, um sie hernach umzuziehen. Dann eine ruhige Nacht bis gegen Morgen, wo Sie ihr eine Tasse stärkster Bouillon geben.

Er hatte das Rezept geschrieben und es Marthe eingehändigt, nachdem er es noch einmal sorgsam durchgelesen. Marthe ging. Er war an dem Tisch sitzen geblieben, hatte ein neues Blatt genommen und schrieb:

 

Lieber Justus! Ich habe eben Ihre Frau gesehen und kann Ihnen nur sagen: ich habe die beste Hoffnung. Ich hatte vor einem halben Jahre den identischen Fall, der glücklich verlaufen ist. Also, Kopf empor, lieber Freund! Ich komme morgen vormittag wieder, so bald ich kann.

Ihr treu ergebener Eberhard.

 

Er lehnte sich in den Stuhl zurück.

Marthe wird mich für verrückt halten, wenn sie das liest, murmelte er. Es ist tausend gegen eins; aber sie darf nicht sterben, sie darf nicht!

Er ließ das Blatt offen liegen und sagte auf dem Flur zu Friedrich, der ihm in seinen Pelz half, daß er seinen Herrn, wenn er nach Hause komme, darauf aufmerksam machen solle.

Friedrich schlich sich, sobald der Herr Doktor fort war, auf den Fußspitzen – er wagte, seitdem die gnädige Frau krank war, nicht mehr fest aufzutreten – in Justus' Arbeitszimmer und las, sich über den Tisch beugend das Blatt. Es wurde ihm nicht leicht: seine Ehrlichkeit sträubte sich gegen eine solche Vermessenheit, und der Herr Doktor schrieb eine so greuliche Hand! Aber er hatte noch eben zu Auguste in der Küche gesagt: Wenn ich die gnädige Frau damit retten könnte, daß ich sterben thäte, ich thät's mit dem größten Vergnügen. Da durfte er auch wohl lesen, was der Herr Doktor für den Herrn aufgeschrieben hatte von wegen der gnädigen Frau.

Eben war er mühselig bis zu der »besten Hoffnung« gelangt und wollte einen Freudensprung machen, als er den Drücker in der Flurthür hörte. Schnell legte er das Blatt wieder hin, lief seinem Herrn entgegen und meldete, daß der Herr Doktor Eberhard eben dagewesen seien und etwas für den Herrn aufgeschrieben hätten, das auf dem Schreibtisch in des Herrn Zimmer läge.

Justus saß vor seinem Schreibtisch, auf das Blatt starrend, das er das erste Mal mit einem freudigen Schrecken überflogen hatte, um es dann wieder und wieder zu lesen mit immer wachsendem Mißtrauen. Er hatte zu Eve gesagt: Belüge mich! Hier belog man ihn. Das konnte nicht Eberhards wahre Meinung fein. Weshalb belog man ihn? Hatte Isabel Eberhard darum rufen lassen? Es war ja von ihrer Seite die reinste Liebe. Aber wie durfte Eberhard sich dazu hergeben? anstatt zu ihm zu kommen und zu sagen: Justus, Sie sind Manns genug, die Wahrheit ertragen zu können?

Er fühlte dunkel, daß er sich so in offenbare Widersprüche verwickelte. Das erbitterte ihn nur noch mehr. Die Welt, das Leben waren ihm verhaßt; sein Dichten und Trachten erschien ihm eitel Wahn; seine Freunde waren nicht mehr seine Freunde, waren es nie gewesen. Es gab nur einen lichten Punkt in diesem Chaos – sie! Erlosch auch dieses Licht, dann brach die ewige Finsternis herein.

Aber noch lebte sie! Und er saß hier, unwiederbringliche Minuten vergeudend, wie er den Tag über mit nichtigen Dingen Stunde um Stunde verloren hatte! –

 

Kommst Du endlich, Du böses Sonntagskind! Setz' Dich auf mein Bett und küsse mich! Liebst Du mich?

Über alles! alles!

Und ich Dich! – So! nun auf den Stuhl, damit wir Marthe kein Schauspiel geben!

Marthe?

Perle mußte für ein paar Stunden Ruhe haben; sie kommt morgen wieder. Hast Du Eberhard noch gesprochen? Er ging eben fort.

Nein.

Schade! Er war sehr zufrieden mit mir. Ich werde wieder gesund werden und mein Sonntagskind noch lange, lange unglücklich machen.

Mein süßes Mädchen!

Wie gern ich mich so nennen höre! Küsse mich! Aber wenn ich leben bleibe, kannst Du ja Sibylle nicht heiraten. Hast Du das bedacht? Sie liebt Dich.

Mag sie! ich liebe nur Dich.

Oder Marthe! das wäre die rechte Frau für Dich.

Mein süßes Mädchen ist toll.

Gar nicht! Denn wo das Strenge mit dem Zarten –

Da giebt es einen abscheulichen Mißklang! Da würden dem Zarten, das doch ich wohl sein soll, die Gedanken im Kopf erstarren und die Gefühle im Herzen einfrieren.

Wie in meiner gestrengen Nähe.

In Deiner Nähe, die mir Wonne ist, die wie ein Frühlingshauch durch meine Seele weht, jeden dunkelsten Keim zu hellstem fröhlichsten Leben weckend! Deiner Nähe, in der mein Herz aufjubelt, wie ein Kind, vor dem die Thür zum Weihnachtszimmer sich öffnet, und da steht der Christbaum mit seinen tausend Lichtern! Ach, Seele meiner Seele, Herz meines Herzens! Du weißt ja noch immer nicht, wie ich Dich liebe! Küsse mich! küsse mich!

Sie hielten sich umfangen in stummer Seligkeit. –

Derweilen lehnte in dem kleinen Nebengemach an dem Pfosten der Thür, die sie vorhin nicht wieder ganz geschlossen hatte, Marthe. Sie hatte, unten in der Küche die Rückkehr des Mädchens aus der Apotheke abwartend, Justus nicht kommen hören und war erschrocken stehen geblieben, als sie, auf der zweiten Treppe in das Nebengemach gelangt, durch die Ritze der Thür in dem Krankenzimmer feine Stimme vernahm. Seine und ihre Stimme! Sie sprachen nicht gar leise – sie glaubten sich ja allein – der Liebende und die Geliebte! – Der Gatte und die Gattin! Und Liebesworte und Kuß um Kuß? Warum nicht? es war ja ihr gutes Recht!

Nur daß sie es anhören mußte!

Und wenn das Fläschchen da in ihrer Hand der Heilstrank war und die Verhaßte weiter lebte und weiter selig war, während sie selbst ihre Existenz so fortspann glücklos, freudlos –

Und wär's ein Gift, und jene erlebte den Morgen nicht – ihr würde der Morgen nichts bringen – nur das alte Leid –

Das alte Leid, an dem sie trug, so lange sie denken und fühlen konnte –

Küsse mich! küsse mich! –

Gab es einen gerechten Gott? –

Drinnen war's still geworden. Sie ging auf lautlosen Sohlen zu der Außenthür, die sie geräuschvoll öffnete und schloß. Dann öffnete sie vollends die angelehnte Thür und trat ein.

Verzeihung! Ich wußte nicht, Justus, daß Du hier warst. Ich muß Isabel die Medizin geben. Ich denke, wir werden eine gute Nacht haben.


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