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Fünftes Buch.

Erstes Kapitel.

An einem schönen Spätnachmittage gegen Ende Mai spazierten in Karlsbad auf dem schattigen Promenadenwege, der an den grasigen Borden der Tepel hin zu den gesuchtesten Kaffeegärten führt, Professor Richter und seine beiden Freunde Professor Lükke aus München und Professor Hasler aus Wien. Die Herren gingen in dem denkbar langsamsten Schritt, wie er Karlsbader Kurgästen ziemt, besonders, wenn sie, wie die drei Herren, alte Habitués sind. Es kam sogar nicht selten vor, daß einer, oder der andere stehen blieb, um einen Punkt in der Unterhaltung, der ihm von besonderer Wichtigkeit schien, mit größerem Nachdruck festzustellen, während die Gefährten, ebenfalls stehen bleibend, aufmerksam zuhörten, um gelegentlich von derselben Freiheit den entsprechenden Gebrauch zu machen.

Eben war es Professor Richter, der über ein Wort Professor Lükkes vorläufig nicht weiter konnte.

Aber, bester Freund, rief er, sich mit beiden Händen nach rückwärts auf den derben Spazierstock stützend, solche grobe Ausschreitungen einen Segen zu nennen – das ist denn doch einfach paradox!

Ich klammere mich nicht an das Wort, entgegnete ruhig der Gescholtene; gebe es vielmehr sofort preis, wenn Sie dafür ein bescheidenes »hat auch sein Gutes« oder dergleichen gelten lassen wollen.

Nur cum grano salis.

Meinetwegen, aber doch gelten lassen. Ich finde es freilich begreiflich, daß mir in meinem Specialgebiet der Kunst die Sache weitaus evidenter ist, als Ihnen auf dem der Litteratur, oder unserem Freunde auf dem der Musik.

Was zapfen Sie mich an, sagte Professor Hasler mit feinem Lächeln: Ich habe Ihnen ja noch gar nicht widersprochen.

Also zwei Gegner auf einmal! rief Professor Richter. Nur zu! nur zu! Zum Lernen ist man niemals zu alt.

Und die drei Herren setzten in würdevoller Langsamkeit ihren Weg fort.

Mag denn Hasler für sich selber reden, fuhr Professor Lükke fort. Was ich aber meine, ist ungefähr dies: jede Kunst, wie überhaupt jedes nach einer gewissen Methode ausgeübte und durch die Tradition beeinflußte menschliche Thun, hat die entschiedene Tendenz, allmählich, wie wir hier, in einen Schlendrian zu verfallen, der sehr behaglich und bequem ist, nur daß er zuletzt unabweislich zur Stagnation führt, aus der die Betreffenden sich mit eigenen Kräften so wenig ziehen können, wie Ehren-Münchhausen an seinem Zopf aus dem Sumpf. Da muß dann der liebe Gott Leute schicken, die nicht den mindesten Respekt vor Zöpfen haben, sondern weidlich zupacken, auf die Gefahr hin, daß ihnen der Zopf in der Hand bleibt und der Bezopfte untergeht. Wir haben es in der Malerei erlebt. Man pinselte zuletzt so hin, wie man Butterbrote streicht – ein bißchen dicker, ein bißchen dünner, aber immer dieselbe –

Braune Sauce! brummte Professor Richter.

Ganz recht. Und in besagter Sauce ging jede kräftige Lokalfarbe kläglich unter, oder es blieb eine kümmerliche Andeutung, wie wenn man eine Landschaft durch ein gefärbtes Glas sieht. Mit der Farbe verflaute die Zeichnung: keiner konnte mehr eine Buche von einer Eiche unterscheiden; Felsen waren Felsen, gleichviel ob Sandstein oder Granit, immer dieselbe bleierne Monotonie. Und so, mutatis mutandis, in den anderen Genres, nicht zum wenigsten im Porträt, bei dem zuletzt nur noch dreizehn oder mehr auf ein Dutzend kamen. Man durfte sich glücklich preisen, wenn einer und der andere sich wenigstens einen alten Meister erwählt hatte, auf den er schwor und dem er in allem nachzuahmen suchte, Räuspern und Spucken inklusive. Also im besten Falle irrlichterierender Eklekticismus. Mit seinen eigenen Augen zu sehen, wagte schließlich keiner mehr; ja, es konnte eigentlich keiner überhaupt noch sehen.

Das ist stark! rief Professor Richter, abermals stehen bleibend.

Ich male eben plein air, fuhr Professor Lükke fort, diesmal im Eifer der Rede weiter schreitend und so den Gegner zwingend, ihm zu folgen. Das sieht denn freilich anfangs ein wenig rüde und wunderlich aus, bis man sich daran gewöhnt und findet, daß die Sache doch auch ihr Gutes hat, um auf meinen Ausdruck von vorhin zurückzukommen. Das Gute ist nämlich, daß die Leute sich wieder des alten Wortes: Malen lernen, heißt sehen lernen; malen können, heißt sehen können, erinnern; sich erinnern, daß, wenn jemand etwas darstellen will, er es doch vorerst einmal muß gesehen haben, und daß man das im eigentlichen Sinne nicht kann, wenn man fortwährend durch einen konventionellen Schleier, oder durch eine eklektisierende Brille sieht.

Und dafür, rief Professor Richter, ein Narr auf eigene Hand ist, der sich wunder wie weise glaubt, wenn er die Dinge malt, wie sie nie zuvor ein menschliches Auge gesehen hat, und so, daß man sie überhaupt erst sieht, nachdem man zwanzig Schritte zurückgetreten ist, wo denn die Sudelei die Gnade hat, sich in etwas zu sondern, und man mit saurer Mühe einen Spinatsee erkennt, der eine Wiese vorstellen soll, durch die sich ein grauweißlicher Strom ergießt, den man für ein zum Bleichen ausgespanntes Laken zu halten verpflichtet ist. Dann ist noch ein blaurot-grün angestrichenes Etwas da, aus dem man anfänglich schlechterdings nicht klug werden konnte, bis man endlich zu seiner Beschämung die ungefähren Umrisse einer Bäuerin entdeckt, die aus einem Ding, welches man, wenn man will, für eine Gießkanne nehmen mag, das Laken bewässert.

Professor Hasler kicherte; auch Professor Lükke lächelte und erwiderte ruhig:

So, oder ungefähr so, sagt der Mann der braunen Sauce auch, wenn er mit seinen Freunden in der Ausstellung vor dem »Schwarten« steht; aber, in sein Atelier zurückgekehrt, kann ich Sie versichern, spricht er anders.

Also wie?

Zuerst vielleicht gar nicht; sondern geht unruhigen Schrittes umher, mit scheuen Blicken die angefangenen Bilder auf den Staffeleien streifend, von denen er wohl gar eines und das andere mit dem Gesicht an die Wand stellt, nur, um es nicht länger sehen zu müssen, bis er sich endlich auf das Sofa wirft, die Hände in die Augen drückt und murmelt: die verfluchten Kerls! aber bei Gott, sie sind uns über. Und wenn wir nicht in dasselbe Horn blasen, ist es mit uns aus, und wir kommen unter den Schlitten, so wahr Raphael, Rubens e tutti quanti in Vergleich mit uns die reinen Stubenmaler sind.

Ich will den feigen Kerl, den Sie eben schildern und seinesgleichen nicht in Schutz nehmen, rief Professor Richter. Ist die Garde des Parnaß alt und stumpf geworden, so mag sie dahin fahren; aber der Parnaß bleibt mir heilig, und ich will ihn nicht rohen Horden ausgeliefert wissen, die seine sanften Rasenhänge mit plumpem Fuß zertreten und in seinen Schattenhainen wüste Orgien feiern. Wie denken Sie darüber, Hasler?

Professor Hasler hatte vorderhand keine Zeit zur Antwort. Man war in der »Freundschaft« angelangt und die wichtige Frage der Wahl des Tisches mußte erst erledigt werden. Der Tisch sollte im Schatten stehen, denn die Sonne schien noch heiß; es durfte aber auch an dem Orte nicht ziehen, was den graubärtigen drei Herren ein Greuel war. Endlich hatte man sich entschieden, und Marie, die den Suchern geduldig von Tisch zu Tisch gefolgt war, konnte die Bestellungen, die heute genau so lauteten, wie vor drei Wochen, mit pflichtschuldiger Aufmerksamkeit entgegennehmen und in die Küche tragen.

Also, Hasler? sagte Professor Richter.

Aber der Angeredete hatte sich in die Neue Freie Presse vertieft, die in ihrem Feuilleton seinen letzten, vor vier Tagen von Karlsbad aus geschriebenen Artikel brachte; Professor Lükke mußte einen Blick in die Neuesten Münchener Nachrichten werfen, so nahm Professor Richter denn das Berliner Tageblatt zur Hand. Das abgebrochene Gespräch konnte ja immer wieder aufgenommen werden.

Marie kam mit ihrer umfangreichen Tablette und baute vor jedem in Kannen, Kännchen, Tassen, Gläsern und Zuckernäpfchen geschickt und sorgsam das ihm Zukommende auf.

Kommt Herr Arnold heute nicht? fragte sie.

Ja so! sagte Professor Lükke aufblickend; wo steckt denn heute unser junger Freund? Er war ja auch nicht bei Tisch?

Und heute morgen nicht am Sprudel, sagte Professor Hasler, eifrig weiter lesend.

Ich habe ihn den ganzen Tag nicht gesehen, erwiderte Professor Richter. Ich erinnere mich, daß er mir gestern abend sagte, er müsse heute sehr fleißig sein.

Sie sollten ihm das nicht erlauben,, sagte Professor Lükke. Fleiß ist allewege ein langsamer Selbstmord.

Freilich, erwiderte Professor Richter, und er sollte hier um so fauler sein, als ihn sein Fleiß hierher gebracht hat. Er war total überarbeitet. Da habe ich es denn durchgesetzt, daß ihm sein Arzt Karlsbad verordnete.

Damit Sie doch einen Reisegefährten hätten, sagte Professor Lükke lachend.

Mit dem ich mich wenigstens nicht von früh bis spät zu zanken brauche.

Sie halten viel von seinem Talent? sagte Professor Hasler, einen letzten Blick in die Zeitung werfend, die er dann neben sich auf einen leeren Stuhl legte.

Wenigstens hat er sich in den drei Jahren, die er nun in Berlin ist, prächtig entwickelt, sagte Professor Richter.

Wie das ja bei dem Schüler eines solchen Meisters nicht anders zu erwarten stand, warf Professor Lükke ein.

So viel Worte, so viel Fehler, entgegnete Professor Richter. Erstens bin ich bescheiden genug gewesen, mich nach zwei oder drei verunglückten Versuchen von dem poetischen Gebiete, auf dem Arnold schafft, für immer zurückzuziehen; folglich kann er auch mein Schüler nicht sein. Und zweitens gehört er zu denen, die auf keines Meisters Worte schwören. Wenn von einem unserer jüngeren Dichter, so darf ich von ihm sagen: er singt wie der bekannte Vogel in den Zweigen.

Ich bin ganz Ihrer Meinung, sagte Professor Hasler; und wenn ich vorhin fragte, ob Sie viel von seinem Talent halten, so wollte ich nur die Ansicht bestätigt hören, die ich mir jetzt, nachdem ich die drei Novellen von ihm, die Sie mir gaben, gelesen, von ihm gebildet habe. Nicht daß ich mit allem und jedem zufrieden wäre – ich halte seine Methode zu erzählen für prinzipiell richtig, aber praktisch undurchführbar – aber er ist in allem und jedem offenbar er selbst, oder richtiger: er scheint mir gar nicht an sich zu denken, immer nur an die Sache, die er, so gut er kann, herauszustellen strebt. Übrigens müßte ich mich sehr irren, Lükke, oder Sie haben mir vor ein paar Tagen, als ich noch nichts von ihm gelesen hatte, ganz dasselbe gesagt.

Allerdings habe ich es, erwiderte Professor Lükke, und aus voller Überzeugung. Ich fürchte nur, daß mit dem Hang zum Idealisieren, der sehr mächtig in ihm ist, die Lust an der exakten Beobachtung nicht Schritt hält; und das ist immer gefährlich, zumal in unseren Tagen.

Womit wir denn wieder bei dem von Ihnen vergötterten Realismus und Naturalismus von heute glücklich angelangt wären, sagte Professor Richter.

Nun muß ich, als der Älteste, aber wirklich einmal ein ernstes Wort sprechen, sagte Professor Hasler, ein Stück Zucker in seine zweite Tasse Thee werfend. Die Sache ist nämlich die, daß ihr beide, die ihr euch nun schon seit vierzehn Tagen über dieselbe Sache in den Haaren liegt – oder liegen würdet, wenn es noch möglich wäre –

Respekt vor meiner Shakespearestirn! sagte Professor Lükke.

Ich bitte um dieselbe Vergünstigung! sagte Professor Richter.

– im Grunde eurer Seelen, fuhr Professor Hasler fort, ganz derselben Ansicht seid, wie denn das, meine ich, unter Leuten, die wirklich etwas von der Kunst verstehen, gar nicht anders sein kann. Ein idealistisches Wolkenkuckucksheim erscheint dem einen so abgeschmackt wie dem anderen; vor dem naturalistischen Sodom und Gomorrha schlagt ihr dieselben frommen Kreuze. Wenn überhaupt eine Meinungsdifferenz unter euch besteht – und das Ganze nicht bloß ein Geplänkel ist, das ihr anstellt, um eure Waffen nicht rosten zu lassen – so kann es nur diese sein –

Na! da sind Sie ja endlich, junger Freund! rief Professor Lükke, Justus die Hand entgegenstreckend, der nicht ohne einiges Suchen unter den vielen, stark besetzten Tischen den der Herren herausgefunden hatte und jetzt herangetreten war.

Sie verdienen Schelte wegen Ihres völlig kurwidrigen Fleißes, sagte Professor Hasler.

Nicht von Ihnen, Herr Professor, erwiderte Justus; ich habe heute morgen im »Elefanten« Ihren prächtigen Artikel »Wagner und kein Ende« hier in der Neuen Freien Presse eifrig studiert. Er ist mir aus der Seele geschrieben.

Vil flatteur! sagte der Professor mit einem wohlgefälligen Blick auf das Blatt, das Justus vom vierten Stuhl genommen hatte.

Sie kommen gerade recht, sagte Professor Lükke; Hasler wollte eben mit einer Rede, über die er bereits vierzehn schlaflose Nächte hindurch gegrübelt hat, die aus den Fugen gegangene ästhetische Welt wieder einrenken.

Die Sache ist, sagte Professor Hasler –

Halt! unterbrach ihn Professor Richter. Ihre Weisheit in den hohen Ehren, die ihr gebühren. Aber, ich glaube, Justus hat sich heute schon gerade genug den Kopf zerbrochen. Überdies möchte ich gern, daß er erst einmal einen Brief liest, der ihn interessieren wird. – Von Eve, Justus! heute morgen! an mich!

Und er hielt Justus einen Brief hin, den er aus der Brusttasche genommen, und den dieser mit Begierde ergriff.

Wir wollen nicht stören, sagte Professor Hasler.

Ich will nicht stören, erwiderte Justus. Ich bin so wie so vom raschen Gehen ein wenig warm geworden und thue besser, mich noch ein paar Minuten abzukühlen. Also, mit Ihrer gütigen Erlaubnis!


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