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Sechstes Kapitel.

Der nächste Morgen brachte ihm eine neue Enttäuschung. Von der Generalintendanz erhielt er ein Schreiben, daß die Aufführung seines Schauspiels abermals auf vorläufig unbestimmte Zeit hinausgeschoben werden müsse. Er hatte das Stück bereits vor anderthalb Jahren eingereicht; es war sofort angenommen und ihm versichert worden, es werde als eine der ersten Novitäten der bevorstehenden Saison in Scene gehen. Wirklich wurden auch die Rollen ausgeteilt; der Tag der Leseprobe war angesetzt. Da erkrankte der Darsteller der Hauptrolle. Das große Institut verfügte selbstverständlich noch über einen und den andern Künstler, der die Rolle nicht weniger gut gespielt haben würde – man that, als ob das Stück mit jenem stehe und falle. Endlich genas der Betreffende; aber nun war die Saison bereits so weit vorgeschritten, daß man Justus riet, bis zur nächsten zu warten. Justus war es zufrieden unter der Voraussetzung, die man selbstverständlich fand, er werde dann als erster an die Reihe kommen.

Er war nicht der erste gewesen; schon waren zwei andere neue Stücke vor dem seinen in Scene gegangen; er hatte auf Beschleunigung seiner Sache gedrungen, und heute schrieb man ihm, daß die Aufführung abermals vertagt sei – auf vorläufig unbestimmte Zeit!

Justus war empört und glaubte Ursache dazu zu haben.

Was soll ich thun? fragte er Isabel.

Du weißt, Sonntagskind, erwiderte sie, ich verstehe von diesen Dingen ganz und gar nichts; aber ich meine, Du läßt die Leute laufen. Du hast schon so viel Ärger und Verdruß von der Sache gehabt; weshalb wolltest Du Dir noch mehr von der Sorte bereiten?

Weshalb? sagte Justus; aber, Herz, ich setze große Hoffnungen auf das Stück, rechne auf einen starken Erfolg.

Und wenn er ausbleibt? Ich habe damals hier, als ich noch viel ins Theater ging – und auch später natürlich – so viele Stücke durchfallen sehen und die armen Menschen, die sie geschrieben hatten, immer aufrichtig bedauert. Das heißt, offen gestanden: mich noch viel aufrichtiger. Ich hatte mich amüsieren wollen und statt dessen gelangweilt. Also ungefähr, was unsere Gäste gestern abend gethan haben.

Aber, Herz, wenn ich so dächte, so könnte ich nur lieber gleich mein Metier aufgeben.

Und ich wollte, Du hättest kein anderes, als mich zu lieben.

Als ob das eine dem andern im Wege stände! als ob ich nicht meines Schaffens beste Kraft aus meiner Liebe schöpfte!

Und doch konntest Du gestern abend sagen, wenn Du die Wahl hättest zwischen Liebe und Poesie –

Die mir ja, Gott sei Dank, erspart ist. Ich habe meine Poesie und ich habe Dich.

Und bist glücklich?

Mehr als ich sagen kann.

So gieb mir einen Kuß und gehe zu Sandor und frage ihn, was Du in der Theatergeschichte thun sollst. Er ist klug, kennt die Sache aus dem Grunde und kann Dir den besten Rat geben, vorausgesetzt, daß er wirklich Dein Freund ist.

Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln.

Ihr seid beinahe immer entgegengesetzter Ansicht.

Wir beide sind auch nicht immer d'accord.

Das ist etwas anderes; wir müssen ja par ordre zusammenhalten. So ein Freundschaftstempel ist manchmal nur eine hübsche Gartendekoration, in der sich nicht wohnen läßt, besonders nicht auf die Dauer.

Du denkst an Edith.

Sie ist völlig albern. Ich habe gestern abend noch ein ernstes Wort mit ihrem Manne gesprochen. Es sollte mir leid thun, wenn sie es bis zu einem vollständigen Bruch triebe.

Aber was will sie eigentlich?

Das mag Gott wissen. Nun geh, Sonntagskind, und sage Sandor, ich könnte verdrießliche Leute nun schon gar nicht leiden. –

Sie sind ja völlig in ihrem Recht und man behandelt Sie ungebührlich, sagte Sandor, als ihm Justus seinen Fall vorgetragen hatte. Dennoch würde ich Ihnen zur Geduld raten. Das Schauspielhaus ist das einzige Theater, das Ihr Stück mit seinen vielen Personen, seiner großen Comparserie und dem obligaten Ausstattungspomp in Scene setzen kann. Überall sonst wird es ein Mißerfolg – ich sage Ihnen das ganz offen. Nicht als ob ich Ihr Stück für schlecht hielte! Sie wissen, daß das Gegenteil der Fall ist. Aber es hat keinen Hauch von dem Wind, der jetzt durch unsere Litteratur weht, zumal durch unsere Kritik, und den auch alle Schönheiten Ihres Stückes bei der besten Aufführung nicht werden zum Schweigen bringen können, der aber zum Sturm werden wird, wenn die Aufführung schlecht ist. Was soll ich Ihnen das lang und breit auseinandersetzen! Sie wissen es ebensogut wie ich. Also warten Sie, bis es Rom zu sprechen beliebt! Ich glaube, Ihnen aber sagen zu können, warum es augenblicklich vorzieht, sich in Schweigen zu hüllen. Sie konnten, wenn Sie einmal den Stoff behandeln wollten, die drastische Schilderung der französischen Greuel anno achtzehnhundertzwölf und dreizehn in Deutschland nicht vermeiden. Aber schmeichelhaft, das werden Sie mir zugeben, ist die Sache für die Herren Franzosen gerade nicht, und nun glaubt man eben jetzt in unseren oberen Regionen, die bekanntlich leicht verletzliche gallische Empfindlichkeit auf jede Weise schonen zu müssen. Das mag just nicht groß gedacht sein; aber was ist für einen Großen denn zu klein? fragte Nathan, genannt der Weise. Diese Situation kann nicht ewig dauern.

Die Generalintendantur deutet ja auch etwas der Art in ihrem Schreiben an, sagte Justus; aber ich habe die bestimmte Empfindung, daß es nur ein Vorwand ist und man mein Stück überhaupt nicht aufführen will.

Und gerade deshalb würde ich es an Ihrer Stelle nicht zurückziehen, wie Sie zu beabsichtigen scheinen; erwiderte Sandor. Sehen Sie denn nicht, daß Sie damit dem Feinde die goldenste Rückzugsbrücke bauen?

Hier wurde Sandor gerufen, um im Nebenzimmer, in welchem er weniger intime Personen zu empfangen pflegte, jemand, der sich in einer dringlichen Angelegenheit hatte melden lassen, abzufertigen. Justus wollte den Brief der Intendanz, den er Sandor zu lesen gegeben, von dem Schreibtische nehmen, ihn wieder einzustecken. Dabei verschob sich ein Löschblatt neben einem Briefe, in dessen Abfassung er den Freund augenscheinlich gestört hatte. Unter dem Löschblatt lag Isabels Photographie.

Der Umstand, ihr Bild hier auf Sandors Schreibtisch zu finden, konnte an und für sich nicht besonders auffallend für Justus sein. Isabel und er hatten sich auf den Wunsch der Freunde in Karlsbad photographieren lassen, nicht auf einem Bilde – was Isabel geschmacklos fand – sondern jeder besonders, und jeder der Freunde hatte beide Bilder erhalten. Auch stand sein Bild in einem hübschen Rahmen auf dem Tische. Warum Isabels Bild hier unter dem Löschblatt lag, mochte der Zufall wissen, der es dahin geführt.

Er hielt es noch in der Hand, als Sandor wieder ins Zimmer trat.

Sie haben recht daran gethan, es nicht einrahmen zu lassen, sagte Justus. Es ist wirklich kein gutes Bild, das ich Lust habe zu konfiscieren unter der selbstverständlichen Bedingung, es gelegentlich durch ein besseres zu ersetzen.

Er hatte, während er so sprach, auf das Bild gesehen und blickte nun erst zu Sandor hinüber, der mitten im Zimmer stehen geblieben war, auffallend blaß, wie Justus jetzt bemerkte, und mit einem sonderbaren Ausdruck in den starren Augen.

Haben Sie eine Unannehmlichkeit gehabt? fragte er, die Photographie wieder auf den Tisch legend.

Sie sind ein Israelit, in dem kein Falsch ist; erwiderte Sandor mit demselben starren Blick.

Ah! sagte Justus.

Die wunderliche Antwort, der halb ironische, halb schmerzliche Ton, in welchem sie gesagt war, der starre Blick, der sie begleitet – wie von einem Blitze erhellt, stand die Situation klar vor seinem geistigen Auge. Deshalb also des Mannes verändertes Wesen, das auch den andern Freunden aufgefallen war; deshalb seine wiederholten Absagen auf seine und Isabels freundschaftliche Einladungen; seine Zusage gestern in der letzten Stunde; seine sichtbare Zerstreutheit und Verstörung den ganzen Abend hindurch!

Nicht wahr? sagte Sandor, ohne den Platz zu verändern, während seine Miene sich zu einem etwas verzog, das wohl ein Lächeln sein sollte, aber viel mehr dem Zucken in dem Gesichte eines von Schmerzen Gefolterten glich; es ist sehr dumm; und einem andern als Ihnen hätte ich auch meine Dummheit nicht eingestanden. Lieber wäre ich gestorben. Aber Sie heißen nicht umsonst Justus; Sie werden darum nicht schlechter von mir denken.

Er hatte sich auf eine Chaiselongue geworfen, den Kopf mit dem starken, bereits ergrauenden Haar halb in dem Kissen vergrabend.

Unglücklicher Mensch, murmelte Justus.

Ja, beim Himmel! sagte Sandor dumpf. Da bin ich nun durch die Welt gerannt, immer nach der Blauen Blume suchend und immer vergeblich suchend, bis ich darüber halb wahnsinnig und ein alter Junggesell geworden bin und mein Leben und das Leben überhaupt verflucht und gesagt habe: es giebt keine Blaue Blume; es giebt nur Disteln und Dornen; es giebt keine strahlende Sonne und keine funkelnden Sterne, sondern nur Unschlittkerzen, die ein elendes Licht verbreiten und erbärmlich riechen. Ach! es ist ein so erbärmliches Handwerk, anderen Leuten die Freude am Leben zu verderben, bloß weil man selber keine hat und die anderen es auch nicht besser haben sollen. Und das möchte noch hingehen; am Ende lernt man auch im Dunkeln so viel sehen, daß man die langbeinige Spinne im Winkel mit Fliegen füttern kann. Aber dann herausgelassen zu werden aus dem Loch; und da steht sie, die Blaue Blume, und ihr süßer Duft erfüllt die Welt, und Sonne, Mond und Sterne tanzen und singen vor Wonne und Lust, und dann zurück in das Loch zu dem angefaulten Stroh und der bauchigen Spinne – das ist hart, das ist Teufelei, das ist, um völlig rasend zu werden!

Er stöhnte laut, richtete sich halb auf und rief, Justus anstierend, wild:

Warum mußten Sie sich in mein Geheimnis drängen? Der alte Schädel hier ist hart, – Thors Hammer würde daran zerschellen, meinte ich sonst; aber eine moderne Revolverkugel bringt's am Ende doch fertig. Das beste wär's schon. Ich wär's los, und ob so ein elender Gesell mehr oder weniger zwischen Himmel und Erde herumkriecht – was liegt daran? Nun geht auch das nicht mehr. Sie wüßten, weshalb Dr. juris Siegfried Sandor, ein wegen seiner Gaben und seiner Integrität allgemein geschätzter Mann, in durchaus geordneten ökonomischen Verhältnissen, auf den wunderlichen Einfall gekommen ist, seinem ebenso nützlichen, wie behaglichen Leben ein jähes Ende zu machen. Das würde Ihnen schwer auf der Seele lasten, und das haben Sie nicht um mich verdient. Denn Sie sind vom ersten Augenblick bis heute immer gleich gut und freundlich zu mir gewesen und haben mich, glaube ich, ein bißchen lieb, trotzdem ich manchmal so hart mit Ihnen umgesprungen bin, daß tausend andere es mir nie vergeben hätten. Und wenn nun gar sie, wenn Ihre Frau – Herr meines Lebens, wenn sie es auch nur ahnte! Glauben Sie, daß sie es ahnt?

Er war emporgesprungen und stand nun vor Justus, ihm angstvoll ins Gesicht stierend.

Ich bin überzeugt, nein; erwiderte Justus; aber, lieber Freund, sie ist sehr klug und ihre Augen sehen sehr scharf. Was sie heute noch nicht ahnt, könnte sie morgen wissen, wenn Sie fortfahren, Ihre Freunde durch Ihr verändertes Wesen zu erschrecken und sich von uns fernhalten, wie Sie es bis jetzt gethan haben. Ich kann Ihnen nicht zumuten, oft zu uns zu kommen; aber Sie sollten uns nicht ganz vermeiden. In der Einsamkeit würden Sie Ihre Wunde nähren, und vielleicht, daß nur der Speer, der sie geschlagen, die Wunde heilen kann. Versuchen Sie es wenigstens! Und nun, lieber Freund, lassen Sie mich Ihnen die Hand drücken! Sie sagten vorhin, ich werde nicht schlechter von Ihnen denken. Nein, wahrlich nicht! Aber besser, wenn's noch möglich ist. Ich weiß die Größe des Opfers zu schätzen, das Sie mir eben durch Ihre edle Offenherzigkeit gebracht haben. Und ich hoffe zu Gott, Sie haben es auch für Sie selbst nicht umsonst gebracht, und es wird alles, wenn nicht gut, so doch besser werden, als wir beide es in diesem Augenblick in unserer großen Erregung für möglich halten. Leben Sie für heute wohl! Ich besuche Sie bald wieder, wenn es Ihnen recht ist. Es ist Ihnen doch recht?

Sandor nickte stumm mit dem Kopfe, Justus drückte ihm noch einmal die Hand und ging.

Langsam schritt er die Straßen dahin, ohne kaum etwas zu sehen – das Bild des verzweifelten Freundes stand zu deutlich vor seinem geistigen Auge. Wäre Sandor ein Schwächling gewesen, einer von denen, welche die widerstandslose Beute jeder Empfindung sind, die mit nur einiger Gewalt auf sie eindringt! Aber wenn er je einen Menschen gekannt hatte, für den ihm das große Wort: »er ist ein Mann« nicht zu groß war, so war es Sandor. Wer stand so fest in seinen Überzeugungen, wie er? wer gab seinen Überzeugungen einen so mutigen, schneidigen und doch loyalen Ausdruck? Wer konnte eine höhere Achtung vor dem »fair play« haben, als er, der es stets mit einem halben Dutzend von Gegnern zugleich zu thun hatte, die oft in der Wahl ihrer Waffen nichts weniger als skrupulös waren? Und diesen starken Baum hatte er von dem Sturm der Leidenschaft geknickt gesehen wie ein schwaches Rohr! Wenn das geschehen konnte, wer –

Er blieb erschrocken stehen.

Wo hatte er nur seine Augen gehabt! Das waren ja bei Eberhard dieselben Symptome, und die er um so leichter hätte deuten können, als sie durch Ediths Betragen so eindringlich kommentiert wurden! Gestern hätte er noch über die Insinuation, der klare, kluge Eberhard könne sich so weit vergessen, ungläubig gelächelt – nachdem er erlebt, was er eben erlebt, durfte er nicht mehr lächeln; mußte er sich sagen: es ist nicht nur möglich, sondern es ist.

Was konnten die Armen dafür, daß Isabels Augen so wundersam glänzten? was konnte Isabel dafür, daß sie unwiderstehlich war? Oder lag das Unrecht bei ihm, weil er sie, die alle begehrten, allen geraubt und zu seinem Weibe gemacht hatte? War es nicht stets sein Grundsatz gewesen, daß niemand ein Glück für sich auf Kosten anderer beanspruchen dürfe? Aber hier lag die Sache so, mußte so liegen, und er wäre der Elendeste der Elenden, könnte er nur einen Augenblick zaudern, sein Herzblut für die Behauptung dieses seines Glückes hinzugeben.

Seines Glückes, in das nun doch der Schatten des geisterhaften Schiffes von Norderney gefallen war.


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