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Drittes Kapitel.

Sie hatten bis jetzt die Freunde nicht aufgesucht, da Isabel der Meinung war, daß es unschicklich sei, ihre Gegenbesuche zu empfangen, so lange der Tapezierer das Regiment in der Wohnung führe. Nun, da auch noch der Kelim über Isabels Chaiselongue gebreitet; selbst die Küche zur Zufriedenheit einer neuerdings gemieteten Köchin in Ordnung gebracht; schließlich auch die große Dienerfrage durch das Antreten eines jungen, gewandten, treuherzig blickenden Menschen, der unter anderen auf den Namen Friedrich hörte, aufs glücklichste gelöst war, stand der Erfüllung der Höflichkeitspflicht, wie Isabel sagte, nichts weiter im Wege.

Ich meinte, es wäre Dir eine Herzenssache, wenigstens Frau Eberhard wiederzusehen, sagte Justus.

Wir stehen sehr gut miteinander, erwiderte Isabel, aber Du weißt, Schatz, bis mir etwas zur Herzenssache wird, dazu gehört ein wenig viel. Auch passen wir im Alter nicht sonderlich. Acht oder neun Jahre mehr, oder weniger, das macht einen großen Unterschied, ich meine: im Denken, Fühlen, in Beurteilung der Menschen und Dinge.

Da sind wir Männer freilich besser daran, sagte Justus; ich spüre von diesem Unterschied kaum das mindeste in meinem Verkehr mit Professor Richter, der seine gemessenen fünfunddreißig Jahre älter ist als ich. Apropos, Herz, wir werden auch ihn zuerst besuchen müssen. Ich bin ihm zu so viel Dank verpflichtet.

Ich hasse die Menschen, denen mein Sonntagskind zu Dank verpflichtet ist.

Dann müßtest Du mit Dir den Anfang machen; wem verdanke ich soviel wie Dir?

In der Kunst der Schmeichelei hätte die Schlange des Paradieses noch von Dir lernen können.

Und sie stiegen in den Wagen.

War, die Freunde zu besuchen, für Isabel keine Herzenssache, so hatte sie sich doch angelegen sein lassen, für diesen Zweck noch eine besonders sorgfältige Toilette zu machen. Justus war entzückt, und der Gedanke, dies schöne, anmutige Wesen, das für ihn noch im besonderen Sinne die Krone der Schöpfung war, den Freunden als seine Gattin zuführen zu dürfen, erfüllte seine Seele mit stolzer Lust. Nie hatte er einen König um Scepter und Krone beneidet, aber als sie durch die asphaltierten Straßen, welche die Sonne eines Frühherbsttages mit mildem Licht füllte, rasch dahinrollten, meinte er, daß nicht nur der imaginierte Kronenträger ihn beneiden müßte, sondern jeder der unzählig ihnen Begegnenden, von denen kaum einer ohne einen neugierigen, wie Justus meinte, bewundernden Blick auf Isabel zu werfen, vorüberging. Ja, er ertappte sich auch auf der Frage, ob eine Droschke erster Klasse, wenn sie gleich sauber gehalten war, wie diese, und der Kutscher wirklich in schlankem Trabe fuhr, ein geeignetes Vehikel für seine Isabel sei, der durchaus eine eigene Equipage zukomme. Friedrich, der in seiner einfachen, kleidsamen Livree neben dem Kutscher saß, nahm er bereits als etwas Selbverständliches hin.

Ihr erster Besuch sollte Herrn und Frau Körner gelten, deren Wohnung in einer der allerwestlichsten, bereits zu Charlottenburg gehörenden Straßen lag. Wie würden sich die beiden Frauen, von denen er die eine wie eine Schwester liebte, und die andere nun sein angebetetes Weib war, zu einander stellen? Daß Eve alles thun würde, ein schwesterlich liebevolles Verhältnis herbeizuführen, davon durfte er überzeugt sein; aber die kleine, kapriciöse, unberechenbare Frau da an seiner Seite? Ihre Bemerkung vorhin, daß sie die Menschen hasse, denen er zu Dank verpflichtet sei, war ja sicherlich nicht ernsthaft gemeint gewesen. Dennoch! an seinem Tagebuche aus Rodek hatten sie offenbar nur die Partien, die sich auf sie selbst bezogen, lebhaft interessiert, am lebhaftesten vielleicht ihre eigenen Briefe, die er eingefügt, und von denen sie behauptete, sie müsse sie im Wachen geschrieben haben, denn ihm so viel Schmeicheleien zu sagen, würde ihr im Traume nicht eingefallen sein; aber das Viele, das von Eve und seinem Verhältnis zu Eve handelte, hatte ihr nur spärliche Bemerkungen entlockt, aus denen er eine leichte Ironie ziemlich deutlich heraushören konnte. Er hoffte jetzt, während Friedrich ihre Karten hinauftrug, es werde sich trotzdem alles zum besten wenden.

Friedrich kam zurück: der Herr Direktor sei nicht zu Hause; aber die Frau Direktor freue sich, die Herrschaften zu empfangen.

Es war bei Eve keine Phrase gewesen: ihr kluges Gesicht war von herzlichster Freude belebt, als sie den Eintretenden schon an der Thür mit ausgestreckten Händen entgegenkam. Ihr Mann war auf der Reise; sie habe nicht so viele Finger an den Händen, um an ihnen die Geschäfte herzählen zu können, in denen er gleichzeitig engagiert sei. Sie komme fast nicht mehr vom Telephon weg, um alle die Anfragen entgegenzunehmen und zu beantworten, die mit raffinierter Vorliebe einliefen, wenn er unterwegs sei, und für sie die Abfassung und Absenkung intrikatester Depeschen an ihn nach womöglich unauffindbaren Orten zur unliebsamen Folge hätten. Ein Buch könne sie dabei kaum noch zur Hand nehmen, höchstens die Schulbücher von Wolfgang und Erna, von denen sich der erste bereits zum Cornelius Nepos und gestern zu der Frage verstiegen habe, ob sie – die Mama – nicht auch meine, daß der accusativus cum infinitivo eine Erfindung sei, welche die Lehrer gemacht hätten, bloß um die Schüler zu quälen. Glücklicherweise verursache ihr das grammatische Ungetüm keine Schrecken, dank ihrem Vater und Justus, dessen instruktive Horaz-Lektionen sie in treuem Gedächtnisse bewahrt habe.

So plauderte Eve in dem heitersten Ton, und Justus hätte sich ganz in die Zeiten und das behagliche Theezimmer von Rodek zurückversetzt glauben können, hätte Isabels Miene etwas von ihrer gewohnten sonnigen Heiterkeit gezeigt. Nicht daß sie unfreundlich gewesen wäre! Sie hörte Eves Geplauder mit scheinbarer Aufmerksamkeit zu, ließ auch dann und wann eine scherzhafte Bemerkung einfließen, aber Justus kannte ihr holdes Gesicht zu gut, als daß ihm die leichte Wolke zwischen den dunklen Brauen hätte entgehen können.

Hast Du etwas, Herz? fragte er, als Eve sich entschuldigt hatte, um in das Nebenzimmer an das Telephon, das sich gemeldet, zu eilen.

Ich denke, Ihr nennt Euch Du? gab Isabel zur Antwort.

Eve hatte im Beginn der Unterhaltung die direkte Anrede an ihn vermieden, und, als sich eine solche nicht mehr umgehen ließ, sich des Sie bedient. Er hatte es ihr Dank gewußt und gehofft, Isabel werde nicht weiter darauf achten. So hätte ihn ihre plötzliche Frage beinahe aus der Fassung gebracht; indessen gelang es ihm doch, lächelnd zu antworten:

Wahrscheinlich findet sie, daß, was dem Schreiber ihres Gatten recht, dem Schriftsteller nicht länger billig sei.

Aber sie hat Dich noch in ihren letzten Briefen Du genannt; sagte Isabel.

Das Papier ist eben geduldiger als die Ohren einer gewissen schönen Dame, erwiderte Justus, noch immer lächelnd, aber doch mit einem leisen Gefühl des Unmuts.

Ich danke Dir für die Lektion, sagte Isabel, wenn es auch keine Horazlektion ist.

Isabel!

Er hatte ihr mit bittendem Blick die Hand entgegengestreckt, die sie nahm, aber nur mit flüchtigem Druck. Freilich war auch Eve in demselben Moment wieder ins Zimmer getreten, lachend: Ihr Mann solle sofort in die Voßstraße zu einer wichtigen Besprechung kommen! Die Möglichkeit, wenn er ihr noch heute morgen aus Pest telegraphiert habe!

Isabel war wie umgewandelt. Sie lachte und scherzte übermütig, gab eine drollige Schilderung der Verlegenheiten, die sie bei Einrichtung ihrer Wirtschaft zu überwinden gehabt, und wie brav sich Justus in allen diesen großen und kleinen Fatalitäten gehalten. Dann mußte Eve ihnen ihre Wohnung zeigen, die freilich räumlich das genaue Gegenteil ihres Puppenheims: eine lange Flucht größter und stattlichster Zimmer, aufs beste disponiert, mit allen sinnreichsten Vorrichtungen und Bequemlichkeiten eines modernsten vornehmen Berliner Quartiers, das nicht einmal ein Mietsquartier war, denn Eves Gatte hatte das Haus, das ihm gefiel, sofort gekauft.

Es gefiel ihm aber hauptsächlich als eine voraussichtlich gute Spekulation, bemerkte Eve.

Inzwischen waren die Kinder: Wolfgang und Erna aus der Schule, Grete mit ihrer Bonne aus dem Zoologischen Garten nach Hause gekommen, sämtlich kaum wiedererkannt von Justus, der sie vor vier Jahren zum letztenmal gesehen hatte. Aber der alte Freundschaftsbund war bald wieder geschlossen, und es schien Isabel darum zu thun, daß auch sie in denselben aufgenommen werde. Die Kinder waren von ihr bezaubert; Erna mußte ihr durchaus die Puppenstube zeigen, die sie vor acht Tagen zu ihrem Geburtstage geschenkt bekommen. Grete lief mit; Wolfgang, dessen große Augen fortwährend wie verzaubert an der neuen Tante hingen, folgte wie im Traum. Eve und Justus blieben allein.

Und nun laß Dir noch einmal von ganzem Herzen Glück wünschen, sagte Eve, Justus' beide Hände ergreifend. Du hast wahrlich ein Los gezogen, so groß, daß mir für Dich bang werden könnte, wüßte ich nicht, wie demütig und wie tapfer Du zu gleicher Zeit bist. Und, Justus, noch eines und ein für allemal: gräme Dich nicht, wenn sich herausstellen sollte, daß Isabel sich nicht zu mir hingezogen fühlt, und ich infolgedessen meinerseits die entsprechende Zurückhaltung beobachten muß. Nur Kinder und Thoren wollen alles auf einmal haben. Ich glaube, wir beide haben uns bereits gegenseitig bewiesen, daß wir weder das eine, noch das andere sind. Wir bleiben uns darum doch, was wir waren.

Justus konnte der Freundin nur stumm die Hände drücken: Isabel, die Kinder hinter ihr, trat wieder ins Zimmer, ihn und Eve, wie sie so nah aneinander standen, mit einem schnellen, forschenden Blick und dem leisesten Schimmer eines ironischen Lächelns um die ausdrucksvollen Lippen streifend.

Ein paar Minuten später verabschiedeten sie sich. Unten machte Justus den Vorschlag, ob sie nicht die Droschke fort, Friedrich nach Hause schicken und die Stadtbahn benutzen wollten, auf der sie das Krankenhaus am anderen Ende der Stadt, in welchem Doktor Eberhard eine Dienstwohnung hatte, viel schneller erreichen könnten. Aber Isabel meinte, das Wetter sei so schön, der Kutscher fahre so gut, und sie hasse die Stadtbahn, in der man stets mit allerlei sonderbarem Volk zusammengepfercht werde. Oder ob Justus es etwa satt habe, mit ihr allein zu sein?

Justus sagte, daß er mit ihr allein bis an das Ende der Welt, geschweige denn nach dem äußersten Berlin O. fahren wolle, und die Droschke setzte sich in Bewegung.

Es war eine lange, lange Fahrt und sie hätte sehr vergnüglich sein können, da Isabel, die selten in das Centrum der Stadt und nie in den östlichen Teil derselben gekommen war, aus dem Gedränge der Wagen und Menschen tausenderlei Interessantes mit ihren unfehlbar scharfen Augen herauszufinden und mit ein paar treffenden Worten in das rechte Licht zu stellen wußte. Nun aber war es Justus, auf dessen Seele ein Schatten lag. Er hatte eine fast abergläubisch hohe Meinung von Eves Urteilskraft in psychologisch-moralischen Dingen; auch nicht eines Falles erinnerte er sich, wo sie einen Charakter, ein Verhältnis falsch aufgefaßt; in ihrer Voraussage, welches der Ausgang dieser, oder jener Verwickelung sein werde, sich geirrt hätte. Ach, und das Prognostikon, das sie in ihrer stillen Sicherheit dem künftigen Verkehr zwischen ihr und Isabel gestellt, hatte so trübe gelautet! Gewiß, daß man nicht alles auf einmal haben könne! Aber weshalb sollte ein schwesterlicher Bund zwischen zwei so liebenswürdigen, jede in ihrer Weise ausgezeichneten Frauen unmöglich sein, weil die eine die schwesterliche Freundin des Gatten der anderen war? Glücklicherweise lag das Verhältnis zu Eberhards anders und besser. Ihm würde es niemals einfallen, die Intimität, die zwischen Isabel und dem Freunde bestand, je mit scheelem Auge anzusehen; und wie hoch er auch Ediths offenen, loyalen Charakter schätzte und wie sehr er ihre Schönheit bewunderte, von der Innigkeit der Freundschaft, die ihn an Eve fesselte, konnte zwischen ihnen nicht die Rede sein. So durfte er denn wohl mit Zuversicht hoffen, daß mit diesen anderen lieben Freunden in gutem Einvernehmen weiter zu leben, für Isabel trotzalledem eine Herzenssache sein werde.

Endlich war man bei dem großen, von weitläufigen, noch etwas jungen Gartenanlagen umgebenen Krankenhause angelangt. Auch hier brachte Friedrich die Botschaft zurück, daß für den Augenblick nur die Frau Doktor zu sprechen sei und sich freue, die Herrschaften zu empfangen. Aber zu Justus' Befremden war die Begegnung zwischen den beiden langjährigen Freundinnen nicht so herzlich, wie er sie sich ausgemalt hatte. Wenigstens nicht von seiten Ediths, aus deren schönen, sonst so klaren, freundlichen Zügen eine gewisse nervöse Erregung zu sprechen schien, die sie denn auch auf eine darauf bezügliche teilnehmende Frage von ihm nicht in Abrede stellte.

Mir geht es, wie immer, vortrefflich, sagte sie, auch den beiden Kindern; aber mit meinem Mann bin ich gar nicht zufrieden. Karlsbad hat ihm nicht gut gethan. Seine Kollegen versicherten einstimmig, daß er nicht dorthin gehöre; aber er, der immer behauptet, ein Arzt könne sich nicht selbst behandeln, blieb hartnäckig bei seiner Ansicht. Nun hat er den Schaden. Er ist nervös, reizbar, ganz gegen seine Gewohnheit, und muß jetzt selber zugeben, Karlsbad war ein dead failure.

Ich begreife das nicht, sagte Justus; er schien, so lange wir dort beisammen waren, frisch, kraftvoll und in der besten Stimmung.

Ihr seid viel beisammen gewesen? fragte Edith.

Sehr viel, fast beständig, das heißt, bis –

Ich verstehe, sagte Edith, Justus unterbrechend: bis auf alle die Stunden, in denen ihr beide vorzogt, unter vier Augen zu sein. Haben Sie Sandor gesehen?

Nein, erwiderte Justus; wir haben bis heute niemand von unseren Freunden gesehen.

Bei uns ist er ein paarmal gewesen, fuhr Edith fort: ihm scheint Karlsbad womöglich noch schlechter bekommen zu sein, als meinem Mann. Er ist verdrießlich, zänkisch, rechthaberisch – kurz: unausstehlich.

Die armen Schauspieler und Schauspielerinnen, die jetzt seine üble Laune werden entgelten müssen!

Freilich; aber wenn ihr Herren der Schöpfung übler Laune seid, muß es ja irgend jemand entgelten, und wäre es auch – faute de mieux – die eigene Frau. Apropos, Isabel, hat eigentlich mein Mann Dich nach Karlsbad geschickt?

Nein, erwiderte Isabel.

Der ganze letzte Teil der Unterredung war nur zwischen Edith und Justus geführt worden, während Isabel, vor sich niederblickend, scheinbar teilnahmslos dagesessen. Auf Ediths Frage hatte sie die Augen mit einem nicht eben freundlichen Blick gehoben, und ihr Nein war kurz, fast hart gewesen. Dann sagte sie in ihrem gewöhnlichen Ton:

Wie kommst Du zu der Frage?

Ah, erwiderte Edith; ich glaubte so, weil er wußte, daß Justus dort war. Das wird er Dir doch wenigstens gesagt haben?

Das zu fragen, hat sich selbst Justus gehütet, erwiderte Isabel; er ist, wie in allem, so auch darin musterhaft, daß er möglichst selten fragt, und niemals, wenn er fürchten muß, dem anderen möchte die Antwort unbequem sein.

Ich habe nicht unbequem sein wollen, sagte Edith.

Eine verlegene Pause entstand, die zum Trost für Justus durch Eberhards Eintreten unterbrochen wurde.

Er sah in der That blaß und angegriffen aus, was besonders hervortrat, als eine Röte, die bei dem, wie es schien, unerwarteten Erblicken der Freunde sein schönes Gesicht bedeckt hatte, schnell wieder verschwunden war. Wenn er abgespannt aussehe, so sei das erklärlich, nachdem er eben sechs Operationen, eine schwerer als die andere, hinter sich habe; übrigens befinde er sich vollkommen wohl, die gegenteilige Behauptung Ediths sei nur eine hypochondrische Grille.

So plauderte er scheinbar munter weiter, hielt den beiden eine kleine Strafpredigt über die Heimlichkeit, mit der sie sich aus Karlsbad entfernt und dadurch alle Welt bis zum letzten kleinsten Brunnenmädchen in Verzweiflung gestürzt hätten; gab dann eine launige Schilderung des famosen Festmahls, mit welchem die verlassenen Freunde ihren Gram zu bekämpfen versuchten. Aber so vergnüglich das alles schien, es fehlte für Justus' Ohr etwas an dem gewohnten vollen, kräftigen Klang der Stimme, und er hatte die Empfindung, daß der Freund zum erstenmale, seitdem er ihn kannte, sich nicht natürlich gebe und irgend ein physisches Unwohlsein, oder seelisches Leid künstlich zu verbergen suche.

Er gab Isabel einen verstohlenen Wink, daß sie aufbrechen möchten; Isabel erhob sich sogleich.

Haben Sie noch einen Besuch vor? fragte Eberhard.

Wir wollten ursprünglich noch zu Sibylle, erwiderte Isabel; aber ich fürchte, es ist zu spät geworden.

So thun Sie es wenigstens so bald als möglich, sagte Eberhard. Ich habe sie gestern noch gesehen; Karlsbad ist ihr vortrefflich bekommen; sie ist kräftiger als seit Jahren; Sie brauchen also nicht zu fürchten, daß Sie nach dieser Seite ungelegen kommen. Überdies erwartet sie Ihren Besuch mit größter Sehnsucht. Sie hatte mit Bestimmtheit gehofft, das verlobte Paar noch in Karlsbad zu treffen, und war über Ihre plötzliche Abreise am nächsten Morgen tief betrübt, wenn man das überhaupt von ihr sagen kann. Sie ist bei allen ihren oft entsetzlichen Leiden stets gefaßt und heiter und erträgt alles mit der Geduld einer Heiligen, die sie denn auch wirklich ist.

Eberhard, müssen Sie wissen, ist seit einiger Zeit stark in Überschwenglichkeiten, bemerkte Edith trocken.

Es ist keine Überschwenglichkeit, erwiderte Eberhard fast erregt. Ich glaube, einige Erfahrungen auf diesem Gebiete zu besitzen; aber ich habe noch keinen Fall beobachtet, in welchem, wie in diesem, die Seele sich von einem gebrechlichen, ja gebrochenen Leib so völlig frei gemacht hätte. Übrigens verstehe ich nicht recht, wie ich dabei auf Deinen Widerspruch stoße: Du bewunderst sie doch sonst nicht weniger als ich.

Lassen wir es gut sein! sagte Edith. Und dann, offenbar, um dem Gespräch, das sich bereits an der Thürschwelle abspielte, eine andere Wendung zu geben:

Der Besuch wird um so interessanter für Sie sein, als Sie auch Armands junge Frau bei Sibylle treffen werden.

Was Du sagst! rief Isabel. Das ist allerdings interessant. Da muß ich mich wirklich noch einmal setzen. Ich denke, zwischen den beiden edlen Häusern ist das Tischtuch ein für allemal zerschnitten?

Es ist auch sehr gegen Armands Willen, daß seine Frau hier ist, erwiderte Eberhard. Ich darf es ja sagen, da Sie es doch erfahren würden. Sie hat es nicht länger ertragen können und ist vor ein paar Tagen ganz unerwartet hier angekommen. Isidor Seligmann, der die Verbindung mit dem gräflich Waldburgschen Hause mit so und soviel Millionen nicht umsonst erkauft haben will, ist außer sich gewesen, hat ihr gesagt, daß nach seiner Geschäftspraxis abgeschlossene Händel gelten müßten, und sie sofort zu ihrem Manne zurückzukehren habe, wolle sie nicht seinen väterlichen Fluch auf sich herabziehen. Christine – Sie wissen, daß sie, als sie sich jetzt taufen ließ, diesen Namen zu ihren übrigen angenommen – hat es, als ein kleines entschlossenes Wesen, das sie bei all ihrer körperlichen Dürftigkeit und, ich glaube, geistigen Beschränktheit ist, darauf ankommen lassen, und, anstatt nach Trowitz zurückzukehren, bei Sibylle Zuflucht gesucht und natürlich gefunden. Hier nun wieder Außersichsein von seiten des Grafen, der, nachdem ihm alle Welt damals in Armands Affaire unrecht gegeben, den Skandal nicht noch vergrößert sehen, einlenken und sich mit Armand auf einen besseren Fuß stellen möchte. Auch er wollte die Unglückliche nicht bei sich aufnehmen, mußte es aber wohl, als Sibylle darauf bestand. Er weiß, daß Sibylle, wenn sie etwas will, es auch durchsetzt. So ist er denn augenblicklich in Schlesien bei Armand. Er wird nicht viel ausrichten. Armand ist untraitabel, und die unglückliche kleine Frau besteht auf Scheidung. Es wird darauf ankommen, ob sie Sibylle auch dafür gewinnen kann. Ich hoffe es. Weshalb sich so von dem rohen, leichtsinnigen Burschen weiter quälen lassen.

Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet! sagte Edith.

Um Gottes willen, rief Eberhard in dem erregten Ton, in den er während des Besuches schon ein paarmal verfallen war; Du wirst den Menschen doch nicht noch verteidigen wollen!

Ich will ihn nicht verteidigen, erwiderte Edith. Ich meine nur, daß man seine Sympathie für bessere Leute aufsparen sollte, als für solche, bei denen alles, hinüber und herüber, von Anfang bis zu Ende, das reine Handelsgeschäft gewesen ist. Sie wollte Frau Gräfin werden, das ist sie geworden und wird es bleiben, auch wenn sie sich scheiden läßt; er wollte seine so und soviel Millionen Mitgift, die hat er und wird sie behalten, besonders wenn sie ihm wegläuft. Und Eines spricht in meinen Augen denn doch für beide: sie haben sich sicher niemals gesagt, daß sie sich lieben und ohne einander nicht leben können.

Aber jetzt ist es die höchste Zeit für uns! sagte Isabel, sich rasch erhebend. Wir kommen sonst wirklich nicht mehr zu Sibylle. Au revoir, Edith dear! Auf Wiedersehen, Doktor!


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