Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel.

Hat sie Gift genommen? fragte sich Base Anna, als Stunde um Stunde verging, und in Isabels Zimmer alles still blieb. Sie wollte noch bis zwölf Uhr warten, und wenn dann auf ihr Klopfen keine Antwort erfolgte, nach dem Schlosser schicken. Es würde freilich sofort im Hause Lärm geben, eine Menge Menschen herbeilaufen, die Polizei sich einmischen, die Sachen versiegeln, und sie keine Zeit behalten, den Nachlaß »der gnädigen Frau« – lächerlich! in ihrem Interesse zu ordnen. Da hatte sie es in Eisenhammer, als der Alte starb, besser gehabt und ihr Schäflein lange vorher im Trocknen. Selbst das Kostgeld, das er voraus bezahlt, hatte der dumme Junge, der Justus, nicht wieder bekommen. Aber seitdem waren die Zeiten immer schlechter geworden, eine arme hilflose Frau wußte sich kaum noch ehrlich durchzubringen. Nun fehlte bloß noch, daß Isabel, anstatt Gift zu nehmen – was doch offenbar das weitaus Gescheiteste gewesen wäre – den Försterjungen heiratete. Dann war alles aus.

Aus diesen Betrachtungen wurde Anna durch ein Klingeln an der Außenthür aufgeschreckt. Sollte es der Herr Baron mit den Zwanzigmarkstücken sein?

Es war nicht der Baron, sondern Dr. Eberhard, den sie noch von Schlesien her kannte und neulich in Berlin, als sie Isabel am Abend von dem Hause des Doktors abholte, wiedergesehen hatte. Sie verspürte große Lust, den Herrn kurz abzuweisen, bedachte dann aber, daß man es ihr zur Last legen könne, in einem so kritischen Momente einen Arzt weggeschickt zu haben. So öffnete sie denn und erwiderte auf des Doktors Frage: ob die gnädige Frau zu sprechen, mit möglichst besorgter Miene: die gnädige Frau, seitdem sie vom Brunnen, den sie nicht getrunken, zurück sei, halte sich eingeschlossen, und sie für ihr Teil habe sich schon halb zu Tode geängstigt.

So klopfen Sie noch einmal und melden, daß Dr. Eberhard die gnädige Frau dringend zu sprechen wünsche!

Der Doktor hatte diese Worte kaum mit lauter Stimme gesprochen, als, zu Annas ärgerlichem Staunen, Isabel auf der Schwelle ihrer Thür erschien, mit raschen Schritten auf den Doktor zutrat, ihn bei der Hand ergriff und mit sich in ihr Zimmer zog, deren Thür sich alsbald hinter den beiden schloß.

Lebt er? fragte Isabel in leisem, heiserem Ton.

Die kleine Hand, die Eberhard noch umfaßt hielt, war eiskalt, und die großen dunkeln Augen starrten mit fieberhafter Spannung zu ihm auf.

Beruhigen Sie sich, erwiderte der Arzt, die Hand an seine Lippen ziehend; es ist ihm kein Haar gekrümmt.

Ein kurzes hysterisches Lachen drang aus Isabels Kehle.

Da hat man sich einmal wieder ohne Not gesorgt, sagte sie mit dem sichtbaren Bemühen, ihren gewöhnlichen leichten Ton anzuschlagen.

Eberhard hatte sie zum Sofa geführt, auf dem er sie Platz nehmen ließ, indem er für sich selbst einen Fauteuil heranrückte, um dann nach ihrem Puls zu fühlen.

Haben Sie ein Brausepulver, oder etwas derart zur Hand? fragte er; und als sie den Kopf schüttelte: So thut es auch ein Glas Wein. Sie müssen durchaus etwas zu sich nehmen.

Er ging, ohne eine Antwort abzuwarten, nach der Thür, drückte auf die Klingel und befahl Anna, die alsbald erschien, Wein und Weißbrot schleunigst zu besorgen, kam dann zu dem Sofa zurück, und sagte, wieder Platz nehmend:

Offen gestanden, gnädige Frau, ich selbst bedarf einer kleinen Erfrischung; ich bin seit heute morgen nüchtern.

Und der andere? fragte Isabel.

Er lebt auch und wird am Leben bleiben und noch unzählige Herzen brechen, trotzdem es ihm in diesem Augenblicke nicht zum besten geht. Aber ich erzähle Ihnen das alles, gnädige Frau, hernach umständlich. Fürs erste müssen wir frühstücken.

Nur noch eines! Ist Justus fort? muß er von hier fort?

Ich denke nicht. Die Sache ist in aller Stille vor sich gegangen; und wenn etwas davon verlautet, wie wohl möglich, ja wahrscheinlich – die Behörde in einem Badeort hört nicht gut auf dem Ohr, wie die Franzosen zu sagen pflegen. Doch da kommt das Frühstück.

Anna war mit einer Tablette, auf der eine Karaffe mit Rotwein, Gläser und ein Körbchen mit Backwerk standen, hereingetreten. Dr. Eberhard nötigte Isabel ein Glas Wein auf, während sie von dem Brote nur ein paar Krumen essen konnte. Anna hatte das Zimmer wieder verlassen; Eberhard rückte seinen Sessel noch etwas näher und begann seinen Bericht.

Die Parteien waren zur Minute auf dem Rendezvous in dem Wäldchen hinter Pirkenhammer eingetroffen. Ein von den Sekundanten, die Form zu wahren, angestellter Sühneversuch war von beiden Seiten abgelehnt; das Duell der Ordnung gemäß eingeleitet worden. Justus war völlig ruhig gewesen, während die Haltung Herrn von Lippers eine gewisse nervöse Aufregung bekundet hatte. Den ersten Schuß hatte Justus in die Luft abgegeben so augenscheinlich, daß es auch seinem Gegner klar geworden sein mußte, dessen Kugel so nahe an Justus vorbeiging, daß sie ihm den Hut, den sie am äußersten Rande gestreift hatte, vom Kopfe riß.

Sie begreifen, gnädige Frau, fuhr Eberhard fort, daß er einen Gegner, dessen Absicht so offen zu Tage lag, nicht länger schonen konnte. So sah ich denn zu meiner großen Beruhigung, daß er beim zweiten Schuß sein festes Ziel nahm. Er hat es denn auch nicht verfehlt. Die Kugel war Herrn von Lipper in die linke Schulter geschlagen, – ich will Sie mit den chirurgischen Details verschonen. Es ist eine verhältnismäßig leichte Verwundung, die in wenigen Wochen geheilt sein wird. Wir haben ihn vorläufig in das hiesige Krankenhaus geschafft, wo er gut aufgehoben ist. Ich glaube, daß er in ein paar Tagen nach Berlin zurückreisen kann.

Schade! sagte Isabel.

Eberhard blickte ein wenig erstaunt auf – die schöne Frau war doch rachsüchtiger, als er gedacht hatte.

Er hätte eine härtere Strafe verdient, sagte er lächelnd; um Justus' willen ist mir aber recht lieb, daß es so gekommen ist. Es wäre ihm doch nicht leicht gewesen, das Leben eines Menschen auf der Seele zu haben.

Eines Menschen, der ihm selbst nach dem Leben getrachtet hat? sagte Isabel.

Es ist immer ein eigen Ding, erwiderte Eberhard achselzuckend.

Ihr Männer seid eben zu weichherzig, sagte Isabel. Und Baron Secken, scheint es, geht leer aus?

Für diesmal, ja.

Schade! sagte Isabel noch einmal.

Eine Pause entstand. Eberhard nippte nachdenklich an seinem Wein. Die hochgradige Aufregung, welche Isabel anfänglich an Tag gelegt, schien völlig verschwunden. Sie war freilich noch sehr blaß, aber der Ausdruck ihrer Miene konzentriert und ihre Stimme so ruhig, als liefe das Gespräch über irgend eine gleichgültige Affaire, von der die Zeitungen berichtet. Und er dachte an gestern abend, als ihm Justus gesagt: ich liebe sie, und ich habe Hoffnung und habe keine. Es wollte dem Doktor bedünken, als sei das letztere der Fall. Das schmerzte ihn tief. Er hatte Justus aufrichtig lieb, und er sagte sich, daß, wenn es schon schwer halte, diese Frau nicht zu lieben, der, welcher sie liebte, sie mit unendlicher Leidenschaft lieben, und, unglücklich liebend, unendlich unglücklich sein müsse. Er wollte, auch auf die Gefahr der Indiskretion, versuchen, zu erfahren, ob seine Befürchtung begründet sei.

Justus, begann er von neuem, hat sich in dieser Angelegenheit mit einer Bravheit benommen, die ihm meine volle Achtung eingetragen haben würde, wenn er sie nicht längst schon besessen hätte.

Ja, sagte Isabel, er ist wirklich ein braver Mensch.

Und der, fuhr Eberhard fort, wenn einer, verdient, recht, recht glücklich zu werden.

Unter den schwarzen Wimpern Isabels schoß ein prüfender Blick zu dem Doktor hinüber.

Ah! sagte sie, Sie gehören auch zu den Leuten, die noch an Glück glauben.

Gott sei Dank! sagte Eberhard.

Wie man es nehmen will, fuhr Isabel mit derselben ruhigen Stimme fort. Ich halte mit Ihrer gütigen Erlaubnis diesen Glauben für eine Thorheit und Elsas: »Es giebt ein Glück, das ohne Reu« schon deshalb für einen Nonsens, weil selbstverständlich ein reuevolles Glück kein Glück sein würde. Aber kein sogenanntes Glück kann ohne Reue sein, und wäre es auch nur die nachträgliche, daß man sich in seiner kindischen Einfalt von jenem Köhlerglauben an die Existenz eines dauernden Glückes – denn von diesem sprechen wir ja wohl! – hat düpieren lassen – eine Wahrheit, über die eben jene Elsa nach Lohengrins Verschwinden nachzudenken reichlich Zeit gehabt haben wird. Ein ephemeres, momentanes Glück – nun ja, das mag vorkommen. Aber verlohnt sich das der Mühe? Merkwürdig übrigens: ich habe über dasselbe Thema noch gestern abend ausführlich mit Justus verhandelt.

Er hat keine Hoffnung, sprach Eberhard bei sich, und laut sagte er: Justus wird Ihnen schwerlich recht gegeben haben. Ich kenne keinen Menschen, dem es so heilige Herzenssache ist, daß die Menschen im ganzen und einzelnen, im großen und kleinen möglichst glücklich seien, und der, was in seinen Kräften steht, aufbietet, sie so zu machen. Und das ist dann schließlich wohl das größte, ja, wenn Sie wollen, das einzige Glück, wonach der Mensch auf Erden streben sollte.

Also das Phantom von einem Glück! rief Isabel lebhaft; denn wenn es darin besteht, andere glücklich machen zu wollen, die man nicht glücklich machen kann, die wieder andere glücklich machen wollen, ohne es ebensowenig zu können und so weiter ins Unendliche, so ist es, alles in allem, die Jagd nach einem Glück, das nirgends existiert, als in frommen Wünschen, über die die Götter lachen.

Nicht, wenn es gute Götter sind, sagte Eberhard.

Es giebt keine guten Götter, erwiderte Isabel schnell; es giebt nur Götter, die in Ambrosia und Nektar und Liebe schwelgen, und sich in Ätherglanz hüllen, von dem dann wohl einmal ein Schimmer auf uns arme Menschen herabgleitet. Ich habe von Kindesbeinen auf nach diesem Schimmer gehascht und nur, wenn ich ihn und so lange ich ihn zu halten glaubte, erschien mir das Leben lebenswert.

Ihre Wangen hatten sich wieder gerötet; ihre dunklen Augen glänzten. Ein Rausch des Entzückens überfiel Eberhard und ein wildes Verlangen, ihr zu Füßen zu sinken und ihre kleinen Hände an seine Lippen zu pressen. Aber er beherrschte sich und sagte mit gut gespielter Ruhe:

Ein begreifliches Programm für eine Frau, wenn sie zufälligerweise so schön ist wie Sie.

Isabel lachte hell auf:

Ein Mann, der eine so schöne Frau hat, wie Sie, darf sich ein solches Kompliment erlauben, ohne in den Verdacht zu geraten, schmeicheln zu wollen.

Ich habe nicht schmeicheln wollen, sagte Eberhard; es ging mir nur ein anderer Gedanke durch den Kopf. Es ist ein Widerspruch, nicht an Glück zu glauben und doch das Leben unter gewissen Bedingungen lebenswert zu finden. Meinetwegen nur auf Momente, aber aus Momenten setzt sich das Leben zusammen. Wenn nun die schöne Frau – ich spreche ganz im allgemeinen – noch in ihr Programm aufnähme: die Schönheit, mit der sie selbst begnadet ist, in das Leben eines zu tragen, dessen Seele nach Schönheit lechzt, wie es die Seele eines Künstlers, eines Poeten immerdar thut, und so sein Leben tausendfach zu erhöhen, indem sie ihr eigenes erhöht, – sollte das wirklich nur ein Phantom von Glück, sollte es nicht ein reales, hohes beneidenswertes Glück sein?

Bis der Tod kommt – und wie bald kann er kommen? – und dem armen Poeten sein hohes Glück raubt, und er elender ist als vorher, sagte Isabel leise.

Nimmermehr! rief Eberhard. Ein Gefäß, das mit Narde gefüllt war, verliert den Duft nicht so bald; und in seiner Seele wird der Nachglanz der Schönheitssonne, die ihm einmal leuchtete, bleiben und noch seine Todesstunde verklären.

Und das, meinen Sie, ist mit einem frühen Tod nicht zu teuer bezahlt? fragte Isabel, leise wie vorher.

Ja, das meine ich, erwiderte Eberhard eifrig; selbst wenn der frühe Tod gewiß wäre, was er doch wahrlich nicht ist. Für jemand zu sterben, den man liebt, was ist denn das? Der Arzt darf das wohl sagen, der täglich in die Lage kommen kann, sein Leben aufs Spiel zu setzen für einen Menschen, der ihn im übrigen gar nichts angeht. Und für jemand, den man liebt! Gnädige Frau – bin ich so weit gegangen, kann ich auch weiter gehen – wofür und für wen glauben Sie, daß Justus heute morgen sein Leben in die Schanze geschlagen hat? Doch nicht für sich und seine Ehre, die ein lächerlicher Geck, wie dieser Herr von Lipper, gar nicht zu kränken im stande ist! Doch nur für Sie, die er mehr liebt als sich selbst und für deren Ehre sein Leben hinzugeben er sich nicht den Tausendteil einer Sekunde besinnt!

Isabel antwortete nicht sogleich. Sie saß in die Sofaecke zurückgelehnt, jetzt womöglich noch bleicher als vorher und mit gesenkten Wimpern, die sie auch nicht hob, als sie dann, fast tonlos, fragte:

Wo ist er jetzt?

Er ist gleich nach dem Rencontre und nachdem ich ihn versichert, daß die Verwundung seines Gegners eine ungefährliche sei, in den Wald gegangen. Ich würde zu Hause keine Ruhe haben, sagte er. Ich weiß nicht, wann er zurück sein wird. Vielleicht ist er es schon. Ich kann es sofort erfahren, da ich jetzt mit ihm in einem Hause wohne. Soll ich etwas an ihn ausrichten?

Eberhard hatte sich von seinem Sitz erhoben; auch Isabel richtete sich halb aus ihrer Ecke auf.

Nein, sagte sie; aber ich habe eine Bitte, eine große Bitte an Sie. Wenn ich gestorben bin, geben Sie ihm diesen Brief!

Sie hatte bei diesen Worten einen Brief aus der Tasche genommen, den sie ihm nun hinhielt.

Wenn Sie gestorben sind, sagte Eberhard; ja, gnädige Frau, was heißt denn das?

Nicht, daß ich mir das Leben nehmen will, erwiderte Isabel mit einem geisterhaften Lächeln. Fürchten Sie nichts, ich denke nicht daran; ich habe das Leben sehr lieb trotz alledem. Fragen Sie nichts weiter: ich kann Ihnen keine weitere Aufklärung geben. Ich bitte nur noch einmal herzlich: nehmen Sie! und thun Sie, um was ich Sie bitte, wenn nicht für mich, so denn um Justus willen!

Für Sie beide! sagte Eberhard. Für Sie beide!

Er hatte den Brief eben in die Tasche gesteckt, als draußen geklingelt wurde. Isabel war aus ihrer Ecke emporgefahren und stand, am ganzen Leibe bebend, da. Sie hatte nicht die Kraft, herein! zu sagen, als nun geklopft wurde; Eberhard that es für sie. Im nächsten Augenblick stand Justus im Zimmer und Isabel hing an seinem Halse.

Geliebtes, geliebtes Sonntagskind!

Geliebte Isabel!

Als sich die Seligen aus ihrer Umarmung lösten, fanden sie sich allein.

Und nun saß Isabel wieder auf dem Sofa und Justus kniete vor ihr und bedeckte ihr Gewand, ihre Hände mit leidenschaftlichen Küssen.

Du Wilder, Böser! flüsterte Isabel; was hast Du mir für Sorge gemacht! Aber Du bist mein braves Sonntagskind gewesen und darfst mich dafür auf den Mund küssen. So! so! so! Und nun siehst Du, Sonntagskind, mußt Du die kleine Isabel anstandshalber heiraten so bald wie möglich. Und jetzt stehst Du auf und gehst sofort nach Haus und ziehst Dich sehr hübsch an, damit ich mich Deiner nicht zu schämen brauche, wenn wir noch eine halbe Stunde auf der Alten Wiese Arm in Arm flanieren und dann ein kleines verschwiegenes Verlobungsdiner in unserer Ecke einnehmen. Morgen aber lädst Du Dr. Eberhard ein und Deinen Berliner Freund, der meinem Sonntagskind so brav sekundiert hat. Dann beim Dessert feierliche Ankündigung und Tableau! Ist es Dir recht?

Alles, alles!

Das ist brav. Es muß Dir alles recht sein, was ich sage und thue. So! da hast Du noch einen Kuß! Und nun mach', daß Du fortkommst!


 << zurück weiter >>