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Zwölftes Kapitel.

Die Aufführung von Justus' Stück hatte stattgefunden, und Sandors Prophezeiungen waren in genaueste Erfüllung gegangen. Mit Ausnahme der Heldin, welche des »verehrten Dichters« spröde Zurückhaltung nicht verwinden konnte, hatten alle Darsteller nach Maßgabe ihrer Kräfte ihre Schuldigkeit gethan. Aber diese Kräfte waren den schwierigen an sie gestellten Anforderungen nicht annähernd gewachsen gewesen; die Darsteller, die es am weitesten gebracht, hatten einen groben Umriß der ihnen zugeteilten Rollen geliefert; die von ganz ungeschulten Leuten ausgeführten wichtigen Volksscenen nur verworrene Bilder geboten. In der dekorativen Ausstattung, die große Mittel erforderte, war es bei dem guten Willen der zur äußersten Sparsamkeit gezwungenen Direktion geblieben. Nichtsdestoweniger hatte die Dichtung bei dem zahlreichen Publikum eine warme Aufnahme gefunden, der Direktor nach dem dritten Akte und nochmals nach dem Schlusse für den abwesenden Dichter danken müssen; wer es nicht besser wußte, hätte glauben mögen, der Abend sei ein schöner Erfolg gewesen.

Dafür berichteten die Morgenblätter – die meisten in kurzen Notizen, einige in spaltenlangen, zweifellos schon vorher geschriebenen Artikeln – von einem totalen Mißerfolg. Das Stück sei in der leidigsten, völlig veralteten, jetzt glücklicherweise so ziemlich überwundenen idealistisch-romantischen Manier, nebenbei überhaupt kein Drama, sondern nur ein aus unterschiedlichen, allerdings hier und da nicht ganz undramatischen Scenen, mit groben Fäden zusammengeheftetes Flickwerk; der Autor solle sich mit den Erfolgen, die er auf anderen dichterischen Gebieten, zumal dem epischen, errungen, begnügen und seine Arme nicht nach Früchten ausstrecken, die zu pflücken geschickteren und kräftigeren Händen ein für allemal überlassen bleiben müsse.

Merkwürdigerweise war der einzige, der für die durchgefallene Novität mit Wärme eintrat, gerade der, in welchem man nicht mit Unrecht den kritischen Vorkämpfer der neuen Richtung zu sehen gewohnt war: Sandor. Er hatte den sonderbaren Einfall gehabt, die Première zu schildern, nicht, wie sie in Wirklichkeit stattgefunden in dem kläglichen Vorstadttheater, sondern als hätte er sie mit leibhaftigen Augen gesehen, dargestellt in dem königlichen Schauspielhaus von den ersten Künstlern, die er mit Namen nannte, jedem die Rolle zuteilend, welche seinem Naturell und seiner Weise am meisten entsprach. Das gab denn freilich ein anderes Resultat: wie wenn ein bis zur Unkenntlichkeit eingeschlagenes Bild, von Meisterhand restauriert, die ursprüngliche Gewalt seiner Komposition und Pracht seiner Farben entfaltet. Und die Meisterhand hatte nicht etwa diese oder jene Schwäche freundlich zugedeckt, dieser oder jener nicht herausgekommenen Intention liebevoll nachgeholfen – sie hatte alles völlig gelassen, wie es ging und stand. Zuletzt hatte der sonderbare Recensent der Generalintendanz warmes Lob gespendet, daß sie, der ernsten Pflichten des vornehmsten deutschen Theaters eingedenk, sich die Première eines ebenso schwierigen, wie bedeutsamen Werkes nicht habe entgehen lassen, im wohlverstandenen Interesse der Kunst im allgemeinen und ebenso des Autors, dessen vielversprechendem Talent die höchste Aufmunterung und eifrigste Förderung gebühre.

Der Artikel erregte großes Aufsehen, wußte man auch nicht recht, was man daraus machen sollte. Im ganzen war man geneigt, alles für eine an die Adresse der Generalintendanz gerichtete Satire zu halten, der doch aber wieder die scharfe Spitze fehlte, wenn das Stück so erbärmlich war, wie das ziemlich einhellige Verdikt der anderen Kritiker lautete. Solche, die hinter den Coulissen zu stehen behaupteten, versicherten, Sandor habe nur in übel angebrachter Großmut einem ihm persönlich eng befreundeten jungen Autor in seiner Not zu Hilfe kommen wollen; wieder andere, es sei eine der nicht seltenen Excentricitäten des unberechenbaren Mannes, dem es Spaß gemacht habe, ein Ding weiß zu nennen, just weil alle Welt es als schwarz bezeichnet; endlich solche – von der strikten realistischen Observanz – die wissen wollten, daß Sandor bereits seit einiger Zeit nicht mehr fest in den alten Schuhen stehe, und zu befürchten sei, er werde demnächst vollends fahnenflüchtig werden und in das Lager der Schönfärber übergehen.

Wie dem nun sein mochte, auch Sandors mächtige Hand konnte dem verfehmten Stück nicht aufhelfen. Bereits am dritten Abend war das Haus nach dem Ausdruck eines Vorstadtblattes »brechend leer« gewesen. Dem verzweifelten Direktor durfte man es nicht verargen, wenn er einen vierten Abend nicht nutzlos opfern wollte. Damit war für Kritik und Publikum die Sache abgethan.

An Justus war das alles vorübergegangen, als hätte es nicht ihn, sondern einen Menschen betroffen, der vor dreihundert Jahren lebte. Er hatte den Proben der letzten Akte, der Aufführung selbst nicht beigewohnt, von den Besprechungen nur die Sandors gelesen und dem treuen Freunde in ein paar Zeilen gedankt, für die er die wenigen Worte mühsam zusammensuchen mußte. All sein Denken und Empfinden wurde in den einen Strudel gewirbelt: die angstvolle Sorge um Isabel. Hatte der Geheimrat doch bereits am zweiten Tage angedeutet, daß es sich hier nicht um einen der vielen gewöhnlichen, wenig bedeutsamen Fälle handle, sondern um einen besonderen, der eine besonders sorgsame Pflege erheische, und bei dem man sich auf eine längere Dauer gefaßt machen müsse. Um so empfindlicher sei es, daß früher eingegangene, unabweisbare Verpflichtungen Marthe Anders, die beste Krankenpflegerin, verhinderten, das angefangene Werk fortzusetzen. So habe sie ihm doch wenigstens bei der Katastrophe assistieren können, was immerhin dankbar anzuerkennen sei.

Ich habe keine Verpflichtungen, hatte Marthe zu Justus gesagt, dennoch kann ich nicht bleiben. Ich bin schon gestern nacht nicht gern gekommen und nur, weil mir der Geheimrat schrieb, es sei unbedingt notwendig. Auch war Isabel so schwach; ich glaube, sie hat bis jetzt nicht gewußt, daß ich da war. Nun, wo sie etwas kräftiger ist, weiß sie es, und ich muß fort. Nicht daß sie mich fortschickte! Sie hat mich sogar zu bleiben gebeten; aber ich habe zu viel Erfahrung und weiß, daß meine Anwesenheit sie innerlich aufregt – das Schlimmste, was im Augenblick geschehen kann. Du erinnerst Dich, Isabel hat mich niemals gemocht.

Leider, sagte Justus, ihr Frauen seid wunderlich.

Wir sind nur konsequenter als ihr in unserm Haß und in unserer Liebe, erwiderte Marthe, und Isabel ist eine echte Frau. Da darf man sich nicht wundern, wenn unsere Eigenschaften bei ihr stärker ausgeprägt sind als bei anderen. Übrigens ist die Schwester, die in einer Stunde eintreffen wird, eine etwas schwächliche und herzlich unbedeutende, aber geschickte und willige Person, auf die Du Dich verlassen darfst. Sollte es nötig sein und Isabel mich haben wollen, so werde ich selbstverständlich wiederkommen.

Hältst Du ihren Zustand für gefährlich? fragte Justus. Du brauchst mir nicht so spähend in die Augen zu sehen. Ich kann die Wahrheit hören.

Früher hättest Du es gekonnt; ich weiß nicht, ob Du es jetzt noch kannst.

Weshalb nicht mehr jetzt?

Weil Du nicht mehr Du bist, sondern nur noch in Deiner Liebe lebst.

Fühlst Du nicht, daß, wenn Du so einer offenen Antwort aus dem Wege gehst, ich das Schlimmste befürchten muß?

Du hast recht. Nun denn: Isabels Zustand ist nach dem, was der Geheimrat mir gesagt hat und ich selbst davon verstehe, für den Augenblick nicht gefährlich, er kann es aber werden, wenn nicht bald eine entschiedene Besserung eintritt. Sie hat so wenig Kräfte zuzusetzen. Darin liegt die Gefahr. Ich hoffe zuversichtlich, daß sie verschwinden wird.

 

Ist sie fort, Sonntagskind? fragte Isabel, als Justus ein paar Minuten später an ihrem Bette saß. Ja? das ist recht. Sie meint es gewiß gut, mit Dir sicher, und, ich glaube, auch mit mir. Aber sie sieht einem mit ihren grauen Augen bis auf den Grund der Seele. Das ist unbequem, wenn da so viele Dummheiten liegen, wie bei mir. Sie ist die rechte Krankenwärterin für Leute, wie Sibylle. Die kann in einem Glashause wohnen. Apropos! Ist es wahr, daß sie täglich ein Pfund schwerer wird und rote Backen bekommt? Und was habt ihr neulich über mich gesprochen? Es war gewiß sehr schlimm. Du machst so ein liebes, verdutztes Gesicht.

Aber Justus war nur erschrocken. Während Isabel sprach, hatte ihre bleichen Wangen eine lebhafte Röte gefärbt, und ihre dunklen Augen glänzten fieberhaft. Er bat sie innig, dem Gebote des Geheimrats folgsam zu sein und sich nicht durch unnötiges Sprechen aufzuregen.

Du fängst an, ungalant zu werden, Sonntagskind, sagte sie; wenn ich etwas sage, so ist es immer nötig. Das solltest Du doch mittlerweile wissen.

Die neue Pflegerin erschien: ein stilles Mädchen mit sanften braunen Augen, das sich Margarete nannte, und von dem Isabel bereits am nächsten Tage erklärte, daß es eine wahre Perle sei, und noch niemand ihr das Haar mit so sanfter Hand arrangiert habe.

Denn siehst Du, Sonntagskind, sagte sie, das ist jetzt für mich die Hauptsache. Du weißt, ich bin auf nichts eitel, nur auf mein Haar, in das Du schon als Junge verliebt warst. Ich erinnere mich: ich traf Dich einmal im Walde – an einem Sonntagmorgen. – Du saßest unter der großen Tanne und träumtest – wie gewöhnlich. Da habe ich Dich auch zum erstenmal Sonntagskind genannt, weil Du so still und träumerisch ausschautest, wie der liebe Sonntag selbst. Ich hatte Dich längst gesehen und mir das Haar aufgeflochten, um Dir zu imponieren, und damit Du es mir nachher wieder flechten solltest. Du warst so himmlisch ungeschickt und hättest den Kuß nicht verdient, den ich Dir nachher gab. Dann, welche große Rolle spielt in Deinem Märchen Maiennachts Haar! Du hast mir oft gesagt, wenn ich fern von Dir bin, hast Du keine Ahnung, wie ich aussehe, was Du dadurch zu erklären versuchst, daß Du mich so sehr liebst. Mag sein! es klingt wenigstens hübsch. Da denke ich immer: wenn ich einmal tot bin, und Du mich sonst ganz vergessen hast – an mein Haar wirst Du Dich wenigstens erinnern. Nicht wahr, es fühlt sich weich an wie Seide? Und nun halte es einmal gegen das Licht, ob es da nicht goldig schimmert! Also: sie hatte seidenweiches, goldiges Haar. Basta!

Aber es war nicht nur ihr wundervolles Haar, auf das sie die größte Sorgfalt verwandte mit Hilfe Margaretes, die nicht müde wurde, es bald in zwei prächtige Zöpfe zu flechten, bald in goldenen Wellen auszukämmen, bald in eine kleidsame Frisur zu ordnen. Auch ihr weißes Gewand durfte des Schmuckes nicht entbehren: einer Spitzengarnitur, einer Schleife, einer Blume. Das Zimmer selbst mußte stets einen festlich-freundlichen Anblick gewähren, und so oft Justus kam, hatte sie für ihn ein Lächeln auf den Lippen. Daß sie, war er nicht bei ihr, oft stundenlang weinte – Margarete hatte es ihr feierlich mit Handschlag versprechen müssen, es Justus nie zu sagen, oder auch nur anzudeuten. Margarete – oder Perle, wie Isabel sie stets nannte – hatte es mit Thränen in den guten, braunen Augen gethan. Der Zauber, der Isabel umfloß, war tief in ihr weiches Herz gedrungen, und die Liebe zu ihrer schönen Kranken machte ihr den Dienst, den sie bei anderen Patienten so oft mechanisch verrichtet hatte, zu einer schmerzlichen Lust.

Verbarg Isabel so vor Justus ihre Thränen, und hätte sie ihm um keinen Preis die Quelle entdeckt, aus der sie flossen, war es seine teure Pflicht, die geliebte Kranke nicht ahnen zu lassen, wie trauervoll für ihn die Stunden waren, in denen er nicht bei ihr sein konnte, zumal die langen, bangen der Nacht, die er, wenn er nicht ruhelos, die Hände ringend, in seinem Zimmer auf und ab schritt, im Bette aufgestemmt sitzend, verweinte. Hätte er doch Marthe nicht gefragt, ob Gefahr für Isabel sei! oder wäre sie mitleidig genug gewesen, ihm die fürchterliche Wahrheit zu verhüllen! Er konnte ihr diese Mitleidlosigkeit nicht vergeben. Ihr Zustand kann gefährlich werden, wenn nicht bald eine Besserung eintritt, hatte sie gesagt. Und: Isabel hat so wenig Kräfte zuzusetzen, darin liegt die Gefahr. – Aber die Besserung war nicht eingetreten! und ihre Kräfte schwanden zusehends Tag für Tag! Tag für Tag war das süße Gesicht schmaler und schmaler geworden, so daß die schönen Augen mit den dunklen Rändern schier unnatürlich groß erschienen; die kleinen weißen Hände nahmen sich wie Kinderhände aus; und Tag für Tag, wenn er sie aus einem Bett in das andere trug, war die holde Last leichter in seinen Armen. Der Geheimrat, der doch in den ersten Tagen noch eine gewisse Zuversichtlichkeit zur Schau getragen, wich offenbar geflissentlich allen Erklärungen aus; meinte, man müßte das Beste hoffen, trotzdem der Fall in der That ein ganz besonderer sei, und daß er nichts dagegen habe, es vielmehr sehr begreiflich fände, wenn Justus einen zweiten Arzt hinzugezogen wünsche. Er würde dann unbedingt Doktor Eberhard vorschlagen.

Aber Isabel, als ihr Justus schonend die Frage vorlegte und sie bat, ja zu sagen, wäre es auch nur zu seiner Beruhigung, wollte nichts davon wissen.

Sie verstehen eben alle nichts, sagte sie, und zwei womöglich noch weniger als einer. Von Eberhard kann nun schon gar nicht die Rede sein. Ich sage Dir gelegentlich, warum. Und übrigens, ich weiß gar nicht, was der Geheimrat will. Mir geht es ja ausgezeichnet. Nur ein bißchen langweilig ist es. Denn, unter uns, Perle ist unschätzbar; aber daß sie amüsant wäre, kann ich nicht behaupten. Mußt Du schon wieder fort, Sonntagskind?

Ich bin in einer Stunde wieder hier.

Was ist es?

Eine ganz gleichgültige Geschäftssache, die aber doch besorgt sein will.

Also in einer Stunde! Ich werde die Minuten von der Uhr abzählen.


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