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Siebzehntes Kapitel.

Die Nacht und der Morgen hatten sich nicht gut angelassen; am Vormittage war eine jener tiefen Ohnmachten eingetreten, die, seitdem Eberhard die Behandlung übernommen, ausgeblieben waren. Justus hatte, auf Marthes Wunsch, an Eberhard telegraphiert, der nach einer Stunde kam. Seinen Bemühungen war es zwar gelungen, die Ohnmacht zu bannen; aber es hatten sich Symptome gezeigt, welche die bereits in den letzten Tagen stark herabgestimmten Siegeshoffnungen des Arztes vollends erschütterten. Mit der Hartnäckigkeit der Verzweiflung klammerte er sich an den letzten Hoffnungsrest.

Es steht schlimm, sagte er heimlich zu Marthe; aber noch gebe ich es nicht verloren. Ich werde um vier Uhr wiederkommen.

Sie werden eine Tote finden.

Sie sind eine Pessimistin.

Marthe antwortete nicht. Der Mann erschien ihr wahnsinnig. Was konnte es nützen, mit einem Wahnsinnigen Vernunft reden zu wollen?

Sollte sie Justus sagen, daß das Schreckliche nun über ihn hereinbrechen, die Sonne seines Lebens ihm für immer untergehen werde? Nach ihrer Sinnesart würde sie dem gezürnt haben, der ihr in einem solchen Momente die Wahrheit vorenthalten hätte; dann wieder raunte ihr das Mitleid zu: laß dem Unglücklichen die paar Stunden Gnadenfrist!

Justus hatte Eberhard hinausbegleitet.

Marthe! sagte Isabel mit kaum hörbarer Stimme.

Marthe trat an das Bett.

Marthe, ich lese Dir Deine Gedanken von der Stirn: sag' es ihm nicht! Verdirb mir nicht meine schöne Komödie! Ich habe sie nun schon so lange gespielt; ich möchte sie bis zu Ende durchführen. Ich könnte es nicht, wenn ich ihn weinen sähe. Er weint so leicht. Deshalb thu' mir auch die Liebe und rede nicht hinein, wenn Sibylle heute mittag mich zu besuchen kommt.

Könnten wir es nicht bis morgen lassen?

Fängst Du auch an Komödie zu spielen? Schäme Dich! Noch eines! Laß mich mit Justus sprechen, soviel ich irgend kann. Wenn ich mitten im Sprechen sterbe, desto besser. Gieb mir noch ein paar von den letzten Tropfen! Sie bringen mir ordentlich ein bißchen Leben in die Adern. Thu's doch! Es ist wahrscheinlich ein schreckliches Gift. Aber es ist ja jetzt alles eines.

Justus trat wieder herein. Er hatte Eberhard beschworen, ihm die Wahrheit zu sagen. Eberhard hatte eingeräumt, daß Isabels Zustand bedenklich sei; aber nicht mehr, als es im Laufe der Krankheit wiederholt der Fall gewesen, zumal in dem Augenblick, als er zuerst gerufen wurde. Und damals sei nach wenigen Stunden eine entschiedenste Besserung eingetreten. Es liege kein Grund vor, anzunehmen, daß diesmal der Verlauf ein anderer sein werde.

Marthe hatte nach einigen Minuten das Krankenzimmer verlassen. Weshalb den beiden Unglücklichen durch ihre Gegenwart die letzten Stunden unnötig stören?

Justus saß an dem Bett; er hielt die geliebte Hand in der seinen.

Sonntagskind, sagte Isabel, es geht mir ganz gut; nur ein bißchen schwach fühle ich mich. Ängstige Dich deshalb nicht, wenn ich nicht viel spreche. Du darfst desto mehr sprechen. Du weißt, ich höre Deine Stimme so gern. Ich habe mich zuerst in Deine Stimme verliebt. Oft habe ich mich im Walde versteckt, wenn wir da zusammen spielten, bloß, um Dich immer wieder Isabel! Isabel! rufen zu hören. Erzähle mir aus der Zeit: wann Du zuerst gewußt hast, daß Du mich liebtest! und wie bös Du mir gewesen bist, wenn ich Dich quälte, und mich doch immer weiter liebtest? Willst Du? Und wenn ich dabei einmal die Augen schließe, glaube nicht, daß ich schlafe! Ich träume dann nur um so süßer den holden Traum unsrer Liebe!

Und Justus that, wie sie geheißen, und erzählte von jenen sonnigen Tagen, als die Liebe in seinem Herzen aufgegangen war, ihm unbewußt, bis sie ihm das Märchen von der Fee und dem jungen Jägerburschen diktierte, und er an Huberts Liebe zu Maiennacht seine eigene Liebe erkannte.

Und da, so oft er eine Pause machte, die zarten Finger in seiner Hand ihn mit leisem Druck zum Weitersprechen mahnten, und, wenn er dann weiter sprach, ein glückseliges Lächeln um die bleichen Lippen schwebte, erzählte er die ganze Geschichte seiner Liebe, die ihm dabei erst in ihrer ganzen Herrlichkeit aufzugehen, all ihren Zauber zu entfalten schien.

Einen Zauber, der auch nicht schwand, ja nur noch bestrickender wurde, als er endlich auch auf die letzte Zeit zu sprechen kam, wo doch so manche Wolken den Horizont seiner Liebe verdüstert hatten. Welch ein Thor war er gewesen! wie hätte ein einziger Lichtstrahl des Humors diese dunklen Gebilde einer verstörten Phantasie in ihr Nichts aufgelöst! Jetzt plötzlich war ihm dieser Humor gekommen, wie eine göttliche Offenbarung, und das Lächeln um Isabels Lippen, die mit geschlossenen Augen zuhörte, wurde heller – so hell wie in den besten Tagen ihres neckischen Übermuts.

Ja, Sonntagskind, flüsterte sie; Du warst manchmal zum Küssen albern. So an dem letzten Abend, als Du aus unsrer Gesellschaft in das Theater liefst. Ich glaube, Du warst eifersüchtig auf Florisdorf.

Ein wenig, Herz.

Du thörichter Junge! Sag' Justus! die Menschen haben mich so oft kokett genannt. Bin ich es wirklich?

Du hast nur von Natur ein so süßes Lächeln und so glänzende Augen. Da denken die Männer: das gilt ihnen; und ist doch nichts als Deine gottbegnadete Natur, für die Du nicht mehr verantwortlich bist als der Schmetterling für den Glanz seiner Flügel, die Nachtigall für ihren holden Sang, die Rose für ihren süßen Duft.

Küsse mich, Sonntagskind!

Sie schwiegen beide eine Zeit lang. Dann begann Isabel wieder:

Du sagst, Du bist auf Florisdorf eifersüchtig gewesen. Auch auf andere?

Nicht eifersüchtig, wenn ich auch wußte und weiß, daß sie Dich lieben.

Wer?

Eberhard und Sandor.

Haben sie es Dir gesagt?

Sandor, ja!

Der arme Sandor! Und er ist so schon glücklos genug.

Aber er ist Dein Freund geblieben?

Ich habe keinen treueren.

Ich segne ihn dafür. Willst Du ihm das, sobald Du ihn wieder siehst, sagen? Ja, Herz!

Wieder schwiegen beide, und abermals war es Isabel, die das Schweigen brach:

Wer ist die Heldin in Deinem neuen Roman?

Ach, Herz, da müßte ich zu weit ausholen.

So laß es! Ich wollte Dich nur bitten, mich einmal abzukonterfeien, aber nicht als Fee, sondern wie ich wirklich bin: nicht besser und nicht schlechter, nicht schöner und nicht häßlicher. Nur darfst Du das nicht eher als bis ich tot bin, also in hundert Jahren. Denn siehst Du, Sonntagskind, an eine Fortdauer nach dem Tode und an ein Wiedersehen und all das glaube ich nicht. Und da wäre es doch schön, wenn ich so wenigstens in einem Deiner Romane weiter lebte.

Sie schwieg, schloß die Augen und schien nun wirklich eingeschlafen. Justus saß lautlos, regungslos, ihre Hand, durch die manchmal ein leises Zucken ging, in der seinen haltend.

Auf der Wendeltreppe ließ sich ein Geräusch vernehmen; Isabel öffnete sofort die Augen wieder.

Es ist Sibylle, sagte sie. Geh ihr entgegen, Justus, und führe sie herein! Und nimm dann Marthe mit Dir hinaus! Ich möchte gern mit Sibylle eine Minute allein sein.

Justus öffnete die Thür; Sibylle und Marthe standen bereits auf der Plattform. Dann war Sibylle eingetreten und Justus und Marthe waren draußen. Justus wollte die Treppe hinab; Marthe hielt ihn fest:

Bleib! sagte sie; es verlohnt sich nicht. Ich habe der Komtesse gesagt, daß der Besuch nicht länger als eine Minute dauern darf. Überdies könnte uns Isabel nötig haben.

Sie hatte, als sie jetzt nach einer Stunde Isabel wieder gesehen, mit Schrecken den veränderten Ausdruck in ihrem Gesicht bemerkt. Sie wußte, daß mit ihr und Justus der Tod hier vor der Thür stand.

Auch Sibylle war bei Isabels Anblick erschrocken gewesen, obgleich Marthe sie unten auf Schlimmes gefaßt gemacht hatte. Sie beruhigte sich aber wieder einigermaßen, als Isabel sie freundlich anlächelte, und erschrak abermals heftiger als zuvor: die weiße Kinderhand, die sie in ihre beiden Hände genommen, war kalt wie Eis.

Darf ich nicht Marthe rufen? fragte sie.

Isabel winkte mit den Augen: nein! atmete ein paarmal tief und sagte dann mit einer Stimme, die so leise war, daß Sibylle, trotzdem sie ihr Ohr fast auf Isabels Mund neigte, sie eben nur verstand:

Wirst Du Justus heiraten, wenn ich gestorben bin?

Nimmermehr!

Liebst Du ihn nicht?

Ja! aber ein Mann, der Dich geliebt hat, kann nicht zum zweitenmale lieben.

Ist das Deine Überzeugung?

So wahr ich lebe und zu Gott flehe, daß er Dich nicht sterben läßt.

Das Lächeln, das von Isabels Lippen verschwunden war, während sie sprach, kam wieder und schien sich über das ganze Gesicht zu breiten, daß es wie verklärt wurde. Eine namenlose Angst ergriff Sibylle. Sie war an der Thür, ohne zu wissen, wie sie dahin gekommen. Sie konnte nicht sprechen; es bedurfte dessen nicht, ihr angstvolles Gesicht sagte alles.

Als sie, Justus voran, an das Bett eilten, lag Isabel da mit demselben verklärten Ausdruck. Ihre Augen wandten sich für einen Moment zu Marthe, dann zu Sibylle und blieben auf Justus haften, glanzvoll, triumphierend. Dann schlossen sie sich ruhig, wie eines, der getrost entschlummern kann, und die todesbleichen Lippen hauchten:

Küsse mich, Sonntagskind!


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