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Dreizehntes Kapitel.

Es war keine ganz gleichgültige Geschäftssache, die Justus aus dem Hause trieb: er hatte eine Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter zu bestehen.

Sein Roman »Tagelöhner und Poet« war unbeanstandet durch die Feuilletons der Zeitungen gelaufen und bereits seit zwei Wochen als Buch in den Händen des Publikums. Die bis jetzt erschienenen Kritiken hatten ihm keine Freude machen können. Das Werk als Kunstwerk zu betrachten und zu beurteilen, war keinem der Herren eingefallen; sie hatten es höchstens daraufhin angesehen, ob es in den realistischen Kanon passe oder nicht und sich dahin entschieden, daß es keineswegs dahin passe. Die lahme Beweisführung der Verurteilung würde Justus sich haben gefallen lassen: es war darin doch wenigstens noch eine Spur von ästhetischer Kritik. Aber es empörte ihn, als ein ultrareaktionäres Blatt eine lange Besprechung brachte, in der von nichts als von der Tendenz des Romans gesprochen wurde, welche als eine so verwerfliche und gefährliche bezeichnet wurde, daß der Autor es nur der Nachsicht der Behörden zu verdanken habe, wenn man nicht bereits längst gegen ihn vorgegangen sei. Die so provozierte Staatsanwaltschaft, die sonst augenscheinlich keine Romane las, hatte sich daraufhin das hochgefährliche Buch näher angesehen und nun allerdings die Beschlagnahme verfügt.

Es war eine schwere, materielle Schädigung für Justus. Man befand sich gerade in der Weihnachtszeit; der Verkauf hatte sich trotz der ungünstigen Kritiken nicht schlecht angelassen; mit jedem Tage war die Nachfrage gestiegen; der Verleger hatte eine zweite Auflage in nächste Aussicht gestellt. Nun war sein Buch vom Markte verschwunden. Bis die Sache entschieden war, konnten Wochen, es konnten aber auch Monate vergehen – Wochen und Monate, die in der schnelllebigen Zeit für das Buch eines jungen Autors, der so fest noch nicht in der Gunst des Publikums stand, voraussichtlich tödlich sein würden.

Sandor begleitete Justus zu der Vernehmung, diesmal in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt, von der er jetzt nur noch aus Gefälligkeit für einen Freund Gebrauch machte.

Ich habe es kommen sehen, sagte er zu Justus, Ihnen sogar die drei schlimmsten Stellen, die man nun auch glücklich herausgefunden hat, bezeichnet. Aber Sie wollten nicht hören. Und hatten von Ihrem Standpunkte recht. Es ist so schon ein Kreuz und Elend mit unserer ganzen Dichterei. Aber wenn euch armen Teufeln nun noch verboten wird, zu sagen, daß etwas faul sei im Staate Dänemark, hört das bißchen Spaß vollends auf. Ihre Frau weiß doch nichts von der miserablen Geschichte?

Nein, und wird auch hoffentlich nie etwas davon erfahren.

Das wird sich kaum vermeiden lassen, wenn eine Verurteilung erfolgt, und nicht auf Geld-, sondern auf Gefängnisstrafe erkannt wird. Die Paragraphen hundertdreißig und hunderteinunddreißig unseres Strafgesetzbuches – Sie wissen, daß der Staatsanwalt zu größerer Sicherheit beide vor seinen Wagen gespannt hat – sind sehr elastisch.

Der Gerichtsrat, vor dem die Vernehmung stattfand, war die Höflichkeit selbst. Er entschuldigte sich beinahe, daß er Justus habe belästigen müssen, und erledigte die Sache in aller geschäftlichen Kürze, sich ausschließlich auf die vorgeschriebenen Fragen beschränkend. Die Frage: ob er Vermögen habe, konnte Justus mit bestem Gewissen verneinen, und war etwas betreten, als er belehrt wurde, daß die Wißbegierde des Gerichtes in diesem Falle sich auch auf das etwaige Vermögen seiner Frau Gemahlin erstrecke. Es bedürfe keiner genauen Angabe, nur der Antwort, ob Vermögen vorhanden sei oder nicht? Justus sagte, es sei Vermögen vorhanden.

Es ist gut, daß ich daran erinnert werde, sagte Sandor zu Justus, als sie das Gerichtsgebäude verließen. Wenn ich mich recht erinnere, hatten Sie das Barvermögen Ihrer Frau bei Kosmas Brüder deponiert?

Ja, erwiderte Justus, ich habe dabei einfach einen Wunsch und Auftrag meiner Frau ausgeführt. Man hat ihr das Haus als ganz besonders sicher empfohlen.

Galt auch bis jetzt allgemein dafür, sagte Sandor; alle Welt hat bei ihm deponiert. Aber seit ein paar Tagen cirkulieren schlimme Gerüchte über die Leute. Ich möchte zur Vorsicht raten. Am besten, Sie holen sich das Geld noch heute nachmittag, die Kasse ist bis sechs Uhr auf. Wie geht es Ihrer Frau?

Justus schüttelte traurig den Kopf.

Ja, lieber Freund, es giebt in diesem vertrackten Menschenleben Augenblicke, wo man noch mehr Mut haben muß als gewöhnlich. Und vergessen Sie das mit Kosmas Brüder nicht!

Als Justus in seine Wohnung kam, fand er einen Rohrpostbrief von Direktor Körner vor:

»Ziehen Sie Ihre Depositen bei Kosmas Brüder zurück; es ist kein Augenblick zu verlieren!«

Justus verlor keinen Augenblick. Als er an dem Bankhause aus der Droschke sprang, sah er sich von einer aufgeregten Menge umgeben, die von der zahlreich vorhandenen Schutzmannschaft nur mit Mühe abgehalten wurde, in das Haus zu stürmen. Er hielt einen ihm zufällig bekannten Reporter an, der sich, die in seinem Taschenbuche gemachten Notizen überlesend, aus dem Gedränge löste.

Was giebt es, Herr Richards?

Einen richtigen Skandal! Hab's kommen sehen! Waren schon seit einer Woche in schlimmem Dalles. Vor einer Stunde hat man sie in ihrem Comptoir tot gefunden – erschossen. Das heißt, der Jüngere lebte noch ein bißchen. Haben ihn eben nach der Charité gebracht. Von den Depots ist alles futsch. Eine Menge bekannter Namen bis in die höchste Aristokratie hinauf! Sie sind doch nicht auch mit reingesaust?

Und Herr Richards hatte sein Notizbuch wieder geöffnet, betreffenden Falles Justus' Namen zu den anderen zu schreiben.

Nein, sagte Justus.

Da können Sie Gott danken. Es kommt auch nicht ein Pfennig wieder. Aber halten Sie mich nicht auf! Ich muß auf meine Redaktion.

Der Reporter machte ein paar eilige Schritte und kehrte wieder um.

Wie wär's, Herr Arnold? Es macht sich immer gut für einen Schriftsteller, wenn er so ein dreißig-, sagen wir: vierzigtausend Mark verlieren kann. Soll ich nicht doch Ihren Namen –

Ich danke wirklich.

Wie Sie wollen!

Herr Richards lief einem vorüberklingelnden Pferdebahnwagen nach und schwang sich zu den anderen hinauf auf den überfüllten Tritt.

Zu Hause angekommen, fand Justus den Geheimrat; Perle hatte ihn rufen lassen müssen, da Isabel in eine Ohnmacht gefallen war, aus der sie sie nicht wieder erwecken konnte.

Es war eine schlimme Attaque, sagte der Geheimrat zu Justus, wir sind für diesmal glücklich darüber weg; aber ich muß jetzt meine Bitte um Zuziehung eines meiner Kollegen dringend wiederholen. Ich schlage nochmals in erster Linie Eberhard vor.

Ich sagte bereits neulich, daß ich, wenn es denn sein muß, Doktor Eberhard den Vorzug gebe, erwiderte Justus. Ich weiß aber nicht, ob er –

Ja, warum denn nicht? sagte der Geheimrat erstaunt. Ich denke, Sie sind intim befreundet?

Justus war in bitterster Verlegenheit. Er fühlte, daß der Geheimrat Isabels Weigerung, Eberhard zu konsultieren, nicht verstehen konnte; und doch hatte sie neulich denselben Vorschlag so scharf zurückgewiesen und aus dem Grunde ihrer Zurückweisung ihm gegenüber kaum ein Geheimnis gemacht. Auf der anderen Seite hatte er ein so unbedingtes Zutrauen zu des Freundes Kunst, und daß hier eine äußerste Gefahr vorlag, wie hätte er sich jetzt noch dagegen verschließen können? Hier mußten alle sonstigen Bedenken schweigen, und die Eifersucht gar wäre die offenbare Erbärmlichkeit gewesen. Es würde eben auf Isabel ankommen.

Das Letztere sagte er dem Geheimrat, sich die Möglichkeit eines Rückzugs zu sichern, und war nicht wenig erstaunt, als dieser antwortete:

Ich habe bereits mit Ihrer Frau Gemahlin gesprochen; sie ist völlig einverstanden.

Ich bin es auch, sagte Isabel, als Justus dann an ihrem Bett saß, obgleich das Ganze auf eine Wichtigthuerei des Geheimrats hinausläuft. Das bißchen Ohnmacht! Ich habe hundertmal in meinem Leben schwerere Ohnmachten gehabt! Also fahre zu Eberhard, für einen Brief ist die Sache zu delikat, und sage ihm, wie es steht, und daß ich eingewilligt habe. Möglicherweise macht ja noch Edith einen Strich durch die Rechnung, obgleich ich es nicht glaube, da sie mittlerweile zur Vernunft gekommen sein muß.

Justus fuhr den langen Weg zu Eberhard und ließ sich, da der Freund auf der Praxis war, bei Edith melden, die ihn sofort empfing.

Mein Mann wird sicher noch heute kommen, sagte Edith. Er hat sich, offen gestanden, schon gewundert, daß ihr nicht längst zu ihm geschickt habt. Auch ich war schon ein paarmal auf dem Sprunge, aber Eberhard hat mich immer zurückgehalten: in diesem Augenblicke sei Ruhe vor allem nötig. Wenn ich selbst meiner lieben Isabel in irgend einer Weise von Nutzen sein kann – Sie wissen, daß mir nichts eine größere Freude bereiten würde.

Die schöne Frau war so bewegt, trotzdem sie sich augenscheinlich bemühte, möglichst ruhig zu sprechen – Justus durchschauerte es. Wenn plötzlich alles Schwere vergessen war, was diese ganze Zeit zwischen ihnen gelegen, so gab es dafür doch nur eine schreckliche Erklärung. Er dankte Edith mit mühsam hervorgestotterten Worten und machte sich wieder auf den Weg – diesmal zu Eve. Er redete sich ein, er müsse ihren Gatten in Isabels Vermögenssache um Rat fragen; aber er wollte nichts, als sich Trost bei der Freundin suchen – wenn sie welchen hatte.

 

Ich beschwöre Dich, sagte er, belüge mich, wenn es sein muß! Ich kann die Wahrheit nicht hören, sie würde mich wahnsinnig machen, sie macht mich wahnsinnig. Diese gespielte Ruhe Ediths, während ihr auf dem Gesichte geschrieben stand, daß sie alles, daß sie das Schlimmste weiß! Sage mir, daß Isabel nicht sterben muß!

Eve hatte ihn ausreden lassen, ohne ihn einmal zu unterbrechen, und nur ein paarmal beschwichtigend den Kopf geschüttelt, während sie seine heiße Hand in ihren beiden Händen hielt. Nun erwiderte sie:

Ich brauche Dir die Wahrheit nicht zu verheimlichen, denn ich weiß sie nicht. Was ich weiß – von Edith, die es natürlich wieder von ihrem Manne hat, – kann ich Dir sagen: Isabels Fall ist bedenklich, aber nicht hoffnungslos; es sind schon schwerere Fälle glücklich verlaufen. Daran müssen wir vorläufig festhalten. Das andere liegt im Schoße der Götter. Wollen sie uns zerschmettern – wer kann es hindern? Sie sind stärker als wir. Aber, Justus, denke auch an das Horazische: Wenn das Erdenrund zusammenkracht, werden die Trümmer einen Furchtlosen treffen. Das ist doch nur ein Bild dafür, daß in uns etwas lebt, das keine Macht der Götter treffen und zerstören kann: der Glaube an ein Höchstes, an eine Pflicht, die wir erfüllen müssen, es geschehe, was auch geschehe. Du bist Dein Leben lang dieser pflichttreue Mensch gewesen und wirst es bleiben. Hier ist für mich der ruhende Punkt in dem Wirbel, in dem Du jetzt umgetrieben wirst, und wir alle mit Dir. Denn das weißt Du, Justus, wie treu wir alle zu Dir halten, wenn auch in letzter Zeit unsere alte Harmonie ein wenig getrübt scheinen mag. Hast Du den Brief meines Mannes erhalten?

Ja, sagte Justus; er kam zu spät. Es ist alles verloren.

Um Himmelswillen! rief Eve.

Was ist jetzt noch daran gelegen? murmelte Justus.

In diesem Augenblicke trat Herr Körner in das Zimmer. Auf seinem sonst so ruhigen Gesicht lag eine tiefe Verstörung.

Ist es denn wahr? rief ihm Eve entgegen.

Was? erwiderte er.

Wie Du fragen kannst! sagte Eve vorwurfsvoll mit einem schnellen Seitenblick auf Justus, der, wie abwesend, dasaß.

Herr Körner fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

Verzeihung! sagte er; es geht heute alles drunter und drüber. Wäre ich nicht die ganze Woche verreist gewesen, ich hätte Justus früher warnen können. So erfuhr ich alles erst heute auf der Börse. Bestimmtes läßt sich noch nicht sagen: kaum eine Stunde vor der Katastrophe hat ein Herr von Elben, der auch gewarnt worden war, sein sehr bedeutendes Depot zurückverlangt und erhalten. Möglicherweise ist es das letzte gewesen, möglicherweise ist noch mehr da – man muß es eben abwarten. Für den Augenblick ist nichts zu thun.

Herr Körner sprach gegen seine Gewohnheit so unbestimmt, so zerstreut – Eve blickte ihn voller Verwunderung und Sorge an, die sich bis zur Angst steigerte. War, während Justus von seinem Hause abwesend war, eingetreten, was sie, was alle Freunde fürchteten? war Isabel tot?

Du bist nicht auf dem Rückwege bei Justus vorgefahren? fragte sie, ihre Kraft zusammennehmend.

Nein, erwiderte er; warum?

Eve atmete auf. Das war es also nicht – Gott sei Dank!

In der Freude ihres Herzens und zugleich in der Furcht, Justus könne in ihren Gedanken gelesen haben, fragte sie, das Gespräch auf etwas anderes zu bringen, schnell weiter:

Die Börse war wohl infolgedessen sehr erregt?

Infolgedessen? erwiderte Herr Körner; nicht besonders – man hatte es kommen sehen. Aber sie war allerdings sehr erregt – sehr. –

Er schwieg einen Moment und dann:

Ich wollte Justus damit verschonen; aber er wird es ja doch sofort erfahren – Armands Frau ist heute morgen im Wannsee ertrunken – beim Schlittschuhlaufen. – Rehberger, der ja in Wannsee wohnt, brachte es mit auf die Börse – er hat die Leiche selbst gesehen – vielmehr: ist dabei gewesen, als man sie herauszog – dicht vor seinem Garten – aus einem Loch, das die Fischer ins Eis gehauen hatten – es haben große Eisblöcke rings herum gestanden – es ist unbegreiflich –

So hat sie sich ertränkt! rief Justus.

Man nimmt es allgemein an; fuhr Herr Körner fort; obgleich in letzter Zeit – wenigstens nach außen – das Verhältnis leidlich schien. Aber welche Dame läuft des Morgens um acht Uhr, wo es beinahe noch dunkel ist, Schlittschuh – mutterseelenallein – noch dazu eine Anfängerin, sagte Rehberger, der sie ein paarmal hat laufen sehen – sie hat kaum auf den Schlittschuhen stehen können. Dazu die Eisblöcke, wenn sie auch freilich notorisch sehr kurzsichtig –

Um Gottes willen, höre auf! ich kann es nicht mehr hören! rief Eve mit einer Heftigkeit, die ihren Gatten erschreckte. Justus, der bereits, während Herr Körner noch sprach, aufgestanden war und seinen Hut genommen hatte, murmelte ein paar kaum verständliche Abschiedsworte und ging.

Wie konntest Du es in seiner Gegenwart sagen? rief Eve, als sich die Thür hinter ihm geschlossen. Ist denn sein Gemüt nicht schon verdüstert genug?

Aber er mußte es ja doch erfahren, sobald er auf die Straße kam! Und dann dachte ich, es würde ihn auf andere Gedanken bringen.

So muß ich sagen, Du hast eine sonderbare Art, die Leute auf andere Gedanken zu bringen.

Eve hatte das Zimmer verlassen, die Thür unsanft hinter sich schließend. Ihr Gatte starrte ihr verblüfft nach. In dem Ton hatte sie noch nie mit ihm gesprochen, hatte er sie noch nie zu jemand sprechen hören.


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