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Viertes Kapitel.

Sag' mir um Himmels willen, was ist dies zwischen Edith und ihrem Mann? fragte Justus, nachdem sie kaum wieder in ihrer Droschke Platz genommen.

Etwas, das in den bestregulierten Familien vorkommen kann, wie Ediths Landsleute zu sagen pflegen, erwiderte Isabel.

Du weißt also, was es ist?

Keine Ahnung! Was wird es sein? irgend ein Mißverständnis, das mit ein paar vernünftigen Worten zu beseitigen wäre, nur daß sie selbstverständlich die Worte nicht finden; oder er hat Ärger in seinen Geschäften gehabt, den er nun an ihr ausläßt – worauf wenigstens eine ihrer Bemerkungen zu deuten schien; oder er ist eifersüchtig auf sie, oder sie auf ihn –

Unmöglich! rief Justus.

Weshalb unmöglich, Sonntagskind? so etwas kommt doch alle Tage vor. Sie ist immer noch eine schöne Frau, obgleich auch sie anfängt, ein wenig stark zu werden; und einem Arzt, noch dazu wenn er ein so liebenswürdiger Mann ist, wie Eberhard, wird so viel Gelegenheit gegeben, sein Herz zu verlieren. Aber ich sehe wirklich nicht ein, weshalb wir uns darüber den Kopf zerbrechen. Das ist doch ihre Sache. Wollen wir den Besuch bei Sibylle machen?

Ich glaube, wir haben noch Zeit.

So sag' dem Kutscher, daß er nach der Wilhelmstraße fährt! Ich bin zu neugierig, die junge Gräfin kennen zu lernen. Apropos, werden wir Sibylle sagen, daß wir sie in Karlsbad gesehen haben? Ich denke, nein! So etwas will immer erklärt sein, was langweilig ist; und Du kannst Dich dann um so natürlicher verwundern, wenn Du Marthe bei ihr findest, falls sie noch bei ihr ist, was ich nebenbei nicht hoffe. Du erinnerst Dich, Marthe und ich standen uns niemals besonders. Fehlt Dir etwas, Sonntagskind?

Nein, weshalb?

Mir deucht, Du siehst ein wenig abgespannt und verdrießlich aus.

Ich bin aber weder das eine, noch das andere.

Desto besser.

Justus hatte nicht die Unwahrheit gesagt; aber er war innerlich verstört und traurig. Isabel stand mit Marthe nicht besonders. Stand sie mit Eve besser? Und daß, mit Edith gut zu stehen, ihr in der That keine Herzenssache war, dafür schien leider ihr kühles Benehmen während des Besuches und die wenig teilnahmvolle Weise zu sprechen, in der sie sich eben über ein, wie es doch schien, ernsthaftes Zerwürfnis der Gatten geäußert. Der Besuch, den sie jetzt vorhatten, galt in ihren Augen offenbar nicht sowohl Sibyllen, als der unglücklichen jungen Frau Armands, und es war fraglich, ob sie, wenn diese ihre Neugier befriedigt, nicht auch mit Sibylle fertig sein werde. Dann konnte er nur von allen seinen Freundinnen Abschied nehmen, und er hatte sich das so ganz anders gedacht! War ihr so von Herzen dankbar gewesen, daß sie ihm eine Wiederanknüpfung des Verhältnisses mit Sibylle, nach dem er sich heimlich sehnte, so nahe gelegt, ja fast aufgedrungen hatte!

Ein fast scheuer Blick streifte das schöne Gesicht neben ihm. Es lächelte ihn so holdselig an. Ja, wahrlich, sprach er bei sich, man kann eben nicht alles haben zu gleicher Zeit. Und was du hast, ist so unsäglich viel! So wirst du wohl das andere entbehren lernen.

Sie waren in der Wilhelmstraße vor dem gräflichen Palais angelangt. Die gnädige Komtesse war im Garten und ließ die Herrschaften bitten, sich dorthin zu bemühen.

Des stattlichen Portiers bärtiges Gesicht hatte gestrahlt, als er Isabel salutierte; der gallonnierte Diener, der sie durch das Vestibül und dann durch einen Saal führte, dessen Fenster und Fensterthür auf den Garten gingen, wandte ein paarmal den wohlfrisierten Kopf, um Isabel diskret anzulächeln.

Es liebt Dich eben alle Welt, flüsterte ihr Justus ins Ohr.

Das soll sie auch, gab sie ebenso zurück; Du aber sollst keine anderen Götter haben neben mir.

Dem voranschreitenden Diener folgend, gingen sie eine Allee prächtiger Platanen hinauf und gelangten, rechts abbiegend, zu einem von dichtem Gebüsch rings umgebenen, mit einem Zeltdach überspannten, hinten und an beiden Seiten durch verschiebbare Vorhänge geschützten kleinen Platz, wo Sibylle auf einer Art von Chaiselongue, halb aufgerichtet, saß, neben sich auf einem bequemen Gartenstuhl, deren noch mehrere herumstanden, die junge Gräfin. Sibylle, die einen breitrandigen Strohhut trug, war ganz in Weiß gekleidet; eine leichte rotseidene Decke lag auf ihren Knien; die junge Gräfin war in Schwarz, wie in Trauer, nur daß sie eine schöne rote Rose am Busen befestigt hatte. Justus war entzückt, als er Sibylle sah. Ein unsäglicher Liebreiz lächelte um die feinen blassen Lippen, leuchtete aus den blauen Augen, die viel größer schienen als sonst, und die beiden Hände, die sie ihnen jetzt mit einer Gebärde von rührender Anmut entgegenstreckte, waren wohl weiß und durchgeistigt, als ob sie nicht einem Wesen von Fleisch und Blut eigneten, erfaßten aber doch die seinen mit festem, liebevollem Druck.

Das ist so lieb von Euch, sagte sie mit einer Stimme, deren leisen, etwas tiefen Klang Justus nicht vergessen hatte; ich habe mich so nach Euch gesehnt. Dies ist meine liebe Schwägerin. Dies, liebe Christine, ist meine Schwester Isabel und ihr Gatte, mein lieber, lieber Jugendfreund, den ich nur an seinen treuen Augen wiedererkenne, aber an denen auch ganz. Ich will nicht rechnen, Justus, wie lange es her ist, daß wir uns nicht gesehen haben. Wem, wie mir, ein Tag vergeht wie der andere, der verlernt zuletzt mit der Zeit zu rechnen. Bei Dir, liebe Isabel, merke ich die Zeit nur daran, daß Du jedesmal, wenn ich Dich wiedersehe, schöner geworden bist. Komm, küsse mich! Mein bleicher Mund sehnt sich so nach Deinen roten Lippen.

Wird sie auch diesen Engel von sich weisen? dachte Justus, als Isabel sich jetzt zum Kusse über Sibylle beugte.

Während die beiden leise weiter sprachen, fand er zum erstenmal Muße, die junge Gräfin, zu der er sich gewandt hatte, genauer zu betrachten. Sie war von kleinem Wuchs, vielleicht ein wenig größer, als Isabel, aber ohne Isabels köstliches Ebenmaß der feinen Glieder: der mit schwarzem, spröden Haar überreichlich bedeckte Kopf etwas zu groß, die Taille, ebenso wie die Arme etwas zu kurz, die kleinen Hände mit den stumpfen Fingern etwas zu breit. Auch die Züge des Gesichtes waren unschön, aber der Ausdruck nicht unsympathisch, und aus den schwarzblauen Augen blickte eine wohlwollende, verschüchterte Seele. Alles in allem hatte er den Eindruck, daß das arme Mädchen ein besseres Los verdient habe, als die Gattin eines Armand Waldburg zu werden, was denn allerdings, wie er sich eingestand, den Mund nicht eben voll nehmen hieß.

Zu seinem Erstaunen fing sie sogleich an, von Armand zu sprechen, den er ja wohl, als beide noch Knaben gewesen, gut gekannt habe. Sibylle wüßte so viel von den schönen Promenaden zu erzählen, die sie durch den Park von Rodek gemacht hätten und von den Spazierfahrten durch die Wälder. Sie sei nur einmal mit Armand auf eine Stunde in Rodek gewesen. Es sei sehr schön da, aber auch in Trowitz, nachdem Armand Schloß und Park hätte wieder in stand setzen lassen. Sie ziehe das Leben auf dem Lande weitaus dem Stadtleben vor; auch Armand sei sehr glücklich, den Dienst quittiert zu haben, und seinen Kohl und seine Rüben, wie er sagte, bauen zu können.

So war Armand, den sie gelegentlich auch den Grafen nannte, ihr drittes Wort. Edith hat unrecht, sagte sich Justus: die Unglückliche hat den Menschen von Anfang an geliebt, jedenfalls liebt sie ihn jetzt; und wenn der alte Graf keine Versöhnung herbeiführt, und sie sich wirklich scheiden lassen muß, bricht ihr das arme gequälte Herz.

So sagte er auch zu Sibylle, als Isabel die junge Gräfin unter dem Arme gefaßt und mit sich fortgezogen hatte, um mit ihr in die Gewächshäuser zu gehen, in deren einem sie sich damals ein Lieblingsplätzchen zurecht gemacht, das möglicherweise noch existiere.

Ich sehe, Justus, sagte Sibylle, woran ich freilich nie gezweifelt, daß Sie noch immer das alte teilnehmende Herz für die Armen und Unglücklichen haben. Sie ist grenzenlos unglücklich, das arme Geschöpf. Sie haben vollkommen richtig beobachtet: sie liebt Armand mit ihrer ganzen kleinen verängsteten Seele. Sie hat alles, was in ihren Kräften steht, gethan, sich seine Liebe zu erwerben, und den Hohn und Spott, mit dem er sie überschüttet, seine Mißhandlungen selbst mit sklavischer Geduld ertragen. Die Trennung wäre für sie ein fürchterlicher Schlag, und doch bin ich für die Scheidung. Dulden, sagt man, ist des Weibes Los; ich meine, es ist das eines jeden. Aber Unwürdiges erträgt kein edler Mensch, oder er wird, wenn er es erträgt, eben dadurch unedel. Wer möchte nicht lieber sterben? Ich habe dem Tod jahrelang in die Augen gesehen; ich weiß, er ist nicht das Schreckgespenst, das die thörichten Leute aus ihm machen, sondern ein milder Genius für den, dem das Leben nicht das Höchste ist, und der an ein Wiedersehen jenseits glaubt. Mir ist das Leben nicht das Höchste und ich glaube festiglich an ein Wiedersehen nach dem Tode. Sie auf Erden noch einmal zu sehen, die Hoffnung hatte ich aufgegeben. Nun ist es doch geschehen. Und ich sehe Sie wieder in dem hohen Glück, nach dem Ihre Knabenseele schon geschmachtet hat. Und nicht wahr, Justus, sich an dem Glück anderer so recht aus innigster Seele freuen, das ist doch die höchste Seligkeit?

Sie reichte ihm die Hand, die er an seine Lippen zog und erst losließ, als er hinter sich auf dem Kiese der Allee den Schritt der beiden zurückkommenden Damen hörte.

Dann hatten sie sich verabschiedet mit dem Versprechen, das sie Sibylle hatten geben müssen, recht bald wiederzukommen, während Isabel in die junge Gräfin drang, sie recht, recht oft zu besuchen, und mit ihr shopping zu gehen und zu musizieren.

Sie ist eine allerliebste kleine Person, sagte sie, als sie im Wagen saßen, die mir ganz außerordentlich gefallen hat. Sie hat alles gelesen und schwärmt für Wagner, womit man bekanntlich schon ganz allein sich meine Gunst erobert. Ich habe die Absicht, sie sehr zu protegieren.

Sie konnte kein Ende finden, Erscheinung und Wesen der jungen Gräfin zu loben, – wie es Justus schien, über das zukömmliche Maß. Sibylle erwähnte sie mit keinem Worte.


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