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Elftes Kapitel.

Justus hatte bereits ein paarmal Isabels Theenachmittage ganz oder teilweise versäumen müssen; aber stets dafür triftige Entschuldigungsgründe gehabt: eine Komiteesitzung für jenes Wohlthätigkeitskonzert, die Vertretung eines erkrankten Bekannten in seiner Eigenschaft als Theaterkritiker. Heute hatte er keine solche Gründe: die dem Direktor gegebene Zusage, der Abendvorstellung beiwohnen zu wollen, band ihn in keiner Weise; und ob die Ophelia von heute abend seine Heldin spielte, oder jene unmögliche Dame von der Probe heute morgen – verloren war die Sache so wie so. Er hatte keine Gründe, und sie hatte ihn so dringend gebeten zu bleiben! Während die Droschke ihn durch die dunklen, mit Schneeschlamm überdeckten Straßen mühsam schleppte, sah er ihr süßes Gesicht schmeichelnd zu ihm erhoben und durch das Geklingel der Pferdebahnwagen hörte er ihr sanftes: Thu's mir zuliebe! – Großer Gott, ihr zuliebe, für die er sein Herzblut einstmals Tropfen für Tropfen hingegeben haben – noch heute, noch zur Stunde hingeben würde – und hatte ihr die kleine Gefälligkeit abschlagen können! Nein! keine kleine Gefälligkeit! Es ist keine Kleinigkeit, den höflichen Wirt für eine Gesellschaft machen zu sollen, die einem lästig, widerwärtig, abscheulich ist! Und wenn die geistreiche Isabel dennoch diesen Umgang suchte, so konnte es doch nur um der lieben Eitelkeit willen sein, die sich durch die Huldigungen der Herren geschmeichelt wissen wollte, ohne Rücksicht darauf, wie dem Manne, den sie zu lieben behauptete, bei dem unerquicklichen Schauspiel dieser verbindlich lächelnden Mienen, dieser offen, oder verstohlen verliebten und verbuhlten Blicke zu Mute war!

Und ihm dies Schauspiel zu bieten in dem Augenblicke, als er die Hand der Heiligen, zu deren Füßen er gebetet, noch auf seinem Scheitel ruhen fühlte! Aus der stillen Klause, die der reine Atem der Dulderin zu durchwehen schien, in den lärmenden, heißen, von so vielen geputzten Menschen erfüllten Gesellschaftsraum! von der Beichte, die er in ihr Ohr gemurmelt, ohne ein kleinstes Geheimnis seiner Seele zurückzubehalten, zu dem lauten Geschwätz über Paraden und Jagden, Diners und Soupers, Sängerinnen und Schauspielerinnen! Es war zu viel! Mochte sie zu diesen ihren Festen sich als Gäste holen, wen sie wollte – er war zum ersten- und letztenmal ihr Gast gewesen!

Ihr Gast! es ließ ihn nicht los. Ihr Gast, wie die andern auch, vielmehr: wie die andern nicht, denen die Wonne über diese Gastfreundschaft aus den Augen leuchtete, während sie ihm das Herz brach! Der Gast von ihr, die an seinem Herzen geruht, an deren Küssen er sich berauscht, in deren Augen sich sein Bild gespiegelt, während seine trunkenen Blicke vergeblich in ihre tiefsten Tiefen zu tauchen suchten! Es war nicht auszudenken in seiner herzvergiftenden, seelenmörderischen Grausamkeit.

Dennoch konnte er an nichts anderes denken, während er in die Ecke seiner Prosceniumsloge gedrückt saß und auf die Bühne starrte, wo, dem Zettel zufolge, Hamlet gespielt werden sollte. Vielleicht wirklich gespielt wurde, und er unrecht hatte, wenn ihm diese Herren und Damen mit ihren geschminkten Gesichtern und unnatürlichen Stimmen in Kostümen, welche zu keiner Zeit der Geschichte getragen wurden, mit Lust und Behagen Shakespearesche Menschen weniger darstellen als karikieren zu wollen schienen.

Dann hatte er auch eine dunkle Erinnerung daran, daß er in einem der Zwischenakte auf der Bühne gewesen und Ophelien vorgestellt war, die völlig in Verzweiflung zu sein behauptete, weil der »verehrte Dichter« sie zum erstenmal an einem Abend sehe, an welchem sie, die an einer entsetzlichen Migräne und einer akuten Heiserkeit leide, sich selbst nicht wiedererkenne. Überdies: Ophelia sei gar nicht ihr Genre; sie habe die Rolle nur dem Direktor zuliebe übernommen. Sie könne nur eigentliche Heroinen spielen, von denen es leider nicht viele gebe, keine, die so den Namen verdiente, wie die Heldin seines Stückes! Sie verspreche sich einen vollen Triumph, vor allem, wenn der »verehrte Dichter« die Güte haben würde, die schwierige Rolle mit ihr durchzugehen. Sie sei des Vormittags freilich stets auf der Probe und des Abends regelmäßig auf der Bühne beschäftigt; aber nach der Vorstellung stelle sie sich dem »verehrten Dichter« ein für allemal zur Disposition. Sie wohne dicht neben dem Theater und habe ihre Wohnung, da ihre Tante, mit der sie sonst zusammen hause, auf vier Wochen verreist sei, ganz für sich. Sie könnten da nach Herzenslust üben. Ob der »verehrte Dichter« vielleicht gleich heute abend ein Stündchen frei habe?

Justus blickte in die begehrlichen Augen des Mädchens und dachte, daß, wenn er »ihr Gast« wäre, er es jedenfalls nicht mit zwanzig anderen zugleich sein würde, und erwiderte, daß er gerade heute nicht eine Minute frei habe.

Ophelia war darüber betrübt, hoffte zuversichtlich, daß er ein andermal mehr Zeit haben werde, drückte dem »verehrten Dichter« noch ein paarmal die Hände und verschwand in der Garderobe, die sie mit Hamlets Mutter teilte.

Justus verließ das Haus.

Es war ein halb zehn und beinahe halb elf, bis er durch das Unwetter, das immer greulicher wütete, zum Potsdamer Platz und zum Bellevue-Hotel gelangte, wohin er die Droschke dirigiert hatte. Seit dem Mittagessen, das er irgendwo da hinten eingenommen, oder sich doch wenigstens hatte vorsetzen lassen, war er völlig nüchtern. Es war fraglich, wenn er nach Hause kam, ob er etwas zu essen vorfand: Friedrich hatte ihm, als er ihm die Thür öffnete, triumphierend gesagt, daß er heute auch die Küche übernommen habe.

Das sonst um diese Zeit sehr gefüllte Restaurant war beinahe leer; Justus hatte die Wahl des Platzes. Er nahm den Tisch in der Nische des vorderen Raumes, wo er mit Isabel gesessen hatte während der ersten Tage nach der Rückkehr von Norderney, als sie ihre Wohnung einrichteten; und noch oft genug später, wenn sich wieder einmal herausstellte, daß das Wegschicken einer schlechten Köchin und das Finden ihrer wo möglich noch schlechteren Nachfolgerin nicht immer auf einen Tag fielen. Ach, wie leicht hatten sie die kleine Kalamität ertragen! wie lustig hatten sie da in ihrer Ecke gesessen und sich wieder in Karlsbad gewähnt, oder Norderney, und den holden Traum jener Tage noch einmal durchgeträumt und über dem süßen Unsinn, den zu schwatzen sie nicht müde wurden, fast der Speise und des Trankes vergessen!

Und heute stand vor seiner verstörten Seele die qualvolle Stunde, in der er »ihr Gast« gewesen!

Er konnte nichts essen; nur ein paar Gläser Wein stürzte er gierig hinunter. Wie lauteten doch die Verse, die ihm in der dunklen Ecke seiner Loge, während Hamlet sich wünschte, daß sein allzufestes Fleisch schmölze, gekommen waren? Er würde sich darauf besinnen, wenn er sie niederzuschreiben versuchte. Dann würden sich auch wohl die noch fehlenden dazu finden, und er hätte sich die Last, die ihm bleiern aufs Herz drückte, weggeschrieben.

Er nahm sein Taschenbuch heraus, schob die Flasche auf die Seite und schrieb:

 

Ihr Gast.

So bin ich denn nun auch ihr Gast gewesen –
Zum erstenmal! in ihrem »kleinen Kreise«
Von Damen und von Herren, auserlesen. –
Sie machte die Honneurs in ihrer Weise:

So lieb und hold, so gütig, neckisch, zierlich, –
Der Anmut Göttin würde sie beneiden;
Ihr Sprechen, Lächeln, Fächeln so manierlich,–
D'ran können Aug' und Ohr nicht satt sich weiden.

Sie hingen auch an ihr mit Aug' und Ohren,
Die vielgeschäft'gen jungen Kavaliere;
Es ging kein Wort, kein Blick von ihr verloren;
Sie winkte einen und es kamen viere,

Die Notenblätter eifrig ihr zu wenden,
Als später an den Flügel sie sich setzte
Und kunstvoll mit den kleinen weißen Händen
Die Tasten rührte und die Hörer letzte.

Als sie geendet; bravo! himmlisch! göttlich!
Erscholl es da decent von allen Seiten.
Sie dankte gnädig, just ein wenig spöttlich,
Und bat den Herrn Baron, sie zu begleiten

Auf seiner Violine. Das klang prächtig;
Ein junger Mann von zweifellosen Gaben!
Und dann, wie oft mocht' er wohl tags und nächtig
Das Stück geübt für diesen Abend haben!

Und ich! mein Gott, ich stand da in der Ecken
Trostlos verlassen, wie ein Stein am Wege;
Nur daß den Stein nicht böse Träume schrecken,
Nur daß ein Stein nicht zählt des Herzens Schläge,

So dumpf und bang. Ach böse, süße Träume,
Warum sucht ihr mich heim an dieser Stelle.
Hier, wo mir alles predigt; ihr seid Schäume,
Verzitternd in der Brandung zäher Welle! –

Der letzte Ton des Duo war verklungen;
Der Diener kam mit Thee und Butterschnitten;
Ich glaube auch, es ward dann noch gesungen;
Mich aber hat es länger nicht gelitten.

Ich trat zu ihr, und jählings sie erbleichte,
Und schmerzlich zuckte es um ihre Lippen,
Als sie zum Abschied mir die Hand nun reichte.
Mir hämmerte das Herz wild an die Rippen,

Doch ruhig sagte sie: Weshalb so zeitig?
Behandeln Sie so kühl stets die Bekannten?
Doch sind Sie wohl versagt noch anderweitig –
Au revoir beim russischen Gesandten! –

Au revoir! – Da stand ich auf der Gasse
Und bin in wildes Weinen ausgebrochen.
Von oben hat's der Mond geseh'n, der blasse,
Und hat in schwarze Wolken sich verkrochen.

Er wollte nicht gemahnt sein an die Stunden,
Da freundlich er geleuchtet unserm Glücke; –
Die sel'gen Stunden, die dahingeschwunden,
Und die kein güt'ger Gott uns bringt zurücke.

Er blickte auf, als jemand, der schon eine Weile nicht weit von seinem Tisch gestanden und den er für einen müßigen Kellner gehalten hatte, jetzt an ihn herantrat. Es war Sandor.

Ich hätte wetten mögen, daß es Verse waren, sagte Sandor, auf das Taschenbuch deutend, das Justus noch aufgeschlagen neben sich liegen hatte. Ich habe es an dem Rhythmus der Handbewegung gesehen. Aber wie kommen Sie um diese Stunde hierher, allein?

Es ist heute Freitag, erwiderte Justus mit einem bitteren Lächeln, im Begriff, das Taschenbuch zu schließen.

Lassen Sie mich doch einmal sehen! sagte Sandor, ihm leicht die Hand auf den Arm legend, indem er zugleich ihm gegenüber an dem kleinen Tische Platz nahm.

Ein paar unbedeutende Verse! murmelte Justus.

Die noch erst durchgefeilt werden müssen und so weiter! sagte Sandor. Das versteht sich von selbst. Aber gerade das halb träumende Lallen des Genius macht mir Spaß; wenn er die orphischen Urworte erst verständlich für die Leute herausgeputzt hat, mag sie der Kuckuck holen.

Da! sagte Justus, ihm das Büchelchen reichend.

Sandor las das Geschriebene aufmerksam durch; er las es sogar zu Justus' Unbehagen zum zweitenmal. Dann machte er das Buch leise zu, legte es wieder vor Justus nieder und blickte an ihm vorbei, augenscheinlich ins Leere, mit einem seltsamen, traurig-schmerzhaften Ausdruck.

So saß er eine Weile, dann sagte er leise, ohne Haltung und Miene zu verändern:

Es ist heute Freitag! Ich bin im Anfang ein paarmal dagewesen und kann die Situation beurteilen. Der Dichter hat sie nicht übel geschildert, und auch die eine, um die sich alles dreht: »So lieb und hold, so gütig, neckisch, zierlich« – war es nicht so? – »Der Anmut Göttin würde sie beneiden« – ja, beim Himmel, das würde sie! Aber »ihr Gast«! Ah, welch ein Thor war er, wenn er wirklich nur ihr Gast und nur einer von den anderen; welch ein doppelter und dreifacher Thor, wenn er der Auserwählte unter Tausenden, wenn er der Gatte der Zauberin war! Dem Max im »Freischütz« soll sein ruppiger Adler nicht geschenkt sein – er verlangt, daß es ihm sein strahlender Wunder-Phönix ist? Was denkt denn der Mann? Offenbar daran nicht, daß sich »die vielgeschäft'gen jungen Kavaliere« ins Fäustchen lachen, wenn sich die Thür hinter ihm geschlossen hat, und sich halb tot lachen würden, wenn sie ihn unten auf der Gasse in wildes Weinen ausbrechen und hinterher sein selbstverschuldetes Unglück im Schmollwinkel eines Restaurant in Verse bringen sähen. Das ist es, weshalb ich die Poesie hasse, die falsche Kupplerin, die dem Freudegierigen ein hohles Phantom statt des blühenden Leibes aufschwatzt. Ah, daß nur Hans, dem Träumer, die Zeit nicht kommt, wo ihm jede Minute, die er so über Versen verspintisiert hat, wie ein Verbrechen auf der Seele brennt! und er begreift, daß der Künstler, der die Venus von Milo schuf, seine ganze Unsterblichkeit hingeben würde, könnte er noch einmal die taufrischen Lippen seines schönen Modells küssen; noch einmal ihren schwellenden Busen an den seinen drücken! Ah!

Er strich sich mit der Hand über die Stirn und blickte um sich, wie ein Mensch, der jäh aus tiefem Schlaf geweckt wird. Dann blieben seine Augen auf Justus hasten, wieder mit demselben seltsamen, traurig-schmerzhaften Ausdruck:

Justus, an dem Tage als die Krone ihres Geschlechtes Ihr Weib wurde, standen zwei Freunde von Ihnen auf dem Markt in Karlsbad und sprachen darüber, ob Sie glücklich werden würden. Der eine sagte: ja, der andere: nein. Dem, welcher nein sagte, hatte das Schicksal des Glückes hübsche sieben Sachen längst in Scherben zerschlagen. Warum sollten es andere Menschen besser haben als er? Und doch – Justus, wenn Sie ihn nicht ad absurdum führten; es fertig brächten, in dem Überschwang des Glückes glücklos zu sein, und die unglücklich zu machen, die nichts gewollt hat, nichts will als Ihr Glück – Justus, ich habe in letzter Zeit manchmal geglaubt, verrückt zu werden. Dann würde ich es. Aber vorher schösse ich Sie tot. Gute Nacht!

Er griff nach dem Hut, den er neben sich auf einen Stuhl gestellt, und stürzte davon zur Verwunderung der Kellner, die vergebens gewartet hatten, daß der Herr Doktor eine Bestellung machen würde.

Justus blickte ihm nach. Die Worte, die Nathan hinter dem enteilenden Al Hafi herschickt, fielen ihm ein. Aber war hier nicht der Wilde, Gute, Edle zugleich der Weise, und er der Thor? Wie ein frischer Ostwind die Nebelschleier, hatten des Freundes scharfe Worte die Verdüsterung gehoben, die auf seiner Seele gelegen. Er hatte ja nicht einen Augenblick aufgehört, sie zu lieben; es war ja nur der rasende Schmerz gewesen, sich von ihr nicht mehr geliebt glauben zu dürfen, weil – mein Gott, weil sie war, was sie immer gewesen: das holde, eigenartige Geschöpf, an dem zu mäkeln und zu deuteln sich an der gütigen Natur versündigen hieß, die sie so zur Wonne aller geschaffen, wie ihre Blumen und ihre Sterne. Und der Stern, der allen leuchtete, war doch sein Stern; die Blume, die allen duftete, seine Blume!

Er rief es laut in die stürmische, heulende Winternacht hinaus, während er unter den knarrenden Bäumen die Straße hinaufeilte.

Jetzt war er an dem Gitterthor des Vorgartens, den er durchschreiten mußte, um, an dem Hauptgebäude vorüber, zu seiner Wohnung zu gelangen. Es mochte bereits zwölf Uhr sein, dennoch stand das Thor weit auf. Eine Gesellschaft in dem Hause? Schwerlich: alle Fenster waren dunkel mit Ausnahme von zwei matterleuchteten oben in den Schlafräumen. Aber um das Haus herum von seiner Wohnung her kam ein hellerer Lichtschein. Sollte sich der Theeabend bis so spät in die Nacht verlängert haben? Undenkbar! Und doch, als er jetzt um die Ecke des Haupthauses bog, sah er in der Wohnung sämtliche Fenster hell; die Thür des kleinen Hauses war geöffnet; vor der Thür hielt ein Coupé, von dessen glänzenden Laternen der Lichtschein hauptsächlich ausgegangen sein mußte. Also wirklich noch der Theeabend, bei dem es aber jetzt sehr still zuging: kein Laut von oben, als er unten durch den Flur, die Treppen hinaufeilte; und immer noch kein Laut, als er nun, den Korridor, dessen Thür ebenfalls aufgestanden hatte, hastig durchschreitend, die Hand auf den Drücker der Thür zum Salon legte, die Seele erfüllt mit einer fürchterlichen, namenlosen Angst.

Im Salon an dem Tischchen vor dem Sofa saß ein Herr, mit dem Rücken nach ihm, schreibend; neben ihm stand Friedrich. Der Herr wandte sich auf das Geräusch der sich öffnenden Thür: es war der Geheimrat.

Sofort!

Der Geheimrat hatte das Gesicht bereits wieder über dem Rezept, das er fertig schrieb, noch einmal durchlas und Friedrich reichte:

Sie warten, bis es fertig ist!

Friedrich war mit einem Gesicht, dessen Angst das Licht, das er in der Hand hielt, grell beleuchtete, an ihm vorüber zum Salon hinaus; der Geheimrat reichte Justus die weiße, weiche Hand und sagte:

Es war am Ende besser, daß Sie nicht zu Hanse waren. Helfen hätten Sie nicht können und sich nur unnötigerweise geängstigt. Ich rechne mit Bestimmtheit darauf, daß alles gut geht. Vorläufig sind wir freilich um eine schöne Hoffnung ärmer, wenn wir auch in diesem eigentümlichen Falle von Hoffnung kaum reden können, nachdem ich noch heute vormittag –

Darf ich sie sehen? brachte Justus mühsam heraus.

Ich denke, ja, sagte der Geheimrat, wenn Sie mir versprechen –

Ich bin ganz ruhig, Herr Geheimrat.

Sie haben auch keine Veranlassung zum Gegenteil. Ich wollte sagen, wenn Sie mir versprechen, daß Sie nur ein paar Minuten bleiben und möglichst wenig, lieber noch: gar nicht reden.

Alles, was Sie wollen.

So kommen Sie! Noch eines: Ich habe sofort eine Krankenwärterin holen lassen müssen, die Sie oben finden werden. Auf ein Dienstmädchen, auch wenn es willig ist, wie Ihres zu sein scheint, ist kein Verlaß, und in solchen Fällen mehr als in allen anderen ist Vorsicht die Mutter der Weisheit und der Sicherheit.

Justus wollte das auf dem Tisch stehende Licht ergreifen.

Es ist nicht nötig, sagte der Geheimrat. Die Treppe ist erleuchtet. Eine schändliche Treppe nebenbei, lieber Freund, und die uns noch manche Unbequemlichkeit bereiten wird, im Falle Ihre Frau längere Zeit wird liegen müssen, was allerdings möglich ist.

Der Arzt ging voran, durch das Speisezimmer, die steile Wendeltreppe hinauf, Justus folgte, bemüht, das Stöhnen zu unterdrücken, das aus seiner Brust brechen wollte, auf der es lag wie eine Centnerlast. Die Thür des Schlafzimmers wurde, als sie vor derselben anlangten, von innen geöffnet; Marthe trat ihnen entgegen, Justus mit stummem Kopfnicken begrüßend. Justus fragte sich nicht einmal, wie gerade sie hierher kam? Es war ja jetzt alles andere so gleichgültig. Er sah sie auch kaum. Durch die Dämmerung, die das Gemach erfüllte, suchte sein Blick nur Isabel.

Nun stand er vor dem Bett. Sie lag auf dem Rücken mit geschlossenen Augen; das holde Gesicht weiß wie Elfenbein, die beiden Arme ausgestreckt auf der Bettdecke; neben den Armen floß in zwei langen goldenen Strömen das ausgeflochtene Haar. Sie konnte nicht tot sein – man würde ja so gräßlich nicht mit ihm gespielt haben – und da hoben sich auch von den weißen Wangen die langen dunklen Lider und sie blickte zu ihm auf, ohne ihn zu erkennen.

Dann hatte sie ihn erkannt. Ein wundersames Lächeln zog wie ein Hauch über das bleiche Gesicht, und ihre Lippen regten sich ein wenig.

Er beugte sich über sie. Es kam nur eben zu seinen Ohren:

Hätte es Dir Freude gemacht?

Unsägliche Freude.

Küsse mich!

Er küßte sie. Als er sich wieder aufrichtete, berührte der Geheimrat, den seitwärts hinter ihm stand, seine Schulter und winkte ihm. Er warf noch einen Blick auf sie: die großen dunklen Augen waren bereits wieder geschlossen. Auf den Fußspitzen folgte er dem Geheimrat aus dem Gemach.


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