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Achtes Kapitel.

Der Schatten, der von dem schwarzen Geisterschiff in Isabels und Justus' bis dahin so sonnenhaftes Glück gefallen war, haftete darum nicht weniger fest, weil beide sich den Anschein gaben, ihn nicht zu sehen. Was Justus nie für möglich gehalten: er hatte ein Geheimnis vor seiner Isabel, ein Geheimnis, das streng zu hüten ihm die Ehre zur heiligen Pflicht machte. Und da war noch ein anderes, das, wenn nicht die Ehre es ihn zu wahren hieß, so doch das Zartgefühl zu berühren verbot. Durfte er ihr sagen: er wisse, wie es um Eberhard stehe? Denn was ihm anfangs nur eine peinliche Vermutung gewesen, war ihm längst zur traurigen Gewißheit geworden.

Hätte er aber davon zu sprechen begonnen, würde wiederum Isabel die Pflicht geboten haben, nicht darauf einzugehen, ja die Thatsache in entschiedenste Abrede zu stellen. Eberhard hatte ihr seine Liebe gestanden nicht in einem wilden Ausbruch der Leidenschaft, wohl aber in der rührenden Weise, wie ein edler Mann sich zu einer mit seinen Pflichten unvereinbaren, völlig hoffnungslosen Liebe bekennt. Wiederum wagte sie Sandors kaum zu erwähnen aus Furcht, es möchte an den Tag kommen, was auch für sie nicht länger ein Geheimnis war.

Und indem sie sich so voreinander versteckten, hatten sie das sonderbare Gefühl, daß sie ein nutzloses, ihrer nicht würdiges Spiel trieben; jeder deutlich in dem Herzen des anderen lese, die Geheimnisse des anderen durchschaue; und keine Verpflichtung gegen dritte zwei Gatten, die sich liebten, verhindern dürfe, rückhaltlos offen gegeneinander zu sein, ja dieser Mangel an Offenheit eine empfindliche Beleidigung einschließe.

Wenn er nicht fürchtete, ich könnte für Sandor, oder Eberhard – meinetwegen für beide – wärmer empfinden, als mit seinem Glück verträglich ist, würde er frei über diese Dinge zu mir sprechen trotz alledem, sagte Isabel bei sich.

Wenn sie das rechte Vertrauen zu meiner Kraft hätte, würde sie wissen, daß die Liebe anderer Männer für sie mich nicht beleidigen und in Schrecken setzen kann, wiederholte sich Justus immer wieder.

Er wäre am liebsten auf seinen Besuch bei Sandor mit keinem Wort zurückgekommen, aber des Freundes Ansicht in der Theatersache hatte er Isabel doch mitteilen müssen. Es war ihre aufrichtige Überzeugung, daß Sandor recht habe, und sie hatte ihr in ihrer Weise Ausdruck gegeben, indem sie mit lebhaften Farben das Unheil schilderte, welches bei einer schlechten Aufführung über das Stück hereinbrechen würde. Sie sah die Heldin, wie sie sentimental war, wo sie heroisch; hochtrabend und überspannt, wo sie einfach und natürlich sein sollte; den Helden, der es in den tragischsten Scenen nicht über einen Postillon von Lonjümeau hinausbrachte; die heillose Verwirrung bei dem Volksaufruhr im vierten Akt, wo man nicht wissen würde, ob die Franzosen die Bürger, oder die Bürger die Franzosen zur Stadt hinauswarfen. Zu jeder anderen Zeit würde Isabels kecker Humor Justus entzückt haben; jetzt sah er in ihm nur ihre Unfähigkeit, eine ernsthafte Sache ernsthaft zu nehmen; und daß sie sich so entschieden auf Sandors Seite stellte, verdroß ihn. Stand sie doch in litterarischen Dingen immer auf seiner Seite und hatte keine Liebe und kein Verständnis für seine eigene poetische Art und Weise! In diesem Falle auch keine Empfindung für die unwürdige Behandlung, die ihm von seiten der Generalintendanz zu teil geworden war!

So denn, halb in der Überzeugung von der Wirksamkeit seines Stückes auch auf einer minderwertigen Bühne, halb aus Trotz gegen Isabels und Sandors Widerspruch, zog er sein Werk von dem Schauspielhause zurück und übergab einem Vorstadttheater im östlichen Berlin, das sich eifrig darum beworben, das Recht der Aufführung. Es sollte sofort mit den Vorbereitungen begonnen werden; noch vor Weihnachten hoffte man mit der Novität herauszukommen.

Und er war wiederum unzufrieden mit Isabel, die nun, als sie einer Thatsache gegenüberstand – ebenfalls ganz in ihrer Weise – gute Miene zum bösen Spiele machte und von der Möglichkeit eines Erfolges trotz alledem sprach, an die er innerlich selbst nicht mehr recht glaubte.

Es war eine Unsicherheit über ihn gekommen, wie er sie nie vorher im Leben gespürt hatte. Er glaubte den Grund dafür gefunden zu haben: der Boden seiner freundschaftlichen Beziehungen, den er bis dahin für so fest wie die Erde selbst gehalten, war in bedenkliches Schwanken geraten. Er hatte Sandor, wie er es versprochen, ab und zu besucht, Sandor auch den Besuch ein und das andere Mal erwidert; aber seit jenem Morgen wollte der harmlose Ton ihres früheren Verkehrs sich nicht wieder einstellen. Auch zwischen seinem alten Freund und Lehrer und ihm war eine Entfremdung eingetreten. Professor Richter, der in seiner Lebensführung von spartanischer Einfachheit war, machte kein Hehl daraus, daß ihm der Fuß, auf dem das junge Paar sein Hauswesen eingerichtet, nicht gefalle. Wie nach des alten Kaiser Wilhelms Ausspruch das preußische Volk nur nach moralischen, so habe der deutsche Gelehrte nur nach wissenschaftlichen, der deutsche Schriftsteller nach ästhetischen Eroberungen zu streben. Isabel sei nicht mehr Frau Baronin von Schönau, sondern Frau Arnold schlechtweg. Das müsse ihr Justus klar machen, oder er werde es früher oder später bitter bereuen. Zu des alten Herrn Gereiztheit gegen Isabel mochte es beitragen, daß Professor Lükke sich in seiner Schwärmerei für sie während seines Berliner Aufenthaltes nicht hatte genug thun können: ein Gegenstand der Bewunderung Lükkes durfte keiner für ihn sein. Sodann – und das war der schlimmste Vorwurf, den er ihr machte – sie und sie allein war schuld, wenn Justus dem Körnerschen Hause immer mehr entfremdet wurde. Eves Entschuldigung, daß ein junges verliebtes Paar notorisch unumgänglich sei, ließ er nicht gelten.

Das ist es nicht, rief er. Es ist nur, daß wir der verwöhnten jungen Dame in unserer Einfachheit nicht vornehm genug sind. Sie ist im stande, es Edith fühlen zu lassen, daß die einmal ihre Gouvernante war. Möglicherweise ist ihr Edith auch zu schön – Grund genug für eine kleine, hochgradig eitle Person, mit einer alten Freundin zu brechen. Ich weiß mit Bestimmtheit, daß sie sich nicht mehr sehen.

Professor Richter irrte sich: Isabel und Edith sahen sich wohl noch; aber es war seit jenem verhängnisvollen Morgen zwischen ihnen, wie zwischen Justus und Sandor: die freimütige Aussprache hatte die Seelen nicht völlig entlastet. Ein Druck war zurückgeblieben, der sich trotz des guten Willens von beiden Seiten nicht lösen wollte, und weil er sich nicht löste, in jedem den Verdacht hervorrief, es fehle eben dem anderen am guten Willen. Auch in das eheliche Verhältnis der Gatten wollte die alte Harmonie nicht wieder zurückkehren, wenngleich die innere Störung äußerlich überwunden schien: Edith konnte ihrem Gatten um so weniger vergeben, als sie sich überzeugt hielt, daß seine Ruhe nur gespielt war und die jüngere Rivalin nach wie vor sein Herz und seine Sinne beherrschte.

Wie dem aber auch sein mochte, Justus sah sich wie von einer unwiderstehlichen Gewalt aus seinem alten Freundeskreise getrieben, und die Gesellschaft, die sich nun doch in seinem Hause einfand, war nicht geeignet, ihm das Verlorene zu ersetzen.

Woher diese Gesellschaft kam, er hätte es kaum zu sagen gewußt. Den Anfang hatte der Hauptmann von Florisdorf gemacht, der seit dem Herbst zur österreichischen Botschaft in irgend einer militärischen Eigenschaft kommandiert war und es sich nicht hatte nehmen lassen wollen, seine lieben Freunde von Karlsbad her wieder aufzusuchen. Justus hatte sich zu dem Hauptmann in Karlsbad nicht gerade hingezogen gefühlt – dazu hatte es zu sehr an intimerem inneren Verständnis hinüber und herüber gefehlt – aber der schlanke, hochgewachsene Mann mit den verbindlichen Formen und seinem nur eben anklingenden behaglichen Wiener Dialekt war ihm auch keineswegs unsympathisch gewesen. So hatte er ihn denn jetzt in Berlin freundlich aufgenommen und seine häufigere Wiederkehr nicht ungern gesehen.

Es schien aber, daß in einem Hause, in welchem ein Offizier verkehrt, alsbald mehrere verkehren müssen. Jedenfalls waren noch nicht vier Wochen seit Florisdorfs erstem Besuch vergangen, als sich die Karten von ebenso vielen Herren Kameraden in der hübschen türkischen Schale auf Isabels Tisch im Salon angesammelt hatten. Da war der Lieutenant von Mittersberg, der Hauptmann von Willamonski – beide ebenfalls Bekannte von Karlsbad, her – da war Major Graf Potolski, militärischer Attaché bei der russischen Botschaft; da war Graf Blentheim von den Gardedragonern – alle hübsche, ja schöne Männer von den feinsten Manieren, denen es auch an angenehmen gesellschaftlichen Talenten nicht fehlte. Der Russe schien die ganze Welt gesehen zu haben und so ziemlich alle Weltsprachen zu sprechen; Willamonski kannte eine Unzahl von Karten und anderen Kunststücken, die er mit allerhand scherzhaften Reden zu begleiten wußte; Mittersberg spielte sehr gut Klavier und Blentheim durfte man fast einen Virtuosen auf der Geige nennen. Die musikalischen Eigenschaften der beiden letzteren Herren waren Isabel besonders willkommen, da sie selbst die Tonkunst leidenschaftlich liebte, sogar einige Liederchen recht hübsch komponiert hatte, zu deren geschmackvollem Vortrage sich dann auch ein Lieutenant von Krauser mit einer wohlgeschulten Tenorstimme rechtzeitig einfand.

Dieser gesellschaftliche Kreis sollte sich bald noch erweitern. Der Ex-Diplomat Graf Lindenberg und Gemahlin, deren Bekanntschaft Isabel in Norderney erneuert, hatten ihre Karten abgegeben; die Höflichkeit erforderte, den Besuch der alten Herrschaften zu erwidern, dem dann auch sofort eine Einladung in dem reichen gastlichen Hause folgte. Damit war der Anfang zu einer vorläufig unabsehbar langen Reihe neuer Bekanntschaften und gesellschaftlicher Verbindungen gemacht, alle in ausschließlich vornehmen Kreisen, zu denen sicher der russische Botschafter und Gemahlin gehörten, denen Isabel und Justus bei Graf Lindenbergs durch Graf Potolski vorgestellt waren und die dringend gebeten hatten, dem jungen Paar zu dem großen, demnächst bevorstehenden Ballfest in der Botschaft Einladungen schicken zu dürfen. Isabel hatte einen großen Triumph mehr zu verzeichnen. Die Tagesblätter, welche ausführliche Berichte über das Fest brachten, überboten sich im Preise ihrer Schönheit und Anmut und versicherten einhellig, daß sie der star des Abends gewesen sei. Justus war jetzt in der Lage, sich durch den Augenschein zu überzeugen, daß die Anspielungen die Isabel früher in ihren Briefen auf ihre gesellschaftlichen Erfolge gemacht hatte, in der That eine löbliche Bescheidenheit verrieten, waren sie auch nur annähernd so groß gewesen wie die jetzigen.

Es war selbstverständlich, daß man solche gesellschaftlichen Annehmlichkeiten und Genüsse nicht in demselben üppigen Maße erwidern konnte, in welchem sie von den Spendern dargereicht wurden. Wenn nicht schon die Beschränktheit der Mittel, so verbot es die Enge der Wohnung. Isabel hatte deshalb den Vorschlag gemacht, wöchentlich einmal einen offenen Abend, vielmehr Nachmittag zu haben: von drei bis sieben Uhr, und an diesem Tage die gewöhnliche spätere Stunde für die Hauptmahlzeit bereits gut bürgerlich auf ein Uhr zu verlegen. Man würde sich hinsichtlich der Bewirtung auf Thee, Kuchen und Butterbrotschnitte beschränken und Friedrich zur Bedienung ausreichen, auch wenn die drei disponibeln Räume sich ganz mit Gästen füllen sollten.

Justus hatte dem Vorschlage zugestimmt, schon deshalb, weil von den Übeln, unter denen ihm die Wahl frei stand, dies das kleinste war.

Denn ein Übel war und blieb ihm eine Gesellschaft, in der er sich jetzt nach Monaten fremder fühlte als der jüngst Hinzugetretene, der sicher in diesem Kreise bekannte Gesichter, oder doch Menschen fand, zwischen denen und ihm nach wenigen Minuten die verschiedensten Berührungspunkte sich herausstellten. Er hatte noch immer dergleichen Punkte nicht gefunden. Wie wäre das auch möglich gewesen! Sahen doch diese Herren und Damen das Leben von einem so völlig anderen Standpunkte an! lagen doch ihre Interessen auf so ganz anderen Gebieten! schienen sie so oft trotz des für das Ohr offenbaren Gleichklangs eine von der seinen grundmäßig verschiedene Sprache zu sprechen! Und nicht selten wurde durch lange Stunden hindurch kaum ein Wort gesprochen, sondern nur musiziert: Duetts, Terzetts, Quartetts, die dann auch ein wenig durchprobiert und eingeübt sein wollten, ehe man sich mit ihnen vor der Gesellschaft produzierte, und infolgedessen noch manche Stunden außer den ursprünglich für die Gesellschaft bestimmten in Anspruch nahmen. Und verstummte einmal die Musik und verstattete der Rede, sich vernehmen zu lassen, so war es wiederum die Musik, über die man sich mit Vorliebe unterhielt, und außerdem die Vorkommnisse in der Welt der oberen Zehntausend, zu welcher ja die Herrschaften ausnahmslos gehörten – Vorkommnisse, deren Zahl Legion zu sein, und die einen unerschöpflichen, mit immer demselben andachtsvollen Eifer durchsprochenen Stoff zu bieten schienen.

Und Justus' alte Freunde? Sie waren anfänglich noch hin und wieder zu den Freitag-Nachmittagen gekommen; dann hatten sie sich, einer nach dem anderen, zurückgezogen, wie – nach einem Vergleiche Sandors – die amerikanischen Indianer vor den in ihre heimischen Wälder und Pannen nachdrängenden Blaßgesichtern. Daß Justus sich in seiner Rolle des Letzten der Mohikaner besonders behaglich fühlen sollte, möchte ich fast bezweifeln, hatte Professor Richter gemeint.

Aber Justus fühlte sich verzweifelt unbehaglich und wäre verzweifelt ohne seine Freude an dem Vergnügen, welches diese Art der Geselligkeit Isabel offenbar bereitete. Hier schien sie ganz in dem ihrer Natur gemäßen Elemente, hier konnte sie den vollen Zauber ihrer Persönlichkeit entfalten, wie ein spielseliges Kind, an das sie Justus immer erinnerte, wenn er sie mit ihrem holden Lächeln durch ihre Gesellschaft sich bewegen sah, dann wieder mit der ernsthaftesten Miene von den nichtigsten Dingen reden hörte, um ihm im nächsten Moment mit einem Augenzwinkern zu sagen: Sonntagskind, es ist ja alles Unsinn. Aber was willst Du? Man kann mit diesen Leuten nicht anders reden und verkehren!

Der Meinung war Justus durchaus; nur daß er sich immer wieder fragte: weshalb dann dieser Verkehr? Weshalb bin ich gezwungen, auf Tage zu verstummen, um einmal in der Woche mit mir völlig gleichgültigen Leuten über Dinge zu reden, die mich nicht im mindesten interessieren? Hier steckt offenbar ein Fehler in der Rechnung deines Lebens, und der Freitag wird kommen, an dem du ihn entdeckst?

Denn die Freitage mit ihren musikalischen Nachmittagsstunden, die sich nicht selten bis spät in den Abend erstreckten, waren für ihn gezeichnet und gleichsam mit einem schwarzen Schleier überhängt. Beim Erwachen an einem Freitagmorgen empfand er eine gewisse Beklemmung in der Herzgegend, und vor dem Einschlafen an einem Freitagabend verabsäumte er jetzt nie ein kurzes und herzliches Gebet zu sprechen: »Gott sei Dank, daß das wieder einmal vorüber ist!«


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