Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

In einem Punkte hatte das liebende Paar nicht nur die große Badegesellschaft, sondern auch den kleineren Kreis der intimen Freunde, Eberhard und Sandor eingeschlossen, getäuscht: ihre Vermählung sollte nicht erst am folgenden Tage stattfinden, sie war bereits am Frühabend desselben Tages in der protestantischen Kirche vollzogen worden.

In aller Stille und Heimlichkeit, zu der der liebenswürdige, liberale Geistliche, den besonderen Verhältnissen Rechnung tragend, freundlich die Hand geboten. Der Küster und seine Frau waren die einzigen Zeugen gewesen.

Als sie im Promenadenanzuge, Arm in Arm, wie jetzt immer, zur Trauung gingen, war ihnen etwas Absonderliches begegnet.

Im Begriff, von dem Promenadenwege nach der kleinen Holzbrücke abzubiegen, über welche man von dort unmittelbar zu der Kirche gelangt, war ihnen für eine kurze Zeit der Zugang der Brücke durch ein Krankenwägelchen gesperrt worden. In dem Wägelchen, dessen Führung einem rüstigen Dienstmann anvertraut war, hatte, in die Kissen zurückgelehnt, eine junge Dame gesessen, deren blasses vergeistigtes Gesicht die deutlichen Spuren schweren Leidens trug. Eine Krankenschwester in schwarzem Gewande mit enganschließender weißer Haube und einem runden Medaillon mit rotem Kreuz auf weißem Grunde am Bande um den Hals hatte sich über die Leidende gebeugt, die sie ans einem Flacon eine stärkende Essenz einatmen zu lassen schien. Dann hatte sie sich wieder aufgerichtet und der Dienstmann das Wägelchen weiter geschoben, ohne daß die Kranke oder die Schwester nach der Seite der Promenade geblickt hätten, wo Justus und Isabel standen, bereits inmitten eines Haufens Neugieriger, wie ihn der geringfügigste Vorfall auf den Promenadenwegen in Karlsbad anzusammeln pflegt.

Erst als sich das Wägelchen wieder in Bewegung setzte, hatte Justus, dessen Blick an Isabel gehangen, in der Dame und ihrer Pflegerin Sibylle und Marthe zu erkennen geglaubt.

Ist es denn möglich? flüsterte er.

Ja, sagte Isabel; ich wußte, daß Sibylle kommen würde; aber nicht in welcher Begleitung und daß sie bereits hier sei. Sie kann auch heute erst gekommen sein, und morgen sind wir über alle Berge.

Warum hast Du es mir nicht gesagt?

Isabel sah mit ihrem bezaubernden Lächeln zu ihm auf: Ich hätte es Dir beinahe gesagt – neulich, da oben auf dem Russelsitz, als ich Dich so ausführlich über sie interpellierte. Aber dann würdest Du alle diese Tage weiter an sie gedacht haben, und wie das Wiedersehen mit ihr wohl sein würde und dergleichen mehr, und Du solltest – in diesen Tagen wenigstens – an niemand auf der Welt denken, nur an mich. Verstehst Du das, Sonntagskind?

Justus konnte nur schweigend ihren Arm an seine Brust drücken: sie standen bereits an der Thür der Sakristei, welche der Küster, der sie hatte kommen sehen, für sie geöffnet hielt.

Dann nach der heiligen Handlung, die nur wenig Zeit in Anspruch nahm, da der freundliche Geistliche sich in seiner Rede einer liebevollen Kürze befleißigte, hatten sie sich noch, als wäre nichts Besonderes geschehen, ein Stündchen auf der Promenade, wie gewöhnlich, gezeigt, und dann in ihrer stillen Ecke im Restaurant des Hotel de Saxe ihr Abendbrot eingenommen: Isabel ihr Glas Milch, Justus seine halbe Flasche Adelsberger – ganz wie am ersten Abend, und wie alle diese Abende ohne die Freunde, die wußten, daß das Paar, sobald es sich in seine Ecke zurückgezogen, nicht weiter gestört zu sein wünschte.

Nach dem Abendbrot hatte Justus seine junge Frau bis zu der Thür ihrer Wohnung gebracht, mit einem Handkuß von ihr Abschied genommen und sein Zimmer in der Goldenen Harfe aufgesucht.

Lange, lange ging er dort auf und nieder, von Zeit zu Zeit an das offene Fenster tretend und nach drüben blickend, wo er hinter den heruntergelassenen Gardinen ihren Schatten sich bewegen sah. Dann war es drüben dunkel geworden: sie hatte sich gegen ihre Gewohnheit früh schlafen gelegt – auf seine Bitte. Es hatte heute eine starke Abspannung auf ihrem süßen Gesicht gelegen, und sie wollten morgen mit dem ersten Zuge reisen. Vorerst nach Berlin, die Wohnungsangelegenheit zu ordnen und Base Anna dort zu lassen, welche Isabels Möbel von Schönau herüberschaffen sollte, während sie selbst auf einer der friesischen Inseln – vermutlich Norderney – ein paar Wochen verlebten. Es würde Base Annas letzter Dienst sein, die sich dann nach Schlesien, oder Galizien, oder wohin immer mit einer kleinen Pension zurückziehen mochte.

Ich hätte sie noch länger um mich geduldet, hatte Isabel gesagt; denn sie ist mir in vieler Beziehung nützlich gewesen, und solche Menschen haben bei mir immer einen Stein im Brett, wie antipathisch sie mir auch sonst sein mögen. Aber mein Sonntagskind hat empfindlichere Nerven, und das Sonntagskind ist ja nun der Herr.

Sie hatte dazu gelächelt und er mußte lächeln, als er jetzt an die Worte dachte.

Er, der Herr! er, der, so lange er denken konnte, ihr Sklave und dem sie alles gewesen war: der Inbegriff und die Verkörperung alles Schönen und Anmutigen auf Erden, seine Muse, seine Poesie selbst, die, wenn sie nicht nur von ihr gelebt, doch Schwung, Feuer und Leben nur von ihrem ewig beweglichen, einzigen Wesen, wie es in seiner Erinnerung gelebt, entlehnt hatte. Nun hatte sich die Erinnerung in Wirklichkeit verwandelt, vor deren Licht jene, so glänzend sie gewesen, in tiefen Schatten getreten war. Die Quellen der Poesie und Liebe, aus denen er sein Leben genährt, sie hatten sich zu einem einzigen mächtigen Strome vereinigt.

Würden sie immer einig bleiben? Die Poesie es nie über die Liebe, die Liebe es nie über die Poesie davontragen wollen? Es würde das nicht zum erstenmale der Fall sein: die Lebensgeschichte der Dichter und Künstler bot so manches mahnende Beispiel; selbst Goethes Bund mit Frau von Stein hatte nicht ewig gedauert, nur bis sein Genius die mächtigen Schwingen wieder regte. Da waren die Bande, die sie so lang gefesselt und die für die Ewigkeit geschmiedet schienen, zerrissen wie Zwirnfäden.

Und wenn ich gleich nicht wert bin, des Herrlichen Schuhriemen zu lösen, ein Dichter bin ich doch auch, der für sein kleines Pfund so gut verantwortlich ist, wie jener für sein großes. Gegen den Alltag habe ich meine Poesie wohl zu wahren gewußt, werde ich sie auch gegen den Festtag schützen können? nicht Wachs sein in ihrer kleinen weißen Hand? nicht aus ihrer Küsse Süßigkeit Lethe trinken und des Vaterlandes vergessen, der Freunde und des Berufes strenger Pflicht?

Nein, Herz, geliebtes, das wirst du mir nicht anthun. Du willst mich ja glücklich machen, und nimmer könnte ich es sein, müßte ich mir selber untreu werden. Du wirst meine Muse bleiben, wie du es warst.

Ein jäher Blitz, dem sofort ein mächtiger Donner folgte, schreckte den Grübler auf. Es war das Gewitter, das schon tagelang in der Luft gestanden. Gott sei Dank, daß es endlich losbrach und ihm den Druck von der Seele nahm, unter dem ihm so wunderliche Gedanken hatten kommen können.

Nun rauschte der Regen herab und prasselte auf das Glasdach des Restaurants unter ihm. Dem ersten Blitz war ein zweiter gefolgt, diesem ein dritter, und dann Blitz ans Blitz ununterbrochen, daß keine Dunkelheit mehr eintrat und die ganze Welt in Flammen zu stehen schien. Die aus dem Schlaf geschreckten Menschen begannen die Lichter wieder anzuzünden; ein Fenster nach dem anderen erhellte sich; es war, als würde ein großes nächtliches Fest in der Stadt von den Bewohnern und Badegästen durch eine allgemeine Illumination einträchtiglich gefeiert. Nur ihre Fenster waren dunkel geblieben; jetzt erschien auch drüben Licht. Das Rouleau an dem einen ging in die Höhe, es wurde das Fenster selbst geöffnet, und er sah die Geliebte deutlich wie am Tage.

Nur daß die Deutlichkeit jetzt beim fahlen Schein der Blitze erschreckend war. Sie hatte ein Morgengewand übergestreift, das er wohl kannte. Es war blau, jetzt sah es völlig weiß aus. Ihr Haar hatte sich aus den Zöpfen gelöst, oder sie hatte es vor Müdigkeit nicht eingeflochten, und es floß nun von beiden Seiten bis auf die Hüfte herab. Ihr Gesicht war oder erschien wachsbleich und aus dem bleichen Gesicht starrten die großen dunklen Augen.

Ein Angstschrei brach aus Justus' Brust. Sie hatte es vor dem Rollen des Donners, dem Prasseln des Regens sicher nicht hören können; aber auch sie hatte ihn jetzt erblickt und hob beide Arme zu ihm auf. Es war ein Gruß sehnsuchtsvoller Liebe – er wußte es wohl, und doch überlief ihn wieder ein Schauder: so mochte eine Sterbende zum letztenmale die Arme zum erbarmungslosen Himmel strecken!

Und plötzlich war es wieder schwarze Nacht. Das Gewitter hatte sich ausgerast, nur aus der Ferne murrten noch die Donner. Die Lichter in den Fenstern erloschen allgemach; auch Isabels Fenster waren wieder dunkel geworden.

Justus hatte ebenfalls seine Lampe gelöscht; Isabel sollte nicht sehen, daß er nicht schlafen konnte.

Er konnte es nicht. Immer stand vor seinem geistigen Auge das Schreckensbild: die Geliebte mit den wachsbleichen Todeszügen, die Arme zum letztenmale ausstreckend zum erbarmungslosen Himmel.

Wäre nur erst der Tag da, die Nachtgespenster zu bannen!

Und der Tag kam, rosig und lächelnd, wie ein aus dem Schlaf erwachendes Kind. Auf dem Dachfirst über ihm sang die Schwalbe ihr süßes Morgenlied.

Justus sprang von seinem Lager empor und blickte froh und freudig dem jungen Tage in das strahlende Antlitz. Er schämte sich seines nächtlichen Kleinmuts. Wohl mag in einer schwachen Stunde, wem so ungeheures Glück beschieden, den Neid der Götter fürchten, sprach er bei sich, und doch sind sie nur dem Starken hold. Auch darin gleicht sie den Göttern.

Und er breitete sehnend die Arme nach ihr aus, die er nun für immer sein eigen nennen durfte. –

Die Menge der Badegäste war sehr enttäuscht, als heute ihr bewunderter Star an seiner gewöhnlichen Stelle am Marktbrunnengeländer nicht erschien. Man meinte, auch wenn heute ihr Hochzeitstag sei, hätte sich die Göttin noch einmal ihrem anbetenden Volke zeigen müssen. Noch weit enttäuschter waren aber die specielleren Freunde, als sie, von der offiziellen Frühpromenade nach Hause kommend, ein Billet vorfanden, das nichts enthielt als eine Karte, auf der in hübschen Lettern gedruckt stand: Herr und Frau Justus Arnold; und in der Ecke in Schriftzügen die drei Buchstaben p. p. c. pour prendre congé, frz.: »um Abschied zu nehmen«. - Anm.d.Hrsg.

Die Verräter, die Heuchler, die Treulosen! rief Sandor; solch eine Flucht und Felonie ist auch unerhört in der Weltgeschichte! Es sieht ihnen ähnlich, diesen falschen Heiligen, diesen Wölfen in Schafskleidern! Wir aber, Doktor, wir können nichts thun, als das Unvermeidliche mit Würde tragen, indem wir bei einem glänzenden Diner, die Frucht der Ähre kostend, unser Schmerzgefühl bezwingen, und, die schäumende Lebensquelle an der Lippe Rand, unseren Ärger in Lethes Welle versenken.

Ich bin ganz Ihrer Meinung, sagte Eberhard; wo soll es sein?

Bei Pupp natürlich – in einem separaten Zimmer – – um zwei Uhr – lassen Sie mich nur machen!

Und sollen wir noch jemand dazu auffordern?

Auf alle Fälle. Wir beide würden uns doch nur einander anheulen. Also, wenn es Ihnen recht ist: die alte, gute, dumme Excellenz, Florisdorf, Willamonski, Mittersberg und noch ein paar gute Jungen, die heute alle mit gebrochenen Herzen umherlaufen. Und verteufelt lustig wollen wir sein.

Das Diner, welches für vierzehn Personen gedeckt war, obgleich die beiden, mit Blumen reich geschmückten Plätze an dem oberen Ende der Tafel unbesetzt blieben, sollte nach Aussage der Kellner verteufelt lustig gewesen sein, bis gegen das Ende Doktor Sandor sich erhoben hatte, den einzigen, heute zulässigen Toast auszubringen. Das Zeug, das der Doktor vorgebracht, erklärte selbst der Oberkellner nicht verstanden zu haben; aber es müsse wohl sehr witzig gewesen sein, denn die Herren hätten unbändig gelacht. Auf einmal sei der Doktor stecken geblieben, habe sich das Taschentuch in das Gesicht gedrückt und eilig den Saal verlassen, um erst nach geraumer Zeit wieder zu erscheinen mit der Entschuldigung eines starken Nasenblutens, an dem er häufiger leide. Der Kellner, der ihm ins Nebenzimmer nachgelaufen, machte die sonderbare Aussage, daß ihn der Herr Doktor fast zur Thür hinausgeworfen habe, hinter der er – Jean – deutlich gehört, wie der Herr Doktor geweint und geschluchzt. Von dem vergossenen Blut habe weder das Waschbecken noch das Handtuch die kleinste Spur gezeigt.

Doktor Eberhard, dem Jean am nächsten Tage diese merkwürdige Geschichte erzählte, hörte nachdenklich zu und sagte dann mit einem sonderbaren Lächeln:

Er wird wohl nach innen geblutet haben. So etwas kommt vor.


 << zurück weiter >>