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Zehntes Kapitel.

Isabel war heute in besonders guter Laune. Kurze Zeit, nachdem Justus sie verlassen, war der Arzt vorgefahren, der erste in seinem Fache, dem sie sich anvertraut hatte. Nicht völlig: er war der Meinung, daß sie erhoffe, was sie mehr als alles auf der Welt fürchtete. Und er hatte ihr gesagt, daß gewisse Zeichen, die sonst entscheidend sein würden, infolge einer Eigentümlichkeit ihrer Natur, keinen sicheren Schluß zuließen, sehr wahrscheinlich aber diesmal nicht mehr bedeuteten, als in früheren wiederholten Fällen.

Das gerade hatte sie hören wollen: Der Abgrund, an dessen Rande sie ihre Blumen pflückte, war oder schien doch wieder bis auf weiteres von ihr weggerückt. Bis auf weiteres! Es mußte ihr genügen und genügte ihr. Sie hatte sich bereits daran gewöhnt, von einem Tag zum andern zu leben.

So gehörte dieser Tag ihr, und sie wollte sich seiner freuen, trotzdem Justus heute wieder einmal die melancholischste seiner Mienen aufgesetzt. Der liebe, thörichte Junge! Stand denn seine Poesie nur auf dem Papier? und konnte er es nicht fassen und begreifen, daß die Maiennacht seines Märchens wirklich sein Weib geworden war, wenn sie auch Isabel hieß? Und daß er für die kurze Zeit ihres Beisammenseins sie gewähren lassen mußte in ihrem luftigen Wesen und nicht verlangen durfte, daß sie eine ehrbare Frau Försterin wurde? und daß er für seinen Teil nichts, schlechterdings nichts zu thun hatte, als sie zu lieben und immer nur zu lieben?

Der thörichte Junge! Da war er, anstatt bei seiner Maiennacht zu bleiben in der liebewarmen Hütte, bei dem greulichen Wetter in den Wald gelaufen, ein stolzes Wild zu erlegen, das ihn immer tiefer hinter sich her in das Dickicht lockte, an dessen Dornen er die Hände blutig ritzte, um dann spurlos zu verschwinden, oder schlimmer: sich in eine lächerliche Ziege zu verwandeln, die den unglücklichen Jäger aushöhnte. Nun, ein Gutes mochte es haben: er würde so bald nicht wieder auf die Ziegenjagd gehen!

Friedrich kam, um nach den Befehlen der gnädigen Frau für heute zu fragen. Friedrich war mit Leib und Seele bei der Sache, die seiner gnädigen Frau so viel Vergnügen machte. Die Gnädige meinte, daß man sich auf zwanzig Personen einrichten müsse. Die Einrichtungen waren nicht sehr komplizierter Art, aber mußten doch getroffen werden. Sofas und Stühle waren anders zu arrangieren. Der Stutzflügel sollte tiefer in die Ecke, trotzdem sein in dem kleinen Raume schon nicht besonders heller Klang dann noch dumpfer werden würde. Es ging nicht anders, nachdem nun auch noch die Bankierfamilie Schmitz aus Köln – daß die Leute ewig auf der Reise sein mußten! – sich zum Abend »auf ein Stündchen« hatte anmelden lassen. Neapel und Norderney waren vor ihnen nicht sicher gewesen, weshalb sollte es Berlin sein?

Ein zweites Billet! diesmal von Christine aus Wannsee: Isabel habe neulich die Güte gehabt, zu äußern, daß ihr Armand jederzeit willkommen sein werde. So werde denn Armand von der so freundlich erteilten Erlaubnis Gebrauch machen und sie (Christine) heute begleiten. – Dies war ein kritischer Fall. Justus wußte nichts von der erteilten Erlaubnis. Was würde er sagen? Wenn er verständig war: Du hast ganz recht gethan. Man konnte doch unmöglich Armand ein Haus verschließen, in welchem seine Frau aus und ein ging. Auch mußte man um der kleinen Frau willen die zwischen ihr und ihrem Gatten eingetretene Versöhnung und Vereinigung unterstützen und fördern. Wiederum, wollte Justus – wie er sicher wollte – den Verkehr mit Sibylle fortsetzen, durfte er Sibylles Bruder nicht in Acht und Bann erklären. Mit einem Worte, es war nur eine Frage der Zeit gewesen, wann Armand wieder auf der Bildfläche erscheinen sollte. Man mußte es ihm noch Dank wissen, wenn er für sein Erscheinen eine größere Gesellschaft wählte und so das Peinliche eines Wiedersehens unter vier Augen glücklich vermieden wurde.

Die Freude darüber ließ Isabel kaum einen Verdruß empfinden, als jetzt die Köchin – die vierte seit dem Beginn der Wirtschaft – kam und um die Erlaubnis bat, ihre Mutter im Hospital besuchen zu dürfen, die im Sterben liege. Isabel wußte nichts von dieser Mutter und also auch nicht, daß sie im Begriff sei, das Zeitliche zu segnen. Sehr wahrscheinlich war das Ganze nur eine Erfindung des Mädchens, um sich ein paar freie Stunden zu verschaffen, die sich voraussichtlich bis zum späten Abend verlängern würden. Indessen sie konnte der pietätvollen Tochter ihre Bitte nicht abschlagen, trotzdem das Stubenmädchen Auguste – noch immer jenes erste anspruchslose Wesen, das von Fensterputzen und Staubwischen leben zu können schien – mit Zahnschmerzen und einer geschwollenen Backe wimmernd auf ihrem Hängeboden saß und ersichtlich für heute abend kampfunfähig war.

Lassen gnädige Frau mich nur machen! sagte Friedrich. Ob die beiden Frauenzimmer da sind, oder nicht, ist mir ganz egal. Ich werde alles schon allein besorgen. Aber das Zimmer von dem Herrn muß heute abend mit dran, gnädige Frau. Wir kriegen sie sonst nicht fest.

Dazu gab Isabel ihre Zustimmung nicht gern. Es war eine von Justus' kleinen Schwächen, daß er in seinem Zimmer keinerlei Veränderung dulden mochte, und einige der Möbel – sein Schreibtisch vor allem – mußten durchaus ihren Platz wechseln, wenn Raum geschafft werden sollte.

Auch hier tröstete Friedrich: der Herr werde schon nichts dagegen haben; er thue ja doch sonst alles, was er der gnädigen Frau an den Augen absehen könne.

Isabel hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, ob Justus' Hartnäckigkeit in der Theatersache mit diesem Ausspruche sich wohl vereinigen lasse. Friedrich, der auf das Zeichen der Klingel an der Flurthür davongestürzt war, kam mit den Karten zweier Offiziere: von Seeberg und von Hermsdorf zurück, welche ihre Aufwartung zu machen wünschten. Die Herren waren vom Grafen Blentheim bereits seit einigen Tagen annonciert und hatten offenbar den heutigen Tag gewählt, um noch für den Abend eine Einladung zu erhalten. Isabel beschloß, während die Säbel der Herren auf dem Vorplatze klirrten, die Einladung zu erteilen, vorausgesetzt, daß die Neulinge ihr gefielen, was zu vermuten stand, da der Graf, auf dessen Urteil sie Wert legte, sie sehr warm empfohlen hatte.

Die Herren traten ein, durften Platz nehmen, erwiesen sich in einer zehnminutenlangen Unterhaltung als angenehme Plauderer und wurden mit einer Einladung entlassen.

Sie hätten eigentlich nur gleich bleiben können, denn es war mittlerweile halb drei geworden, eben daß für Isabel noch Zeit blieb, Toilette zu machen, auf die in Anbetracht der Umstände heute doch noch besondere Sorgfalt verwandt werden mußte. Friedrich glaubte seine gnädige Frau daran erinnern zu sollen, daß sie noch immer nicht zu Mittag gegessen habe, wobei er sich denn allerdings gezwungen sah, hinzuzufügen, daß eigentlich nichts zum essen da sei. Isabel erklärte, keinen Appetit zu haben, Friedrich möge zusehen, wie er sich etwas verschaffe, worauf Friedrich einiges murmelte, was ungefähr lautete: wenn die gnädige Frau keinen Appetit habe, habe er auch keinen, und wenn die gnädige Frau nichts äße, dann brauchte er auch nichts zu essen.

Isabel lächelte, während sie die Wendeltreppe zu ihrem Schlafzimmer hinaufeilte. Es war doch etwas Eigenes um einen Zauber, der so gleich mächtig auf sie alle wirkte! Kein Ritter, wie die andern, mit klirrendem Schwert und rasselnden Sporen – ein einfältiger Knecht nur und der doch, wenn es zum Kampfe kam, sein armes nacktes Leben mit Freuden für sie lassen würde!

War es das stolze Bewußtsein dieses ihren feenhaften Zaubers, war es, daß sie sich sagte: wer kann wissen, ob dieser Tag nicht der letzte meiner Herrschaft ist – nie war sie ihren Gästen so holdselig, von so unwiderstehlicher Anmut umflossen erschienen. Man flüsterte es sich einander in die Ohren, wenn sie den schlanken Rücken gewandt hatte; man sagte es einander mit verständnisvollen Blicken und Zeichen; die Gemeinschaftlichkeit schien die Bewunderung nur noch zu steigern, wie durch das gemeinschaftliche Gebet die Andacht der versammelten Gläubigen vertieft wird. Die Herren brauchten selbst vor den Damen aus ihrer Begeisterung kein Hehl zu machen, da diese ihnen im Lob und Preis der liebenswürdigen Wirtin vorangingen. Es fehlte sonst in Isabels Kreis ein wenig an Damen – ein Umstand, auf den sie im allgemeinen kein besonderes Gewicht legte; heute, wo die kleinen Räume die Schar der Verehrer kaum fassen konnten, erfüllte es sie doch mit Genugthuung, daß sie auch über ein ansehnliches weibliches Kontingent verfügen durfte. Da thronten die alte ehrwürdige Gräfin Lindenberg und die stattliche Kölner Bankierfrau auf dem kleinen Sofa; die freundlichen Erscheinungen einer reizenden Nichte der Gräfin, zweier hübscher Töchter der Kölnerin, drei oder vier junger Gattinnen anwesender Offiziere tauchten bald hier bald da in ihren frischen, geschmackvollen Toiletten aus dem sie umgebenden Kreise der schmucken Uniformen auf; Isabels treueste Verehrerin, Gräfin Christine, hatte es sich nicht nehmen lassen, dem Theetische vorzustehen zur Verzweiflung Friedrichs, dem es die kleine kurzsichtige Dame um so weniger recht machte, als sie heute noch mehr als gewöhnlich zerstreut war und eine fieberhafte Aufregung unter einem beständigen Lächeln umsonst zu verbergen suchte. Es war das erste Mal, daß sie mit Armand in einem größeren Kreise wieder erschien; es hing so viel davon ab, wie die Aufnahme sein würde, die ihnen zu teil wurde. Sie glaubte zu bemerken, daß, wenn man es auch an Aufmerksamkeit für sie nicht fehlen ließ, man doch Armand gegenüber eine kühle Zurückhaltung beobachtete, und sie hatte recht gesehen: selbst seine früheren Kameraden hatten für ihn im besten Falle nur die salonübliche Höflichkeit. Wenn das so leicht niemand der Anwesenden entging, der nur einigermaßen in die Verhältnisse eingeweiht war, konnte es für Isabels scharfe Augen kein Geheimnis bleiben. Es that ihr um Christines willen, die es denn doch würde entgelten müssen, aufrichtig leid; aber es ließ sich wenig dagegen thun. Auszeichnen durfte sie ihren ehemaligen Anbeter auf keine Weise, das würde nicht nur von den anderen, sondern vorzüglich von ihm selbst bei seiner maßlosen Eitelkeit mißverstanden sein; und doch mußte gerade wieder diese Eitelkeit um der hilflosen kleinen Frau willen geschont werden. Endlich kam ihr in dieser Verlegenheit ein Einfall, dem sie Folge gab, obschon er ihr ein wenig bedenklich schien. Sie winkte den Hauptmann von Florisdorf zu sich und flüsterte ihm zu:

Wollen Sie mir einen großen Gefallen erweisen?

Aber, Gnädigste!

Als fremdländischer Offizier sind sie besonders geeignet zu der Mission: nehmen Sie sich des Grafen Waldburg, der da wieder einmal in der Ecke steht, ein wenig an und lancieren Sie ihn! Ich sage Ihnen ein andermal meine Gründe.

Es bedarf keiner Gründe, nur Ihres Befehles, Gnädigste.

Um so besser. Also Sie haben hiermit den Befehl!

Der Offizier verbeugte sich und blickte dann für einen Moment ihr, die sich wieder von ihm gewandt hatte, mit glühenden Augen nach.

Und deinen Dank, du schönes Weib, hol ich mir auch ein andermal, sprach er bei sich, indem er sich auf einem Umwege Armand näherte.

Ich hätte am Ende doch einen anderen wählen sollen, dachte Isabel; indessen, ob die Katastrophe ein wenig früher oder später kommt – was liegt daran?

Es hieß das eine Sache, die ernsthaft werden konnte, von einer leichten Seite nehmen. Isabel fühlte das wohl: aber dies war für Nachdenklichkeit der ungeeignetste Augenblick. Eben war der russische Botschafter in den Salon getreten – in großer Uniform: er mußte später noch zu einem Hoffest. Mit Umständlichkeit entschuldigte er sein spätes Erscheinen und das Ausbleiben seiner Gemahlin, die nur die fürchterlichste Migräne um das Vergnügen hatte bringen können, die holde Wirtin mündlich ihrer Liebe und Freundschaft zu versprechen. Isabel sprach ihr Bedauern aus, und dies Bedauern war sehr ehrlich. Die Gegenwart der Frau Botschafter, auf die sie im stillen mit Bestimmtheit gerechnet, hätte ihrem Abend erst die rechte Weihe gegeben. Indessen Excellenz hatte, wie es schien, nicht ohne Absicht seine Entschuldigung so laut vorgebracht; bei der allgemeinen Stille, die sein Eintreten hervorgerufen, mußte sie von jedem gehört werden. Das war eine Abschlagszahlung, an der sich Isabel vorderhand genügen lassen durfte, und nun war es auch die höchste Zeit, mit der Musik zu beginnen, wenn der Botschafter, der nur ein Stündchen bleiben konnte, etwas von dem Konzerte haben sollte.

Es war ein richtiges kleines Konzert, dessen Nummern Isabel sorgfältig ausgewählt hatte, und das heute nicht ohne manche vorhergegangene Probe zur Ausführung kam. Den Anfang machte sie selbst mit dem Vortrage einer kurzen Chopinschen Etüde, der ein längeres Duo für Klavier und Violine folgte, bei dem wiederum sie das Klavier, Graf Blentheim die Violinpartie übernommen hatte. Die Piece erforderte zwei sehr geübte Spieler, als welche sich dann Isabel und der Graf auswiesen. Die virtuose Leichtigkeit, mit der sie die großen, technischen Schwierigkeiten überwanden, erregte allgemeine Bewunderung, die sich nach Beendigung des Vortrages in enthusiastischen Beifallsbezeugungen der Hörer Luft machte. Besonders der Botschafter war ganz entzückt. Er versicherte Isabel, daß er sowohl die Etüde als die Sonate wiederholt von Rubinstein, aber niemals besser als heute abend gehört habe.

Isabel hatte diese Huldigungen entgegengenommen, ohne ihren Platz am Flügel zu verlassen, da auch die dritte Nummer: Vortrag einiger Brahmsschen Lieder durch Lieutenant von Krausek auf ihre Begleitung rechnete. Der junge Mann hatte bereits das geöffnete Notenheft in den Händen und Isabel ein paar präludierende Accorde angeschlagen, als sie Justus sah, der mit dem Botschafter sprach. Sie ließ sogleich die Hände von den Tasten und, sich mit einem schnellen Wort der Entschuldigung an Herrn von Krausek erhebend, trat sie auf ihn zu, ihn mit einem dankbaren Lächeln zu begrüßen.

Ich bin schon, eine Viertelstunde hier, erwiderte Justus und habe dort hinten in der Ecke gestanden, um nicht zu stören. Übrigens kann ich nur eine Minute bleiben.

Wie das?

Ich muß noch einmal ins Theater.

Unmöglich!

Weshalb? Ich glaube nicht, daß jemand mich hier vermissen wird.

Das Lächeln war von Isabels Gesicht verschwunden.

Mehr noch als diese ungastliche Eilfertigkeit verletzte sie der herb ironische Ton, in welchem er die letzten Worte gesprochen hatte. Wenn ihn wirklich niemand vermissen würde, wessen Schuld war es, als seine eigene, der sich in dieser Gesellschaft nicht die Stellung zu verschaffen wußte, oder verschaffen wollte, die ihm zukam! Aber sie überwand den Unwillen, der in ihr aufstieg, und sagte ruhig und freundlich:

Bleib, Justus! ich bitte Dich!

Ich kann nicht.

Mir zuliebe!

Es ist unmöglich.

Nun denn: au revoir!

Friedrich hatte die Pause, die jetzt durch Justus und Isabels Gespräch in dem Konzert entstanden war, für den geeigneten Moment erachtet, den Gästen eine Erfrischung anzubieten, und bewegte sich mit einer großen Tablette durch die Gruppen. Isabel sah Justus bald in dieser, bald in jener stehen, und soweit wenigstens seine wirtlichen Pflichten erfüllen; aber als der Botschafter auf Fortsetzung des Konzertes drang und sie Herrn von Krausek zu sich an den Flügel winkte, sah sie ihn nicht mehr. Kurz vorher war die Thür nach dem Flur gegangen; ohne Zweifel war er es gewesen, der so seinen Eigensinn fortgesetzt und die Gesellschaft verlassen hatte.

Mag er, sprach sie bei sich, während bereits Krauseks schöner Tenor durch das Gemach schallte.

Aber wenn auch ihre Stirn heiter blieb, ihre Augen weiter glänzten, sie für jeden ihrer Gäste, nachdem nun das Konzert vorüber, die anmutige, heiter gesprächige Wirtin von dem Anfang des Abends war – ihr selbst war fortan die Freude vergällt. Sie sah alles nur wie durch einen Schleier; hörte alles nur, als ob es aus einer gleichgültigen Ferne zu ihr käme. Ihre Seele war voll Zorn gegen Justus, der ihr nun doch durch ein Benehmen, das für ihre Gäste befremdlich, mindestens unverständlich, für sie selbst kränkend und beleidigend war, den schönen Abend verdorben hatte. Wie konnte er sie lieben, wenn ihm das kleine Opfer, das sie von ihm erbeten, zu schwer fiel! Und nun mußte sie noch etwas hören, was ihr schmerzlicher war als alles, was bisher geschehen; mußte hören, wo Justus die Zeit zugebracht, die er ihr und der Gesellschaft entzogen. Armand und Christine waren, bevor sie zu ihr kamen, in der Wilhelmstraße gewesen, sich nach Sibylles Befinden zu erkundigen, und hatten bei der Gelegenheit erfahren, wer der Besuch war, um dessen willen Komtesse befohlen, niemand weiter anzunehmen. Armand teilte ihr das mit, als er sich verabschiedete, nicht ohne den Anflug eines höhnischen Lächelns. War es doch seine alte Gewohnheit, Isabel wo möglich zu ärgern, indem er behauptete, daß Sibylle Justus liebe und Justus ihm hundertmal versichert habe, Sibylle sei sein Ideal, neben dem alle andern Mädchen eine klägliche Rolle spielten!

Als Armand und Christine gingen, hatte sich die Gesellschaft bereits sehr gelichtet. Zuletzt waren nur noch die Intimeren geblieben: Blittersberg, Willamonski, Blentheim, Florisdorf, die Isabel nun auch verabschiedete. Die Herren möchten die gewohnte Cigarette heute abend wo anders rauchen; der Abend habe sie doch ein wenig angegriffen und sie bedürfe der Ruhe.

Die Herren waren bereits seit fünf Minuten fort, Isabel hatte sich in ihr Schlafzimmer hinaufbegeben und eben die Ringe von den Fingern gestreift, die sie an Gesellschaftsabenden jetzt wieder regelmäßig trug, als sie die Flurschelle hörte. Es konnte nur Justus sein. Aus einer Regung, die ihr selbst nicht klar war, wollte sie ihn nicht im Schlafzimmer empfangen. Im Nu war sie die Treppen hinabgehuscht und stand im Salon mit hochklopfendem Herzen. Die Thür nach dem Korridor that sich auf, und Florisdorf trat herein. Ein leises Ah! kam von den Lippen der beiden; das Isabels ein Ausdruck des Unwillens über diese maßlose Keckheit, das des Offiziers ein Ruf freudigster Überraschung. Hatte er doch nach der ihm eben von Friedrich erteilten Auskunft fürchten müssen, sie werde nicht wieder zum Vorschein kommen, und somit seine Kriegslist vergeblich gewesen sein.

Ich bitte tausendmal um Verzeihung, Gnädigste! sagte er. Ich hörte von Friedrich, Gnädigste hätten sich bereits in Ihre Schlafgemächer zurückgezogen, und ich wollte Friedrich, der die Hände voll zu haben schien, nicht weiter inkommodieren. So habe ich es gewagt, hier einzutreten, wo ich nichts zu finden erwarten konnte, als –

Während Florisdorf so sprach, waren seine Blicke überall im Gemach umhergeschweift.

Was suchen Sie? fragte Isabel.

Florisdorf lachte ein sehr gezwungenes Lachen:

Es ist mir heute abend etwas passiert, was mir noch nie im Leben passiert ist: ich habe meinen Säbel vergessen. Ach! da ist er! Wollen Sie verstatten, Gnädigste?

Bitte! sagte Isabel.

Noch war es ja möglich, daß sie dem Manne vorhin Unrecht gethan hatte und jetzt der vergessene Säbel nicht bloß eine Erfindung war, den kecken Schritt zu maskieren.

Aber Florisdorf regte sich nicht, während seine glühen den Blicke sie zu verschlingen schienen. Im nächsten Moment hatte er sich ihr zu Füßen geworfen.

Isabel war zurückgetreten, nicht hastig und nur so weit, daß seine ausgestreckten Hände sie nicht berühren konnten.

Stehen Sie auf! sagte sie ruhig.

Florisdorf hatte sich von den Knien erhoben und stand da, jetzt mit niedergeschlagenen Augen, sehr blaß, mit zuckenden Lippen. Isabel hatte sich in einen Sessel niedergelassen und sagte, indem sie die Quaste der Lehne langsam durch ihre Hand gleiten ließ, zu ihm aufblickend, mit derselben ruhigen Stimme:

Andere Frauen würden die Sache vielleicht tragisch nehmen. Es liegt nicht in meiner Natur, und die Scene, die Sie mir eben gemacht haben, ist mir, offen gestanden, nicht ganz neu. Ich habe noch immer geglaubt, daß Sie sie mir und sich selbst ersparen würden. Sie haben es nicht gethan, und ich muß mich nun fragen, was ich mit Ihnen beginnen soll. Sie auf Nimmerwiederkehr wegschicken, wäre das einfachste und was Sie verdient hätten. Aber das gäbe dann wieder ein lästiges Gerede, und vielleicht sind Sie nicht inkorrigibel. Prüfen Sie sich darauf hin! Ich gebe Ihnen vier Wochen Zeit, während welcher Sie, wie gewöhnlich, zu meinen Nachmittagen kommen werden. Finden Sie, daß Sie die Prüfung in dem Sinne, wie ich es meine, nicht bestehen, so weiß ich, Sie sind Kavalier genug und werden einen plausiblen Grund entdecken, weswegen Sie Ihren Botschafter bitten müssen, Ihnen von Berlin fortzuhelfen. Und nun holen Sie sich Ihren Säbel da aus der vortrefflich gewählten Ecke! So! Zum Schluß dürfen Sie mir die Hand küssen für die gnädige Strafe.

Florisdorf that, wie ihm geheißen war, ohne ein Wort zu äußern. Und so, stumm, nach einer tiefen, ehrfurchtsvollen Verbeugung verließ er das Zimmer.

Isabel blickte auf die Thür, durch welche die schlanke Gestalt verschwunden war.

Schade! murmelte sie; ich habe ihn wirklich gern gehabt. Je lieber ich die Leute habe, desto eifriger sind sie darauf bedacht, sich unmöglich zu machen: Sandor, Eberhard, nun dieser wieder. Die Männer sind einfach entsetzlich. Man kann sie doch nicht alle glücklich machen. Alle? Pah! nicht einen! Justus müßte es jetzt sein, und er ist es nicht. Ich wußte es von Anfang an. So ist denn dies alles nur eine traurige Farce. Wollte Gott, sie wäre zu Ende!

Sie klingelte und hieß Friedrich, dem Herrn, wenn er nach Hause komme, sagen, sie sei zu Bette gegangen.

Gnädige Frau sehen ganz gottserbärmlich aus, sagte Friedrich mitleidsvoll. Soll ich nicht schnell zum Herrn Geheimrat laufen?

Das Übel war urplötzlich gekommen mit entsetzlichen Schmerzen, die ihre Eingeweide wie Messer durchschnitten. Sie saß zusammengekrümmt, leise wimmernd da, während Friedrich in ratloser Angst neben ihr stand. Endlich brachte sie kaum hörbar heraus: Ja, ja! und schicken Sie mir Auguste! ich komme die Treppe nicht mehr allein hinauf.


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