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Viertes Kapitel.

Es fehlten noch fünf Minuten an acht, aber er mußte ja selbstverständlich der erste auf dem Plane sein. So war er denn einigermaßen betreten, als ihm, während er noch in der bereits stark besetzten Glashalle sich nach einem leeren, möglichst passenden Tische umsah, ein Kellner am Arm rührte und zuflüsterte: die Frau Baronin haben da hinten in der Ecke einen Tisch belegen lassen, Frau Baronin sind schon seit zehn Minuten da.

Justus drängte sich eilends zwischen den Tischen hindurch und erblickte dann auch alsbald Isabel in der vom Kellner bezeichneten Ecke der Veranda an einem kleineren, nur für Zwei gedeckten Tische. Als er herantrat, lag es wie eine Wolke auf ihrer Stirn:

Du hast mich warten lassen.

Du hattest in einer halben Stunde befohlen.

Die Dir nicht lang geworden zu sein scheint. Setze Dich! Was wirst Du nehmen?

Ich werde mich nach Dir richten.

Da würdest Du schlecht fahren: ich nehme nur ein Glas Milch.

Nun denn: irgend ein Kotelett und eine halbe Flasche Adelsberger.

Also! sagte Isabel zu dem wartenden Kellner und dann zu Justus:

Was hast Du inzwischen angefangen?

Mich nach Dir gesehnt.

Siehst Du, Sonntagskind, daß Du Dich unterschätzt! Das war sehr hübsch gesagt. Fahre so fort!

Ihre braunen Augen unter den schwarzen Brauen lachten; die Wolke auf der Stirn unter dem gekrausten goldigen Haar war völlig verschwunden. Justus konnte den Blick nicht von ihr wenden. In der Dämmerung des Waldes hatte er doch eigentlich nur ihre Augen deutlich gesehen, und sie war ihm völlig erschienen wie die Isabel seiner Knabenzeit. Jetzt bemerkte er erst die Veränderung, welche die verflossenen Jahre mit ihrem Gesicht vorgenommen, ohne sich darüber klar zu werden, worin die Veränderung bestand. Die Züge waren wohl ein wenig schärfer, die Wangen etwas weniger gerundet, Kinn und Nase bestimmter als damals; doch darin lag es nicht, konnte es nicht liegen, wenn sie ihm jetzt als eine andere erschien, nur im Ausdruck, der eine Seele ahnen ließ, die viel erlebt, viel erlitten, vor allem viel gedacht hat, und in seinem beständigen, oft jähen Wechsel von Übermut und Ernst ihn an die Oberfläche eines Wassers mahnte, über die jetzt Sonnenschein blitzt, jetzt Wolkenschatten ziehen, und die den sinnigen Betrachter doch stets an die Tiefe erinnert, die unter ihr schlummert.

Und dann: er hatte immer ihre Hände bewundert; aber nicht gewußt, daß sie so schön seien. Vielleicht waren sie es auch erst geworden: so durchgeistigt in ihrer blendenden Weiße, so beredt in dem zierlichen Spiel der schlanken Finger. Nur ein paar Ringe mit großen Diamanten, die fortwährend im Schein der Lichter blitzten, hätte er weggewünscht, und er mußte an Eve denken, die niemals Ringe trug, außer ihrem Trauring, der hier fehlte. Das versöhnte ihn einigermaßen mit dem Diamantgefunkel.

Sie hatte sogleich das Gespräch auf seine Schriftstellerei gebracht;, sie hatte alles von ihm gelesen. Die Dorfgeschichte gefalle ihr, trotzdem sie ausnahmsweise in derselben nicht als Heldin, ja nicht einmal als Nebenperson figuriere, am besten – sie scheine ihr von seinen Sachen die, in welcher er der Wahrheit am nächsten komme, am realistischsten sei. Sie halte große Stücke auf die Realisten: Zola, Ibsen, Tolstoi; auch einige von unseren jüngeren Schriftstellern fände sie sehr beachtenswert, weniger in dem, was sie leisteten, als in dem, was sie erstrebten. Nur eines habe sie immer und immer wieder an ihnen auszusetzen: daß sie die große, die vornehme Welt nicht kennten, die doch wahrhaftig ebenso realistisch wie die kleine und gemeine geschildert werden könne und die Schilderung verdiene. Nach dieser Seite sei ihrer Ansicht nach noch sehr viel zu leisten. Ob das nicht auch seine Meinung sei?

Gewiß, sagte Justus lächelnd, obgleich ich es vielleicht ein wenig anders meine als Du.

Vermutlich, erwiderte sie; darauf war ich gefaßt; aber das schadet nichts. Es wird nicht lange dauern, so wirst Du genau so denken wie ich über Litteratur, Kunst, Musik – Du schwärmst doch für Wagner?

Ich halte ihn für eine großartige Wüste, in der wundervolle Oasen sind.

Wenn Du ihn nur großartig findest, so will ich Dir den Frevel, der sonst in dem Vergleich steckt, verzeihen. Seit Michel Angelo ist in keiner Kunst ein so inkommensurables Genie wieder erstanden. Du wirst das heute abend nicht zugeben, und, wenn wir auch nur noch acht Tage beisammen sind, darauf schwören.

Ich fürchte sehr, sagte Justus.

Warum: fürchtest?

Es ist doch ein klägliches Ding, wenn ein Mann um ein Paar schöner Augen willen seine heiligsten Überzeugungen abschwört, erwiderte Justus, ihr glückselig in die glänzenden Augen sehend.

So kannst Du ja zur Abwechslung einmal in die der jungen Dame blicken – da rechts von uns. Sie hat sich schon ein paarmal nach Dir umgedreht.

Justus wandte den Blick nicht in die von ihr bezeichnete Richtung. Er wußte, daß es fortan auf der Welt für ihn nur noch eine Frau gab.

Das einfache Mahl war beendet.

Darf ich rauchen? fragte Justus.

Warum nicht, erwiderte sie; ich rauchte gern selbst, wenn es hier anginge.

So rauchst Du?

Leidenschaftlich. Ich habe es mir in den letzten Jahren angewöhnt; es waren da so viele einsame Stunden, die ich nur verrauchen konnte.

Sie hatte dabei eine ernste Miene angenommen und lachte plötzlich beinahe hell aus.

Worüber lachst Du? fragte Justus.

Über Dich, Sonntagskind! über das kuriose Gesicht, das Du machst, sobald ich auf meine letzte Vergangenheit zu sprechen komme, oder nur zu kommen scheine, wie vorhin an der Treppe, wo ich bei dem Mann, den ein vernünftiges Mädchen schließlich heiratet, gar nicht an meinen verstorbenen Lord gedacht habe, und Du trotzdem so unartig wurdest. Diese Empfindlichkeit mußt Du Dir abgewöhnen. Denn siehst Du, es ist doch nun einmal nicht aus der Welt zu schaffen, daß ich verheiratet gewesen bin, und wenn ich auch keineswegs die Absicht habe, Dich, oder irgend jemand mit meinen ehelichen Reminiscenzen zu langweilen – ganz vermeiden wird sich das Thema doch nicht lassen, und da ist es denn schon besser, wenn Du hübsch artig bist und mich nicht als eine Verbrecherin behandelst, weil ich nicht mehr Isabel Szonsalla bin.

Auf ihren blassen Wangen war, während sie die letzten Worte sprach, eine dunkle Röte aufgeflammt, die erst allmählich wieder schwand, als sie mit Lebhaftigkeit fortfuhr:

Ich, ich danke Gott, daß ich es nicht mehr bin, und ich danke dem Manne, der es mir, alles in allem, so leicht gemacht hat, aus einem unerträglichen Zustande mich zu retten. Es war eine Rettung, wenn ich Dir auch nicht, .– wenigstens jetzt noch nicht – sagen kann, worin sie bestand. Ich habe es ihm nie vergessen, daß er mir ein Freund in der Not gewesen war. Und wenn das nicht ausreichte, und ich ungeduldig werden wollte, sagte ich zu mir: tu l'as voulu. Mit Hilfe dieser beiden Hausgötter habe ich es denn durchgehalten, so schwer es auch manchmal war. Sieh, Justus, das habe ich noch zu keinem Menschen auf der Welt gesagt und werde es auch zu keinem sagen, außer zu Dir. Aber Du bist mir nicht wie die anderen Menschen; Du bist einfach ein Stück von mir, mein anderes Selbst, und, ich glaube, mein besseres. Ich habe das nicht immer gewußt; es ist mir erst nach und nach aufgegangen, und ich habe es Dir im stillen abgebeten, wenn ich früher wohl manchmal recht unartig gegen Dich gewesen bin. Siehst Du, darum habe ich nicht nachgelassen, Dir wieder und immer wieder zu schreiben, auch wenn Du mich monatelang ohne Antwort ließest, oder mir Deine Photographie nicht schicktest, trotzdem ich Dich in den letzten Jahren wiederholt darum gebeten hatte. Ich habe sie nun doch bekommen – durch Edith, die sie, glaube ich, von Deiner angebeteten Frau Eve erschwindelt hat. Und oft hat mir der Anblick Deines Bildes über trübste Stunden und Tage weggeholfen. Wobei Du nicht anzunehmen brauchst, was Du, nach Deiner Miene zu schließen, in diesem Augenblicke anzunehmen scheinst: daß ich in Dein Bild, oder gar in Dich selbst verliebt gewesen wäre, Du namenlos eiteles Sonntagskind. So, jetzt bist Du mit Deinem Wein und Deiner Cigarre zu Ende; ich bin todmüde und soll morgen früh zum erstenmale Brunnen trinken – Marktbrunnen glaube ich. Was trinkst Du?

Sprudel – ganz in der Nähe.

So werden wir uns da treffen. Aber, bitte, nicht abholen – ich weiß nie, wann ich aufstehe. Nun begleite mich hinaus, ohne mir den Arm zu geben. Man hat uns beide in unserer Ecke gerade schon genug beobachtet.

In der That wandten sich auch noch jetzt nicht wenige Köpfe nach ihnen um, als sie zwischen den Tischen hindurch nach dem Ausgange der Glashalle schritten. Von da waren es nur noch ein paar Schritte bis zur Thür des Hotels.

Gute Nacht, Justus!

Sie hatte ihm die Hand gereicht, über die sie noch bei Tisch den Handschuh gezogen hatte. Er hatte es mit Kummer gesehen, er hätte ihr so gern die kleine weiße Hand selbst geküßt. Nun mußte er auch so zufrieden sein.

Er verfolgte die leichte Gestalt mit den Blicken, bis sie in der Treppe verschwand, ohne sich, wie er gehofft, noch einmal nach ihm umzuwenden. Das hätte ihn fast traurig gestimmt.

Und dann sprach er zu sich: Du bist ein ausbündiger Narr. Die Sterne, die begehrt man nicht.

Und dabei schaute er zu den Sternen empor, die in wundersamer Pracht aus dem dunkelen Himmel herabfunkelten.

Ihr seid doch so schön nicht, wie ihre Augen. O, mein Gott, wie liebe ich sie! wie liebe ich sie!


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