Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Buch.

Erstes Kapitel.

Für das junge Paar folgten köstliche Wochen, tagsüber verdehnt und verschlendert auf dem sonnigen Sande des Strandes und der Dünen, während nächtens der Stern der Liebe über dem Fischerhause strahlte, das ihm seine gastliche Thür geöffnet. Oft und oft hatte sich Justus gefragt, ob dies nicht alles nur ein paradiesischer Traum, oder ob wirklich ein armes Menschenherz den Überschwang solcher Wonne fassen könne? Und wenn sich dann sein eigen Bild in den strahlenden Augen der Geliebten gespiegelt und ihm gesagt hatte, daß all diese Himmelslust wahrhaftige Wirklichkeit, so waren doch auch Momente gekommen, wo er vor so viel Seligkeit erschrak und an den Neid der Götter dachte, die ein vollendetes Glück der sterblichen Menschen nicht dulden wollen.

So eines Abends.

Sie hatten auf der Höhe der Düne gestanden und auf das Meer geblickt, das sich in grenzenloser Majestät vor ihnen ausbreitete. Der Himmel war mit grauem Wolkendunst überdeckt gewesen und nur am äußersten Horizont hatte sich von Nord nach Süd vor der untergehenden Sonne, die unsichtbar blieb, eine purpurne Glut gelagert. Den Arm um die Geliebte schlingend, hatte er geflüstert: Sieh', so grenzenlos und unergründlich ewig, wie das Meer, das sich da zu unseren Füßen dehnt, ist meine Liebe; und sie zurückgeflüstert: so strahlend glutvoll, wie der Flammengürtel dort, die meine.

Dann waren sie zum Strand hinabgestiegen, wo sie zuletzt völlig einsam gewesen, und hatten scherzend gewünscht, sie möchten so einsam bleiben in ihrer Liebe auf einer Robinson-Insel ihr Leben lang.

Und als sie wieder oben auf der Düne standen im Begriff, die steile Treppe nach der anderen Seite zu betreten, hatte er sich noch einmal umgewandt. Da war der Purpurflammengürtel, den sie vorhin zum Gleichnis ihrer Liebe genommen, bis auf einen letzten schwachen Streifen erloschen, und er hatte sich ihrer Worte an jenem ersten Abend in Karlsbad erinnert: sie habe nur immer ein paar Wochen, ein paar Tage hindurch geliebt, um dann einzusehen, daß auch die heißeste Liebe nur Illusion und Selbsttäuschung sei.

Und eines Morgens.

Sie hatten sich an eine fernste Stelle der Insel fahren lassen, waren ausgestiegen und hatten sich zwischen den Dünen gelagert. Rings um sie her die feierlichste Einsamkeit; von ferne durch eine Senkung zwischen den Dünenwellen hatte das Meer hereingeblaut. Er hatte zu ihren Füßen gelegen, hinaufschauend in die leuchtenden dunklen Augen, und in der Tiefe seiner Seele Himmel und Meer zu Zeugen angerufen, daß er, komme nun was immer, diese Stunde nie vergessen wolle, und daß er einmal in seinem Leben vollkommen glücklich gewesen sei.

Nicht ein einziges Mal hatte er sich von Isabel versichern lassen, daß sie sein Glück, seine Seligkeit teile. Weshalb eine Frage aussprechen, für die ihre strahlenden Augen, das holde Lächeln, das ihren Mund beständig umspielte, ihre Lustigkeit, die sich oft bis zum tollsten Übermut verstieg, die Antwort übernommen hatten?

Und daß auch sie den Neid der Götter fürchtete, hatte ihm ein kleines seltsames Begebnis deutlich gezeigt.

Sie pflegten die späteren Abendstunden in einer der Strandhallen zu verbringen, wo sie, an einem Fenster sitzend, Isabel ihr Glas Milch, Justus seinen Wein tranken. Als sie da wieder einmal, auf das Meer blickend, plauderten, kam durch das Dunkel, welches bereits ans dem Wasser lagerte, ein Fahrzeug herangeschwebt, das viel größer erscheinen mochte, als es in Wirklichkeit war. Das Fahrzeug ging, ihnen gerade gegenüber, jenseits der Brandung, die noch weißlich in dem Licht aus den Strandhallen aufschäumte, in dem tieferen schwarzen Wasser vor Anker und lag so da mit dem breiten schwarzen Segel, das es bei völliger Windstille nicht einzuziehen brauchte, – ein wunderlicher Anblick an dieser Seite der Insel, wo sonst nie ein Fahrzeug so nahe an den Strand zu kommen pflegte. Was will das hier? fragte Isabel. Justus, der es ebenso wenig wußte, fragte den Wirt der Halle, der ihn belehrte, es sei ein Boot, das von der Wattenseite herübergekommen sei in der Hoffnung, am nächsten Morgen Passagiere zu einer Fahrt um die Insel zu finden. Das war sicher unverfänglich genug, und Justus hatte ruhig weiter geplaudert, während Isabel still geworden war, ohne daß es ihm aufgefallen wäre. Er dachte erst wieder daran, als am nächsten Abend genau um dieselbe Zeit das Fahrzeug abermals erschien, um genau an derselben Stelle vor Anker zu gehen, und Isabel, wie gestern, in Schweigsamkeit verfiel. – Was ist Dir, Herz? fragte er. – Ich fürchte mich vor dem Schiff, sagte sie. – Wie so, vor dem Schiff? – Ach, es ist dummes Zeug, sagte sie; und sie sprachen von anderen Dingen. Nur, als sie sich erhoben, um nach Hause zu gehen, sagte Isabel mit einem letzten Blick durch das Fenster: hoffentlich wird es nicht wiederkommen. Justus mußte lachen.

Aber er lachte nicht mehr, als am dritten Abend zu derselben Stunde und Minute das Schiff aus dem Dunkel auftauchte und alsbald an derselben Stelle den Anker fallen ließ, denn er hatte unwillkürlich Isabel forschend angesehen und war von ihrem Anblick erschrocken gewesen.

Alles Blut schien aus ihren Wangen gewichen, die großen dunklen Augen starrten gläsern; ihre Hände, die er ergriff, fühlten sich an wie Eis. Um Gotteswillen, Kind, was heißt dies? flüsterte er.

Sie vermochte nicht alsbald zu antworten; dann sagte sie mit einem Versuch zu lächeln, der nur halb gelang: Erinnerst Du Dich, was wir neulich von der Robinson-Insel sagten, wo wir unter Palmen selig sein wollten? Dahin will das Schiff uns tragen; dahin, weit, weit weg von den Dämonen, die hier unsere Liebe umlauern. Glaubst Du nicht an Dämonen? – O, ja, sagte Justus; aber auch an die Kraft der Liebe, die stärker ist als alle Tücke der Dämonen. – Gut! sagte sie; wenn es morgen wieder kommt, sollst Du recht haben; kommt es nicht wieder, so war es kein Fahrzeug für Vergnügungsfahrer, sondern ein Geisterschiff, das umsonst sein schwarzes Segel für uns spannte.

Ich lasse keinen Zufall über unser Glück schalten, erwiderte Justus, und halte es mit dem Schillerschen: In unserer Brust sind unseres Glückes Sterne.

Das Schiff kam nicht am nächsten Abend; es kam an keinem der Abende wieder, so lange sie noch auf der Insel weilten. Sehr begreiflich! der Wind war nach Nordwest umgesprungen, die Brandung donnerte an den Strand, kein Fahrzeug hätte wagen dürfen, in seine Nähe zu kommen. Justus bemühte sich, das Isabel auseinanderzusetzen, und war sich, während er so Vernunft sprach, bewußt, daß von dem schwarzen Segel doch auch ein abergläubischer Schatten in seine Seele gefallen war.

Ein Schatten, der verschwand, sobald sie sich allein befanden, und sich nur hervorwagte, wenn die Gesellschaft sie umgab. Denn auch hier, wie in Karlsbad, war Isabel kaum erschienen, als sie sich von einem Kreise umringt sah, der von Tag zu Tag anwuchs. Freilich! Isabel war auf ihrem jahrelangen Reiseleben mit so vielen Menschen in Berührung gekommen, und die Welt ist so klein! Da war die Bankiersfamilie Schmitz aus Köln, mit der sie wochenlang in demselben Hotel an der Chiaga in Neapel Wand an Wand gelebt! Da war der Afrikareisende, Doktor Bläser, den sie in Kairo kennen gelernt und der jenen famosen Ritt nach den Pyramiden mitgemacht, von welchem Excellenz Grumbach in Karlsbad behauptet, daß es der Silberblick seines Lebens gewesen. Etwas Ähnliches, nur mit anderen Worten, behauptete der Reisende in einem Sonett, das er jener Zeit verfaßt hatte und noch auswendig wußte, und von dem Justus hinterher meinte, er hoffe, daß die Esel, die sie durch die Wüste trugen, nicht ganz so lahm gewesen seien, wie die Verse. Da waren Geheimrat von Müller, nebst Frau und fünf Töchtern, die mit Isabel, als sie auf Rigi Kaltbad eingeregnet, »so viel wundervolle Abende verbracht«; da war Graf Lindenberg und Gemahlin, die sich ihrer von London her, wo sie sich wiederholt bei dem deutschen Botschafter getroffen, mit so viel Freude erinnerten. Und Isabel mit ihrem makellosen Gedächtnis für alle Vorkommnisse des wirklichen Lebens, wußte die gemeinschaftlichen Reminiscenzen durch drollige Erzählung so mancher kleinen Erlebnisse so köstlich zu beleben – war es ein Wunder, daß alle an ihren Lippen hingen? sich an dem sonnenhaften Glanz ihrer Augen, die so klar in die Vergangenheit und so siegreich in die Gegenwart blickten, nicht sättigen zu können schienen?

Wahrlich kein Wunder, hatte sich Justus gesagt, aber doch manchmal für einen Liebenden ein wenig unbequem.

Und so hatte er der Geliebten anzudeuten gewagt, als sie eines Abends, nachdem sie wieder einmal in großer Gesellschaft stundenlang zugebracht, beim friedlichen Schein der Lampe in ihrem stillen Zimmer auf dem Sofa saßen.

Du magst die Gesellschaft nicht? hatte Isabel gesagt.

O doch, erwiderte er, sogar sehr, vorausgesetzt, daß sie aus interessanten Menschen besteht, was man von der heute abend nicht ohne sträfliche Übertreibung sagen dürfte.

Du bist zu anspruchsvoll, Sonntagskind, meinte Isabel. Man muß die Feste feiern, wie sie fallen, und die Menschen nehmen, wie sie sind.

Eine weise Maxime für mein Weltkind, das, wie es scheint, die Menschen nicht entbehren kann.

Ich gestehe diese meine Schwäche ein, wenn es eine ist, sagte Isabel.

Sie hatte bei diesen Worten angefangen, ihre Ringe von den Fingern zu streifen und vor sich auf den Tisch zu legen. Es waren ihrer fünf, der eine noch immer schöner und kostbarer als der andere. Im Scheine der Lampe blitzten und glänzten die herrlichen Steine und Diamanten in allen Farben. Justus' Blick hing an ihnen gebannt. Isabels letzte, in etwas spöttischem Tone gemachte Bemerkung hatte ihm den Mut gegeben, nach dem er bisher noch immer vergeblich gesucht.

Es hat eben jeder seine kleinen Schwächen, sagte er; ich gestehe zum Beispiel, daß mir die Dinger da jedesmal einen kleinen Stich durchs Herz geben.

Wie denn? erwiderte Isabel erstaunt, aber völlig unbefangen. Du magst auch keine Ringe?

Ich möchte das nicht behaupten, sagte Justus lächelnd, ich finde nur, daß eine schöne Frauenhand wie die Deine am schönsten ohne allen Schmuck ist.

Isabel blickte ihn noch immer erstaunt an. Plötzlich stieg eine helle Röte in ihren Wangen auf.

Ah! sagte sie leise.

Dann lachte sie hell auf und rief:

Du dummes, maßlos dummes und eifersüchtiges Sonntagskind, weshalb hast Du mir denn das nicht schon längst gesagt?

Und ihre Arme um seinen Nacken werfend, küßte sie ihn wieder und wieder, nur Atem schöpfend, um von neuem zu sagen: Du dummes, dummes Sonntagskind!

Das waren dann Stunden, vor deren Glanz, der Schatten des Geisterschiffes spurlos verschwand, und deren Erinnerung seine Seele füllte, als nun anstatt der Brandung am Strande die Woge des großstädtischen Lebens sie umrauschte.


 << zurück weiter >>