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Eisleben 1546.
Heute war ein rechter Festtag für Eisleben. Das Kind, welches vor dreiundsechzig Jahren dem Bergmanne Johann Luther geboren wurde, kehrt heute als der angesehenste Mann des Reiches zurück, um einen Familienstreit der Grafen von Mansfeld als Schiedsrichter zu entscheiden.
Als Eva und ich vor der Thür unseres bescheidenen Häuschens ihn in die Stadt einziehen sahen, sagte sie:
»Der Größte unter euch soll sein wie der Jüngste und der Vornehmste wie ein Diener.«
Diese letzten zehn Jahre angestrengter Arbeit haben ihn aber sehr gealtert!
Ich konnte es mir nicht verbergen, daß dem so ist. Sein ausdrucksvolles Gesicht trägt unverkennbare Spuren des Leidens, seine Gestalt und Gang verraten zunehmende Schwäche.
»Wie kommt es,« sagte ich. zu Eva, »daß Else und Thekla uns nichts davon geschrieben haben? Er muß wirklich viel schwächer sein als früher.«
»Sie sind immer um ihn,« war ihre Antwort; »und du weißt mein Lieber, daß wir nie sehen, was die Zeit thut, sondern nur, was sie gethan hat.«
Diese Worte machten mich nachdenklich. Sollten wohl ähnliche Veränderungen mit uns vorgehen, ohne daß wir es gewahrten?
Als Dr. Luther und die Menge vorbei und wir ins Haus zurückgekehrt waren, begann ich wieder meine Predigt zu studieren, während Eva in meiner Nähe strickte; aber heimlich sah ich von meinen Büchern auf, um sie zu betrachten. Wenn die Zeit wirklich die geliebte Gestalt verändert hätte, so wäre es ja besser, daß ich es wüßte, um die kostbaren Tage, die sie so verräterisch entwendete, desto höher zu schätzen.
Allein selbst bei der strengsten Untersuchung konnte ich kaum eine Spur des Alters oder Leidens auf ihren Zügen oder ihrer Gestalt entdecken.
Die ruhige Stirne war ebenso weiß und glatt wie jemals. Das goldene Haar, das glatt gescheitelt unter der weißen Haube hervorsah, war eben so wenig mit Grau vermischt wie das unserer Agnes, welche im Wintersonnenschein hin- und herflatterte und in der Nebenstube geschäftig häusliche Arbeiten besorgte. Die Wange war noch immer gerundet, obschon vielleicht etwas minder voll, und als Eva aufschaute und ihr Auge dem meinigen begegnete, erblickte ich da nicht ganz dasselbe heitere, kindliche Lächeln, das aus einer innern Welt voll Sonnenschein überzuströmen schien?
»Nein!« sagte ich, »Gott sei Dank, ich habe mich nicht getäuscht! Eva, die Zeit hat dir noch keinen Vorsprung abgewonnen!«
»Bedenke, Fritz, wie ich beschützt war,« erwiderte sie. »Wie ruhig und geborgen war mein Leben, und wenn je Stürme hereinbrachen, so konnten sie mir unter dem Schirme einer solchen Heimat, solcher Liebe nichts anhaben. Aber Dr. Luther war so lang der Vorderste und Höchste, an dessen Brust sich stets die erste Gewalt eines jeden Sturmes brach.«
Eben trat Heinz ins Zimmer.
»Dein Vater bemüht sich zu beweisen, daß ich nicht gealtert habe,« sagte sie.
»Wer hat das von unserer Mutter behauptet?« fragte Heinz, sich zornig zu Agnes wendend.
»Niemand,« versetzte ich. »Mir war die Veränderung an Dr. Luther aufgefallen und ich ward bange, die Zeit möchte auch an uns große Veränderungen hervorgebracht haben, ohne daß wir es bemerkten.«
»Ist Dr. Luther wirklich sehr verändert?« fragte Heinz. »Ich glaube, ich habe nie ein edleres Gesicht gesehen, so entschlossen und aufrichtig, mit solch durchdringendem Blick in den schwarzen Augen. Er hätten ein berühmter General des Kaisers sein können. –Er sieht aus wie ein Veteran.«
»Ist er denn nicht ein Veteran, Heinz?« sagte Eva. »Hat er nicht Jahre lang alle unsere Schlachten für uns geschlagen? Was dachtest du von ihm, Agnes?«
»Ich erinnere mich besonders, wie freundlich er dich und Vater anschaute,« sagte Agnes; »er steht so liebevoll aus. Wie glücklich muß er seine Familie machen!«
An diesem Abend sprachen wir natürlich viel von unserer Vergangenheit! Wie vielfach ist dieselbe mit Dr. Luther verflochten! Daß wir vereinigt sind, ist nächst Gott sein Werk. Und noch mehr als dieses: Die Befreiung, den Frieden unserer Herzen danken wir hauptsächlich ihm. Die ganze Vergangenheit ging gleichsam wie in einem Spiegel an meiner Seele vorüber, als ich ihn wiedersah; die Zeit, da er vor Tante Ursula Cottas Haus in Eisenach sang –da die Stimme, welche seitdem die ganze Christenheit in ihren innersten Tiefen erschüttert hat –um ein Stückchen Brot zu singen pflegte. Dann gedachte ich, wie allmählig die äußern Prüfungen der Armut durch seines Vaters glückliche Geschäfte und Freigebigkeit vorüber gingen –der glänzenden Aussichten, die auf der Universität sich vor ihm öffneten, dann seines plötzlichen und doch überlegten Aufgebens aller irdischen Pläne –seines Hinabsteigens in die dunkeln, bittern Fluten, wo er den Kampf für sein Zeitalter focht und beinahe versinkend, noch die Hand ergriff, die ihn rettete und ans rechte Ufer brachte, die ihn bisher aufrecht erhielt und die er Tausenden von Herzen gewiesen hat.
Dann sah ich ihn wieder zu Worms vor dem Kaiser stehen, an jenem Tage, als man nicht wußte, ob man mehr seine Sanftmut oder seine Kühnheit bewundern sollte; in jener Stunde, welche die Menschen für die Stunde seines Kampfes hielten, die aber in Wahrheit die Stunde seines Triumphes war, nachdem der wahre Kampf schon gekämpft und der wahre Sieg schon errungen war. Zwanzig Jahre sind indessen verflossen; die Bibel ist seitdem von ihm ins Deutsche übersetzt und in zahllosen Familien gelesen worden; Familien, die häufig durch seinen Einfluß gegründet und durch seine Lehre auf den Weg des Heils gebracht worden sind.
»Was ist denn eigentlich gewonnen worden durch seine Lehre und Arbeit?«
»Das Joch der Tradition und des Papsttums ist gebrochen,« versetzte ich. »In England wird das Evangelium gepredigt und mit mehr oder minder Erfolg geschieht dasselbe durch ganz Deutschland. In Dänemark ist König Christian III. von einem evangelischen Geistlichen gekrönt worden. Männer und Frauen haben in den Niederlanden und andern Orten um des Glaubens willen den Märtyrertod erlitten, wie in den ersten Zeiten der christlichen Kirche. In Frankreich und der Schweiz haben Zehntausende die evangelische Wahrheit angenommen, obschon nicht nach Luthers Form noch aus seinem Munde.«
»Dies sind in der Thal große Erfolge,« erwiderte sie; »aber nur äußere –wenigstens sehen wir nur die Außenseite davon. Welche Frucht ist in dieser kleinen Welt um uns her zu finden, deren Herzen wir einigermaßen kennen?«
»Das goldene Zeitalter ist freilich noch nicht angebrochen,« sagte ich, »sonst würden die Grafen von Mansfeld nicht Streit mit einander gehabt und Luther zum Friedensstifter gebraucht haben. Auch hätte Luther nicht nötig, so beständig die Reichen vor dem Geize zu warnen, und die Selbstsucht zu schelten, welche sonst Tausende von Gulden weggab, um sich Befreiung von zukünftigen Strafen zu erkaufen und jetzt nicht einmal einige Kreuzer opfern mag, um die frohe Botschaft von der freien Gnade Gottes zu verbreiten. Wenn Habsucht Abgötterei ist, so ist es nur zu klar, daß die Reformation bei vielen nur ein Wechsel der Götzen ist.«
»Ja,« versetzte Eva, »es ist schon viel gewonnen, daß der Götze aus der Kirche auf den Markt verwiesen ist, daß er, statt mit einem heiligen, mit einem verächtlichen Namen bezeichnet und wenigstens nicht mehr unter dem Deckel der Frömmigkeit geduldet wird.«
So kamen wir denn zu dem Schlusse, daß die Reformation das für uns gethan hat, was der Sonnenaufgang thut. Sie hat an vielen Orten neues Leben erweckt, wahre Himmelsfrüchte zur Reife gebracht und Böses und Schädliches in einer wahren Gestalt geoffenbaret. Welt, Fleisch und Teufel sind freilich noch immer nicht abgethan; aber es ist schon etwas Großes, wenn man gelernt hat, daß die Welt nicht eine gewisse, bestimmte Region außerhalb des Klosters, sondern eine Atmosphäre ist, vor der man sich beständig zu hüten hat, weil sie uns allenthalben umringt; daß das Fleisch nicht die Liebe zu Verwandten und Freunden, sondern des eigenen Ichs in denselben ist, und daß der feurigste Pfeil des Teufels das Mißtrauen gegen Gott ist. Wie unendlich viel hat nicht Dr. Luther für uns insbesondere und für die Unsrigen gethan! Und wie viel mag er, ohne daß wir es wissen, für zahllose andere Herzen und Familien gethan haben!
Montag, den 15. Februar 1546.
Dr. Luther hat gestern gepredigt und das heilige Abendmahl ausgeteilt. Es war ein großer Segen, ihn hier in unserer Mitte zu haben. Er hat viermal, wie uns scheint, mit derselben Kraft und Inbrunst wie immer gepredigt. Heute jedoch sprach er mit besonderer Salbung. Sein Text war aus Matthäus X: »Darum fürchtet euch nicht. Es ist nichts verborgen, das nicht offenbar werde, und ist nichts heimlich, das man nicht wissen werde. Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht, und was ihr höret in das Ohr, das prediget auf den Dächern. Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht mögen töten. Fürchtet euch aber vielmehr vor Dem, der Leib und Seele verderben mag in die Hölle. Kauft man nicht zween Sperlinge um einen Pfennig? Doch fällt derselbe keiner auf die Erde, ohne euren Vater. Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupte alle gezählet.«
Er mußte sich schwächer fühlen, als es den Anschein hatte; denn er schloß seine Predigt mit den Worten:
»Noch viel mehr wäre über diese Bibelstelle zu sagen, aber ich bin zu schwach, und hiemit wollen wir schließen.«
Eva war den ganzen Tag sehr ernst; und als ich diesen Morgen aus der Schule zurückkehrte, kam sie mir mit besorgter Miene entgegen und fragte:
»Geht es Dr. Luther besser?«
»Ich habe nicht gehört, daß er unwohl sei,« versetzte ich. »Er ist wieder als Schiedsrichter beschäftigt.«
»Ich kann die Worte mir nicht aus dem Sinn bringen: » Hiemit wollen wir schließen.« Sie klingen mir immer in den Ohren. Ach! wenn wir die liebe, treue Stimme nicht mehr hören dürften!«
»Du bist niedergeschlagen, meine Liebe,« sagte ich, »bei dem Gedanken, daß Dr. Luther uns diese Woche verlassen wird. Allein wir wollen bald einen kleinen Besuch in Wittenberg machen, und dort ihn wieder hören.«
»Wenn es Gottes Wille ist,« erwiderte sie ernst. »Was Gott uns durch ihn geschenkt hat, kann uns nicht genommen werden.«
Ich habe mich jedoch häufig im Laufe des Tages nach ihm erkundigt; aber es scheint gar kein Grund zur Besorgnis vorhanden. Um acht Uhr hat er sich aus dem großen Saale, wo die Konferenzen und Mahlzeiten gehalten werden, zurückgezogen, und diesen Abend, wie dies oft während seines Besuches der Fall war, hörte ihn Dr. Jonas an dem Fenster seines Zimmers laut beten.
Donnerstag, den 18. Februar 1546.
Das Schlimmste, das Allerschlimmste ist geschehen! Die liebe, treue Stimme ist hienieden für uns auf immer verstummt.
Hier wo sein Leben begann, sollte er's auch beschließen. Er, der vor dreiundsechzig Jahren als hülfloses, kleines Kind hier in der Wiege lag, liegt jetzt wieder hier als Leichnam. Doch noch viel schmerzlicher ist der Kontrast mit dem, was er vor drei Tagen noch war, unser Ratgeber, Lehrer und Bote Gottes, und jetzt hat dies offene, an jedem Schmerz teilnehmende, die Bürden einer ganzen Nation tragende Herz aufgehört zu schlagen!
Gestern bemerkte man, daß er schwach und leidend war. Die Fürsten von Anhalt, Graf Albert von Mansfeld nebst Dr. Jonas und seine andern Freunde baten ihn, den Morgen in seinem Zimmer zu bleiben und sich auszuruhen. Er ließ sich nicht leicht überreden, sich zu schonen, und würde wohl schwerlich nachgegeben haben, wenn er nicht gewußt hätte, daß das Werk der Versöhnung bis auf wenige, geringfügige Punkte vollbracht war.
Einen großen Teil des Vormittags brachte er auf einem ledernen Sopha in seinem Zimmer zu, erhob sich jedoch öfter mit der Ruhelosigkeit eines Kranken, ging durch das Zimmer, stellte sich an das Fenster und betete, so daß Dr. Jonas und Coelius, welche sich am andern Ende des Zimmers befanden, ihn hören konnten. Er speiste indes in der großen Halle mit der ganzen Versammlung zu Mittag. Bei Tische sagte er zu einem seiner Nachbarn: »Wenn es mir gelingt, die Beherrscher meiner Vaterstadt mit einander zu versöhnen und dann mit Gottes Hülfe nach Wittenberg zurück zu reisen, so möchte ich gerne heimgehen, mich in mein Grab zur Ruhe legen und die Würmer meinen Leib verzehren lassen.
Er gehörte nicht zu denen, welche vor der Nacht sich feige nach dem Schlafe sehnen; es ist jetzt nur zu klar, wie tief das Gefühl körperlicher Mattigkeit und Schwäche war, aus dem dieser Wunsch entsprang. Unaufhörliche Arbeit, allzugroße Spannung des Geistes und Gemütes, angestrengtes, scharfes Nachdenken über die erhabensten Gegenstände, eine Arbeit, so ermüdend wie die eines Sklaven, mit solchem Aufwand aller Kräfte, als ob sie seine Wonne wäre, hat in dreiundsechzig Jahren die starke Bauerngestalt so abgenutzt, wie die meisten Menschen es erst mit achtzig Jahren sind, und nun seufzte er nach Ruhe.
Am Nachmittage klagte er über schmerzhaften Druck auf der Brust und bat, ihn mit warmen Tüchern zu reiben. Dies gab ihm Linderung, so daß er mit seinen Freunden zum Abendessen wieder in die große Halle ging. Bei Tische sprach er viel von der Ewigkeit und sagte, er glaube, daß sein Tod nahe sein; allein seine Unterhaltung war nicht allein heiter, sondern sogar zuweilen fröhlich, obgleich sie sich meistens auf die zukünftige Welt bezog. Einer von den Gästen fragte ihn, ob sie sich im Himmel wieder erkennen werden. Er sagte, ja wohl, ohne Zweifel.
Von der Abendtafel begab er sich auf sein Zimmer.
Diese Nacht –die letzte –wachten seine beiden dreizehn- und vierzehnjährigen Söhne Paul und Martin bei ihm, mit Justus Jonas, dessen Freuden und Leiden er so manche Jahre hindurch geteilt hatte. Auch Coelius und Aurifaber waren bei ihm. Der Schmerz in der Brust stellte sich aufs neue ein und sie versuchten abermals, ihn durch Reiben mit heißen Tüchern zu lindern. Graf Albert und die Gräfin kamen mit zwei Aerzten und brachten ihm Pulver, das aus den Stoßzähnen des Einhorns bereitet wird und für ein Universalmittel gilt. Er nahm es und schlief bis zehn Uhr. Dann erwachte er und versuchte aufs neue, ein wenig im Zimmer herumzugehen; allein er vermochte es nicht und legte sich wieder zu Bette. Hierauf schlummerte er wieder bis ein Uhr. Während dieser zwei oder drei Stunden wachten sein Wirt Albrecht mit seiner Frau, Ambros, Jonas und Luthers Sohn stille an seinem Bette und unterhielten ohne Geräusch das Feuer. Alles hing davon ab, wie lang er schlafen und wie er sich beim Erwachen befinden würde.
Seine ersten Worte erfüllten die Herzen seiner Freunde mit ängstlicher Besorgnis.
Er klagte über Kälte und bat sie, mehr Holz ins Feuer zu werfen.
Ach! jener Schauer beschlich ihn, den keine menschliche Anstrengung von ihm zu scheuchen vermochte!
Dr. Jonas fragte ihn, ob er sich sehr schwach fühle.
»O, wie ist mir so weh!« erwiderte er. »Mein lieber Jonas, ich glaube, ich muß hier in Eisleben sterben, wo ich geboren und getauft worden bin!«
Jetzt wurden seine andern Freunde geweckt und an sein Bett gerufen.
Jonas sprach davon, daß der Schweiß auf seiner Stirne ein gutes Zeichen sei; aber Luther erwiderte:
»Es ist der kalte Todesschweiß. Ich muß den Geist aufgeben, denn meine Krankheit nimmt immer zu.«
Dann betete er andächtig:
»Himmlischer Vater! ewiger, barmherziger Gott! Du hast mir Deinen teuern Sohn, unsern Herrn Jesum Christum geoffenbart. Ihn habe ich gelehrt; Ihn habe ich erfahren; Ihn habe ich bekannt; Ihn liebe ich; Ihn bete ich an als mein Sühnopfer, als meinen geliebten Heiland und Erlöser –Ihn, welchen die Gottlosen verfolgen, entehren und schmähen. O himmlischer Vater, wenn ich auch diese Leibeshülle verlassen und von diesem Leben scheiden muß, so weiß ich doch, daß ich ewig bei Ihm sein werde. Nimm meine arme Seele hinauf zu Dir.«
Nachher nahm er ein wenig Medizin, versicherte seine Freunde, daß er am Sterben sei und sprach dreimal:
»Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist. Du hast mich erlöst, Du treuer Gott. Wahrlich also hat Gott die Welt geliebt!«
Dann lag er ganz still und regungslos. Die Umstehenden suchten ihn zu beleben, indem sie ihm Brust und Glieder rieben und ihn anredeten; aber er gab keine Antwort. Da fragten zur Befestigung so vieler, die aus seinem Munde die Wahrheit angenommen hatten, Jonas und Coelius mit lauter Stimme: »Ehrwürdiger Vater, sterbt Ihr im Glauben an Christum und an die Lehre, die Ihr beständig gepredigt habt?«
Er antwortete mit einem hörbaren, freudigen »Ja!«
Dies war sein letztes Wort hienieden. Hierauf legte er sich auf seine rechte Seite und schien eine Viertelstunde friedlich zu schlummern. Noch einmal erhellte ein Hoffnungsstrahl die Herzen seiner Kinder und Freunde; allein der Arzt sagte ihnen, daß es kein günstiges Symptom sei.
Man leuchtete ihm ins Gesicht. Es war totenblaß und seine Hände und Füße wurden immer kälter.
Noch einmal seufzte er tief auf und. gab mit über der Brust gefalteten Händen ohne Kampf den Geist auf.
Dies geschah den 18. Februar um vier Uhr Morgens.
Und jetzt liegt Martin Luther in dem Hause gegenüber der Kirche, in welcher er getauft und zum christlichen Streiter mit dem Kreuze bezeichnet worden war, –nach vollbrachtem Streite, nachdem er die Waffen niedergelegt, den Sieg errungen, und ruht unter der Fahne, die er so mutig getragen hat. An der Stelle, wo seine Augen zuerst dem irdischen Leben sich geöffnet, ist sein Geist zum himmlischen Leben erwacht. Oft pflegte er von dem Tode als der wahren Geburt des Christen zu sprechen, und den Leib eine Larve zu nennen, in welcher der Geist sich entwickelt, bis er die Schale sprengt, die Hülle abwirft, seine Flügel entfaltet und sich zu Gott empor schwingt.
Eva und ich sehen darin, daß seine Geburtsstätte auch die Stätte seines Todes sein sollte, eine merkwürdige, geheimnisvolle Besiegelung seines Glaubens.
Unter unaufhaltsamen Thränen können wir nur die Worte, die wir so oft von ihm gehört, wiederholen: »O Tod; du List bitter für die, welche du im Leben zurücklässest!« und »Fürchtet nichts, Gott lebt noch.«