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Wittenberg, 26. Januar 1546.
Doktor Luther ist heute nach seiner Geburtsstadt Eisleben abgereist, um einen Streit zwischen den Grafen von Mansfeld über einige Patronatsrechte beizulegen.
Er verließ die Seinigen guten Mutes, mit der Absicht, in wenigen Tagen wieder zurückzukehren. Seine drei Söhne, Johann, Martin und Paul, haben ihn begleitet. Frau Luther ist ängstlich und niedergeschlagen über seine Entfernung, aber wir hoffen, ohne bestimmte Ursache, obgleich er in der letzten Zeit oft schwach und leidend war.
Ohne Zweifel wird die Traurigkeit und Stille, welche sich stets in seiner Abwesenheit über Wittenberg lagert, noch durch das stürmische Winterwetter und die Regengüsse vermehrt, welche das Austreten der Flüsse verursacht haben. Er ist wahrlich der Vater und König unserer kleinen Welt, und wenn er bei uns ist, scheint uns Deutschland und die ganze Welt näher durch seinen Fernblick und sein an jedem Mangel, jeder Sorge Teil nehmendes Herz.
Februar 1546.
Frau Luther erzählte mir heute, daß Dr. Luther vor seiner Abreise gesagt habe, er könnte sich »mit Freuden auf sein Todbette legen, wenn er zuvor seine lieben Herren von Mansfeld mit einander ausgesöhnt hätte.« Auch habe er gerade seinen Kommentar über das erste Buch Mosis, an dem er zehn Jahre gearbeitet hat, mit den Worten vollendet:
»Ich bin müde und kann nichts mehr thun. Bitte Gott, mir einen sanften und seligen Tod zu schenken!«
Sie meint, er habe sich kürzlich mehr, als selbst bei ihm gewöhnlich sei, mit Todesgedanken beschäftigt, und sie fürchtet, er habe die Ahnung eines baldigen Hinscheidens.
Er hat so lange von dem Tode als von einem erwünschten Augenblick gesprochen; dennoch thut es uns im Herzen weh, ihn so reden zu hören. Von dem Advent, als dem Ende alles Uebels und dem Beginne des Himmelreichs, können wir ihn wohl reden hören, aber nicht von dem, was zwar das Ende aller Leiden für ihn, aber der Anfang alles Kummers für uns wäre.
Jetzt ist übrigens Frau Luther etwas getröstet durch seine Briefe, welche heiterer sind als die, welche sie voriges Jahr während seiner Abwesenheit erhielt. In letztem riet er ihr an, ihr Besitztum in Wittenberg zu verkaufen und sich auf ihr Gut in Zulsdorf zurückzuziehen, damit er »vor seinem Tode« sie sicher aus Wittenberg, »diesem Neste der Selbstsucht und des Wohllebens,« gerettet wisse.
Sein erster Brief, seit er Wittenberg verließ, lautet:
»All meine liebe, teure Käthe Lutherin, zu Wittenberg. Gnade und Friede in dem Herrn.
»Liebe Käthe! Heute um halb zwölf Uhr erreichten wir Halle, aber wir sind noch nicht nach Eisleben gekommen, denn eine mächtige Anabaptistin trat uns mit Wasserfluten und Eisblöcken in den Weg und drohte uns Allen mit der Wiedertaufe. Deshalb blieben wir ruhig hier in Halle zwischen den zwei Flüssen. Jedoch dürsten wir nicht nach Wasser, sondern laben uns mit gutem Torgauer Bier und Rheinwein, im Fall die Saale wieder in Wut ausbrechen sollte. Denn wir und unsere Diener und die Fährleute wollten Gott nicht versuchen, indem wir uns aufs Wasser wagten: denn der Teufel hat einen wütenden Haß auf uns und wohnt in den Wasserfluten; es ist besser, ihm zu entfliehen als sich über ihn beklagen, auch mögen wir nicht dem Papst und seinem Heer zum Gelächter werden. Ich hätte nicht geglaubt, daß die Saale solch Getöse und Überschwemmungen anrichten könnte. Jetzt muß ich schließen. Bete für uns und die Frommen. Ich bin überzeugt, wenn Du hier gewesen wärest, hättest Du Ans gerade das geraten, was wir gethan haben. Darum hätten wir wohl dies eine Mal Deinem Rate gefolgt. Hiermit Gott befohlen. Amen. Zu Halle an dem Tage der Bekehrung St. Pauli.
Martinus Luther.«
Vier Briefe hatte sie schon erhalten; der eine ist vom 2. Februar:
»An meine herzlich geliebte Hausfrau, Katharina Lutherin, Doktorin in Zulsdorf, Säumärkterin und was sie sonst noch sein mag.
»Gnade und Friede in Christo, und meine alte arme Liebe und, wie ich weiß, unkräftige, zuvor. Ich bin gar schwach gewesen auf dem Wege hart vor Eisleben, das war meine Schuld. Aber wenn Du da gewesen wärest, so hättest Du gesagt, es wäre der Juden oder ihres Gottes Schuld. Denn wir mußten durch ein Dorf hart vor Eisleben, da viele Juden wohnten. Und wahr ist, da ich bei dem Dorf war ging mir ein solch kalter Wind auf meinen Kopf durchs Barett, als wollte er mir das Hirn zu Eis machen.
»Deine Söhne sind gen Mansfeld gefahren, weil sie Hans von Jene so demütiglich gebeten hatte; weiß nicht was sie da machen. Wenn's kalt wäre, so möchten sie helfen frieren. Nun es aber warm ist, konnten sie wohl was andres thun oder leiden, wie es ihnen gefällt. Hiemit Gott befohlen samt dem ganzen Hause, und grüße alle Tischgenossen. Vigilia Purificationis 1546.«
Und ferner:
»Der tiefgelehrten Frau Katharina Lutherin, meiner gnädigen Hausfrau zu Wittenberg.
»Gnad' und Fried', liebe Käthe! Wir sitzen hier und lassen uns martern und wären wohl gern davon, aber es kann noch nicht sein, wie mich dünkt, vor acht Tagen. M. Philipps magst Du sagen, daß er seine Postille korrigiere; denn er hat nicht verstanden, warum der Herr im Evangelio die Reichtümer Dornen nennt. Hier ist die Schule, da man solches verstehen lernt. (Die Streitigkeiten, welche Luther zu schlichten hatte, betrafen Bergwerke.) Aber mir graut, daß allewege in der heiligen Schrift den Dornen das Feuer gedroht wird; darum ich desto größere Geduld habe, ob ich möchte mit Gottes Hülfe etwas Gutes ausrichten. Deine Söhnchen sind noch zu Mansfeld. Mich dünkt, der Teufel spotte unser; Gott wolle sein wieder spotten. Amen. Bittet für uns. Der Bote eilte sehr. Am St. Dorotheentage 1546.
Martinus Luther Dr.«
Dr. Luther scheint es in seiner alten Heimat herzlich wohl zu sein. Edelleute, Bürger und Frauen bewillkommnen ihn auf das freundlichste.
Der dritte Brief, den Frau Luther erhalten hat, enthält scherzhafte und zärtliche Antworten auf ihre ängstlichen Sorgen um ihn.
»Meiner lieben Hausfrau, Katharina Lutherin, Doktorin und Selbstmärtyrerin zu Wittenberg, meiner gnädigen Frau.
Gnad' und Friede in dem Herrn. Lies du, liebe Käthe, das Evangelium Johannis und den kleinen Katechismus; dann wirst Du sagen: Alles in dem Buch ist von mir gesagt. Denn Du willst sorgen für Deinen Gott, gerade als wäre Er nicht allmächtig, der da könnte zehn Doktor Martinus schaffen, wo der eine, alte ersöffe in der Saale. Laß mich in Frieden mit Deiner Sorge! ich hab' einen bessern Sorger, denn Du und alle Engel sind. Der liegt in der Krippen und hängt an einer Jungfrau Brust, aber sitzet gleichwohl zur rechten Hand Gottes, des allmächtigen Vaters. Darum sei in Frieden. Amen.«
Dann schrieb er wieder:
»Der heiligen, sorgfältigen Frau Katharina Lutherin, Doktor Zulsdorferin zu Wittenberg, meiner gnädigen, lieben Hausfrau.
»Gnade und Friede in Christo! Allerheiligste Frau Doktorin. Wir danken Euch gar freundlich für Eure große Sorge, dafür Ihr nicht schlafen konntet; denn seit der Zeit Ihr für uns gesorgt habt, wollt uns das Feuer verzehren in unserer Herberg, hart vor meiner Stubenthür; und gestern (ohne Zweifel aus Kraft Eurer Sorge) ist uns schier ein Stein auf den Kopf gefallen und hat uns fast zerquetscht, wie in einer Mausfalle. Denn in unserm heimlichen Gemach rieselten wohl zwei Tage Kalk und Leim über unserem Kopf, bis wir Leute dazu nahmen, die den Stein anrührten mit zwei Fingern, da fiel er herab, so groß als ein langes Kissen, zwei Hand breit; das hatten wir Eurer heiligen Sorge zu danken, wenn die lieben, heiligen Engel nicht gehütet hätten. Ich sorge, wenn Du nicht aufhörst zu sorgen, es möchte uns zuletzt die Erde verschlingen und alle Elemente verfolgen. Lehrest Du also den Katechismus und den Glauben? Bete Du, und laß Gott sorgen; es heißt: » Wirf dein Anliegen auf den Herrn, der sorget für dich.«
Wir wollten nun gerne los sein, und heimfahren wenn's Gott wollte, Amen, Amen, Amen. Am Tage Scholasticä, 1546. Euer Heiligen williger Diener.
Martinus Luther.«
17. Februar 1546.
Gute Nachrichten für uns alle zu Wittenberg! Frau Luther hat von dem Doktor einen vom 14. Februar datierten Brief erhalten, der seine baldige Rückkehr meldet:
»Meiner freundlichen, lieben Hausfrau, Katharina Lutherin von Bora zu Wittenberg.
»Gnade und Friede in dem Herrn! Liebe Käthe! Wir hoffen diese Woche wieder heim zu kommen, so Gott will. Gott hat große Gnade hier erzeigt; denn die Herren haben durch ihre Räte fast alles verglichen, bis auf zwei oder drei Artikel, unter welchen ist, daß die zwei Grafen Gebhard und Albrecht wiederum Brüder werden, welches ich heute vornehmen soll, und will sie zu mir zu Gaste bitten, daß sie auch mit einander reden; denn bis daher sind sie stumm gewesen und haben sich mit Schriften arg verbittert.
»Sonst sind die jungen Herren fröhlich, fahren zusammen mit Narrenglöcklein auf Schlitten und die Fräulein auch, haben Kurzweil mit einander und sind guter Dinge, auch Graf Gebhards Sohn. Also muß man begreifen, daß Gott ist exauditor precum.
»Ich schicke Dir Wildpret, das mir die Gräfin Albrecht geschenkt hat; die ist von Herzen froh der Einigkeit. Deine Söhnchen sind noch zu Mansfeld. Jakob Luther will sie wohl versorgen. Wir haben hier zu essen und zu trinken wie die Herren, und man wartet unser gar schön, zu schön, daß wir Euer wohl vergessen möchten. Es thut mir auch nichts weh.
»Solches alles magst Du M. Philipps anzeigen, Dr. Pomer und Dr. Cruziger. Hier ist das Gerücht hergekommen, daß Dr. Martinus sei weggeführt, wie man zu Leipzig und zu Magdeburg redet. Solches erdichtet: die Naseweisen, Deine Landsleute. Etliche sagen, der Kaiser sei dreißig Meilen Wegs von hier, bei Soest in Westphalen; etliche, daß der Franzose Knechte annehme, der Landgraf auch. Aber laß sagen und singen; wir wollen warten, was Gott thun wird. Hiermit Gott befohlen. Zu Eisleben am Sonntag Valentini, 1546.
Martinus Luther Dr.«
Das Friedenswerk ist also vollendet, und Dr. Luther wird noch diese Woche zu uns zurückkehren –um hoffentlich lange die Seligkeit des Friedensstifters zu genießen.