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Cistercienserkloster. Nimptschen, 2. September 1521.
Ich habe mehrere Bogen von Dr. Luthers Uebersetzung des Neuen Testaments aus Onkel Cottas Druckerei erhalten.
Von allen seinen Arbeiten für das Reich Gottes scheint mir dies die größte und segensreichste. Nichts hat je unser Kloster so tief bewegt. Viele Schwestern weigern sich entschieden, noch ferner die Heiligen anzurufen. Sie erklären, Satan selbst müsse dieses herrliche Buch in eine tote Sprache verschlossen und den Frauen und Kindern und dem Volke entzogen haben. Und die jüngern Nonnen finden es so interessant, so ganz verschieden von den Predigtbüchern oder andern religiösen Schriften.
»Es ist so ganz für das Leben,« sagte eine von ihnen zu mir; »was ein jedes bedarf, ist darin enthalten; ein vollkommener Freund, so unendlich, so nah, so das innerste unseres Herzens durchschauend. Ach, Schwester Eva,« setzte sie hinzu, »wenn sie nur zu Hause es hören könnten!«
Oktober 1521.
Heute erhielten wir ein Exemplar von Dr. Luthers Thesis gegen das Klosterleben.
»Es gibt nur einen geistlichen Stand,« schreibt er, »der heilig ist und heilig macht, und dies ist das Christentum, –der Glaube, zu dem alle das gleiche Recht haben.«
»Klöster, die irgend einen Nutzen haben sollen, müßten Schulen sein, worin Kinder erzogen und unterrichtet werden, bis sie erwachsen sind. In ihrer jetzigen Verfassung sind es Häuser, in welchen Männer und Frauen zu Kindern werden und immer kindisch bleiben.«
Ach! ich kenne nur zu wohl die Wahrheit dieser Worte, die traurige, kindische Beschäftigung mit Kleinigkeiten, worin die große Mehrzahl der Nonnen versinkt, wenn die Jugendfrische und der bittere Kampf der Trennung von allem, was dem Herzen teuer war, vorüber, und das Ausschmücken der Kirche zu einem Feste oder die mit dem Besuch eines Inspektors oder Bischofs verbundene Feierlichkeit die wichtigsten Ereignisse ihres Lebens geworden sind.
Dagegen habe ich gekämpft, indem ich auch für die jungen Schwestern befürchtete, daß sie in ein zufriedenes Tändeln mit religiösen Spielereien versinken möchten. Und ich habe keinen Ausweg dagegen finden können, wenn wir nicht in eine Stadt verpflanzt werden, um uns dort der Pflege der Armen und Kranken zu widmen.
Allein Dr. Luther nimmt eine andere Lösung dieser Frage an. Man hat uns erzählt, daß er dem Prior des Klosters zu Erfurt geraten habe, die Mönche, welche es wünschen, ungehindert aus dem Kloster zu entlassen. Und viele Brüder aus verschiedenen Klöstern sollen dieselben verlassen haben, um in der Welt Gott zu dienen.
Mönche freilich können dies thun. Die Welt steht ihnen offen und sie sind sicher, irgend eine nützliche Beschäftigung zu finden. Aber mit uns ist es etwas anderes. Unserer natürlichen Heimat entrissen, wie wir sind, ist die Welt draußen für uns eine pfadlose Wüste geworden.
Doch wie darf ich dieses behaupten! Ist nicht die ganze Welt das Werk unseres himmlischen Vaters, und kann der Weg zum Vaterhause werden; wie sollte Er da nicht einer jeden von uns einen Platz anweisen, einen Weg hindurchbahnen können?
10. November.
Neun von den jüngern Nonnen haben den Entschluß gefaßt, das Klosterleben mit seinem Kreislaufe abergläubischer Gebräuche, wenn es möglich ist, aufzugeben. Diesen Abend wurde in Schwester Beatrixens Zelle eine Beratung gepflogen, an welcher auch Tante Agnes teilnahm.
Es wurde beschlossen, daß jede an ihre Verwandten schreiben und ihnen aufrichtig bekennen solle, daß sie das Klosterleben und die ihm zu Grunde liegenden Gelübde im Widerspruch finde mit der heiligen Schrift und bitte, zu ihrer Familie zurückkehren zu dürfen.
Schwester Beatrix und Tante Agnes waren entschlossen, geduldig hier zu bleiben.
»Meine alte Heimat würde mir jetzt nicht vertraulicher sein als das Kloster,« sagte Schwester Beatrix. »Ich kann hier ruhig sterben, und meine Seele wird im Frieden zu meinem Gott heimfahren.«
Tante Agnes sagte: »Wer weiß, ob es nicht noch irgend eine geringe Arbeit hier für mich gibt. In der Welt würde ich so hilflos sein rote ein Kind, und warum sollte ich fortgehen, um den Meinigen zur Last zu fallend«
Beide wollten mich überreden, an Tante Cotta oder Elsen zu schreiben. Aber ich kann kaum glauben, daß meine Pflicht dieses verlangt. Tante Cotta hat ihre Kinder um sich, und Elsens Familie ist mir fremd. Obgleich jedermann sehr gut gegen mich war, so bin ich doch ein Wesen, das niemandem angehört und keine Heimat in dieser Welt hat. Ich glaube, daß Gott mir die Freude geschenkt hat, einige hier zu trösten und aufzurichten, und so lange Schwester Beatrix und Tante Agnes hier bleiben, kann ich den Gedanken nicht ertragen, sie zu verlassen. Jedenfalls will ich noch warten.
22. November.
Fritz ist wieder gefangen. Lange Zeit hatten die Seinigen nichts von ihm gehört und wußten nicht, wo er war, als sie von einem Priester, Namens Ruprecht Haller aus Franken, einen Brief erhielten. Dieser schrieb ihnen, Fritz habe ihn eines Abends im Juli besucht, bei ihm übernachtet und ihm am folgenden Morgen, wo er sich mit seinem Bücherkasten nach Wittenberg auf den Weg machte, Tante Cottas Adresse gegeben. Wenige Wochen später habe er in der Nähe des Dominikanerklosters einen jungen Mönch getroffen, der ihn gefragt habe, ob er der Priester sei, bei welchem vor einigen Wochen ein Krämer übernachtet habe. Als der Priester dies bejaht, sagte der Mönch in leisem, hastigem Tone zu ihm:
»Schreibt an seine Freunde, wenn Ihr sie kennt, und teilt Ihnen mit, daß er als der Ketzerei verdächtig in den Kerker des Klosters geworfen worden ist. Ich bin der junge Mönch, dem er bei seiner Ankunft ein Buch gab. Sagt ihnen, daß ich nicht die Absicht hatte, ihn zu verraten, obgleich ich ihn in's Netz brachte; und wenn sie ihn je befreien sollten, und ihr ihn wieder seht, so sagt ihm, daß ich sein Buch treu verwahre. Auch spricht der gute Priester davon, daß er Fritzen das Heil seiner Seele verdanke. Er empfiehlt dringend, daß das äußerste aufgeboten werde, ihn zu befreien, und daß wir mächtige Freunde ersuchen sollten, sich für ihn zu verwenden, da der Prior des Dominikanerklosters, wo er gefangen liegt, ein furchtbar strenger Mann und ein erbitterter Feind der Ketzer ist.
Mächtige Freunde! Ich weiß keinen, den wir anflehen könnten, als Gott.
Also im Juli, schon vor zwei Monaten, ist er gefangen genommen worden. –Ich weiß nicht, ob es nur mein ungeduldiges Herz ist; aber ich meine, ich müsse zu Tante Cotta eilen. Es ist mir, als ob sie meiner jetzt bedürfe. Ich glaube, ich könnte sie trösten. Ach, wer kann sagen, was die zweimonatliche Haft in einem Dominikanerkerker aus ihm gemacht hat? –
Haben wir denn nicht selbst in unserm Kloster ein Gefängnis, so tief und finster und feucht, um jeden in Zeit von wenigen Wochen ums Leben zu bringen? An einem der mächtigen, niedern Pfeiler hängen schwere eiserne Ketten, die, weil sie glücklicherweise lange nicht gebraucht worden sind, ganz verrostet aussehen, und in einem Winkel steht eine Folterbank und andere Marterwerkzeuge, an welchen einige der älteren Nonnen Blutspuren gesehen haben wollen.
Als er in Mainz im Gefängnis lag, war ich nicht so niedergeschlagen wie jetzt.
Sollte diese Angst eine heilsame, von Gott gesandte Vorbereitung sein auf eine furchtbare Nachricht, die unser wartet? oder wird die Macht zu hoffen, immer schwächer, je älter wir werden?
Im Dezember 1521.
Die letzten vierzehn Tage haben uns viele schmerzliche Enttäuschungen gebracht.
Eine Antwort nach der andern ist eingelaufen auf die rührenden Bitten der neun Schwestern an ihre Verwandten; sie sind in verschiedenem Tone abgefaßt, aber alle neun mit der bestimmten Weigerung, sie wieder in der Heimat aufzunehmen.
Einige von den Verwandten gebrauchten bei ihrer Weigerung die bittersten Vorwürfe und Drohungen. Andere schrieben teilnehmend und herzlich; gleichwohl stimmen alle darin überein, daß keine adelige Familie sich so beschimpfen könne, einer eingekleideten Nonne beizustehen, um ihr Gelübde zu brechen. Die armen Kinder! wie blutet mir das Herz für diese jungen Wesen, welche so zutrauensvoll hofften, in der Heimat mit offenen Armen empfangen zu werden, wo man sie unter heißen Thränen erst hatte ziehen lassen.
Jetzt ist Gott ihre einzige Zuflucht. Er wird sie nicht verlassen; aber wer vermag zu sagen, welch' dornige Pfade sie vielleicht noch werden zu wandeln haben.
Auch hat man entdeckt, was einige der Schwestern an ihre Verwandten geschrieben haben; dadurch ist ihre Lage noch viel schwieriger und unangenehmer geworden.
Viele der ältern Nonnen sind über diesen Schritt, den sie als den schwärzesten Verrat und als Gotteslästerung betrachten, höchlich erbost. Auch mir hat man jeden Umgang mit den verdächtigen Schwestern streng untersagt. Jede Zelle ist untersucht, und alle lutherischen Bücher sind konfisziert worden, während man aufs strengste unsere Anwesenheit bei allen Gottesdiensten verlangt.
10. Februar 1522.
Schwester Beatrix ist nach kurzer Krankheit verschieden. Die sanfte, geduldige Seele ist zur Ruhe eingegangen.
Man kann kaum den Gedanken an Freude mit diesem schüchternen, gebrochenen Herzen verbinden, selbst nicht im Himmel. Ich denke nur daran, daß sie zur Ruhe gekommen ist.
In der Nacht vor ihrem Tode träumte mir, daß ich sie zum Himmel eingehen sah. Weißgekleidet und verschleiert sah ich sie langsam den Weg zu den Thoren der himmlischen Stadt hinansteigen. Haupt und Augen hatte sie zur Erde gesenkt, als ob sie nicht aufzuschauen wagte, ob die Perlenthore offen oder geschlossen seien. Allein die zwei sanftesten Engel kamen ihr entgegen, ergriffen sie bei den Händen und führten sie stillschweigend hinein, wie ein reuiges Kind. Und als sie eintrat, verschmolzen die Chöre der himmlischen Sänger und goldenen Harfen zu einer so sanften Musik wie das träumerische Murmeln eines Sommermittags. Noch immer sah sie nicht auf, sondern wandelte vertrauensvoll an der Hand der Engel durch die goldenen Straßen, bis sie endlich vor dem Throne stand. Eine Stimme von dorther sprach: »Beatrix, ich bin es; fürchte dich nicht.« Bei dem Klang dieser Stimme überflog ein seliges Lächeln, wie ein Heiligenschein, ihre Züge, und ihm zu Füßen sinkend flüsterte sie: »Daheim!« Und mir war, als ob dieses eine Wort der leisen, schüchternen Stimme jede Himmelsharfe durchzitterte, und zahllose Stimmen jauchzend, wie glückliche Kinder, und zärtlich, wie die einer Mutter, in einer Flut von Liebe und Wohlklang die Worte wiederhallten: »Willkommen im Vaterhause!«
Dies war nur ein Traum; aber, daß sie dort ist, das ist kein Traum, sondern Wirklichkeit.
Sie sprach wenig während der Krankheit, und hatte auch wenig Schmerzen. Der schwache Körper leistete dem schleichenden Fieber, das sie ergriffen, nur geringen Widerstand. Was sie sagte, waren meistens Worte des Dankes für die kleinen Hülfeleistungen, die sie empfangen, oder Bitten um Vergebung für jede kleine Mühe, die sie uns verursacht hatte.
Tante Agnes und ich pflegten sie fast ausschließlich. Sie sah es nicht gerne, wenn wir lange von ihrer Zelle abwesend waren. Oft verweilte sie mit ihren Gedanken bei ihrer Jugendzeit, in der alten Burg im Thüringer Walde, und hörte gerne, wenn ich ihr von Chrimhilden und Ulrich und ihrem kleinen Knaben erzählte. Eines Abends rief sie mich an ihr Bett und sprach: »Sage meiner Schwester Hermentrud und meinem Bruder, daß ich glaube, sie haben es gut mit mir gemeint, als sie mich hieher sandten, und daß es auch gut für mich gewesen ist, besonders seit du herkamst. Aber sage auch Chrimhilden und Ulrich,« setzte sie hinzu, »sie möchten wohl bedenken, wenn sie je Töchter haben sollten, daß gelobte Treue eine heilige Sache ist, die man nicht leichtsinnig trennen soll. Nicht als ob der Kummer mir geschadet hätte; aber ich möchte nicht, daß andere auch leiden müßten. Alles, alles ist gut für mich gewesen, und ich war so unwürdig alles Guten.« Dann ihre magere Hand auf mein Haupt legend, sagte sie, während ich neben ihrem Bette kniete: –»Eva, du bist mir Mutter, Schwester, Kind, alles gewesen. Kehre zu den Deinigen zurück, wenn ich heimgegangen bin. Ich wünsche dich dort zu wissen.«
Dann, als ob sie fürchtete, undankbar gegen Tante Agnes zu scheinen, verlangte sie nach ihr und sagte: »Ich kann dir nie genug danken für alles, was du an mir gethan hast. Der liebe Gott wird es vergelten: denn hat er nicht gesagt: Was ihr gethan habt einem dieser Geringsten?«
In der Nacht, als ich allein bei ihr wachte, sprach sie: »Eva, ich habe mich so sehr vor dem Sterben gefürchtet. Ich bin so schwach am Geist und fürchte mich vor allem. Aber ich glaube, Gott macht es für die Schwachen, wie ich bin, leichter. Denn obgleich ich mich nicht stärker fühle, ist mir doch gar nicht mehr bange. Gewiß darum, weil Er mich aufrecht hält.«
Dann bat sie mich, zu singen, und mit bebender Stimme sang ich, so gut ich's vermochte, das Lied: » Adstant angelorum chori,« zu deutsch:
Horch! die Engelchöre heben
Herz und Stimm' in Harmonie;
Dem allmächt'gen Schöpfer leben,
Seine Schönheit preisen sie.
Sanfte Harfenklänge wehen
Durch Posaunen Jubelton,
Und in weißen Kleidern stehen
Selige vor Gottes Thron.
Abgewischt sind Aller Thränen,
Ewig jeder Gram gestillt,
Jeder Seele heißes Sehnen,
Wo das Lebenswasser quillt,
In der neuerbauten Stadt,
Welche Gott zur Sonne hat.
Zwei Tage später starb sie, als eben der Wintermorgen graute. Mit dem Jesusnamen auf den Lippen entschlief sie.
Es ist sonderbar, wie still und leer das Kloster scheint, seitdem die schwache Stimme verstummt, die zarte, einem Schatten ähnliche Gestalt hinweggegangen ist!
Im Februar 1522.
Schwester Beatrix ist unter traurigen Grabgesängen und Totenmessen mit einer Pracht und Feierlichkeit im Klosterkirchhofe zur Erde bestattet worden, die wenig im Einklänge steht mit ihrem schüchternen, zurückhaltenden Wesen, oder mit dem Frieden, in dem ihre Seele nun ruht.
Der niedrige, nur mit einem einfachen hölzernen Kreuze bezeichnete Grabhügel stimmt besser mit ihrem Andenken überein. Nächsten Sommer wird der Wind sanft durch das Gras darüber rauschen, und diesen Winter wird das Rotkehlchen auf der Ulme daneben zwitschern.
Allein ich werde das Gras diesen Erdenhügel nicht überkleiden sehen; denn es ist beschlossen, daß ich noch diese Woche das Kloster verlasse. Tante Agnes und zwei der jungen Schwestern haben soeben meine Zelle verlassen, wo wir alles verabredet haben.
Die kleinlichen Verfolgungen gegen die sogenannten lutherischen Schwestern nehmen immer mehr überhand, während mit strengeren und offeneren Maßregeln gedroht wird. Es ist deshalb beschlossen, daß ich die erste günstige Gelegenheit zur Flucht benützen, mich nach Wittenberg begeben, die Angelegenheit der neun Nonnen den lutherischen Lehrern vorlegen und ihre Befreiung zu bewirken versuchen soll.
20. Februar 1522.
Endlich liegt die Bauerntracht, in welcher ich entfliehen soll, bereit, und noch in dieser Nacht, wenn alles ruhig ist, steige ich zu Katharina von Boras Zellenfenster hinaus in den Klostergarten. Tante Agnes hat mich mit ängstlicher Eile zur Flucht angetrieben und insgeheim ein Körbchen mit Vorräten für mich gefüllt. Aber als ich diese Nacht in ihre Zelle ging, um ihr Lebewohl zu sagen, brach sie ganz zusammen, schloß mich fest in ihre Arme, als ob sie mich gar nicht mehr loslassen wollte, und sagte mit bebenden Lippen, während Thränen langsam über ihre gefurchten Wangen rollten: »Eva, Kind, die mich zuerst wider meinen Willen lieben lehrte, und mich dann lehrte, daß Gott die Liebe ist, und daß Er mich durch den Glauben an Jesum wieder zu einem seligen, liebenden Kinde machen könne, wie kann ich Dich von mir lassen?«
»Du wirst wieder mit mir vereinigt werden,« sagte ich, »und mit deiner Schwester, die dich so innig liebt.«
Sie schüttelte den Kopf und lächelte unter Thränen, als sie sagte:
»Was wollt Ihr mit mir armen hilflosen Frau machen in dem geschäftigen Leben draußen in der Welt?«
Doch am meisten besorgt ist sie um mich auf meiner einsamen Reise nach Wittenberg, die ihr, welche seit vierzig Jahren die Klostermauern nicht überschritten hat, furchtbar lang und gefährlich scheint. In Tante Agnesens Augen bin ich immer noch ein junges Mädchen, das jedermann schön finden muß, weil die Liebe mich ihr so erscheinen läßt. Sie glaubt, man werde mich gewiß für eine verkleidete Prinzessin halten.
Die gute Tante vergißt ganz, daß ich ein gesetzt aussehendes Frauenzimmer von siebenundzwanzig Jahren bin, die niemanden auffallen wird, wenn sie ernsthaft auf der Landstraße wandert.
Doch gab sie mir beinahe das Versprechen, zu uns nach Wittenberg zu kommen, und endlich machte sie sich Vorwürfe wegen ihres schwachen Vertrauens auf Gott, und sagte, »sie hätte nie vergessen sollen, daß Seine Engel mich behüten werden.«
Auf's neue öffnet sich vor mir die Welt; allein ich hoffe nicht (und warum sollte ich es auch wünschen?), daß sie mir mehr sein werde als dieses Kloster; ein Platz, wo Gott mit mir sein und mir Gelegenheit geben will, kleine Liebesdienste für ihn zu thun.
Aber ich sehne mich, die liebe Tante Cotta und Else und die kleine Thekla zu umarmen. Wenn Thekla sich später verheiratet und Onkel und Tante allein bleiben, dann werden sie vielleicht meiner bedürfen, und Base Eva kann altern, umringt von Elsens Kindern, dem einen und andern beistehend, und doch ein wenig betrauert, wenn Gott sie hinwegnimmt.
Hauptsächlich aber sehne ich mich bei Tante Cotta zu sein, da Fritz in dem fürchterlichen Kerker schmachtet. Sie sagte immer, ich verstehe besser als irgend ein anderes, sie zu trösten, und ich hoffe, daß es mir auch jetzt gelingen werde.