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Eisenach 1504.
Ich kann nicht sagen, daß es uns besonders wohl ergangen sei, seitdem Fritz uns verlassen hat. Die Rumpelkammer selbst ist verändert. Die Haufen alter Bücher sind bedeutend zusammengeschmolzen; denn wir waren genötigt, viele derselben zu veräußern, um Lebensmittel zu kaufen. Selbst einige seiner schönsten Modelle hat Vater verkauft, obgleich es ihm sehr zu Herzen ging, aber er bezahlte damit unsere Schulden. Die Großmutter klagte neuerdings ziemlich viel und ich bin oft versucht böse zu werden. Die Knaben essen so viel und tragen ihre Kleider so schnell ab. In der That finde ich nicht, daß die Armut irgend eines von uns besser machte, außer unsere Mutter, die es doch am wenigsten bedurfte.
September 1504.
Der Vater hat uns eine neue Hausgenossin zugeführt. Die Kleine heißt Eva von Schönberg und ist mit unserer Mutter in entferntem Grade verwandt.
Vorige Woche sagte der Vater, sie werde in der nächsten Zeit kommen. Ich glaube, er war ein wenig bange, was Großmutter dazu sagen würde; denn wir wissen Alle, daß bei ihr Ausflüchte nichts helfen. Sie sieht immer, wo man hinaus will, und mit ihrem scharfen Auge durchbohrt sie alle Einleitungen und nötigt einen, mit mehr Schnelligkeit als Anmut auf das Ziel loszusteuern. Deshalb sagte er eines Tages plötzlich bei Tische: »Mütterchen! ich vergaß, dir zu sagen, daß ich gerade einen Brief von unsern Verwandten in Böhmen erhalten habe. Dein Großonkel ist tot; sein Sohn starb, wie du weißt, vor ihm, und so blieb nur noch eine kleine Waise zurück, die niemanden hatte, der für sie sorgte. Ich habe gebeten, sie zu mir zu schicken, ich mußte das thun. Es war nicht eine Handlung der Barmherzigkeit, sondern eine unerläßliche Pflicht. Und überdies,« setzte er entschuldigend hinzu, »kann es unser Glück sein. Es ist noch irgendwo Vermögen in der Familie, wenn wir es nur bekommen könnten, und die kleine Eva stammt aus der ältesten Linie. Vielleicht bringt sie auch kostbare Familienerbstücke mit.« Diese letzte Bemerkung richtete er hauptsächlich an Großmutter in der Hoffnung, ihr klar zu machen, daß es eine Handlung berechnender weltlicher Klugheit sei. Darauf sagte er, sich an Mutter wendend:
»Nicht wahr, Mütterchen, du wirst ihr ein Plätzchen in deinem Herzen einräumen? Ohne Zweifel wird Gott uns dafür segnen.«
»Am Platz im Herzen meiner Tochter fehlt es nicht,« brummte die Großmutter. »Es handelt sich da nicht um Herzen, sondern um Speisekammer und Betten. Und gewiß,« setzte sie nicht ganz höflich hinzu, »gäbe es Platz genug, um jeden Familienschatz aufzuheben, den die kleine Erbin mitbringen könnte.« Wie gewöhnlich legte sich die Mutter ins Mittel.
»Liebe Großmutter,« sagte sie, »ohne Zweifel wird uns der Himmel belohnen, und überdies weißt du, daß wir jetzt wohl ein wenig mehr ausgeben können, seit wir keine Schulden mehr haben.«
»Ich glaube, es unterliegt keinem Zweifel,« erwiderte die Großmutter, »daß uns der Himmel vergelten wird, was wir an der Kleinen thun; es handelt sich nur darum, ob er uns in gangbarer Münze bezahlen wird.«
Hierauf, wahrscheinlich befürchtend, ihre zweifelnde Rede möchte einen üblen Eindruck auf die Kinder machen, fuhr sie in einem kläglichen, aber artigeren Tone fort:
»Nun, laß die Kleine nur kommen! Platz werden wir ihr schon auf diese oder jene Art verschaffen. Die Alten schleichen zur Kirchhofthüre hinaus, während die Jungen zur Hauptthüre hereinhüpfen.«
Nach einigen Tagen kam auch wirklich die kleine Eva, aber leider ohne Familienschätze. Doch mögen mich die Heiligen behüten lohnsüchtig oder geizig zu werden und der Waise ihr Stücklein Brot zu mißgönnen!
Wem sollte aber auch Eva nicht willkommen sein? Wenn sie so mit ihrem aufgelösten goldenen Haar schlafend auf meinem Bette ruht, während ihre langen Wimpern die vom Schlummer gerötete, auf ihr weißes Händchen gestützte Wange beschatten, –wer könnte dann wünschen, daß sie fort wäre? Und wenn ich (was jetzt bald geschehen muß) die Lampe auslösche und mich an ihrer Seite niederlege, dann wacht sie wohl halb auf und schmiegt sich an mein Herz, indem sie schlafend flüstert: »Süße Base Else!« Dann könnte ich sie so wenig fortwünschen als meinen Schutzengel. Ja ich denke manchmal, daß sie wirklich einer ist.
Sie ist noch nicht ganz zehn Jahre alt. Allein da sie das einzige Kind und immer mit älteren Personen zusammen war, hat sie ein sehr ruhiges rücksichtsvolles Benehmen und ein seltsames, nachdenklich ernstes Wesen, das ihrem frohen, unschuldigen, kindlichen Gesichtchen einen ganz eigentümlichen Reiz verleiht.
Zuerst schien sie sich vor unsern Kindern, besonders vor den Knaben, ein wenig zu fürchten und folgte der Mutter, zu der sie gleich von Anfang Vertrauen gefaßt hatte, auf Schritt und Tritt. Nicht so schnell fühlte sie sich zu unserer Großmutter hingezogen, deren Empfang nicht eben sehr herzlich war; allein den zweiten Abend nach ihrer Ankunft nahm sie entschlossen ihren Schemel, stellte ihn neben Großmutters Lehnstuhl, setzte sich zu ihren Füßen nieder, legte ihre kleinen zarten Händchen auf ihre lieben, magern alten Hände und sagte: »Du mußt mich lieb haben, Großmutter, denn ich habe dich so herzlich lieb! Du siehst meiner verstorbenen Großtante so ähnlich!« Und seltsamer Weise, unsere Großmutter fühlte sich durch diese Worte geschmeichelt, und seither sind beide die besten Freunde miteinander. In der That beherrscht die Kleine uns alle, und es ist Keines im ganzen Hause, das nicht jede Aufmerksamkeit von ihr als eine Gunst ansähe. Ich möchte wohl wissen, ob es mit Fritz ebenso ginge!
Selbst unser Vater läßt sie in seinem Druckzimmer sitzen, während er Experimente macht, was keines von uns Kindern hätte wagen dürfen. Dann setzt sie sich auf die Fensterbank und sieht ihm zu, als ob sie Alles ganz wohl verstünde, und Vater spricht mit ihr, wie wenn er ernstlich glaubte, daß sie dies vermöge.
Und wie schön weiß sie den Kindern die Geschichten der Heiligen zu erzählen! Wenn unsere Großmutter sie erzählt, so stelle ich mir die Heiligen wie Krieger und Helden vor; versuche ich's, den Kleinen die Legenden zu wiederholen, so werden, fürchte ich, fast Märchen daraus; allein wenn Eva von der heiligen Agnes oder der heiligen Katharina spricht, so wird ihre Stimme sanft und tief wie Kirchenmusik; ihre Züge werden ernst und schön wie die der Engelchen auf den Gemälden, und ihre Augen als ob sie in den Himmel hineinschauten. Wenn nur Fritz sie einmal hören könnte. So müssen wohl die Heiligen in ihrer Kindheit gewesen sein, die seltsame stille Gewalt ausgenommen, welche sie über uns alle ausübt. Wenn unsere heilige Elisabeth der kleinen Eva ähnlich gewesen wäre, hätte die Mutter des Landgrafen schwerlich gewagt, so grausam gegen sie zu sein. Vielleicht ist gerade die kleine Eva bestimmt, eine Heilige zu werden, und wir Andern können Gott am besten dadurch gefallen, daß wir uns ihrer annehmen und zuletzt dafür ein kleines Winkelchen im Himmel erhalten.
Eisenach, im Dezember.
Es ist ein großer Trost für uns, daß Fritz in so heiterer und mutiger Stimmung schreibt. Er ist voll froher Hoffnung für die Zukunft und schon jetzt hat er eine Stelle in einer vortrefflichen Anstalt erhalten, wo er wie ein Kardinal lebt, wie er sagt, und durchaus keiner andern Unterstützung mehr bedarf. Dies ist sehr ermutigend. Auch Martin Luther ist auf dem Wege, ein großer Mann zu werden, sagt Fritz. Ich kann mir das kaum vorstellen; er sieht gerade aus wie ein anderer, wir sind alle so vertraut mit ihm, er redet so einfach mit uns, nicht in hohen, gelehrten Worten, oder über schwer zu begreifende Gegenstände, wie die andern gelehrten Leute, die ich kenne. Es ist freilich immer interessant ihm zuzuhören, aber man kann immer alles verstehen, was er sagt, und deshalb kann ich ihn mir nicht als einen Philosophen oder einen berühmten Mann vorstellen.
Was für ein großer Mann wird Martin Luther wohl werden? Ein Mann wie unser Bürgermeister oder wie Magister Trebonius? Vielleicht noch größer als diese, so vornehm wie der Sekretär des Kurfürsten, der unsern Vater schon besucht hat. Schon um Fritzens willen ist es ein großer Trost für uns; denn ich weiß gewiß, daß Martin Luther seine alten Freunde nie vergessen wird.
Ich kann Evas Religion nicht recht begreifen. Sie scheint ganz beglückt dadurch zu sein. Ich glaube nicht, daß sie sich vor Gott oder selbst vor der Beichte fürchtet. Sie geht mit solcher Freude in die Kirche, als gälte es ein Fest in den Wäldern; und der Name Jesu scheint ihr nicht schrecklich, sondern teuer zu sein, wie mir der Name der süßen Mutter Gottes. Ja sie fürchtet sich nicht einmal vor dem jüngsten Gerichte, wie ich neulich zu bemerken Gelegenheit hatte. Wir wurden nämlich beide in der Nacht durch ein furchtbares Gewitter aufgeweckt. Ich verbarg mein Gesicht unter der Decke, um die flammenden Blitze nicht zu sehen, bis ich die Kinder in der Nebenstube schreien hörte und natürlich aufstand, um sie zu beruhigen, damit unsere Mutter, die den Tag zuvor sehr müde war, nicht gestört würde. Nachdem ich die Kleinen wieder in den Schlaf gesungen und gewiegt hatte, kehrte ich an allen Gliedern zitternd in unsere Kammer zurück; da fand ich Eva vor dem Bette knieend, das Kruzifix fest an ihr Herz gedrückt, so ruhig und heiter, als ob die Blitze nichts als Morgensonnenschein gewesen wären. –
Als ich eintrat, erhob sie sich von den Knieen, und nachdem wir uns wieder zu Bette gelegt hatten und das Gewitter vorüber war, sagte ich, indem ich sie mit meinen Armen umschlang:
»Eva, fürchtest du dich denn nicht vor dem Gewitter?«
»Ich dachte, daß es uns schaden könnte, Base Else,« erwiderte sie, »und darum betete ich zu Gott.«
»Aber Eva,« fuhr ich fort, »wenn nun der Donner die Stimme des Erzengels wäre? Bei jedem Gewitter denke ich, es könnte der Anbruch des furchtbaren jüngsten Gerichtes sein. Was würdest du dann thun?«
Sie schwieg ein Weilchen, dann sagte sie:
»Ich glaube, ich würde mein Kruzifix nehmen und beten. Ich würde den Herrn Jesus daran erinnern, daß er einst am Kreuze für uns gestorben ist. Gewiß würde er dann sich unser erbarmen. Ueberdies habe ich einen Spruch, Base Else,« fügte sie hinzu, »der mich immer tröstet. Mein Vater lehrte ihn mich in seinem Gefängnis, ehe er starb, als ich noch ein ganz kleines Kind war. Ich konnte ihn nicht ganz behalten, aber das habe ich nie vergessen: Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn gab. Das Ende des Spruches habe ich vergessen; aber dieser Worte erinnere ich mich stets, weil ich meines Vaters einziges Kind und von ihm zärtlich geliebt war. Ich verstehe den Sinn nicht ganz; aber ich weiß, daß Gott diese Worte gesagt hat, welche so viel bedeuten, daß er uns unbeschreiblich lieb hat und gewissermaßen mein Vater ist.«
»Ich weiß wohl,« versetzte ich, »daß das Credo sagt: ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde; aber ich habe niemals gedacht, dies bedeute, daß er unser Vater sei. Ich meinte bloß, es heiße, daß Gott sehr groß und allmächtig sei und wir alle ihm zugehören, und daß wir ihn lieben sollten. Bist du gewiß, Eva, daß es heißt: er liebt uns?«
»Ich glaube es fest, Base Else,« sagte Eva.
»Vielleicht heißt es, daß er dich liebt, Eva,« sagte ich. »Denn du bist ein gutes Kind und du bist wohl auch immer so gewesen; und wir wissen wohl, daß Gott die guten Menschen liebt. In diesem Spruche steht nichts davon, daß Gott auch die Menschen liebt, welche nicht gut sind. Eben weil ich nie sicher bin, das zu thun, was Gott wohlgefällt, fürchte ich mich vor Gott und dem jüngsten Gerichte.«
Eva schwieg einen Augenblick, dann sagte sie:
»Wenn ich nur noch das Ende des Spruches wüßte, Vielleicht würden wir's daraus sehen können.«
»Woher kommt denn dieser Spruch, Eva?« fragte ich. »Vielleicht könnten wir ihn finden. Hat ihn Gott in einem Traume oder einer Erscheinung deinem Vater vom Himmel herab gesagt, wie er mit den Heiligen spricht?«
»Das glaube ich nicht, Base Else,« versetzte sie nachdrücklich, »weil mein Vater sagte, er stehe in einem Buche, und mir den Ort bezeichnete, wo ich ihn nach seinem Tode finden könnte. Allein als ein Priester dasselbe in meinen Händen sah, nahm er es mir weg, indem er sagte, daß es kein gutes Buch für kleine Mädchen sei, und seitdem habe ich es nicht wieder gesehen. Nun habe ich nur noch meinen Spruch, und ich wollte, er könnte dich eben so glücklich machen wie mich, Base Else.«
Ich küßte das liebe Kind und wünschte ihr gute Nacht; aber ich konnte nicht schlafen. Wenn ich nur das Buch hätte! Doch vielleicht ist es gar kein gutes Buch; denn ich habe meine Großmutter sagen hören (obgleich Eva nichts davon weiß), ihr Vater sei ein Hussite gewesen und habe seines falschen Glaubens wegen auf dem Blutgerüste sterben müssen.
Am folgenden Morgen war Eva vor mir munter. Ihre großen schwarzen Augen hatten mich bewacht, und sobald ich erwachte, sagte sie:
»Base Else, ich glaube, in dem andern Teil des Spruches kommt etwas von dem Kruzifix, denn ich denke immer an beide zusammen. Du weißt, der Herr Jesus Christus ist Gottes Sohn, und er starb für uns am Kreuze.«
Dann stand sie auf, kleidete sich an und sagte, sie wolle in die Frühmesse gehen und für mich beten, damit ich bei dem nächsten Gewitter keine Angst mehr habe.
Freilich muß es wahr sei, daß das Kreuz und das Leiden Christi zu unserem Wohle dienen sollten; aber sie können jedenfalls nur für diejenigen zum Segen sein, welche Gott wohlgefallen, und das ist gerade die größte Schwierigkeit, daß man nicht weiß, wie man das anzufangen hat.
Es scheint mir übrigens undenkbar, daß Eva etwas Unrechtes glauben sollte, da sie doch so fromm und gut ist.
Sie beichtet regelmäßig und hört alle Tage die Frühmesse und oft noch eine andere. Auch finde ich sie häufig in unserm Zimmer vor dem Kruzifix und dem Bilde der heiligen Jungfrau mit dem Christuskinde andächtig betend auf den Knieen liegen. Dabei scheint die Frömmigkeit ihr ein wahrer Genuß zu sein, wie es auch von der heiligen Elisabeth erzählt wird.
Ich für meinen Teil habe so viel zu thun mit dem Drucken, dem Haushalte, der Mutter schwacher Gesundheit, dem Säugling und den Knaben, die ihre Kleider so entsetzlich zerreißen, daß ich immer deutlicher einsehe, wie unmöglich es für mich wäre, einer Heiligen ähnlich zu werden; es wäre denn dem heiligen Christophorus, dessen Legende oft ein Trost für mich war, wenn Großmutter sie mir folgendermaßen erzählte:
»Offerus war ein heidnischer Krieger, der im Lande Kanaan lebte. Er war zwölf Ellen hoch. Gehorchen mochte er nicht, sondern nur befehlen; auch kümmerte es ihn wenig, ob er andern etwas zu Leide that; überhaupt führte er ein wildes, wüstes Leben, und alle, die ihm in den Weg kamen, wurden von ihm angefallen und geplündert. Er hatte nur einen Wunsch: dem Mächtigsten seine Dienste zu verkaufen, und da er hörte, daß damals der Kaiser der Oberste in der Christenheit sei, so ging er zu ihm und sagte: »Herr Kaiser, willst du mich haben? Keinem Geringeren will ich mein Herzblut verkaufen.«
Der Kaiser, welcher seine riesige Brust und seine mächtigen Fäuste sah, antwortete: »Wenn du mir immer treu bleiben willst, Offerus, so mag es geschehen.«
Sogleich antwortete der Riese: »Dir immer treu zu bleiben, ist kein leichtes Versprechen; aber so lang ich in deinem Dienste bin, soll keiner aus Osten oder Westen dich belästigen.«
Hierauf zog er mit dem Kaiser, der mit ihm sehr zufrieden war, durch das ganze Land. Im Kampfe sowohl als beim Weinkruge schienen die andern Söldner alle gegen Offerus nur Kinder zu sein.
Der Kaiser aber hatte einen Harfner, der ihm vorsingen mußte, wenn er von dem Marsche müde war. Eines Abends schlugen sie am Saume eines Waldes ihre Zelte auf. Der Kaiser ließ sich das Mahl trefflich schmecken, indeß der Minstrel ein fröhliches Lied sang. Allein als er in diesem Liede von dem Bösen sprach, bekreuzte sich der Kaiser. Da sagte Offerus zu seinem Kameraden: »Was macht denn unser Fürst da für einen Scherz? Was soll dies bedeuten?« »Höre, Offerus,« sagte nun der Kaiser zu ihm, »ich that es des Satans wegen, der oft in diesem Walde sein böses Wesen treiben soll.« Dies schien dem Offerus gar seltsam und er sagte verächtlich zum Kaiser: »Ich habe eine besondere Lust an Ebern und Hirschen; darum laß uns einmal in diesem Walde jagen. Doch der Kaiser antwortete sanft: »Nein, Offerus, hüte dich in diesem Walde zu jagen; denn während du deine Vorratskammern mit Wildpret fülltest, möchtest du an deiner Seele Schaden nehmen.« Offerus aber schnitt ein schiefes Gesicht und sagte spöttisch: »Die Trauben sind sauer; wenn Eure Hoheit sich vor dem Teufel fürchtet, so will ich in dieses Herrn Dienste treten, der mächtiger ist als Ihr.« Darauf forderte er kaltblütig seinen Sold und ohne weiteren Abschied schlenderte er lustig in das Dickicht des Waldes hinein. Auf einer gelichteten Stelle fand er den Altar des Teufels, aus schwarzen Kohlen erbaut, und darauf glänzten im Mondlicht gebleichte Menschen- und Pferdegerippe. Dieser Anblick erschreckte übrigens Offerus nicht im mindesten; er unersuchte ganz ruhig die Schädel und Knochen, dann rief er dreimal dem Teufel mit lauter Stimme, setzte sich nieder, schlief ein und begann alsbald zu schnarchen. Um Mitternacht fing die Erde an zu krachen und auf einem kohlschwarzen Rosse sah er einen pechschwarzen Reiter wütend auf ihn losrennen, der ihn mit gräßlichen Schwüren an sich zu fesseln suchte. Allein Offerus sagte blos: »Wir wollen sehen!« Dann zogen sie durch alle Reiche der Welt, und Offerus fand an ihm einen besseren Herrn als der Kaiser gewesen; denn er brauchte selten ihm die Rüstung zu putzen und hatte reiche Gelage und allerlei Kurzweil. Allein eines Tages sahen sie auf der Landstraße drei Kreuze vor sich stehen. Da bekam der schwarze Prinz plötzlich den Husten und sagte: »Laß uns auf einem Nebenwege hinten herum schleichen.« »Mir däucht,« sagte Offerus, »ihr fürchtet euch vor diesem Galgen.« Bei diesen Worten spannte er seinen Bogen und schoß einen Pfeil nach dem Kreuz in der Mitte. »Wie unmanierlich,« sagte der Satan sanft, »weißt du nicht, daß derjenige, welcher in seiner Knechtsgestalt der Maria Sohn war, jetzt große Macht besitzt?« »Wenn dem so ist,« antwortete Offerus, »so wisse, es bindet mich kein Versprechen an dich und ich will weiter nach dem Mächtigsten zu suchen, um ihm zu dienen.« Da verließ ihn der Teufel unter gräßlichem Hohngelächter und Offerus zog seiner Wege, jeden Reisenden nach dem Mariensohne fragend. Aber ach! Wenige nur trugen ihn im Herzen und keiner konnte dem Riesen sagen, wo der Herr wohne, bis er eines Abends in der Zelle eines frommen Einsiedlers Aufnahme fand, der ihn nach dem Karthäuserkloster wies. Der Prior hörte des Offerus Geschichte und zeigte ihm deutlich den Weg des Heils und sagte ihm, er müsse fasten und beten, wie einst Johannes in der Wüste. Aber der Riese erwiderte: »Heuschrecken und wilder Honig, hochwürdiger Herr, sind meiner Natur ganz zuwider, und ich weiß auch gar keine Gebete. Ueberdies würde ich meine Stärke völlig verlieren, und so will ich lieber gar nicht in den Himmel, als auf diese Weise.«
»Leichtsinniger Mensch,« sagte der Prior, »so versuche ein anderes Mittel. Widme dich von ganzem Herzen irgend einer guten That.«
»Gern, laßt nur hören!« sagte Offerus. »Ich bin stark genug dazu.«
»Sieh hier! Dieser reißende Strom, der weder Furt noch Brücke hat, hindert die Pilgrime auf ihrer Fahrt nach Rom. Trage du auf deinem Rücken die Gläubigen hinüber!«
»Wenn ich dem Heiland damit dienen kann,« versetzte der Riese, »will ich's von Herzen gern thun!«
Nun baute er sich eine Hütte von Binsen, lebte fortan bei den Wasserratten und Bibern am Ufer des Flusses und trug freudig die Pilgrime über das Wasser wie ein Kamel oder ein Elefant. Wenn ihm aber jemand Fährgeld geben wollte, sagte er, es abweisend: »Ich arbeite für meine Seligkeit.«
Aber viele Jahre später, als Offerus schon alt und sein Haar ganz schneeweiß war, hörte er in einer stürmischen Nacht eine leise, klagende Stimme, welche ihm zurief: »Lieber, großer Offerus, bitte, trage mich über den Fluß!« Nun war Offerus gerade sehr müde und schläfrig; allein er gedachte treulich des Herrn Jesu und ergriff mit müden Armen den Fichtenstamm, der ihm bei stürmischem Wogendrange zur Stütze diente, und watete durch das Wasser. Als er auf der andern Seite ankam, sah er keinen Pilger daselbst, dachte, er müsse wohl geträumt haben, und kehrte wieder zurück um sich niederzulegen. Kaum war er jedoch wieder eingeschlafen, als dieselbe sanfte, bittende Stimme sich wieder vernehmen ließ: »Guter, großer Offerus, trage mich hinüber!« Geduldig watete der alte Riese abermals durch den Strom; aber niemand war drüben zu sehen, und so kehrte er wieder zurück und legte sich nieder. Da ertönte, als er eben eingeschlummert war, zum dritten Mal dieselbe leise, rührende Stimme und flehte wie zuvor. Und der alte Riese ergriff aufs neue seinen Stab und watete durch den kalten Fluß. Diesmal fand er am Ufer ein zartes, schönes Knäblein, mit goldenen Locken. In seiner Rechten hielt es eine Fahne mit dem Lamme, in der Linken eine Erdkugel. Es schaute auf den Riesen mit Blicken voll Liebe und Zutrauen, und Offerus hob es mit zwei Fingern in die Höhe, um es auf den Arm zu nehmen. Allein als er in dem Wasser stand, ward das Kind zentnerschwer. Und immer schwerer wurde die Last, bis das Wasser ihm fast bis an das Kinn ging. Große Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn und beinahe hätte ihn der Strom mit dem Kinde fortgerissen. Da kämpfte er sich mutig hindurch und setzte das Kind sanft auf das Ufer, indem er sagte: »Mein kleiner Herr, ich bitte dich, komm diesen Weg nicht mehr zurück, denn kaum bin ich diesmal mit dem Leben davon gekommen.« Aber das schöne Kind taufte den Offerus auf der Stelle und sagte zu ihm: »Wisse, alle deine Sünden sind dir vergeben, und obgleich deine Kniee wankten, fürchte und wundere dich nicht, sondern freue dich; du hast den Heiland der Welt getragen! Zu einem Zeichen pflanze deinen Fichtenstab, der schon so lange erstorben ist, in die Erde, morgen soll er grüne Zweige treiben. Und du selbst sollst hinfort nicht mehr Offerus, sondern Christophorus heißen.« Da faltete Christophorus die Hände, betete und sprach: »Ich fühle, mein Ende ist nahe; meine Glieder zittern, meine Kraft ist gewichen und Gott hat mir alle meine Sünden verziehen.« Hierauf verschwand das Kind in einer lichten Wolke und Christophorus steckte seinen Stab in die Erde. Siehe, am folgenden Morgen trieb er grüne Blätter und rote Blüten wie ein Mandelbaum. Am dritten Tage darauf trugen die Engel Christophorus in den Himmel.
Diese Legende ist mir von allen die liebste, weil sie mir die meiste Hoffnung giebt, doch zuletzt noch den Himmel erlangen zu können.
Wollte Gott, daß einst, nachdem ich mich im Stillen bemüht, andern auf dem Wege nach der himmlischen Stadt fortzuhelfen, wenn die letzte Bürde getragen ist und meine Kräfte schwinden, auch mir das Christuskind erschiene und zu mir sagte: »Kleine Else, du hast das Werk vollbracht, das ich von dir verlangt habe, deine Sünden sind dir vergeben;« und daß dann die Engel kämen und auf ihren Armen mich durch die dunkle Flut trügen, und ich im Paradiese wieder neu erblühte, wie der verdorrte Stab des heiligen Christophorus!
Aber sein ganzes Leben lang am Flusse warten und schwere Bürden tragen, ohne zu wissen, ob man das Rechte thut, das ist zu hart! Wenn man nur während des Kampfes gegen die Flut wüßte, daß man dem Allmächtigen dient und seinen Willen erfüllt; wie wenig würde man alsdann das eiskalte Wasser, die wunden Schultern und die schwankenden, matten Glieder achten!