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XXXVI.
Elsens Geschichte.

Wittenberg, im Mai 1530.

Unter all den glücklichen Familien, welche Gott durch Dr. Luther unserm Deutschland geschenkt hat, ist wohl keine glücklicher als seine eigene.

Die alten Mauern des Augustinerklosters hallen wieder von dem Getrappel und den hellen Stimmen kleiner Kinder, und jede Nacht halten die Engel Wache über dem Heiligtums seines Hauses. Die Geburtstage der Kinder unseres Dr. Luther sind Festtage für uns alle; besonders war dies bei dem Geburtstage des kleinen Hans, seines Erstgebornen, der Fall.

Aber auch diese glückliche Ehe hat der Tod nicht verschont. Ihr zweites Kind, Elisabeth, wurde den Eltern früh wieder genommen. Dr. Luther trauerte schmerzlich um sie. Kurze Zeit nach ihrem Tode schrieb er an seinen Freund Hausmann:

»Gnade und Friede zuvor! Mein Hänschen läßt Dir, bester Nicolaus, herzlich danken für die Rassel, die seine Freude und sein Stolz ist.

»Ich habe angefangen, etwas über den Türkenkrieg zu schreiben, was hoffentlich nicht vergeblich sein wird.

»Mein Töchterlein, meine geliebte kleine Elisabeth, ist gestorben, Es ist seltsam, wie mein Herz dadurch verwundet ist; fast ist es so zärtlich, wie das eines Weibes, so sehr schmerzt mich die Kleine. Ich hätte vorher nie geglaubt, wie zärtlich ein Vater seine Kinder liebt. Bitte Gott für mich, in ihm gehab dich wohl.«

Katharina von Bora wird von allen geliebt und geehrt. Freilich tadeln sie einige wegen ihrer zu großen Sparsamkeit, aber was würde aus Dr. Luther und seiner Familie werden, wenn sie ebenso verschwenderisch im Geben wäre, wie er? Es geht die Kunde, er habe ihre Krankheit benützt, um einem dürftigen Studenten von seinem Silberzeug zu schenken. Er will nie einen Kreuzer von den Studenten annehmen, die er unterrichtet; und er weigert sich, seine Schriften zu verkaufen, was Gottfried und mich ärgert, so edel es von ihm ist, weil das viele Geld, das sie einbringen, von Dr. Luther weit besser verwendet würde, als von den Buchdruckern, die es nun bekommen. Wir sind der festen Ueberzeugung, daß ohne Frau Luthers Sparsamkeit der ganze Haushalt schon längst am Bettelstab wäre. Und Dr. Luther, der sich nicht scheut, bei dem Kurfürsten oder andern reichen Leuten für die Notstände anderer (wiewohl nie für seine eigenen) zu bitten, weiß wohl, wie unsicher ein solcher Lebensunterhalt ist.

Doch gelingt es seiner Gattin nicht immer, seiner Neigung, alles wegzuschenken, Einhalt zu thun. Vor nicht langer Zeit gab er trotz ihrer mißbilligenden Blicke und Winke einem Studenten, der ihn um Geld zur Rückreise in seine Heimat angesprochen, einen silbernen Becher, den er zum Andenken erhalten hatte, indem er sagte, er brauche nicht aus Silber zu trinken.

Wir alle betrachten die zärtliche Sorgfalt, mit welcher sie über seine Gesundheit wacht, als ein Segen für das ganze Land. Er hat nie seine ganze, durch jene Jahre innern Kampfes und strenger Bußübungen im Kloster zu Erfurt geschwächte Kraft wieder erlangt. Und auch jetzt fühlte er sich oft äußerst angegriffen. Alle Mönche und Nonnen, die um des Gewissens willen auf ihren Unterhalt im Kloster verzichten, alle Gemeinden, die einen evangelischen Pastor wünschen, Leute aller Stände, die in Leibes- oder Seelennot sind, wenden sich an Dr. Luther und bitten ihn, als das liebevollste Herz und den klügsten Kopf im Lande, um Rat und Hülfe. Seine Korrespondenz ist unausgesetzt und bezieht sich auf die verschiedensten Angelegenheiten, von den Ratschlägen, die er evangelischen Fürsten erteilt, wie sie es am besten anfangen können, ihre Staaten zu reformieren, bis zu der Anleitung für eine arme Frau, in Christo Trost und Frieden für ihr Gewissen zu finden. Und bei diesen zahllosen Bitten um Rat hat sein offenes Herz immer noch Muße, auf den Ruf jedes Verfolgten in der Nähe und Ferne, auf den Jammer der Trauernden und Bekümmerten zu hören.

Und wo anders ist denn der Quell einer solchen Thätigkeit zu finden, als in der Bibel, von welcher er selbst sagt: »Es stehen wenige Bäume in diesem Garten, deren Früchte ich nicht geschüttelt hätte;« und im Gebet, von dem er, der beschäftigte Mann in der Christenheit (als ob er nichts wäre, als ein sich blos frommen Betrachtungen widmender Einsiedler), sagt: »Das Gebet ist des Christen Handwerk.«

Ja, die Zeit, die er dem Gebet widmet, verschafft ihm wiederum Zeit für alles andere. Ja, eben diese dem Worte Gottes gewidmeten Stunden machen, daß all seine Predigten, Briefe und Unterricht jeglicher Art lauter einfache Herzensergießungen sind.

Aber ein solches Leben ist zu aufreibend. Mehr als ein Mal in den vier Jahren ihrer Ehe hat Frau Luther in großer Angst um ihn geschwebt.

Das eine Mal, Anno 1527, als Hänschen noch ein Säugling war und Luther glaubte, daß er sie bald mit dem Kleinen als Witwe zurücklassen müsse, sagte er traurig, daß er ihr nichts zu hinterlassen habe, als die silbernen Kannen, die man ihm zum Geschenk gemacht hätte. –

Doch sie versetzte: »Lieber Doktor! wenn es Gottes Wille ist, so will ich auch damit zufrieden sein, daß du bei Ihm, anstatt bei mir bist. Du thust mir und meinen Kindern noch weniger Not, als der Menge frommer Christen. Sorge nicht um uns.«

Wie viel er auf ihren hoffnungsvollen Mut und ihre zärtliche Sorge hält, zeigte er als er sagte:

»Ich bin viel zu sehr geneigt, mich mehr auf meine Käthe und auf Melanchthon zu verlassen, als auf meinen Herrn Jesum. Und ich weiß doch, daß weder sie noch irgend jemand auf Erden gelitten hat oder leiden kann, was Er für mich gelitten hat.«

Allein noch schwerere Prüfungen als die unausgesetzte Arbeit, die seinen Körper ermattet, lasten auf seiner Seele. Das Herz, das jeden Beweis der Liebe, jede Freude so lebhaft fühlt, empfindet natürlich um so schmerzlicher jede Ungerechtigkeit, jede getäuschte Hoffnung. Wie sollte es ihn daher nicht betrüben, wenn er zu Zeiten nicht reisen kann, ohne die Rache der Adeligen, deren Verwandte er aus den Klöstern befreit hat, fürchten zu müssen, und wenn er zu andern Zeiten sich eben so sehr von dem Hasse der Bauern bedroht sieht, deren Sache er bei Fürsten und Adeligen so eifrig verteidigt, obgleich er ihren tollen Aufruhr offen und kühn mißbilligt hat.

Allein das Schmerzlichste von allem sind ihm die Uneinigkeiten unter den evangelischen Christen.

Jede Wahrheit, die er glaubt, durchdringt seinen Geist mit solch überwältigender Gewißheit, daß es ihm an andern als unbegreiflicher Eigensinn erscheint, sie nicht zu sehen. Er hält an jeder Ueberzeugung mit einer Beharrlichkeit fest, die bereit ist, dafür zu sterben; nicht mit der Beharrlichkeit eines Eigentümers, sondern vielmehr mit der eines Soldaten, dem ihre Verteidigung anvertraut ist. Er würde sicherlich keinen seines falschen Glaubens wegen töten oder in's Gefängnis werfen lassen. Aber denen die Bruderhand zu bieten, welche irgend eine der von Gott ihm anvertrauten Wahrheiten läugnen –dazu kann er sich nicht entschließen. Darf man einige friedliche Tage um den Preis ewiger Wahrheit erkaufen?

Und so entstand die Spaltung zwischen uns und den Schweizern.

Mein Gretchen brachte mich neulich in nicht geringe Verwirrung, als wir aus der Stadtkirche kamen, wo Dr. Luther gegen die Wiedertäufer und Schweizer, die er durchaus in eine Kategorie bringen will, gepredigt hatte, indem sie sagte:

»Mutter, ist nicht Onkel Winkelried ein Schweizer und ein frommer Mann?«

»Ganz gewiß ist Onkel Konrad ein frommer Mann, Gretchen,« erwiderte ihr Bruder Fritz, der erst kürzlich von einem Besuche bei Konrad und Atlantis zurückgekehrt war. »Wie kannst du nur so fragen?«

»Aber er ist ein Schweizer, und Dr. Luther sagte, wir sollten uns hüten, zu sein wie die Schweizer, welche gottlose Dinge über die heiligen Sakramente sagen.«

»Ich weiß gewiß, daß Onkel Konrad nichts Gottloses redet,« entgegnete Fritz heftig. »Ich glaube, daß er einer der besten Menschen ist, die ich kenne. Mutter,« fuhr er fort, »warum spricht Dr. Luther so von den Schweizern?«

»Siehst du, Fritz,« sagte ich, »Dr. Luther hat nicht, wie du, sechs Monate unter den Schweizern zugebracht und darum auch nicht gesehen, wie gut sie zu Hause sind.«

»Nun dann,« versetzte Fritz dreist, »wenn Dr. Luther sie nicht gesehen hat, sollte er auch nicht so über sie urteilen.«

Jetzt sah ich mich genötigt, meine mütterliche Autorität zu Hülfe zu nehmen und den Streit zu beendigen. Ich erinnerte Fritz, daß er noch ein kleiner Junge sei und sich nicht anmaßen dürfe, fromme und berühmte Männer wie Luther zu beurteilen. Allein im Stillen mußte ich fast dem Kinde recht geben. Ich konnte ihm nicht begreiflich machen, wie mühsam und allmählig Dr. Luther die Freiheit, worin wir uns so glücklich fühlen, erkämpft hat; wie er die Lehren Zwinglis verabscheut, nicht sowohl um ihrer selbst-, als um der Folgerungen willen, die man daraus ziehen kann. Wie wird man unsern Kindern, welche das so teuer errungene Friedenserbteil antreten, die rauhe, kriegerische Heftigkeit des kampfbereiten Geschlechts verständlich machen können, welches dieses kostbare Erbe für sie erfochten hat?

»Es ist keine Kleinigkeit,« sagte Dr. Luther, »die ganze Religion und Glaubenslehre des Papsttums zu ändern. Wie schwer es mir gefallen ist. wird man an jenem Tage sehen. Jetzt glaubt es niemand.«

Gott erwählte den David, um die Kriege Israels zu führen, und den Salomo, um den Tempel zu bauen. Dr. Luther mußte beides thun. Kein Wunder, daß man in dem Friedenswerke oft die Hand des Kriegers erkennen kann.

Doch was brauche ich mir darüber Sorgen zu machen? Bald, nur zu bald wird der Tod hereinbrechen, die Tugenden unseres Geschlechts dem nachfolgenden in einem geheiligten Lichte erscheinen lassen und einen mildernden Schleier über unsere Versehen werfen.

Wie kostbar sind nicht eben jetzt, da Dr. Luther ferne von uns im Schlosse zu Koburg ist, seine Briefe für uns, und wie wichtig das Wort, das er uns letzten Sonntag verkündigte, zumal da wir ihn morgen nicht hören werden.

Er hält sich im Schlosse zu Koburg auf, um dem Reichstage, der zu Augsburg versammelt ist, näher zu sein und Dr. Melanchthon dort mit seinem Rate zu unterstützen. Der Kurfürst wollte unserm Luther mit seinem mutigen Herzen und aufrichtigen Charakter nicht erlauben, sich unter die listigen Diplomaten dort zu wagen.

Frau Doktorin Luther läßt ihre kleine Magdalena malen, welche jetzt ein Jahr alt und des Doktors Liebling ist, um sie ihm in die Festung zu senden.

 

Juni 1530.

Es sind Nachrichten von Dr. Luther angekommen. Sein Vater ist gestorben –dieser wackere, beharrliche, aufopfernde, wahrheitsliebende Mann, von dessen Charakter sein Sohn so viel geerbt hat. »Es ist wohl billig, um einen solchen Vater zu trauern,« schreibt Luther, »der im Schweiße seines Angesichts mich ernährt und erzogen und zu dem gemacht hat, was ich bin.« Er war sehr betrübt, besonders weil er nicht bis zum letzten Augenblick bei seinem Vater hatte bleiben können: jedoch dankt er Gott, daß der Verstorbene das neue Licht noch gesehen hat und im lebendigen Glauben an Christum dahingegangen ist. Dr. Luthers Schreiber aber meldet, daß das Bild der kleinen Magdalena ihm ein rechter Trost sei. Er hat es gerade dem Platze gegenüber aufgehängt, wo er bei den Mahlzeiten zu sitzen pflegt.

Nunmehr ist Dr. Luther der Stammhalter seiner Familie. Er ist jetzt in der vordersten Reihe der Geschlechter, die langsam dem Tode entgegengehen.

Heute saß ich mit Frau Doktorin Luther in dem Garten hinter der Augustei, unter dem Schatten des Birnbaumes, wo sie neben ihrem Gatten zu sitzen pflegt. Die Kinder spielten um uns her, ihr Hänschen mit meinem Knaben, indes Magdalenchen auf dem Grase zu unsern Füßen saß und girrend wie eine Taube Blumen zerpflückte.

Frau Katharina erzählte mir viel von ihrem Gatten; wie zärtlich er die Kleinen liebe, und wie er aus ihren kindischen Spielen Lehren himmlischer Liebe und Weisheit ziehe.

Er sagt oft, daß Kinder das herrlichste Werk Gottes seien, und die lieben Engel ganz besonders über ihnen wachen. Er ist sehr zärtlich gegen sie und sagt zuweilen, sie seien bessere Theologen als er, weil sie Gott vertrauen. Herrlichere Gebete und erhabenere Theologie hofft er nie zu erreichen, als das erste, was die Kleinen lernen: das Gebet des Herrn und den. Katechismus. Oft, erzählte sie, sagt er bei sich selbst den Katechismus her, um sich an alle Schätze des Glaubens zu erinnern, die wir besitzen.

Besonders lieblich soll es sein, zu hören, wie er von Vögeln, Blättern, Blumen, von den gewöhnlichsten Gaben oder Begebenheiten des Lebens himmlische Lehren zu ziehen weiß. Bei Tische kann oft ein Teller voll Früchte ihm Veranlassung geben, von Gottes Güte zu reden. Oder, wenn er eine Rose gepflückt hat, sagt er wohl: »Ein Mensch, der eine solche Rose verfertigen könnte, würde von jedermann bewundert werden, und Gott streut tausende solcher Blumen um uns, her! Aber gerade die unendliche Menge seiner Gaben macht uns blind gegen dieselben.«

Eines Abends sprach er von einem Vögelchen, das noch sein Abendlied sang, ehe es sich zur Ruhe begab. »Ach, du liebes Vögelchen! Du hast dir eine Zufluchtsstätte für die Nacht gewählt und wiegst dich nun ruhig in Schlaf; unbekümmert, wo du morgen wohnen sollst, hältst du dich auf deinem Zweiglein fest und läß'st den lieben Gott für dich sorgen.«

Im Frühling machte er sie auf die zarten, grünen Spitzen und Knospen aufmerksam, die aus der braunen Erde oder den kahlen Aesten hervorbrechen. »Wer noch nie Zeuge des Frühlings gewesen wäre, hätte gewiß vor zwei Monaten nicht geahnt, welche Lebenskraft in jenen leblosen Zweigen verborgen, lag. So wird es mit uns bei der Auferstehung sein. Gott schreibt sein Evangelium nicht blos in die Bibel, sondern auch in Bäume, Blumen, Wolken und Sterne.« Und so ist der kleine Garten durch seine Gegenwart und seine Reden für Frau Luther zu einem Evangelium und Psalter in Bildern geworden.

Ich that verschiedene Fragen an sie; unter andern, ob sie von ihm gehört habe, daß man sich geschriebener Gebete bedienen soll. Hierauf antwortete sie mir, sie habe ihn einmal sagen hören, man könne solche Gebetsformen gebrauchen, bis der Seele die Schwingen gewachsen seien und sie sich frei in die reine Luft der Gegenwart Gottes emporzuschwingen vermöge. Aber seine Gebete, sagt sie, seien zuweilen gleich dem zutraulichen Bitten seines kleinen Sohnes, zuweilen wie das Ringen eines Riesen im Todeskampfe.

Sie sagt auch, sie danke Gott oft für ihres Gatten Liebe zur Musik. Wenn er geistlich und gemütlich aufs äußerste erschöpft ist, wirkt die Musik wie ein erfrischendes Bad stärkend und erholend auf seinen Geist.

Ich habe ihn auch wohl selbst davon reden hören bei den wöchentlichen Zusammenkünften in seinem Hause, wo mehrstimmig gesungen wird. »Der Teufel,« sagt er, »dieser abgefallene Geist, kann heilige Loblieder, nicht ertragen. Unsere Leidenschaften und unsere Ungeduld, unser Klagen und Weinen, unser Ach und Weh gefallen ihm ungemein; aber unsere Lieder und Psalmen ärgern und verdrießen ihn außerordentlich.«

Frau Luther sagte mir, daß ihr des Doktors Gesundheit manche Unruhe mache. Er ist so überhäuft mit Arbeit und Sorgen, und er hat nie wieder die Kraft gewonnen, welche ihm seine Fasten und Kasteiungen geschwächt haben.

Bei Tische ist er sehr mäßig. Seine Lieblingsgerichte sind Erbsensuppe und Häringe. Wenn er gerade in eine besonders wichtige Arbeit vertieft ist, würde er Essen und Trinken vergessen, wenn sie ihn nicht daran mahnte. Als er seine Auslegung des zweiundzwanzigsten Psalms schrieb, schloß er sich drei Tage mit Salz und Brod ein, bis sie endlich einen Schlosser holen und die Thüre aufbrechen ließ, wo man ihn in tiefes Nachdenken versunken fand.

Und doch kann er bei all seinen tiefen Gedanken und wichtigen Sorgen, wie die eines Königs oder Erzbischofs, an den Spielen seiner Kinder teilnehmen, als wenn er selbst ein Kind wäre; nie versäumt er es, wenn er auf einen Jahrmarkt kommt, seinen Kindern ein Geschenk mitzubringen.

Sie zeigte mir einen Brief an seinen Sohn Hänschen, den sie eben erhalten hatte. Ich erhielt die Erlaubnis, denselben abzuschreiben. Er lautete also:

»Meinem herzlich geliebten Söhnlein Gnade und Frieden in Jesu Christo. Ich höre mit Freuden, daß du fleißig lernst und betest. Fahre so fort, mein lieber Sohn. Wenn ich nach Hause komme, will ich dir auch etwas Schönes mitbringen. Ich weiß einen wunderschönen Garten, in dem viele Kinder sind. Sie haben goldene Röcklein an und lesen köstliche Aepfel, Birnen, Kirschen und Pflaumen unter den Bäumen auf. Sie tanzen und sind guter Dinge; auch haben sie niedliche Pferdchen mit goldenen Zügeln und silbernen Sätteln. Da fragte ich den Mann, welchem der Garten gehört, was dies für Kinder seien. Er antwortete: »Es sind Kinder, welche gerne beten und lernen und recht fromm sind.« Dann sagte ich: »Lieber Mann, ich habe auch einen kleinen Sohn, der heißt Hänschen Luther. Darf er nicht auch in diesen Garten kommen und von den Aepfeln und Birnen essen, auf einem der schönen Pferdchen reiten und mit diesen Kindern spielen?« Da sagte der Mann: »Wenn er gerne betet und lernt und fromm ist, so darf er wohl kommen, ebenso Lippus und Jost (Melanchthons und Justus Jonas kleine Söhnchen), und wenn sie hier beisammen sind, so sollen sie Pfeifen, Trommeln, Lauten und allerlei Musik haben; da dürfen sie tanzen und mit kleinen Bogen und Pfeilen schießen.«

»Auch zeigte er mir in dem Garten einen schönen Rasen, der zum Tanzen eingerichtet war. Da sah ich Pfeifen von purem Golde, Trommeln und silberne Bogen und Pfeile. Es war aber noch früh am Tage und die Kinder hatten noch nicht gefrühstückt, weshalb ich nicht auf das Tanzen warten konnte, sondern zu dem Manne sagte: »Ach, lieber Herr! Ich will schnell fortgehen und dies alles meinem Sohne Hänschen schreiben, daß er ja recht beten und lernen und fromm sein soll, damit er auch in diesen Garten kommen dürfe. Er hat aber eine sehr liebe Tante, Lena, die muß er auch mitbringen.« Darauf sagte der Mann: »Das mag wohl sein; geht und schreibt ihm dies.«

»Deshalb, mein lieber Sohn Hänschen, lerne fleißig und bete von ganzem Herzen, und sage Lippus und Justus, daß sie lernen und beten sollen.. Dann werdet ihr alle mit einander in diesen Garten kommen. Hiemit befehle ich Dich dem allmächtigen Gott; grüße Tante Lena und gib ihr einen Kuß von mir. Dein liebender Vater

Martin Luther

Manche, die diesen Brief gelesen haben, sagen, er sei zu kindisch über solch wichtigen Gegenstand. Aber der Himmel ist ja kein düsterer, trauriger, sondern ein höchst heiterer und fröhlicher Ort, und Dr. Luther sagt nur dem Kinde in seiner kindischen Sprache, wie herrlich es dort sei. Macht es nicht unser himmlischer Vater ebenso mit uns?

Ich hätte Dr. Luther sehen mögen, wie er die wichtigen Briefe an Fürsten und Doktoren über die Augsburger Konfession bei Seite schob, um diese liebevollen Worte an sein Hänschen zu schreiben. Kein Wunder, daß Katharina Lutherin, Frau Doktorin Luther » mea Dominus Ketha, mein Herr Käthe,« wie er sie nennt, eine glückliche Frau ist. Es ist ein großes Glück, daß der Katechismus, aus dem unsere Kinder die ersten Elemente der göttlichen Wahrheit lernen, aus dem väterlichen Herzen Luthers geflossen ist und nicht auf einem Reichstag oder einer großen Kirchenversammlung zusammengesetzt wurde.

Ich habe noch einen Brief abgeschrieben, weil er meinen Kindern so sehr gefallen hat. Dr. Luther hat stets große Freude an dem Gesang der Vögel. Dieser Brief war den 28. April geschrieben und an die Freunde gerichtet, die sich oft an seinem Tische versammeln.

»Gnade und Frieden in Jesu Christo, meine lieben Herren und Freunde. Ich habe alle Eure Briefe erhalten und weiß nun, wie es bei Euch steht. Damit Ihr auch wisset, wie es hier zugeht, so muß ich Euch sagen, daß Meister Veit, Lyrianus und ich nicht auf den Reichstag zu Augsburg gehen. Wir haben aber gleichwohl unsern eigenen Reichstag hier.

»Gerade unter unserm Fenster ist ein Gebüsch wie ein kleiner Wald; dort haben die Dohlen und Krähen einen Reichstag zusammenberufen, und es ist ein Hin- und Herreiten, ein unaufhörlicher Lärm Tag und Nacht, als ob sie alle lustig und betrunken wären. Junge und Alte schwatzen zusammen, daß es mich wundert, wie ihnen der Atem nicht ausgeht. Ich möchte wissen, ob Ihr auch einige von diesen Rittern und Adeligen in Eurer Nähe habt; denn es scheint mir, sie müssen sich aus allen Teilen der Welt hier zusammengefunden haben.

»Ihren Kaiser habe ich noch nicht gesehen; aber die Großen stolzieren und traben uns immer vor den Augen herum, doch nicht in kostbaren Kleidern, sondern alle tragen dieselbe schwarze Uniform, haben graue Augen und singen dieselbe Melodie, nur mit der drolligen Abwechslung zwischen Jungen und Alten, Großen und Kleinen. Es ist ihnen nicht um einen großen Palast und Versammlungssaal zu thun; die Decke ihres Saales ist das herrliche blaue Himmelsgewölbe: ihr Fußboden ist das mit hellen, grünen Zweigen bestreute Feld, und die Wände reichen bis ans Ende der Welt. Sie brauchen auch weder Rosse noch Rüstung: denn sie haben befiederte Räder, mit welchen sie der Gefahr entfliehen. Ohne Zweifel sind es gar vornehme und mächtige Herren, worüber sie aber beraten, weiß ich noch nicht.

»Soviel ich jedoch durch einen Dolmetscher erfahren habe, beabsichtigen sie einen mächtigen Ueberfall und Kriegszug gegen den Weizen, die Gerste, den Hafer und alle Arten von Korn, und sicherlich wird mancher Ritter in diesem Kriege seine Sporen verdienen und manche tapfere Heldenthat vollbracht werden.

»So sitzen wir hier auf unserm Reichstage und hören mit großer Freude, wie die Fürsten und Großen mit allen Staaten des Reiches singen und wohl leben. Aber unser größtes Vergnügen ist es, sie so ritterlich sich paaren, ihre Schnäbel wetzen und ihre Rüstung putzen zu sehen, um Ruhm und Sieg über Weizen und Hafer zu gewinnen. Wir wünschen ihnen Glück und Segen, und daß sie alle auf einmal in einer lebendigen Hecke gefangen würden!

»Denn ich halte sie für nichts besser als die Sophisten und Papisten mit ihrem Predigen und Schreiben, und ich möchte diese auch vor mir haben in unserer Versammlung, daß ich ihre lieblichen Stimmen und Predigten hören könnte und sehen, was für nützliche Leute sie sind, alles zu verzehren, was auf Erden ist und hernach zu schwatzen, wer weiß wie lange.

»Heute haben wir die erste Nachtigall gehört, denn sie mochte dem April nicht trauen. Wir haben herrliches Wetter hier gehabt, keinen Regen, ausgenommen gestern ein klein wenig. Hiemit Gott befohlen! Haltet wohl Haus. Geschrieben auf dem Reichstage der Korntürken den 28. April Anno 1530.

Martinus Luther

Allein so friedlich und ruhig er scheint, sagt doch Gottfried, er trage ganz Deutschland auf seinem gläubigen Herzen.

Die römischen Diplomaten hätten schon oft Melanchthon beinahe überredet um des lieben Friedens willen in allem nachzugeben; ohne die festen, gläubigen Worte, die aus »der Wüste« erschallen, wie Luther die Koburger Festung nennt, glaubt Gottfried, wäre alles schief gegangen. Mehr als einmal, sah Luther sich genötigt, streng und ernst an »Philipp Kleinmut« zu schreiben und ihn zu beschwören, doch wenigstens die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben nicht aufzugeben und nicht alles der Entscheidung der Bischöfe zu überlassen.

Der Glaube ist's, welcher Luther solche Klarheit des Geistes verleiht. »Es ist Gottes Wort und Sache,« schreibt er, »darum wird unser Gebet gewiß erhört und Gott hat es schon beschlossen und die Hülfe bereit, die Er uns senden will. Es kann gar nicht fehlen. Denn Er sagt: Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie sich nicht erbarmte über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselben vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen. Siehe! in die Hände habe ich dich gezeichnet. Ich habe jüngst zwei Wunder gesehen,« fährt er fort; »das erste, als ich zum Fenster hinaus sah und die Sterne am Himmel betrachtete, und das ganze herrliche, gewölbte Dach Gottes, und doch erblickte ich keine Pfeiler, auf welche der Baumeister das Gewölbe gestützt hatte. Allein der Himmel fiel dennoch nicht ein, und der ganze unermeßliche Bogen blieb fest stehen. Es gibt aber Leute, die solche Pfeiler suchen und zu umfassen verlangen: und weil sie dies nicht können, so sind sie bange und zittern vor Angst, der Himmel möchte einfallen, aus keinem andern Grunde, als weil sie seine Pfeiler nicht fühlen und umfangen können. Wenn sie diese festhalten könnten, dann, denken sie, würde der Himmel wohl stehen bleiben!«

Das zweite Wunder war dieses: »Ich sah schwere Wolken über uns wegrollen, mit solch ungeheurer Macht, daß sie einem großen Meere zu vergleichen waren, und doch sah ich nicht, worauf sie ruhten oder gegründet waren; auch bemerkte ich kein Ufer, das sie eingeschlossen hätte. Allein sie fielen nicht herunter, sondern schauten blos finster und drohend auf uns herab und flohen hinweg. Als sie vorübergezogen waren, da erschien auf einmal ihre Grundlage und unser Dach, welches sie getragen hatte –der Regenbogen! Das war aber freilich ein dünnes, schwaches Dach, ein leichter Grund, der bald in den Wolken zerfloß, mehr ein lustiges Prisma, wie wir es durch buntes Glas schauen, als ein fester, starker Grund, so daß wir wohl dem schwachen Damme mißtrauen könnten, der eine so ungeheure Wassermasse zurückhielt. Jedoch wir fanden, daß dieses leere Prisma in der That die Wassermasse tragen und uns beschützen konnte. Gleichwohl gibt es Leute, die weit mehr auf die Schwere der Wolken und die mächtige Wassermasse schauen, als auf diesen dünnen, leichten, schmalen Bogen der Verheißung. Sie möchten die Stärke dieses nebelhaften, schwindenden Bogens prüfen; und weil sie dies nicht können, so fürchten sie beständig, die Wolken möchten eine neue Sündflut herbeiführen.«

Himmlischer Vater! Da ein Mann, der auf Dein Wort traut, eine ganze Nation aufrecht halten kann, was vermöchte nicht Dein Wort für ein jedes unter uns, wenn ein jedes von uns Deinem Worte und Dir, der Du es gesprochen hast, so vertrauen wollte!


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