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Die schiefe Ebene

Formel

Ein total unbenutzbares Publikum,« pflegte Niki jeden Abend zu sagen, und seine Blicke fegten ärgerlich den Saal.

Da war unser Nachbartisch: eine ungarische Familie; die Frau, drei halbwüchsige Jungen, ein Pinscher und ein Ehemann – Pferdehändler, Theaterdirektor oder sowas.

Da waren die Leute aus Meran; er und sie stumm und dumm.

Die Berliner hatten eine nette Tochter. »Aber,« sagte Niki, »ich bin nicht hergekommen, fremder Leute Kinder sexuell aufzuklären. Eh' der Balg begreift, ist der Winter um.«

Kurz: langweilige Bande. Wir dachten schon ans Kofferpacken.

Mit einemmal wurde alles anders. Eines Morgens, wir hatten eben gefrühstückt und standen in der Halle und wollten rodeln gehen – da sehe ich im Vorgarten ein fremdes Paar. Madame war schlank und melodiös, in Distinktion getaucht; die Schultern ein wenig zu beweglich.

»Trotzdem eine Weltdame vom Scheitel bis zur Sohle.«

»Glaubst du, Niki?«

»Das sieht man auf den ersten Blick.«

Niki schob seine Kappe auf Courage, und wir folgten dem Paar nach hinten in den Park. Vor dem verschneiten steinernen Herkules blieb Madame stehen und debattierte mit ihrem Mann – wahrscheinlich über Herkules: denn der Fremdling stellte sich in Positur und blähte seinen Pelz auf. Sie lachte herzlich und sah, wie von ungefähr, zu uns herüber.

Die beiden schritten weiter – wir ihnen nach – und Madame blinzelte sooft zurück, daß ich besorgt wurde.

»Niki, paß auf, der Herkules haut dir dieser Tage eine herunter.«

Ich hatte es noch nicht gesagt, da wandte sich Madame schon wieder um. Herkules folgte ihrem Blick. Er hatte einen Kneifer auf und Parkettbürsten an den Backen; redete auf Madame ein – offenbar von uns – schien aber ansonsten nicht übel gelaunt.

Als sie im Parktor standen und Madame wiederum nach uns blickte, stiegen mir neue Bedenken auf. Niki schien sie zu teilen.

»Denn,« sagte er, »wenn sie wirklich eine Dame wär, müßt sie wissen, daß sie so viel Acquit nicht zu geben braucht. Es kann sich nur mehr darum handeln, wo das Hühnchen wohnt.«

Sie wohnte sehr anständig, vorn hinaus, Nr. 7, im ersten Stock. Es ist das Zimmer mit den Himmelbetten und goldnen Engeln darüber.

Niki holte Rodel und Fäustlinge und schritt nach der krausten Linde. Er kalkulierte: »Früher oder später kommt das Hühnchen auch hin. Rodelt sie – gut. Rodelt sie nicht, wird sie Lust äußern, es zu lernen. Das Weitere findet sich.«

Wir warteten und warteten – sie kam nicht. Als wir, halb erfroren, einrückten, saß sie mit Herkules im Lesezimmer. Herkules zückte immerfort die Uhr, knurrte und schüttelte die Mähne – er paßte offenbar auf die Freßglocke.

Das Diner über lachte Madame uns immerzu an. Ich behauptete: mich. Niki behauptete: ihn. Niki meinte, wir müßten jetzt aus Repräsentationsgründen Sekt trinken. Sekt bei Tage macht sich sehr gut.

Der Kellner fragte: »'tschujding, Herr Baron – auf welche Rechnung darf ich es notieren?« Und guckte uns beide an.

Niki fixierte ihn. »Entweder Sie sind Demagog, oder Sie sind Kellner. Ich ziehe lautlose Bedienung vor.«

Der Kellner entmaterialisierte sich. Niki aber war ungehalten und verdächtigte mich, ich hätte meine Wochenrechnung bezahlt, um Eindruck beim Hotelpersonal zu schinden. »Traurige Freundschaft,« sagte er, »die Raum für so kleinlichen Ehrgeiz läßt.«

Wie unbegründet der Vorwurf war, erwies sich sofort: als wir auf unsre Bude kamen, lagen Duplikate unsrer Wochenrechnungen auf dem Tisch, das Wort ›Duplikat‹ war zweimal unterstrichen.

»Niki, die Leute gehen scharf ins Zeug.«

»Sei unbesorgt. Mein Schwager ist ein wenig langsam im Geldanweisen. Aber endlich schickt er doch.«

»Wenn er aber nicht schickt …?«

»Wenn –! Wenn –! Damit jagt man keinen Hund vom Ofen. Er wird schicken.«

Drei Tage verrannen: Frühstück – Rodeln – Diner – Rodeln – Schlafen. Und Warten, Warten. – Nichts. Das Hühnchen lachte uns an – Herkules ging ihr nicht von der Seite. Und kein Lebenszeichen von Nikis Schwager.

Zu solchen Zeiten wird Niki Philosoph. Als wir zu Bett gingen, redete er dummes Zeug. »Glück in der Liebe,« sprach er, »ist eine Funktion des Besitzes. Geld ist ein Aphrodisiacum. Nicht nur, daß Geldbesitz beim Mann die Weiber wahnsinnig aufregt – grad wie eine Tenorstimme, Kraft, Uniform, Titel – sondern Liebe braucht auch Gelegenheit – und um der Liebe eine Gelegenheit zu schaffen, braucht man Geld. Ohne Kapital kann man das Geschäft nicht betreiben.«

»Wozu sagst du mir das, Niki?«

»Weil du kein Gesicht machen sollst wie sieben Meilen Karrenweg. Ich weiß schon, dich reun die paar Moneten, die wir hier verbrauchen. Du weißt, was wir wollen. Und so was kann man nicht übers Knie brechen.«

»Schön, Niki. Woher aber Geld nehmen? Wir haben zusammen … viel ists jedenfalls nicht. Die Hotelschuld …«

»Bitte, diesmal ist das meine Sache – so haben wirs vereinbart, und dabei bleibts.«

Es blieb dabei. Doch der Schwager rührte sich nicht. Das Hühnchen kam nicht rodeln. Herkules machte runde Augen, wenn wir uns nur blicken ließen.

Der Mißerfolg auf allen Linien machte Niki gereizt. Er brummte. Nach dem Abendessen setzte er sich hin und schrieb. Ich dachte mir: an den Schwager.

Dann rief er das Stubenmädchen.

»Fräulein, da haben Sie einen Brief. Wissen Sie – die türkisblaue Dame? Auf Nummer Sieben? Verstehen Sie? Aber aufpassen, wenn sie allein ist! Ja nur, wenn sie allein ist. Ich gebe Ihnen ein hochgräfliches Trinkgeld – nachher.«

»Niki, was hast du getan?«

»Ihr geschrieben. Wenn du einen so ekligen Schnabel ziehst …? Da kann man ja nicht systematisch vorgehen. Uebrigens: wer weiß? Vielleicht ist es besser so. Werden ja sehen, was das Stubenmädel für eine Antwort bringt.«

Da öffnet sich die Tür, und herein …

 … herein tritt Herkules.

Er setzt sich in den Klubsessel an der Tür – um uns den Rückzug abzuschneiden?

Grinst uns an, schlägt ein Bein übers andre und werdet sich an unsrer … an unsrer …

Niki versuchte, an die Fensterscheibe zu trommeln, doch ihm zitterten die Finger. Ich wollte pfeifen – die Zähne klapperten mir.

Da zog Herkules in aller Gemütlichkeit einen Brief aus der Tasche – Nikis Brief. Und quarrte:

»Meine Herren, Ihr Interesse für meine … Frau ist sehr schmeichelhaft. Wissen Sie: ich merke das schon seit einigen Tagen. Wissen Sie: ich will auch ein Ende machen. Ich reise ab – noch heute. Die Person lasse ich hier. Für eine Person, was anderweitig kokettiert, habe ich keine Verwendung. Sie können sie sofort greifbar übernehmen – auf Nummer sieben.« Er erhob sich. »Angenehme Feiertage! Das Zimmer ist bis heute abend beglichen.« – Und weg war er.

Wir wankten den Flur entlang – da meldete uns der Portier:

»Es is Geld da für den Herrn Baron.«

Mit warmer Anteilnahme in der Stimme.

»Wieviel?«

»Zweitausend.«

Ah, der Pump ist also gelungen.

Es freute uns nicht einmal. Das Appartement mit den goldnen Engeln kostet hundertfünfzig Mark täglich.

Niki betrachtete die Banknoten – zweitausend Mark – und seufzte.

»Das schöne Geld soll man jetzt diesen Hotelräubern abgeben. Sag mal, ist das dein bester Smoking?«

»Ja, Niki.«

»So tu genau wie ich.« Er zog über den Smoking seinen Frack an.

»Bist du irrsinnig, Niki?«

»Ich sag dir: tu genau wie ich.« Er schloff in den Cutaway. »So, jetzt das Reisegewand! Immer einen Anzug über den andern! Und die Rodeljacke! Alle Wäsche in den Rucksack. Den Rucksack aus dem Fenster schmeißen! Nichts, nichts darf hier bleiben als die leeren Koffer.«

Ich verstand endlich und griff zu. Dann schlenderten wir so recht harmlos und aufgeräumt zum Tor hinaus.

»Die Herren gehen noch rodeln??« fragte der Portier. »So spät?«

Niki grüßte mit einem Finger. Und sagte zu mir laut, möglichst laut:

»Am schönsten ist es doch bei Mondschein. Den Pulverschnee muß man genießen.«

Als wir draußen waren, umarmten wir einander und tanzten und lachten – lachten diebisch. Schulterten die Rodeln – und auf zur krausten Linde!

Um 7 Uhr 15 geht vom Bahnhof unten ein Zug nach München. Den erreichen wir noch.

Am Ablauf bobten wir, sprangen auf – und los in die Nacht. Niki voran. Ich hinterher. So ist noch niemand in die S-Kurve gesaust. Der Schnee stob, die Kufen zischten. Himmlischer Herrgott! Zweitausend Mark in der Tasche – die Qual hinter uns, die Freiheit vo…

»Halt!« schrie Niki und überschlug sich und lag im Schnee.

Ich bremste, daß mir die Gelenke knackten.

In diesem Augenblick – Niki war an eine Baumwurzel geraten – rauschte es über uns, und etwas großes Schwarzes stürzte auf uns zu und knirschte und krisch und stoppte neben uns: ein Bobsleigh.

Der Portier, der Oberkellner, der Hoteldirektor.

Der Portier packte Niki am Kragen, der Direktor mich.

»'tschujdingen,« sagte der Oberkellner, »die Herren haben noch einiges zu regulieren vergessen. Darf ich gleich bitten?«

Wir mußten diese Nacht keuchend, mit so viel Kleidern bepackt, im tiefen Schnee bis auf den Bahnhof waten. Die Rodeln hatten uns die Hunde entrissen.


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