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Der Postscheckverkehr

Eines Tages setzte mich die Generosität einer Braut in den Besitz von dreihundert Mark. Ich pflegte den Betrag im Hosensack zu tragen.

Meine Mutter fand die Art der Aufbewahrung riskant und kaufte mir eine hübsche rote Brieftasche.

Am selben Abend stahl man mir – in einer Gesellschaft meiner literarischen Freunde – die Brieftasche: zum Glück hatte ich meine dreihundert Mark immernoch im Hosensack.

Es gibt kein sichereres Depot als den Hosensack. Doch ich bin nicht imstande, und kein Ereignis ist imstande, meine Mutter von dieser großen Wahrheit zu überzeugen. Da erwogen wir, den Betrag einer Bank anzuvertrauen.

Ich war dagegen. Man kennt die Herren Bankkassierer. Sie halten sich Weiber und Automobile – woher? wovon? Von ihrem Gehalt? – Nein, auf die Bank gebe ich mein Geld nicht. – In diesem Augenblick der höchsten Zweifel fiel mir der Postscheckverkehr ein.

Das Deutsche Reich ist vertrauenswürdig. Ich beschloß, mein Vermögen auf ein Postscheckkonto zu legen. Und begab mich auf das Postamt München 23, Leopoldstraße.

Gewöhnlich sind ja die Beziehungen zu den öffentlichen Gewalten wenig erfreulich. Ich erinnerte mich peinlich eines Vorfalls aus alten Tagen – der Geschichte, wo mir die kritiklose Menge suggeriert hatte, es gebe einen Apparat, der einem erlaubt, mit entfernten Menschen zu sprechen. Zwei Jahre habe ich damals das Telephon im Haus gehabt, benutzt und wieder benutzt, bezahlt und wieder bezahlt, und nie mit jemand anderm gesprochen als mit dem Fräulein auf der Zentrale. – Solche Erfahrungen sollten einen warnen. Ich aber bin unheilbar weltgläubig.

Die Dienstvorschrift der bayerischen Postämter schreibt dem Beamten am ersten Schalter vor, das Publikum an den dritten Schalter zu weisen, und der dritte ist belagert. Für solche Fälle nun habe ich ein prachtvolles Hilfsmittel. Ich fing an zu weinen und sagte, mein armer Vater wäre vorgestern gestorben – heut, in einer Viertelstunde, sei die Beerdigung; ich möchte nur noch schnell dreihundert Mark einzahlen – dann hieße es, auf den Friedhof eilen.

Ehrfürchtig vor der Majestät des Todes teilte sich der Menschenhaufe, und ich stand dem Beamten Aug in Auge gegenüber.

»Postscheckkonto? Dös is Schalter Eins.«

»Nein,« sagte ich, »es ist am Schalter Drei.«

Laut § 6 des 1. Nachtrags zur Dienstvorschrift für Postämter ist bekanntlich jedermann verpflichtet den Beamten in schwierigen Postangelegenheiten ›höflich, jedoch in aller Kürze Rat und Auskunft zu erteilen‹. Diese humane Bestimmung bewährte sich wieder einmal aufs beste. Als der Beamte hörte, daß er wirklich das zuständige Forum wäre, holte er eine Reihe von Reglements, überzeugte sich durch Nachschlagen, daß er sich nicht auskannte, und fragte einen Kollegen. Der Kollege wußte natürlich nichts. Sie sagten, es gäbe keinen Postscheckverkehr.

Grade diesen Einwurf hatte ich erwartet. Lächelnd holte ich meine Zeitung hervor – darin stand alles haarklein so, wie ich es behauptet hatte. Da es ein Zentrumsblatt war, konnte der Beamte nichts entgegnen und befahl mir, in einigen Tagen wiederzukommen.

Ich kam wieder. Diesmal gelang es mir, die Sache soweit einzufädeln, daß ich meinen Namen auf ein Blatt Papier schreiben durfte, und man würde mich verständigen.

Schon nach überraschend kurzer Zeit rief mich ein Briefträger zum Herrn Amtsvorstand.

Ich rasierte mich, schlüpfte in meinen Gehrock, tat meine Mitgift in einen saubern Briefumschlag und ging.

Das Zimmer des Amtsvorstandes ist ein elegant, aber einfach ausgestatteter Raum mit einem hübschen Schreibtisch, einem diebssichern Kassenschrank und einem Kleiderständer. Zwischen den Fenstern grüßt uns das wohlgetroffene Porträt weiland des Prinzregenten, flankiert von brünstigen Hirschen. Unter den Gemälden steht ein braunes Ledersofa, auf dem ich aber nicht Platz nehmen durfte.

Der Herr Amtsvorstand ist ein bejahrter, ernster Herr mit angegrautem Haar und Bart, gütigen, doch energischen blauen Augen und einer Brille davor, die dem Besucher alsbald Respekt vor der Verantwortlichkeit des Amtes einflößt.

»Sie wollen also dem Postscheckverkehr beitreten?« fragte er. »Es ist meine Pflicht, Ihnen vorher die Folgen Ihres Schrittes klarzumachen. Wissen Sie auch, daß Sie dann keine Postanweisung, überhaupt kein bares Geld mehr in die Hand bekommen? Man wird die Beträge unmittelbar Ihrem Konto gutschreiben. Paßt Ihnen das?«

»Gewiß,« sprach ich – völlig ruhig – wie ichs immer bin, auch wenn ich noch so hohen Herren gegenüberstehe.

»Dann fertigen Sie hier die Vollmacht aus!«

Ich tat es. Er betrachtete wohlwollend die Unterschrift und sagte:

»Ah, der bekannte Operndirektor. Ich habe Ihre Werke wiederholt erwähnen hören. ›Die lustige Witwe‹ und so. Sagen Sie: wie fallen Ihnen die vielen Melodien ein? – Na, Sie wollen also dem Scheckverkehr … Gut, Sie können versichert sein: die Regierung wird Ihre Bitte wohlwollend in Erwägung ziehen. Guten Tag!«

Ich war entlassen.

Als ich vierzehn Tage nichts hörte, fragte ich auf dem Postamt: ob es nicht möglich wäre, jene dreihundert Mark einzuzahlen, die ich, zum Leidwesen meiner Mutter, immernoch mit mir herumtrug.

Man sagte mir:

»Nein, einzahlen können Sie nicht. Denn Sie haben noch kein Konto und keine Nummer.«

Es war eine schwere Zeit. Meine Mutter verlangte täglich das Geld zu sehen – damit ich es nicht verbrauchte – und auch bei Nacht erwachte sie öfters, kam herüber und guckte nach dem Geld.

Ich bat auf der Post, man möchte mir eine Kontonummer zuweisen. Sie sagten, es ginge nicht. Warum? Weil ich noch nichts eingezahlt hätte.

»Ich will gern einzahlen …« antwortete ich.

»Ja – du müßten Sie erst eine Nummer haben, unter der wir es buchen können.«

Endlich am 17. April – nie werde ich den Tag vergessen – am 17. also durfte ich meim Geld hinlegen. Der Amtsvorstand ließ mich zu sich rufen und sagte mir:

»Man hat, wie Sie sehen, Ihrem Ansuchen willfahrt – wiewohl Sie Ausländer sind und Ihr Vorleben durch mancherlei bedauerliche Schatten getrübt ist. Die Regierung hofft, daß Sie sich der Aufnahme in den Postverkehr würdig erweisen werden. Geloben Sie das?«

»Ich gelobe es,« versicherte ich.

Und ich bekam die Kontonummer 1130, Scheckamt München.

— — —

Wenn nun eine Postanweisung an mich kommt, schickt man mir nicht etwa das Geld, sondern ich erhalte – ganz wie es der Amtsvorstand angedroht hat – nurmehr die Verständigung, dieser und dieser Betrag wäre meinem Konto gutgebucht worden.

Jeden Betrag, den ich von irgendwoher bekomme, schickt man aufs Postscheckamt und schreibt ihn auf Nummer 1130.

Erst gestern kamen wieder:

Vom ›Lustigen Sachsen‹ für ein hübsches Trinklied …

2 M 50.

Von der ›Literarischen Rundschau‹ für einen Artikel ›Sollen junge Mädchen Korsette tragen?

‹ 15 M

Ich kriege das Geld nicht. Wir haben seit sechs Wochen nichts mehr im Haus.

Einmal füllte ich ein Formular aus und ging damit auf die Post.

Der Beamte sah die Geschichte durch, nickte beifällig, hielt das Papier gegen das Licht, um das Wasserzeichen zu prüfen, und sprach:

»Sie können ganz beruhigt sein. Der Scheck is echt.«

»Ich wollte hundert Mark …«

»Schicken S' halt den Schein aufs Scheckamt.«

Ich schicke öfters einen Schein aufs Scheckamt.

Dann weist das Scheckamt hundert Mark an – an Herrn Roda Roda, München 23, Leopoldstraße.

Das Postamt München 23 bekommt die Anweisung, sagt sich aber mit Recht: ›Der Mann hat ein Konto, auf das wir diesen eingelaufenen Betrag überweisen müssen‹. – Und die hundert Mark gehen wieder ans Scheckamt.

Meine Mutter verkümmert in Not, Bettelstab ist bei uns Küchenmeister. Mein Geld geht ans Postscheckamt.

Gestern war ich persönlich bei einem Verleger und suchte ihm zwanzig Mark abzulisten.

Er sagte mir:

»Gewiß, mit Vergnügen. Ich überweise Ihnen das Geld durch einen Postscheck.«

Ich ging gebrochen vondannen.

Ich wiederhole den Versuch, Geld von der Post zu erhalten, jede Woche. Ich sehe ja ein, der Versuch ist töricht. Doch das eben ist die Art der Verzweifelten, törichte Versuche zu wagen.

Die Regierung bleibt unbarmherzig. Die Einführung des Postscheckverkehrs war ein Teil der Finanzreform des Reiches. Man wollte Geld haben, und nimmt es nun den Ärmsten. Meine kargen, sauern Schriftstellerhonorare wird man der Entente überweisen. Und die deutsche Kunst gibt man dem Hungertuch preis.


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