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Die vierte Dimension

Seit einigen Monaten haben wir eine Hochkonjunktur der Geisterwelt. Übernatürliche Kräfte, die jahrelang ausgeruht zu haben scheinen, erwachen zu desto unheimlicherer Vitalität. Da zeigen sich Phänomene, gar überraschend und einprägsam; und Gelehrte, die dergleichen unlängst noch mit überlegenem Lächeln als Schwindel, Sinnestäuschung von sich gewiesen hätten, formen besorgte Stirnfalten zu Fragezeichen: ob wir da nicht Erscheinungen auf der Spur wären, die der beobachtenden Wissenschaft annoch entschlüpften. Offenbar ist die Wissenschaft so zerstreut gewesen, eine ungeheure Sphäre des Weltgetriebes völlig zu übersehen.

Das Gesellschaftsspiel mit der Übersinnlichkeit ist außerordentlich anregend. Es hebt das Niveau der bürgerlichen Unterhaltung und belebt sie. Dem Minderbegabten tut es wohl, der dünkelhaften Systematik mit den einfachsten Mitteln ein Schnippchen schlagen zu können: eine Weidenrute, ein Draht in der Hand eines Schusters findet Erzgänge und Wasseradern, wo alle Geologie versagte; ein Siderisches Pendel (der an einem Faden befestigte Ehering von Frau Lehmann) stellt Tiziane als echt fest – die Kunstgeschichte ging kurzsichtig daran vorbei; ein kleines Tischchen mit drei Beinen sagt Entwickelungen der Politik voraus, von der Diplomaten, selbst Gewerkschaftssekretäre noch nichts ahnen … Dann der Aufenthalt in verdunkelten Räumen, die wechselreiche Berührung mit netten Nebenmenschen: das Monopol des Kinos ist gebrochen; ein unverstandenes Wesen von etwas Fleisch und Bein kommt auch bei der Nekromantie auf seine Rechnung. Endlich bietet es mir, dem Mann aus dem Volk, nicht geringe Genugtuung, täglich, sooft ich irgend will, einer Unterredung mit Exzellenz Goethen teilhaftig zu werden und unsern verstorbenen Vetter Siegfried drüben (nein, diese Ehre – wer hätt es je gedacht?) in stetigem Umgang mit der hochseligen Kaiserin Elisabeth zu wissen.

Von gedämpfter Musik und zärtlichen Fragen angelockt, naht der Griesgram Schopenhauer und gibt Tante Laura einen guten Tip in Frühkartoffeln; Schopenhauer war ja auch im Leben kaufmännisch sehr behend. Maria Stuart rät zu Haussespekulationen: Deutschland werde sich unbedingt erholen. Leider hat die zudringliche Neugier Karl Rößlers die dienstbereite Maria vorzeitig verscheucht: Rößler fragte sie, ob sie beim Bakk auf fünf nachzukaufen pflege.

Man kann all die Geheimnisse, die da aus den Ritzen der Wunderwelt hervorlugen, nicht ernst genug betrachten. Wenn wir von den Interessen der Metaphysik absehen: die praktisch verwendbaren Abfallprodukte der Erkenntnis schon sind verblüffend. Oder bedeutet es nichts, daß letzthin mit Hilfe der Telepathie Diamantenfelder in Oberföhring festgestellt wurden? Lichtzeichen, die von tüchtigen Medien ausgehen, sind jetzt die einzigen Phanale in der Finsternis des Wirtschaftslebens. Gestern erst hat mir eine Psychographologin (Honorar zehn Mark) Winke gegeben – aus einem Brief, ich bitte, der garnicht von mir geschrieben, nicht einmal an mich gerichtet war – Winke, die mich in eine neue Laufbahn weisen; nur muß ich vorher meine Schüchternheit und die asketische Lebensverneinung überwinden; was mir umso leichter fällt, als sich auch meine Finanzlage binnen kurzem ins grade Gegenteil verkehren wird. Ein berühmter Forscher hat nach einem einzigen Blick in meine Achselhöhle nicht nur die günstige Prognose des Psychographenweibes bestätigt – er mahnt mich auch, gewisse Begabungskeime nicht zu vernachlässigen. In der Musik, sagt er, würde ich es zur Meisterschaft bringen; und ich Esel hatte die Musik bisher so wenig gepflegt, daß ich die große Trommel von der Klarinette nur nach Anfrage bei den Nächstbeteiligten unterscheiden kann. – Derselbe Forscher macht obgenannte Tante Laura auf ihr Talent für Barmherzigkeit aufmerksam. Barmherzigkeit verrät sich dem Kenner äußerlich durch die emporgerichteten Nasenlöcher, wie ich mir erklären ließ. Für das Tierreich scheint die Regel nicht zuzutreffen – wenigstens galt Barmherzigkeit bisher nicht für den hervorstechendsten Charakterzug der Möpse.

– – – Ich habe tief in der Zukunft gepopelt und zahlreiche Astralleiber interviewt. Wenn ich die okkulten Vorgänge der letzten Wochen zusammenfassend überschaue, muß ich allerdings sagen: daß mich die Engstirnigkeit der lieben Verstorbenen ein wenig enttäuscht. Erstaunlich, um wie kleine Dinge die Abgeklärten sich bekümmern – und selbst die Jenseitsintelligenz der Allergrößten scheint das hinieden übliche Durchschnittsmaß nicht erheblich zu übersteigen. »Die Lebenden,« sagt Meyrink irgendwo, »wissen eben ihre Albernheit geschickt zu verhüllen; nach dem Tod kommt sie kristallklar hervor.«

Darum übe ich gegen Geister zunächst eine – vielleicht übertriebene – Vorsicht und Zurückhaltung.

Ich habe beschlossen, meine Weltanschauung nicht gleich gänzlich aufzugeben.

Ich möchte vielmehr angesichts der verwirrenden Fülle der Vorgänge eine Weile noch im Stande rationalistischer Unschuld verharren.

Zeigt sich später, daß es ein Fortleben nach dem Tode gibt: nun, dann habe ich ja immernoch Zeit, meine Ansichten zu revidieren und mich durch Klopftöne bemerkbar zu machen.


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